3309/A XXVII. GP

Eingebracht am 30.03.2023
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ANTRAG

 

der Abgeordneten KO Herbert Kickl, Dr. Susanne Fürst

und weiterer Abgeordneter

betreffend ein Bundesverfassungsgesetz zur Aufwertung der Neutralität zum Prinzip der Bundesverfassung (Neutralitätsprinzip), mit dem das Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) geändert wird.

 

Der Nationalrat wolle beschließen:

 

Bundesverfassungsgesetz zur Aufwertung der Neutralität zum Prinzip der Bundesverfassung (Neutralitätsprinzip), mit dem das Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG), BGBl. Nr. 1/1930 idF BGBl. I Nr. 194/1999, zuletzt geändert mit BGBl. I Nr. 222/2022, geändert wird

 

Der Nationalrat hat beschlossen:

 

Das Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG), BGBl. Nr. 1/1930 idF BGBl. I Nr. 194/1999, zuletzt geändert mit BGBl. I Nr. 222/2022, wird wie folgt geändert:

 

1.    Art. 1 lautet:

 

„Österreich ist eine demokratische, wehrhafte, immerwährend neutrale souveräne Republik. Ihr Recht geht vom österreichischen Bundesvolk aus.“

 

2.    Art. 44 Abs. 4 lautet:

 

„(4) Jede Änderung von Art. 1 kann nur in Anwesenheit von mindestens zwei Drittel der Mitglieder und mit einer Mehrheit von vier Fünftel der abgegebenen Stimmen vom Nationalrat mit der in Anwesenheit von mindestens zwei Drittel der Mitglieder und mit einer Mehrheit von vier Fünftel der abgegebenen Stimmen zu erteilenden Zustimmung des Bundesrates beschlossen werden und ist nach Beendigung des Verfahrens gemäß Art. 42, jedoch vor der Beurkundung durch den Bundespräsidenten, einer Abstimmung des gesamten Bundesvolkes zu unterziehen. Beschlüsse von Organen internationaler Organisationen, eingeschlossen jene der Europäischen Union, deren Anwendung oder Umsetzung Art. 1 verletzen würden, kommen in Österreich nicht zur Anwendung.“

 

 

 

Begründung

 

In jeder Verfassung werden grundsätzliche Feststellungen über die Staatsform und die Regierungsform, den Aufbau des Staates und die Stellung und Rechte der Menschen im Staat getroffen. Man nennt sie auch Grundprinzipien einer Verfassung. Sie sind die Basis der Verfassung und der Demokratie, und sie sind zumindest theoretisch besonders gegen Veränderungen geschützt. In Österreich bilden nach herrschender Meinung das demokratische, das republikanische, das bundesstaatliche und das rechtsstaatliche Prinzip die Grundlagen der Verfassung. Manchmal wird Letzteres auch weiter differenziert, man spricht dann vom rechtsstaatlichen, vom liberalen und vom gewaltenteilenden Prinzip. Eine demokratisch legitimierte Festlegung dieser Prinzipien durch den Gesetzgeber gibt es jedoch nicht. Es handelt sich stattdessen um eine mehr oder weniger anerkannte Interpretation von Rechtsprechung und Lehre, die durch die voranschreitende Integration in die Europäische Union und politische Entscheidungsträger, die einem vermeintlich höheren Wohl statt der eigenen Bevölkerung dienen, zunehmen erodiert.

 

Die Österreicherinnen und Österreicher erleben derzeit Entwicklungen, die sie ohnmächtig und pessimistisch in die Zukunft blicken lassen. Die Grundprinzipien unseres Zusammenlebens sind ins Wanken geraten. Es ist daher die Zeit gekommen, das Fundament unserer Verfassung durch die Aufwertung der Neutralität zum Prinzip der Bundesverfassung (Neutralitätsprinzip) nachhaltig zu stärken.

 

Dazu soll mit einer Volksabstimmung gem. Art. 44 Abs. 3 B-VG eine Gesamtänderung der Bundesverfassung erfolgen und jenen das Heft des Handelns in die Hand gegeben werden, von denen das Recht originär ausging: dem österreichischen Volk. An ihm liegt es, sein Souveränitätsrecht durch die Verankerung der Neutralität als Grundprinzip einer demokratischen und wehrhaften Republik zu schaffen.

 

Konkret wird vorgeschlagen:

 

1. Artikel 1 B-VG soll geändert werden, wie folgt: 

 

"Österreich ist eine demokratische, wehrhafte, immerwährend neutrale souveräne Republik. Ihr Recht geht vom österreichischen Bundesvolk aus.

 

2. Artikel 44 soll folgender neuer Absatz 4 angefügt werden:

 

„(4) Jede Änderung von Art. 1 kann nur in Anwesenheit von mindestens zwei Drittel der Mitglieder und mit einer Mehrheit von vier Fünftel der abgegebenen Stimmen vom Nationalrat mit der in Anwesenheit von mindestens zwei Drittel der Mitglieder und mit einer Mehrheit von vier Fünftel der abgegebenen Stimmen zu erteilenden Zustimmung des Bundesrates beschlossen werden und ist nach Beendigung des Verfahrens gemäß Art. 42, jedoch vor der Beurkundung durch den Bundespräsidenten, einer Abstimmung des gesamten Bundesvolkes zu unterziehen. Beschlüsse von Organen internationaler Organisationen, eingeschlossen jene der Europäischen Union, deren Anwendung oder Umsetzung Art. 1 verletzen würden, kommen in Österreich nicht zur Anwendung.“

 

 

1.    Verpflichtende Volksabstimmung über eine gesamtändernde Verfassungsreform

 

 

Die vorgeschlagene Verfassungsreform bedeutet eine Gesamtänderung der Bundesverfassung i.S. des Art. 44 Abs 3 B-VG, insoweit den in Art 1 B-VG genannten Grundprinzipien die höchste Bestandskraft auf Verfassungsstufe zuerkannt wird. Diese wird durch die gegenüber dem Art. 44 Abs. 3 B-VG erhöhten Anforderungen an das Quorum und das Beschlusserfordernis in Nationalrat und Bundesrat im Wege des neuen Art. 44 Abs. 4 B-VG gesichert. Die Konsequenz ist, dass die als Souveränitätsrecht zusammengefassten Änderungen das demokratische und republikanische Prinzip und in einem den Status von Österreich als immerwährend neutraler Staat über die von Art. 44 Abs. 3 abgesicherten Grundprinzipien heben. Art. 1 B-VG wird so zur höchsten Rechtsschicht innerhalb der Verfassung. Die Bundesverfassung wird dementsprechend nach Annahme des Vorschlags aus drei Schichten bestehen, dem Souveränitätsrecht, der verfassungsrechtlichen Grundordnung und dem einfachen Verfassungsrecht. Der Verfassungsänderungsvorschlag geht damit über die Einfügung eines Grundprinzips hinaus und ist daher jedenfalls als Gesamtänderung der Verfassung zu deuten.[1]

 

Dass das demokratische und republikanische Prinzip sowie die Präzisierungen des demokratischen Prinzips, die in den Änderungen des Art. 1 B-VG zu sehen sind, auf der bisherigen Verfassungsstufe und die Hebung des Neutralitätsstatus zu einem Grundprinzip (Baugesetz) nicht ausreichend sind, um sie gegen Anfechtungen, insbesondere von Seiten der EU abzusichern, ergibt sich aus dem EuGH-Urteil zur polnischen Justizreform. Der EuGH hat sich, wie das polnische Verfassungsgericht aufzeigt, über Art. 2, Art. 7, Art. 8 Abs. 1, Art. 90 Abs. 1, Art. 178 Abs. 1, Art. 179 in Verbindung mit Art. 144 Abs. 3 und 17 und Art. 186 Abs. 1 der polnischen Verfassung hinweggesetzt. Von diesen Bestimmungen kommt Art. 2, wonach die Republik Polen ein demokratischer Rechtsstaat, der die Grundsätze gesellschaftlicher Gerechtigkeit verwirklicht, ist, Art. 7, wonach die Organe der öffentlichen Gewalt auf der Grundlage und in den Grenzen des Rechtes handeln, Art. 8 Abs. 1, wonach die Verfassung das oberste Recht der Republik Polen ist, und Art. 90 Abs. 1, wonach aufgrund eines völkerrechtlichen Vertrages die Republik Polen einer internationalen Organisation oder einem internationalen Organ die Kompetenz von Organen der staatlichen Gewalt in bestimmten Angelegenheiten übertragen kann, die größte Bedeutung zu.

 

Bezogen auf Österreich bedeutet die Entscheidung des EuGH, dass das demokratische und das rechtsstaatliche Prinzip, die Norm aufgrund derer Österreich der EU beigetreten ist (EU-Beitritts-BVG als Pendant zu Art. 90 Abs. 1 polnische Verfassung) und die Qualität der Verfassung als höchste Stufe im Stufenbau des Rechts vom EuGH missachtet wurden. Was das rechtsstaatliche Prinzip anbelangt, setzt der EuGH ein vage argumentiertes europäisches Rechtsstaatsverständnis an die Stelle des polnischen und behauptet, dieses dennoch auf gemeinsame Verfassungsprinzipien der Mitgliedstaaten der EU zurückführen zu können.  Zwar kennt die polnische Verfassung die Unterscheidung von Baugesetzen und einfachem Verfassungsrecht nicht, doch ist dem EuGH-Urteil zu entnehmen, dass die Art der Konstruktion des nationalen Rechts für ihn irrelevant ist. Dies bedeutet, dass es – überträgt man die Argumentation des EuGH zu Polen auf Österreich – keinen integrationsfesten Kern der österreichischen Verfassung gibt. Hoffnungen, die das BVerfG aufkommen hat lassen, dass ein solcher Kern vom EuGH akzeptiert wird, hat die deutsche Bundesregierung vernichtet, auch wenn noch abzuwarten ist, ob das BVerfG in einer zukünftigen entsprechenden Fallkonstitution trotz Gewaltenteilung auf die deutsche Regierungslinie einschwenken wird.

 

Das Urteil des EuGH zwingt Österreich zu einer verfassungspolitischen Initiative. Im Wege einer lex posterior zum EU-Beitritts-BVG wird die durch den EU-Beitritt und die Rechtsprechung des EuGH, aber auch durch verschiedene Verordnungen der Europäischen Kommission gefährdete Souveränität Österreichs[2] auf eine Verfassungsstufe höher gestellt und damit der Ingerenz des EuGH und der Europäischen Kommission entzogen. Greifen sie auch in diese Stufe ein, bedeutet dies für die der österreichischen Verfassung verpflichteten Vertreter Österreichs die Pflicht, aus der EU auszutreten, es sei denn, sie können den souveränitätsbeeinträchtigen Akt über eine durch Art. Abs. 4 B-VG gestützte qualifizierte Mehrheit bei gleichfalls qualifiziertem Quorum in Nationalrat und Bundesrat sowie Zustimmung des Volkes heilen.

 

Bis zum EuGH-Urteil in Polen hat man entsprechend dem Verständnis eines integrationsfesten Kerns der Verfassung vertreten können, dass die Hebung des bislang auf der Ebene eines einfachen Verfassungsrechts angesiedelten Neutralitäts-BVG auf die Ebene eines Grundprinzips ausreichend ist, um dem Neutralitätsstatus den gebotenen Schutz gegen neutralitätswidrige Maßnahmen auf EU-Ebene mit verbindlicher Wirkung für Österreich zu sichern. Nach diesem Urteil ist der Einschluss in den besonders geschützten Art. 1 B-VG notwendig. Insofern das Bekenntnis zu immerwährender Neutralität der Kern der österreichischen Souveränität nach außen ist, ist seine unmittelbare Einbeziehung in die dem Souveränitätsrecht gewidmete Gesamtänderung der Bundesverfassung naheliegend. 

 

 

 

 

2.    Änderungen des Art. 1 B-VG

 

 

Der Vorschlag sieht vor, dass in Art. 1 B-VG die Worte „wehrhafte, immerwährend neutrale souveräne“ als Attribute zu „Republik“ eingefügt werden und durch „österreichisches Bundesvolk“ der Begriff „Volk“ präzisiert wird.

 

Die Einfügung des Wortes „wehrhafte“, soll sicherstellen, dass Österreich seine eigene Landesverteidigung so ausstattet, dass es in der Lage ist, sich gegen militärische Angriffe selbst und eigenständig zur Wehr zu setzen. Die Ergänzung soll verhindern, dass im Einklang mit Art. 9a B-VG im Bundeshaushalt jeweils so finanziell ausgestattet wird, dass es seinen Auftrag, die Wehrhaftigkeit Österreichs zu garantieren, erfüllen kann.

 

Die Einfügung des Wortes „souveräne“ unterstreicht die Auffassung Österreichs seit der Erklärung seines Status eines immerwährend neutralen Staates, dass damit kein Einbruch in seine vollumfassende Souveränität nach außen verbunden ist. Im Gegenteil, gerade weil Österreich souverän war und ist, hat es sich historisch im Bemühen, als unabhängige Republik wieder errichtet zu werden, aber völker- und verfassungsrechtlich aus eigenem Antrieb und eigener Entscheidungsfreiheit, dazu entschlossen, den völkerrechtlichen Status eines immerwährend neutralen Staates anzunehmen.

 

Zugleich bedeutet die Einfügung des Wortes „souveräne“ die Artikulation des Kerns des Souveränitätsrechts. Es signalisiert allen involvierten Organen, jenen Österreichs, aber auch jenen, die aufgrund von völkerrechtlichen Verträgen mit Österreich in Bezug auf Österreich Hoheitsgewalt ausüben, dass die Souveränität gemeinsam mit der Qualität als demokratische Republik und dem Rechtsstatus als immerwährend neutraler Staat das höchste Verfassungsgut darstellt. Jeder Eingriff welchen Organs welcher Internationalen Organisation immer in die Souveränität Österreichs bedeutet eine Änderung des Art. 1 B-VG und bedarf der Genehmigung im Verfahren des Art. 44 Abs. 4 B-VG. Liegt eine solche nicht vor, wird der letzte Satz von Art. 44 Abs. 4 B-VG schlagend. Dieser erfasst auch den Anwendungsvorrang von unmittelbar anwendbarem EU-Recht, also Verordnungen, Entscheidungen und unter Umständen Richtlinien, soweit sie entsprechend Art. 288 AEUV in Österreich unmittelbar anwendbar sind, und bedeutet eine Sperre gegen Akte von EU-Organen ultra vires. Bewegen sich die EU-Organe, insbesondere Europäische Kommission und EuGH innerhalb ihres Zuständigkeitsbereichs und der durch EUV und AEUV vorgenommenen Delegation von Hoheitsgewalt, ergibt sich in Bezug auf Art. 44 Abs. 4 B-VG letzter Satz und insgesamt kein Problem. Allerdings werden einer dynamischen Interpretation der EMRK durch den EGMR und einem „Weitertreiben der europäischen Integration“ durch EuG, EuGH und Kommission in Bezug auf Österreich Grenzen gesetzt. Die Souveränität Österreichs ist von ihnen zu respektieren.        

 

Die Präzisierung des Begriffs „Volk“ hin zu „österreichisches Bundesvolk“ erscheint notwendig, weil sich der EuGH über die Rechtsprechung des polnischen Verfassungsgerichts hinweggesetzt hat. In Österreich hat der VfGH zu „Volk“ bisher judiziert, dass damit „der Kreis der wahl- und stimmberechtigten [österreichischen] Staatsbürgerinnen und Staatsbürger“ gemeint ist.[3] Diese Judikatur wird in der Lehre vor dem Hintergrund des völkerrechtlichen Staatsverständnisses und des EU-Rechts kritisiert. Insbesondere wird vertreten, dass der Vorbehalt des Wahl- und Stimmrechts für österreichische Staatsbürger nicht teiländerungsfest ist und daher vom Bundesverfassungsgesetzgeber geändert werden könnte, ohne das Verfahren nach Art. 44 Abs. 3 B-VG durchzuführen.[4] Die vorgenommene Präzisierung bedeutet daher eine Klarstellung in zweierlei Hinsicht: Gegenüber der EU und anderen Internationalen Organisationen, denen Österreich angehört, wird darauf hingewiesen, dass ein Abstellen auf ein europäisches oder internationales Demokratieverständnis anstelle eines österreichischen in Anbetracht des Art. 1 B-VG für Österreich nicht maßgeblich ist. Alles Recht in Österreich geht vom österreichischen Bundesvolk, also der Gesamtheit der österreichischen Staatsbürger, aus. In Bezug auf den VfGH und die österreichische Lehre wird außer Streit gestellt, dass sohin auf die Staatsbürgerschaft und nicht auch die Wahl- und Stimmberechtigung abgestellt wird und auch nicht „Staatsvolk“ im völkerrechtlichen Sinn gemeint ist. Alle österreichischen Staatsbürgerinnen und Staatsbürger, gleich ob wahl- oder stimmberechtigt oder nicht, sind die Träger der Souveränität Österreichs.

 

 

3.    Hinzufügung von Art. 44 Abs. 4 B-VG   

 

 

Die Fassung des Art. 44 Abs. 4 B-VG ist derjenigen des Art. 44 Abs. 3 nachgebildet und unterscheidet sich davon durch die Erfordernisse eines erhöhten Quorums (2/3) und einer erhöhten Beschlussmehrheit (4/5), und zwar in jedem Fall sowohl im Nationalrat, als auch im Bundesrat. Hinzu kommt das Erfordernis der Zustimmung des Volkes in demselben Verfahren, wie dies Art. 44 Abs. 3 B-VG vorsieht. Hinsichtlich der Notwendigkeit kann auf die Erläuterungen oben unter 3.1. verwiesen werden. Die erhöhten Anforderungen an Quorum und Mehrheit begründen erhöhte Bestandskraft und höchsten Rang in der Rechtsquellenhierarchie. Das 2/3 Quorum und die 4/5 Mehrheit sind im internationalen Vergleich keine unüblichen Anforderungen für besonders bedeutsame Entscheidungen.

 

In Abweichung zur Normstruktur von Art. 44 Abs. 3 wird ein letzter Satz angefügt, der rechtstechnisch für Internationale Organisationen mit Ausnahme der EU an Art. 9 B-VG, und für die EU an Art. 23a ff angefügt wird. Materiell bedeutet der letzte Satz aber einen Generalvorbehalt zugunsten der Bundesgesetzgebung. Nimmt ein Organ der EU oder einer anderen Internationalen Organisation einen souveränitätswidrigen Akt an, wird der Vorrang der Bundesgesetzgebung schlagend. Der betreffende Akt ist dem Verfahren des Art. 44 Abs. 4 B-VG zu unterziehen, widrigenfalls er in Österreich weder umgesetzt, noch angewendet werden darf. Daher scheint der systematische Standort der richtige zu sein. Der Unterschied zwischen Umsetzung und Anwendung besteht, darin, ob im Hinblick auf einen Beschluss eines Organs einer Internationalen Organisation ein Durchführungsakt notwendig und/oder angeordnet ist (= „Umsetzung“) oder der Beschluss ohne weiteren Akt eines österreichischen Organs anzuwenden wäre (= „Anwendung“).

 

4.    Auswirkungen

 

Im Änderungsvorschlag liegt kein Verstoß gegen EU-Recht, zumal weder an der unmittelbaren Anwendbarkeit bestimmter EU-Rechtsquellen, noch am Interpretationsmonopol von EU-Recht des EuGH gerüttelt wird. Der Vorschlag zielt auf ultra-vires Akte. Sie sind durch EU-Recht und damit auch durch den Anwendungsvorrang von Art 288 AEUV nicht gedeckt. Der Vorschlag zielt aber auch auf eine Rechtsprechung des EuGH, die die Souveränität Österreichs verletzt und bringt damit die Bestandsgrundlage des EuGH in die Perspektive ein. Der EuGH verdankt sein Wirken gegenüber Österreich der Übertragung von Hoheitskompetenz nach Maßgabe des EUV und AEUV im Wege des Beitrittsvertrags Österreichs zur EU. In dieser Delegation hat auch die „integrationsfördernde“ Tätigkeit des EuGH ihre Grenze. Auch weiterhin wird es eine Mehrzahl von Fällen geben, in denen Österreich beim EuGH unterliegt. Allerdings wird eine Schranke errichtet, die der EuGH nicht überschreiten sollte. Der Vorschlag setzt diese Grenze in Anbetracht des EuGH-Urteils zur polnischen Justizreform entlang der österreichischen Souveränität. Missachtet der EuGH diese Grenze, ist wieder die österreichische Bundesgesetzgebung gefordert. Scheitert diese, wird sich Österreich gegen Strafzahlungen zur Wehr setzen, im extremen Fall aber auch den Weg des Austritts aus der EU wählen müssen.

 

Der EGMR sieht sich derselben Grenze gegenüber. Österreich wird weiterhin in vielen Fällen wegen der Verletzung eines oder mehrerer Rechte der EMRK verurteilt werden. Allerdings muss sich auch der EGMR bewusstwerden, dass es die Grenze der Achtung der österreichischen Souveränität gibt. Überschreitet er diese Grenze in einem Fall, in dem Österreich Partei ist, wird Österreich die Erfüllung des Urteils versagen müssen, es sei denn der Bundesgesetzgeber entscheidet im Verfahren des Art. 44 Abs. 4 Gegenteiliges. Ist dies nicht der Fall, wird Österreich die völkerrechtlichen Konsequenzen zu tragen haben, im Extremfall aus der EMRK ausscheiden müssen. In Fällen, in denen Österreich nicht Partei ist, sind die österreichischen Organe angesichts des letzten Satzes von Art. 44 Abs. 4 B-VG angehalten, eine souveränitätsbeeinträchtigende Entscheidung des EGMR zu ignorieren. Am Beispiel von EGMR-Entscheidungen zu Flüchtlingen nach der GFK oder Asylwerbern, die als Terroristen enttarnt werden, würde dies bedeuten, dass Art, 1F, beziehungsweise Art. 33 Abs. 2 GFK zur ungebrochenen Anwendung gelangen müssten.

 

Das Opting-out System der WHO eröffnet Österreich einen deutlich größeren Spielraum im Hinblick auf die Internationalen Gesundheitsregeln und darauf gestützte Empfehlungen, etwa des Covid-19 Notfallskomitees. Diesbezüglich ist an keinen Austritt aus der WHO zu denken, wohl aber müssten österreichische Organe die eine oder andere Bestimmung der IGR in Bezug auf Österreich ausschließen und damit der Anwendung und Umsetzung in Österreich entziehen oder eine darauf gestützte Empfehlung nicht beachten.

 

 

 

 

 

 

In formeller Hinsicht wird beantragt diesen Antrag dem Verfassungsausschuss zuzuweisen.



[1] Siehe zB Rattinger in Kahl/Khakzadeh/Schmid, Kommentar zum Bundesverfassungsrecht B-VG und Grundrechte Art. 44 B-VG (Stand 1.1.2021, rdb.at), Rz 15.

[2] Vgl. Prof. Michael Geistlinger, EU-Eigenmittelbeschluss 2021 – Eine

Gesamtänderung der österreichischen Bundesverfassung betreffend des Vorliegens eines ultra vires Aktes, der eine Gesamtänderung der österreichischen Bundesverfassung bedeutet. Abrufbar unter: https://www.unzensuriert.at/wp-content/uploads/2021/06/Gutachten.pdf.

[3] Siehe VfSlg 12.023/1989 und 17.264/2004.

[4] Siehe zB Bußjäger in Kahl/Khakzadeh/Schmid, Kommentar zum Bundesverfassungsrecht B-VG und Grundrechte Art. 1 B-VG (Stand 1.1.2021, rdb.at), Rz 5 mit weiteren Nachweisen.