3278/A(E) XXVII. GP

Eingebracht am 29.03.2023
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Entschließungsantrag

der Abgeordneten Mag. Gerald Loacker, Kolleginnen und Kollegen

betreffend Ende der österreichischen Blockadehaltung zum Mercosur-Abkommen

 

Das seit langen Jahren in Verhandlungen befindliche Handelsabkommen zwischen der Europäischen Union einerseits und der Mercosur Gruppe (Argentinien, Brasilien, Paraguay, Uruguay) steht in Europa wegen unzureichender Durchsetzbarkeit bei Sozialklauseln und Umweltregeln in der Kritik. Die Europäische Kommission hat daher Nachverhandlungen begonnen, um diese Kritikpunkte zu korrigieren. Österreich hat sich in diesen Nachverhandlungen ins internationale Abseits gestellt, indem es ohne Rücksicht auf das Ergebnis der Verhandlungen eine dogmatische Ablehnungspolitik betreibt, und damit Nachverhandlungen torpediert.

Die österreichische Ablehnung basiert auf drei Entschlüssen aus den Jahren 2019 und 2021, also aus einer Zeit, in der die Nachverhandlungen noch nicht begonnen hatten. Die beiden Beschlüsse des Ständigen EU-Unterausschusses vom 18. September 2019 verlangen die Ablehnung des am 28. Juni desselben Jahres vorgelegten Abkommens. Diese Abkommensvorlage ist aufgrund der laufenden Nachverhandlungen hinfällig. Die Enschließung des Nationalrats vom 24. Februar 2021 stellt einer Evolution der Entschließungen des EU-Unterausschusses dar und fordert eine Ablehnung "in der derzeitigen Form," also Stand Februar 2021. 

Da der von der Kommission vorgelegte Text in der damaligen Form heute nicht mehr zur Debatte steht, sind die Entschließungen aus 2019 und 2021 obsolet. Die österreichische Bundesregierung (wie auch National- und Bundesrat) muss sich an neuen, in den Nachverhandlungen modifizierten Bestimmungen orientieren, wenn sie das Mercosur Abkommen evaluiert. Diese werden gegenwärtig erarbeitet, stehen also noch nicht zur finalen Bewertung zur Verfügung. Eine a priori Ablehnung kann nicht im nationalen Interesse sein, weil die Abwägungen der österreichischen Interessen erst mit dem finalen Text vorgenommen werden können.

Die Ratspräsidentschaften des Jahres 2023 (Schweden im ersten Halbjahr, Spanien im zweiten) setzen Finalisierung der Nachverhandlungen und Abschluss des Abkommens auf ihre Prioritätenliste. Aus Brüssel heißt es, ein Abschluss bis Juli dieses Jahres sei geplant. In diesen Verhanldungen kann sich Österreich laufend einbringen um Österreichs Interessen zu wahren. Die positive Beeinflussung der Verhandlungen ist vielversprechender als eine veraltete, dogmatische Position, die jede konstruktive Arbeit verhindert, vor allem weil die Kommission politische von wirtschaftlichen Themen trennen könnte und die wirtschaftlichen mit Mehrheit (also ohne österreichisches Vetorecht) beschließen könnte. In diesem Fall würde Österreich all seinen Einfluss verlieren und von der Mehrheit überstimmt werden, 

In Österreich argumentieren die ablehnenden Stimmen mit zwei Themen: (1) Protektionismus zugunsten (eines Teils) der heimischen Landwirtschaft, und (2) Schutz des Regenwalds vor Abholzung durch landwirtschaftliche Interessen in Brasilien. 

ad 1) Protektionismus: 

Handel mit den Mercosur Staaten sichert derzeit 32.000 Arbeitsplätze in 1.400 österreichischen Unternehmen, die in der Region aktiv sind. Der Abschluss des Abkommens wird eine geschätzte Steigerung europäischer Exporte um 68% mit sich bringen. Importe der Mercosur Region sind stark auf Produkte konzentriert, in denen Österreich stark präsent ist (z.B. Kfz-Bauteile), sodass die Steigerung des Exportvolumens (direkt nach Südamerika, oder indirekt über die Käufer österreichischer Zulieferteile) für Österreichs Exportwirtschaft über dem europäischen Schnitt liegen dürfte. 

Europa wäre der erste Handelsblock mit einem Handelsabkommen mit der Mercosur Region und würde daraus sogenannte first mover Vorteile ziehen. China versucht bereits, Europa diesen Vorteil zu entreißen. Präsident Luiz Ignacio Lula da Silva reiste im März mit einer großen Handelsdelegation nach China. Bereits jetzt ist China der größte Handelspartner mit der Mercosur Region vor der EU. Eine weitere Verschiebung in Richtung China kann weder für Europas Wirtschaft, noch für die Einhaltung von Menschenrechten in der Mercosur Region oder für den globalen Klimaschutz von Vorteil sein. 

Ein Handelsabkommen öffnet Märkte und schafft Arbeitsplätze, kann aber auch Umweltschutz-, Produktion-, und Menschenrechtsstandards positiv beeinflussen. Ohne Abkommen – oder wenn sich die Mercosur Region enger an China bindet – kann Europa wenig zu einer Änderung zum Positiven beitragen. 

Handelsabkommen haben eine messbare Auswirkung auf unsere Wirtschaft und unseren Wohlstand. Das Abkommen zwischen EU und Korea ist seit 2011 in Kraft. Österreichische Exporte nach Korea sind um 81,2% gestiegen (im Vergleich, die Steigerung unseer Expore weltweit lag im geichen Zeitraum bei 51,4%). Seit 2017 wird das von Handelsgegnern stark angefeindete CETA Abkommen mit Kanada angewendet. Soziale und Umweltkatastrophen sind ausgeblieben, österreichische Exporte stiegen um 47,8% (im Vergleichszeitraum lag die weltweite Steigerung bei 26,2%). Und seit dem EU-Beitritt hat sich Österreichs Exportleistung vervierfacht, von 42,2 Milliarden auf 165,6 Milliarden Euro. Auch die Landwirtschaft hat kräfig zugelegt: inkl. verarbeiteter Lebensmittel haben sich Exporte versiebenfacht.

Laut Statistik Austria erwirtschaftete die Landwirtschaft 2021 etwa1% des BIP, die Industrie laut IV etwa 55%. Laut Wirtschaftsminister Martin Kocher beschäftigt die Industrie "Insgesamt mit 67.000 Betrieben rund eine Million Menschen in Österreich." Über 50% des BIP werden durch Exporte generiert. Der produzierende Bereich (ohne Bauwesen) erwirtschaftet 57% seiner Umsätze mit dem Export. Jährlich werden Waren im Wert von über 15.000 Euro pro Einwohner exportiert. Der Außenhandel sichert direkt und indirekt Arbeitsplätze für rund 1,7 Millionen Menschen. Jedes Prozent mehr an Exporten bedeutet 10.000 neue Jobs. Den Exporthandel aus Rücksicht auf einen Teil der Landwirtschaft (nicht der gesamten, denn manche Sektoren werden vom Abkommen profitieren) zu beschränken bedeutet, für ein innepolitisches Partikularinteresse den Wohlstand aller Österreicher:innen in Geisehaft zu nehmen. 

Produktions-, Sozial- und Qualitätsstandards bleiben weiterhin beide Seiten des Abkommens überlassen. Europa müsste keine Produkte, die nicht unseren Standards entsprechen, in unserern Wirtschaftsraum lassen. 

ad 2) Regenwaldschutz:

Das Abkommen verpflichtet beide Seiten explizit dazu, Arbeitnehmer- und Umweltschutzstandards zumindest nicht zu senken. Die Umsetzung des Pariser Klimaabkommens
stellt ebenfalls einen Teil des Abkommens dar. Brasilien muss darin seine Treibhausgasemissionen bis 2030 im Vergleich zu 2005 um 37%, die EU um 40%.  Brasilien verpflichtet sich, die bestehenden Verbote von Regenwaldrodung verstärkt zu überwachen. Brasilianische Schlachter unterstützen die Verbesserung der Herkunftskennzeichnung für Rindfleisch, um am europäischen Markt das Reputationsrisiko zu senken. 

Die Klimawende wird Österreich (oder Europa) nicht alleine schaffen. Wir sind von den meisten Rohstoffen, die wir für die grüne Wende benötigen, von China abhängig, in manchen Fällen zu über 90%. China denkt strategisch und erschließt Rohstofflager auch außerhalb seiner Staatsgrenzen, wie etwa in Südamerika. Den Grünen Deal erfolgreich zu gestalten bedeutet nicht zuletzt strategische Investitionen in den Weltregionen, ohne die der Technologiewandel für Europa nicht zu schaffen ist.

Die Probleme mit dem Mercosur Abkommen liegen nicht im Vertragstext, sondern in den fehlenden Sanktionsmechanismen. Daran wird auf EU-Ebene derzeit gearbeitet. Der deutsche Vizekanzler Robert Habeck von den Grünen hat ein Video von sich im Amazonas nach dem Besuch eines indigenen Dorfes gepostet. Sein Fazit: Wenn man Mercosur richtig macht, dann wird es nicht zerstören, sondern helfen:

Habeck: "Die deutsche Diskussion kreist ja im Kern um die Frage, ob ein Freihandelsabkommen ... den Regenwald zerstört. Und wenn das so käme, dann dürften wir es auf keinen Fall schließen. Die Hoffnung war immer, dass man Handel mit dem Schutz der natürlichen Ressourcen verbinden kann. ... Was ich hier gelernt habe ist, dass es nicht nur möglich ist, sondern von der brasiliansichen Seite gewollt wird. Die Umweltschützer, die Leute die mit der indigenen Bevölkerung hier arbeiten, haben gesagt, es gibt zwei Probleme, und beide können damit gelöst werden. Die Menschen, die hier leben, denen muss geholfen werden, andere Produkte nachhaltig auf den Markt bringen zu können. Und denjenigen, die als kriminelle Banden den Regenwald zerstören, denen muss der Kamp angesagt werden. ... Ich glaube, dass die Erwartung von der brasilianischen Seite an dieses Abkommen ist, dass es beides leisten kann, wenn man es richtig und wenn man es gut macht. Und das ist jetzt der Arbveitsauftrag für mich und für die deutsche Regierung und für Europa."(https://www.google.com/search?q=habeck+video+brasilien+regenwald&rlz=1C1GCEA_enAT888AT888&oq=habeck+video+brasilien+regenwald&aqs=chrome..69i57j33i160.19373j0j4&sourceid=chrome&ie=UTF-8#fpstate=ive&vld=cid:58f11ffa,vid:6usLBurXym8)

Wirtschaftsminister Kocher erklärte in einem Zeitungsinterview: "Handelsabkommen bringen grundsätzlich positive gesamtwirtschaftliche Effekte für die beteiligten Volkswirtschaften. ... Auch im Falle eines Abschlusses des EU-Mercosur Abkommens werden positive Auswirkungen für die österreichische Wirtschaft erwartet. Als kleines exportorientiertes Land profitiert Österreich besonders vom intensiveren Handel mit Drittstaaten." Auch stellte Kocher fest, dass der Handelsministerrat erst nach endgültigem Abschluss etwaiger Verhandlungen zwischen der EU-Kommission und Mercosur mit dem Handelsabkommen befasst. "Erst zu diesem Zeitpunkt kann das dann finale Abkommen von Österreich bewertet werden." Er erteilte damit einer ex ante Ablehnung eine – zumindest intellektuelle – Abfuhr. 

Es bleiben also nur noch doktrinäre Gründe sowie innenpolitisch motivierter Protektionismus  für ein verhandlungsunabhängiges östereichisches Veto. Vizekanzler Werner Kogler pocht, ohne auf die Argumente einzugehen, auf das mittlerweile auf veralteten Tatsachen beruhende Regierungsabkommen. Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig schützt eine kleine, aber einflussreiche ÖVP Klientel. So wehrt sich Österreich etwa gegen die Einfuhr von Rindfleisch, obgleich das Kontingent unverändert bei etwa 1,25% des europäischen Gesamtkonsums bleibt, und obwohl auch östereichische Agraprodukte in der Mercosur Region verbesserten Zugang bekämen. 

Eine Ablehnung des Mercosur Abkommens noch vor der Ausarbeitung der Nachverhandlungen schadet Österreichs Wirtschaft ohne Voreile für Klima, Umwelt der Sozialstandards mit sich zu bringen. Kein Baum im Amazonas wird durch business as usual gerettet. Indigene Gruppen oder Landarbeiter:innen in Brasilien werden durch die Ablehnung des Abkommens nicht bessergestellt. Die angeprangerten Probleme bestehen nicht wegen des Abkommens, sondern in seiner Abwesenheit; ein gutes Abkomen kann, wie der deutsche Grüne Vizekanzler richtig sagt, Anreize für Verbesserungen nach sich ziehen. 

Verhandlungen multilateraler Abkommen benötigen tausende Arbeitsstunden von Beamten aller beteiligten Staaten. Regierungen investieren diese Ressourcen nur, wenn Aussicht auf ein erfolgreiches Ende besteht. Ein doktrinäres Veto eines MItgliedsstaates verhindert daher kein schlechtes Abkommen, sondern die Möglichkeit, ein besseres zu erarbeiten. 

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgenden

ENTSCHLIESSUNGSANTRAG

 

Der Nationalrat wolle beschließen:

"Die Bundesregierung wird aufgefordert, Verhandlungen zu internationalen Handelsabkommen nicht bereits vor deren Abschluss durch Vetodrohungen zu blockieren. Stattdessen möge die Bundesregierung für Österreich akzeptable Resultate präsentieren und zusammen mit den europäischen Partnerstaaten die Verhandlungen unterstützend begleiten, um für alle Parteien zufriedenstellende Lösungen zu erarbeiten."  

In formeller Hinsicht wird die Zuweisung an den Ausschuss für Wirtschaft‚ Industrie und Energie vorgeschlagen.