3310/A(E) XXVII. GP

Eingebracht am 27.04.2023
Dieser Text wurde elektronisch übermittelt. Abweichungen vom Original sind möglich.

Entschließungsantrag

DRINGLICHER ANTRAG

gem. § 74a Abs 1 iVm § 93 Abs 2 GOG-NR

 

der Abgeordneten Mag. Beate Meinl-Reisinger‚ MES, Mag. Gerald Loacker, Kolleginnen und Kollegen

betreffend Personalnot

 

Österreich ist in Personalnot. Auch im europäischen Vergleich: In keinem anderen europäischen Land sind mehr Stellen unbesetzt als in Österreich, wie aktuelle Daten von Eurostat zeigen. Ganze 5 Prozent aller Stellen in Österreich sind unbesetzt, zum Vergleich dient der EU-Durchschnitt mit 2,6 Prozent aller Stellen, die nicht besetzt sind. Wir sind das Land des Arbeitskräftemangels in der EU geworden, in keinem anderen EU-Land suchen Betriebe, Organisationen und Unternehmen so viel und so lange nach Personal.

Die Zahl der offenen Stellen nähert sich im österreichischen Schnitt der Zahl der arbeitslosen Personen an, wobei in Oberösterreich und im Westen bereits mehr Stellen offen sind, als Menschen Arbeit suchen. Die durchschnittliche Stellenbesetzung dauert zudem immer länger. Der demografische Wandel sorgt dafür, dass laut Schätzungen bis 2040 über 360.000 Arbeitskräfte fehlen. Ein Problem, dass bei weitem nicht mehr nur Auswirkungen für die personalsuchenden Unternehmen hat.

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Der Arbeits- und Fachkräftemangel betrifft uns alle in den unterschiedlichen Lebensbereichen. Ob Sie dringend eine mobile Pflegekraft für einen Familienangehörigen brauchen, ob Sie die Kinder frühzeitig von der Schule abholen müssen, weil eine Lehrkraft krank wurde und es keinen Ersatz gibt, ob Sie seit Monaten auf Ihre Photovoltaikanlage warten, weil es die Installateure und Elektriker nicht gibt, die sie installieren würden. Oder ob Sie im Lieblingsgasthaus nicht mehr wie üblich am Dienstagabend ihr Schnitzel essen, weil niemand da ist, um es zuzubereiten. Von der gänzlich geschlossenen Almhütte fangen wir gar nicht erst an.

Zwischen 2004 und 2015 lag die Anzahl der offenen Stellen, die beim AMS gemeldet waren, in Relation zu Arbeitsuchenden im Durchschnitt bei 0,125, oder anders ausgedrückt gab es 8 Arbeitslose je offener Stelle. Der Höhepunkt wurde im Juni 2022 mit einem Wert von 0,61 erreicht - dh. rund 1,6 Arbeitslose pro offener Stelle. Dieser Wert wird sich im Juni 2023 sicher der 1 zu 1 Merke annähern. Also wird es mindestens gleich viele Arbeitssuchende wie beim AMS gemeldete, offene Stellen geben. Die tatsächliche Zahl der offenen Stellen geht ja weit über die Zahl der gemeldeten offenen Stellen hinaus.

Längst ist klar, dass die größte Herausforderung in den nächsten Jahren und Jahrzehnten der akute und demographisch bedingte Arbeitskräftemangel sein wird. So werden allein in den nächsten Jahren 1,3 Millionen 55-64-Jährige in Pension gehen, während gleichzeitig nur 0,9 Millionen 15-24-Jährige auf den Arbeitsmarkt nachrücken werden. Lösungsansätze dafür, wie dieser Arbeitskräfteschwund kompensiert werden soll, lässt die Regierung bisher leider vermissen. Stattdessen haben die Regierungen der letzten Jahre durchgehend Anreize geschaffen, möglichst früh in den Ruhestand zu wechseln, und Incentives gesetzt, möglichst keine Vollzeitanstellung anzunehmen. Entsprechend niedrig ist das faktische Pensionsantrittsalter im internationalen Vergleich. Auch bei der Reform der Rot-Weiß-Rot-Karte, um die Fachkräftezuwanderung zu erleichtern, blieb schlussendlich der große Wurf aus. Zuletzt scheiterte dann auch noch der groß angelegte Reformprozess zur Neugestaltung des Arbeitslosengeldes, da die Vorstellungen der ungleichen Koalitionspartner erneut Galaxien weit auseinander lagen. Dass danach auch die EU-Arbeitnehmerfreizügigkeit im Form eines Schengen-Vetos unterlaufen wird, ist nur noch das I-Tüpfelchen bei dieser Blockaderegierung. Fakt ist: diese Koalition ist völlig am Ende ist und wird ganz offensichtlich keine dringend notwendigen Reformen umsetzen, um wesentliche Probleme - unter anderem am Arbeitsmarkt - zu lösen. "Das Beste aus beiden Welten" erweist sich zunehmend als "Welten entfernt vom Besten" und die Situation ist mittlerweile vergleichbar mit rot-schwarzen Stillstandskoalitionen, nur mit anderen Parteifarben.

Verstärkt wird dieses Problem vor allem durch vier Phänomene, denen politische Untätigkeit zu Grunde liegt.

  1. Fehlanreize: Vollzeitarbeit ist in Österreich sehr hoch besteuert, dadurch werden Mehrstunden oder der Wechsel von Geringfügigkeit auf Teilzeit oder von Teil- auf Vollzeit unattraktiv.
  2. Fehlende (qualifizierte) Zuwanderung: Österreich ist laut OECD Ranking wenig attraktiv für hoch qualifizierte Arbeitskräfte - Verfahren für die RWR Karte zu kompliziert und dauern zu lange. Aber nicht nur an hochqualifizierten Facharbeiter:innen fehlt es. Es fehlt an Personal an allen Enden.
  3. Mangelnde Kinderbetreuung: Durch das mangelhafte Angebot an Kinderbetreuungsmöglichkeiten haben viele Menschen nicht die Wahl Vollzeit zu arbeiten oder es zahlt sich für sie unterm Strich nicht aus.
  4. Mismatch/Bildung: Oft scheitert es an der richtigen Bildung am richtigen Ort. Auch weil viele Fachkräfte aus der Lehre kommen, die immer weniger in Anspruch genommen wird.

Altes Problem, alte Lösungen

Nichts an dem oben genannten ist neu, auch die Lösungen dafür sind seit langer Zeit bekannt. Es ist schlicht die Untätigkeit der Regierungen und politischen Kleinkriege, die uns in diese Lage bringen. Veranschaulicht wird das auch, wenn man sich die Lippenbekenntnisse der vergangenen Bundesregierungen ansieht - in Form der Regierungsprogrammen. Jede Regierung der vergangenen Jahre hatte die Problemanalyse samt Lösungsansatz im Programm. Passiert ist nichts.

Veranschaulicht am Beispiel Regierung SPÖ/ÖVP 2013-2018.

"Prüfung der Verkürzung des Anspruches auf Elternteilzeit vom 7. auf das 5. Lebensjahr (bzw. bis zum verpflichtenden Eintritt in den Kindergarten); bzw. einer weiteren Absenkung der Grenze auf das 4. Lebensjahr parallel zum Ausbau der Kinderbetreuung bis 2017 sowie Prüfung der Einführung des Papamonats innerhalb der Schutzfrist nach Geburt (Anspruch auf Freistellung mit vorgezogenem Kinderbetreuungsgeldbezug) und entsprechender Vorankündigungsfristen; stufenweiser Ausbau der Kinderbetreuungsplätze nach den Vorgaben des Ministerratsbeschlusses vom 18.6.2013;"

"Qualifizierte Zuwanderung schafft Arbeitsplätze und Wachstum. MigrantInnen werden als Fachkräfte benötigt, dennoch gibt es Defizite bei der Willkommenskultur, der Integration und beim Vollzug der Rot-Weiß-Rot-Karte (RWR-Karte) durch die Niederlassungsbehörden. Sie werden oft unter ihrer Qualifikation beschäftigt, die Anerkennung von Bildungsabschlüssen ist selbst nach vielen Jahren nicht immer einfach."

Warum das alles nicht passiert ist, wissen wir heute: Der spätere Bundeskanzler Sebastian Kurz und seine Gefolgschaft hat der Regierung diesen Erfolg nicht vergönnt.

Fehlanreize und Abgabensystem

Ein wichtiger Anreiz, um Beschäftigung zu fördern ist natürlich auch eine niedrige allgemeine Abgabenlast. Der internationale Vergleich zeigt, dass das Steuersystem hierzulande also dazu beiträgt, dass Arbeit teuer ist, den Arbeitnehmer:innen aber netto relativ wenig davon bleibt. Angesichts eines akuten Fachkräftemangels ist das ein spürbarer Nachteil für den Wirtschaftsstandort Österreich. Insbesondere im mittleren und oberen Einkommenssegment wird jeder Euro stark belastet. Bereits das mittlere Einkommen der ganzjährig Vollzeitbeschäftigten, das bei rund 30.000 Euro netto im Jahr liegt, wird mit 47,4 Prozent belastet (Steuern, Sozialversicherung und sonstige Abgaben). Dass das Folgen für die Arbeitsanreize hat, ist klar. Da in Österreich die steuerlichen Hürden nicht nur hoch sind, sondern mit mehr Arbeit auch sehr schnell noch höher werden, ist der Anreiz, mehr zu arbeiten, auch geringer. Wer Arbeit teuer macht, verschärft nicht nur die Probleme des Fachkräftemangels, sondern vergrößert auch die Inaktivitätsfallen, aufgrund derer es für Menschen sinnvoller sein kann, weniger zu arbeiten. Zuletzt glaubte nicht mal mehr die ÖVP-nahe Wirtschaftskammer an die Entlastungswirkung der Steuerreform(en). Denn laut der aktuellsten WKÖ-Prognose zur Abgabenquote (November 2022) soll die Abgabenquote von derzeit 42,9 Prozent auf bis 2024 auf 43,1 Prozent steigen.

Damit aber nicht genug. Denn würde man die Abgabenquote nur für die vier Millionen Beschäftigten berechnen, würde die Abgabenquote sogar auf bis zu 60 Prozent steigen. Mit solchen enormen Quoten setzt die Regierung nicht nur für inländische Arbeitskräfte den negativen Anreiz, keiner Vollzeitbeschäftigung nachzugehen, sondern schreckt natürlich auch ausländische Fachkräfte ab, die in der Folge ihre Arbeitskraft lieber in weniger abgabenintensiven Ländern wie der Schweiz, USA oder Kanada anbieten. Von den Ankündigungen der Regierung, die Lohnnebenkosten (z. B.: "Kogler kündigt Senkung der Lohnnebenkosten an", 15.08.2021, Kurier) zu senken, ist schlussendlich nur eine Senkung von 0,2 Prozent (AUVA: -0,1 Prozent, IESG: -0,1 Prozent) umgesetzt worden. Die Senkung der FLAF-Beiträge um 0,2 Prozent war lediglich ein Marketinggag. Denn bisher ist nicht bekannt, dass diese Senkung in einem Kollektivvertrag vereinbart wurde. Dabei wäre das Senkungspotential bei den Lohnnebenkosten enorm. Denn ein Drittel der Lohnnebenkosten (ca. 10 Prozentpunkte) stellen keine Versicherungsleistungen dar, sondern fließen in die öffentlichen Budgets des Bundes, der Länder, der Gemeinden oder der Kammern (FLAF, Wohnbauförderung, Kommunalsteuer, WK-Umlage 2, AK-Beitrag). Diese Abgaben stellen daher zu hohe Lohnnebenkosten dar, die den Lohnverhandlungsspielraum eingrenzen und somit höhere Brutto- bzw. Nettolöhne verhindern. Schlussendlich wurde auch die Kalte Progression nur zu 2/3 abgeschafft, wodurch auch weiterhin die Abgabenquote steigen wird, was sich bereits in den aktuellen Abgabenquoten-Prognosen der WKÖ widerspiegelt.

Das Ergebnis ist klar: Immer mehr Stellen bleiben unbesetzt. Es gibt Arbeit, aber niemand geht hin. Auch - wenn auch nicht nur - weil Anreize fehlen bzw. Fehlanreize überwiegen.

Die Abbildung zeigt die sofort verfügbaren offenen Stellen, die dem AMS gemeldet wurden, geteilt durch die beim AMS arbeitslos gemeldeten Personen. Die saisonalen Schwankungen zeigen, dass die Quote in den Sommermonaten höher ist als in den Wintermonaten. Zwischen 2004 und 2015 lag der Wert im Durchschnitt bei 0,125, oder anders ausgedrückt, 8 Arbeitslose je offener Stelle. Seit 2015 ist ein starker Aufwärtstrend erkennbar. Der Höhepunkt wurde im Juni 2022 mit einem Wert von 0,61 erreicht.

Inaktivitätsanreize, also Anreize, nicht mehr zu machen, gibt es viele. Manchmal sogar so extrem, dass man für mehr Leistung (und daher auch mehr Bezahlung) sogar weniger bekommt. Beispiele dafür gibt es viele - hier ein Beispiel für den Inaktivitätsanreiz der durch die gestuften Dienstnehmer-Arbeitslosenversicherungsbeiträge entsteht:

 

Brutto/Monat

Brutto p.a.

DN-Beiträge

Steuern

Netto p.a.

Anmerkung

€ 1 885,00

€ 26 390,00

€ 3 952,47

€ 1 210,51

€ 21 227,02

ALV DN 0%

€ 1 886,00

€ 26 404,00

€ 4 218,60

€ 1 165,12

€ 21 020,27

ALV DN 1%

Differenz Nettogehalt

 

 

 

- € 206,75

 

Wenn ein Bruttomonatsgehalt von € 1.885 auf € 1.886 steigt, verringert sich das Nettojahresgehalt um € 206,75 aufgrund des Sprungs beim ALV Beitrag von 0 auf 1%. Weil der ALV Beitrag in 1% Stufen von 0 auf 3% steigt, wiederholt sich diese Inkonsistenz beim Sprung des Bruttomonatsgehalts von € 2.056 auf € 2.057 und von € 2.228 auf € 2.229.

Fehlende (qualifizierte) Zuwanderung

Großer Wurf bei der RWR-Karten-Reform nicht gelungen

Zwar hat die Regierung vor dem Sommer eine Reform der Rot-Weiß-Rot-Karte vorgelegt, um die Fachkräftezuwanderung zu erleichtern, doch man kann hier bestenfalls von einem Reförmchen reden. Denn während der österreichische Arbeitsmarkt in den nächsten Jahren jährlich knapp 40.000 ausländische Fachkräfte braucht, um den demographisch bedingten Arbeitskräfteschwund zu kompensieren, beläuft sich der Bestand an RWR-Karten-Arbeitskräften gerade mal auf 5000 Beschäftigte. Ein Tropfen auf den heißen Stein. Relativ deutlich zeigt sich das bei der für Österreich so wichtigen Branche "Tourismus & Gastronomie". Hier ist die Zahl an unbesetzten Stellen zuletzt auf den Rekordwert von 15.323 gestiegen, während gleichzeitig nur 2.705 Tourismus-Stellen mit Saisoniers und RWR-Karten-Fachkräften besetzt wurden. Es ist deshalb unverständlich, weshalb sich die Regierung hier vor den Gegnern der Fachkräftezuwanderung (FPÖ, SPÖ, Arbeiterkammer und ÖGB) einschüchtern und von größeren Reformen abhalten lässt. Zudem vermindern ewig lange Verfahren für Fachkräfte aus Drittstaaten zur Erlangung der RWR-Karte und veraltete Rahmenbedingungen die Chancen für innovative Unternehmen, hochqualifiziertes Personal zu bekommen. Auch Mitarbeiterbeteiligungen haben sich zum Beispiel gerade im Start-up-Bereich als probates Mittel erwiesen, um die besten Köpfe zu gewinnen, zu halten und zu Bestleistungen zu motivieren. Branchenvertreter:innen gehen davon aus, dass 24.000 IT-Fachkräfte fehlen, was wiederum laut UBIT-Verband der Wirtschaftskammer einen jährlichen Wertschöpfungsverlust von rund 3,8 Milliarden Euro nach sich zieht. Flexible und modernere Gesellschaftsstrukturen wären hierfür ein wichtiges Instrument. Trotz zahlreicher Versprechen von Seiten der Bundesregierung wurde aber noch immer keine moderne Form der Mitarbeiterbeteiligung vorgelegt.

Die unzureichenden Reformen sind aber nicht das einzige wie unbefriedigende Ergebnisse politisch erzeugt werden. Der jüngste feindliche Akt der schwarz-grünen Bundesregierung gegen den Arbeitsmarkt war die Blockade des Schengenbeitritts von Rumänien und Bulgarien. Die Blockade ergibt nicht nur wenig Sinn und sorgt für enormen Unmut, da die Asylmigration in erster Linie über den Westbalkan erfolgt. Am Westbalkan hat die Bundesregierung jedoch der Schengenerweiterung zugestimmt. Damit ist für ganz Europa ersichtlich, dass Österreich nicht aus objektiven Gründen handelt, sondern lediglich Wahlkampfhilfe für die wahlkämpfende ÖVP Niederösterreich betreibt. Im Endeffekt trifft die Bundesregierung mit dem Schengen-Veto in erster Linie Wochenend-pendelnde Arbeitskräfte (oft mit Kindern) aus Bulgarien und Rumänien, die in Mitteleuropa arbeiten, wie etwa 24h-Betreuungskräfte. Nach der Indexierung der Familienbeihilfe (mittlerweile vom EuGH gekippt) die nächste sehr fragwürdige Aktion einer österreichischen Bundesregierung. Da hilft es auch wenig, dass Arbeitsminister Kocher und Wirtschaftskammerpräsident Mahrer sich entschlossen haben, die Messeauftritte in Rumänien gemeinsam zu gestalten und die RWR Karte zu bewerben.

Kinderbetreuung/Elementarbildung

Schon 2021 hat Arbeitsminister Kocher gesagt, dass ein paar Stunden mehr Arbeitszeit bei allen teilzeitarbeitenden Frauen das Arbeitskräfteproblem lösen würde. Absolut richtig, allerdings hat er nicht berücksichtigt, warum Frauen in Teilzeit arbeiten. Manchmal verschwinden ältere Frauen einfach vom Arbeitsmarkt. Weil Jobbabauprogramme in großen Firmen stattgefunden haben und kaum jemand eine Frau über 50 neu einstellt. Oder sie in ihrem vorherigen Job aufgrund von Vorrückungen so viel verdient hat, dass ein neuer Job im Vergleich keine attraktive Bezahlung bietet und Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe aufgrund des Gehalts ihres Partners ausreicht. Manchmal verschwinden sie in Altersteilzeit. Entweder als Weg in die Pension, wegen des Pflegebedarfs von Eltern oder sie übernehmen die Kinderbetreuung von Enkeln. Soweit die Vermutungen.

Konkrete Zahlen, die die Motive angehen, gibt es nicht - darüber rätselt auch das AMS, beispielsweise in seinem Gleichstellungsbericht. Bei jüngeren Frauen ist die Ursachenforschung dafür einfach - dort ist es die Kinderbetreuung. Deshalb plädiert auch AMS-Chef Johannes Kopf seit Jahren für einen Ausbau der Betreuung und "nutzt" den aktuellen Arbeitskräftemangel wieder massiv, um diese Botschaft zu trommeln. Im Jänner 2023 sammelten sich deshalb alle Interessenvertretungen des Landes - bis auf den Gemeindebund - und demonstrierten auf Einladung des Bundespräsidenten hin ihre Einigkeit bei dieser Frage.

Auch ein Blick in die Statistiken bestätigt die Annahme: Kinder sind der treibende Faktor, warum Frauen nicht arbeiten gehen. Die Frage des Angebots der Betreuung und der mangelnden Öffnungszeiten ist ein eigenes Thema (Bitte hier nachlesen: https://materie.at/a/oeffnungszeiten-der-kindergaerten-eine-huerde-am-arbeitsmarkt/) - die Effekte sind aber nachweisbar. Jede zusätzliche Stunde, die ein Kindergarten geöffnet hat, erhöht die Vollzeitquote der Frauen in der Gemeinde um einen Prozentpunkt. Eine große Herausforderung betreffend Ausbau der Kinderbetreuung ist die Tatsache, dass die Kinderbetreuungseinrichtungen selbst unter Personalnot leiden. Hand in Hand mit dem quantitativen Ausbau (mehr Plätze, längere Öffnungszeiten) braucht es auch einen qualitativen Ausbau (v.a. kleinere Gruppen), da es unter den derzeitigen Arbeitsbedingungen nicht gelingen wird, genügend Pädagog:innen im Beruf zu halten bzw. für den Beruf zu gewinnen.

Bildung und Lehre

Die Fachkräfte der Zukunft machen heute eine Lehre. Es ist darum auch nicht verwunderlich, dass der Fachkräftemangel von heute ein Lehrlingsmangel von gestern ist. Unsere Gesellschaft baut auf Lehrberufen auf und besonders in den Mangelberufen merkt man, wie wichtig die Lehrausbildung ist: Vor einem Jahr waren 2/3 aller Mangelberufe Lehrberufe. Die Zahl der Lehrstellen ist seit 2008 um 20% zurückgegangen, die Zahl der Lehrbetriebe sogar um 30%. Im Vergleich: Heute gibt es 13% weniger 15- bis 19-Jährige als 2008. Die Lehre ist als Ausbildungsweg also unattraktiver als noch vor 15 Jahren. Die Gründe sind zahlreich, allen voran steht aber: Der Lehre bekam in den letzten Jahren nicht die Aufmerksamkeit zu, die sie verdient. Im Bildungssystem wird oft vergessen, dass es neben AHS und BHS noch einen weiteren Ausbildungsweg gibt - das zeigt sich nicht nur in fehlenden Ressourcen für die Berufsschulen, um eine moderne Ausbildung anbieten zu können, sondern bereits in der fehlenden Berufsorientierung in Richtung Lehre in der AHS-Unterstufe. Veraltete Ausbildungsordnungen, wenig Fokus auf KMU als Ausbildungsbetriebe und die Notwendigkeit, Weiterbildung nach der Lehre - sowohl zum Meister als zur Berufsreife - selbst zu finanzieren, tragen dazu bei, dass sich stets mehr Ausbildungsbetriebe und potentielle Lehrlinge anderwärtig orientieren.

Dass Personalnot auch ein Qualifikations- und somit Bildungsthema ist, zeigt sich in der Entwicklung der offenen Stellen und der Arbeitslosenzahlen der letzten Jahre. Während sich traditionell diese beiden Kennzahlen gegengleich verändern, also mehr offene Stellen, weniger Arbeitslose oder umgekehrt, läuft die Entwicklung seit ca. 2015 entkoppelt. Wir haben derzeit eine Rekordzahl an offenen Stellen und trotzdem eine beträchtliche Anzahl an Arbeitslosen, nämlich weitaus mehr als z.B. in den Jahren vor der Finanzkrise 2008. Dahinter steckt einerseits ein regionaler Mismatch (Arbeitslose in Wien, offene Stellen in Westösterreich) und andererseits ein Qualifikations-Mismatch.

 

Die Arbeitslosigkeit ist vor allem unter den Personen mit "Nur-Pflichtschulabschluss" hoch. Deren traditionelle Jobs im Bereich der Hilfskräfte sind durch Automatisierung, Digitalisierung etc. nach und nach weniger geworden. In der aktuellen Arbeitsmarktsituation lohnt es sich mehr als sonst, in die Nachqualifikation von schlecht Qualifizierten zu investieren. Denn Unternehmen sind nun eher bereit, auch Personen mit lückenhaften Erwerbsbiografien und problematischen Lebensläufen einen Job anzubieten, wenn die Qualifikation passt. Herausfordernd ist, dass es nicht mehr um Kurzausbildungen bzw. Nachschulungen ("AMS-Kurse") geht, sondern dass handfeste, mehrjährige Berufsausbildungen erforderlich sind. Dementsprechend sind Modelle wie "Lehre für Erwachsene" und Selbsterhalter-Stipendien (wie sie für ältere Studierende bestehen) auch im nichtakademischen Bildungsbereich notwendig, die sicherstellen, dass während der Bildungsmaßnahme auch der Lebensunterhalt gesichert ist.

 

Aus diesem Grund stellen die unterfertigten Abgeordneten nachstehenden

Entschließungsantrag

 

Der Nationalrat wolle beschließen:

"die Bundesregierung wird aufgefordert, dem Arbeitskräftemangel bzw. der Personalnot vehement entgegenzutreten, indem sie insbesondere Reformen in den folgenden Bereichen vorantreibt:

 

In formeller Hinsicht wird verlangt, diesen Antrag im Sinne des § 74a Abs. 1 iVm § 93 Abs. 2 GOG-NR zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu behandeln und einem der Antragssteller Gelegenheit zur mündlichen Begründung zu geben.