3391/A(E) XXVII. GP
Eingebracht am 24.05.2023
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ENTSCHLIESSUNGSANTRAG
der Abgeordneten Henrike Brandstötter, Kolleginnen und Kollegen
betreffend Corona-Aufarbeitung: Wo bleiben die Frauen?
Der von der Bundesregierung angekündigte Aufarbeitungsprozess der COVID-19 Pandemie hat zum Ziel wichtige Lehren aus der Krise zu ziehen, um zukünftige, hoffentlich nicht auftretende Pandemien nachhaltiger zu bewältigen - so Gesundheitsminister Rauch in der Pressekonferenz zum "COVID-19-Aufarbeitungsprozess" vom 4. Mai (1). Dieser soll konkret aus zwei Teilen bestehen. Einerseits soll eine sozialwissenschaftliche Analyse der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und der Universität Wien durchgeführt werden, andererseits sollen auch vertiefende Interviews mit Fokusgruppen aus allen Bundesländern stattfinden, um die Partizipation der Bürger:innen sicherzustellen.
Der vom Soziologen Dr. Alexander Bogner geführte sozialwissenschaftliche Teil soll außerdem in vier Felder gegliedert werden: 1. Polarisierung in der Pandemie, 2. Politische Zielkonflikte, 3. Politikberatung und öffentliche Kommunikation, 4. Wissenschaftsskepsis (2). Diese sollen bis zum Endbericht zu Jahresende ein Gesamtbild der letzten drei Jahre schaffen und der Regierung Verbesserungsvorschläge vorlegen.
Bundesminister Rauch meint selbst, dass die Pandemie wie ein "Brennglas auf Defizite" in unserer Gesellschaft gewirkt hat. Tatsächlich hat dieses Brennglas nicht nur frauenspezifische Ungleichheiten in der Gesellschaft sichtbar gemacht, sondern auch verstärkt. Frauen in allen Milieus und Schichten waren überproportional von den Nebenwirkungen der Pandemie-Maßnahmen, die zu ihrer Eindämmung gesetzt wurde, betroffen.
Eine folgenschwere Konsequenz war die Zunahme der häuslichen Gewalt, welche um 30% gestiegen ist (3). Da häusliche Gewalt ohnehin schon das größte Gesundheitsrisiko für (heterosexuelle) Frauen ist, haben die Ausgangssperren und Lockdowns dieses – durch die intensivierten Spannung hinter verschlossenen Türen – noch weiter verstärkt. Um die Folgen dieses Anstiegs wissenschaftlich darzustellen und dadurch in Zukunft zu vermeiden, müssen die Auswirkungen von (häuslicher) Gewalt in die sozialwissenschaftliche Analyse der ÖAW aufgenommen werden.
Außerdem übernahmen Frauen den Großteil des Home-Schoolings und waren länger und häufiger im Home-Office als ihre Partner. Ab 16. März 2020 hat sich das öffentliche Leben in Österreich fast vollständig in die eigenen vier Wände verlagert, wodurch Frauen zu Lehrerinnen wurden und ihre Arbeitszeiten im Home-Office den Kinderbetreuungspflichten sowie dem Homeschooling zeitlich anpassen mussten. Die Belastung, die eine Verlegung der Erwerbsarbeit in die Tagesrandzeiten mit sich bringt, um tagsüber der Kinderbetreuung nachzugehen, ist enorm. Österreichs Kinderbetreuung baut überdies zu einem wesentlichen Teil auf der Hilfe der Verwandtschaft auf, allen voran die Großmütter. Diese Unterstützung fiel während der Pandemie weg und so blieben die Pflichten gänzlich bei den Eltern hängen, insbesondere bei Frauen (4). Dass Alleinerzieherinnen an der Spitze dieser Mehrfachbelastung standen, erklärt sich de facto selbst.
Zu den oben genannten Gründen kommen u.a. noch einschlägige Einkommensverluste, Verlust von externen Unterstützungsmöglichkeiten und Communities, sowie der Anstieg an Vergewaltigungen und viele weitere Belastungen, die langfristig psycho-soziale und gesundheitliche Folgen haben. Daher ist es notwendig, sich differenziert mit den Konsequenzen der Pandemie auseinanderzusetzen.
"Ich glaube an das Prinzip der Gerechtigkeit" - Bundesministerin Karoline Edtstadlers Worten zufolge ist es selbstverständlich, dass wir auf alle in unserer Gesellschaft schauen (1). Wenn der Aufarbeitungsprozess jedoch nicht die Folgen für Frauen als gesellschaftstragende Gruppe analysieren wird, werden aus diesem Versprechen nur leere Worte.
Um dem zuvorzukommen muss die Mehrfachbelastung aller Frauen während der Pandemie wissenschaftlich untersucht und beleuchtet werden, damit es nie wieder zu einer Krise kommt, die Frauen noch mehr zurück in tradierte Rollenbilder zwingt. Frauen haben während der Pandemie besonders viel geschultert, weshalb ihre Situationen bei einem Aufarbeitungsprozess ebenfalls in den Fokus genommen werden müssen.
(1) https://www.youtube.com/watch?v=pyy-OcDNSP4
(2) https://www.oeaw.ac.at/news/corona-expertise
(3) https://www.ihs.ac.at/news-startseite/detail/webinar-leben-mit-corona-gender/
(4) https://www.digital.wienbibliothek.at/wbrup/content/pageview/3140011
Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgenden
Der Nationalrat wolle beschließen:
"Die Bundesregierung,
insbesondere die Bundesministerin für Frauen, Familie, Integration und
Medien, wird aufgefordert, "die Auswirkungen und Folgen der
COVID-19-Pandemie auf Frauen" als fünften Schwerpunkt des
sozialwissenschaftlichen Teils des COVID-Aufarbeitungsprozesses, inklusive einer
interdisziplinären und frauen-spezifischen wissenschaftlichen Analyse und
Fokusgruppen, aufzunehmen."
In formeller Hinsicht wird die Zuweisung an den Gleichbehandlungsausschuss vorgeschlagen.