3664/A(E) XXVII. GP

Eingebracht am 19.10.2023
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ENTSCHLIESSUNGSANTRAG

 

der Abgeordneten Dr. Susanne Fürst

und weiterer Abgeordneter

betreffend Beendigung der Charmeoffensive gegenüber der Türkei und Verurteilung der völkerrechtswidrigen türkischen Militäroperationen

 

 

Bereits im Dezember 2022 brachten die Abgeordneten Katharina Kucharowits, MMMag. Dr. Axel Kassegger, Dr. Helmut Brandstätter und weitere Abgeordnete einen Entschließungsantrag im Nationalrat betreffend „Verurteilung und Stopp der Türkischen Angriffe in Nordostsyrien und dem Nordirak“ ein. Selbiger forderte die Bundesregierung auf, „die türkischen Angriffe auf alle kurdische Ziele auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene aufs Schärfste zu verurteilen und gegenüber offiziellen Vertreterinnen und Vertreter der Republik Türkei bei jeder Gelegenheit sowohl auf ein Ende der gewaltsamen Angriffe auf Kurdinnen und Kurden im eigenen Land und der Region als auch auf die umfassende Einhaltung der Menschenrechte generell zu pochen.“[1] Die schwarz-grüne Parlamentsmehrheit verweigerte diesem Antrag ihre Zustimmung und sprach sich in einer abgeschwächten Form lediglich dafür aus, dass die Bundesregierung sich „auf allen Ebenen weiterhin dafür einzusetzen [soll], dass die Türkei ihren völkerrechtlichen Verpflichtungen in vollem Umfang nachkommt.“[2]

 

Dass diese Fortsetzung der Charmeoffensive der schwarz-grünen Bundesregierung gegenüber der Türkei keinerlei Früchte trägt, zeigte sich erst Anfang Oktober, als die Türkei erneut Luftangriffe auf syrischem Gebiet durchführte.[3] Seit 2016 besetzten türkische Streitkräfte in mehreren Offensiven vollkommen völkerrechtswidrig syrische Gebiete und flogen zig völkerrechtswidrige Militärschläge gegen das Land. Eine Berufung auf Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen kann die Türkei diesbezüglich nicht geltend machen.

 

Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages hielten hierzu bereits 2019 fest:

 

Im Ergebnis lässt sich selbst bei großzügiger Auslegung des Selbstverteidigungsrechts eine akute Selbstverteidigungslage im Sinne des Art. 51 VN-Charta zugunsten der Türkei nicht erkennen.“ Folgerichtig wird in der Ausarbeitung der Wissenschaftlichen Dienste die Schlussfolgerung gezogen: „Mangels erkennbarer Rechtfertigung stellt die türkische Offensive im Ergebnis offensichtlich einen Verstoß gegen das Gewaltverbot aus Art. 2 Ziff. 4 VN-Charta dar.“[4]

 

Auch der Norden des benachbarten Irak wird seit Jahren völkerrechtswidrig von der Türkei angegriffen. Der deutsche Tagesspiegel hält dazu lapidar fest: „Frühjahrsoffensiven der türkischen Armee im Irak gibt es fast jedes Jahr.[5]

Die aggressive türkische Außenpolitik endet allerdings nicht im Nahen Osten, sondern richtet sich auch gegen die EU-Mitgliedstaaten Griechenland und Zypern. Die Türkei droht Griechenland offen und unverhohlen mit Krieg, während türkische Kampfflieger im Tiefflug über bewohnte griechische Inseln donnern.[6] Zypern ist ebenfalls ins Visier der türkischen Außenpolitik gekommen, dort werden von der Türkei Bohrtätigkeiten durchgeführt, welche gegen die Hoheitsgewalt der Republik Zypern verstoßen. Zudem setzt die Türkei seit geraumer Zeit auf eine Form der hybriden Kriegsführung gegen den EU-Mitgliedstaat Zypern, indem die Türkei systematisch die illegale Migration nach Zypern forciert. „80 Prozent der illegalen Zuwanderer kommen per Flugzeug aus der Türkei nach Nordzypern und überqueren dann die Demarkationslinie, die zwischen dem türkisch besetzten Teil der Insel und der Republik Zypern verläuft.[7]

 

Man sollte in diesem Zusammenhang auch nicht vergessen, dass drei UNFICYP-Friedenssoldaten aus Österreich 1974 bei einem türkischen Luftangriff ums Leben kamen.

 

Im Vergleich mit anderen internationalen Konflikten stellt sich nun natürlich die Frage, welcherart die Reaktion der Europäischen Union und jene Österreichs ist. Erschütternd ist es festzustellen, dass seit über einem Jahr eine Charmeoffensive führender ÖVP-Politiker gegenüber dem Aggressor Türkei festzustellen ist.

 

Bereits im Juni 2022 kam es zu einem Treffen zwischen dem türkischen Präsidenten Recep Erdoğan und ÖVP-Kanzler Karl Nehammer, wobei der Bundeskanzler Ankara in Sicherheitsfragen und beim Thema der illegalen Migration als wichtigen Partner bezeichnete.[8]

 

Derartige Einschätzungen offenbaren das fehlende außenpolitische Gespür und die verfehlte Migrationspolitik Nehammers in vollen Zügen. Denn die Türkei ist eben kein Partner im Kampf gegen die illegale Migration, sondern sie setzt diese als Druckmittel gegen Europa ein und lässt sich dafür im Rahmen der Türkei-Flüchtlingsfazilität mit Milliardenzahlungen überschütten.

 

In der EU-Türkei-Erklärung vom 18. März 2016 ist festgehalten: „Alle neuen irregulären Migranten, die ab dem 20. März 2016 von der Türkei auf die griechischen Inseln gelangen, werden in die Türkei rückgeführt.“[9] Tatsächlich nahm die Türkei seit Bestehen des Abkommens lediglich 2.140 Migranten zurück! Seit März 2020 weigert sich die Türkei überhaupt illegale Migranten zurückzunehmen – ein Umstand, welcher sogar von der EU-Kommission kritisiert wurde. Die EU nahm hingegen 37.397 Migranten aus der Türkei auf.[10]

 

Die deutsche Tageszeitung „Bild“ errechnete vor diesem Hintergrund, dass sich die Kosten der EU für jeden rückübernommenen Migranten auf 4,7 Millionen Euro belaufen.[11] Europa hat sich mit diesem missglückten Deal 2016 in die Abhängigkeit eines Regimes begeben, dessen Präsident seitdem den europäischen Kontinent damit erpresst, jederzeit die Schleusen der illegalen Migration öffnen zu können – und dies auch getan hat, bisweilen sogar mit organisierten Busreisen an die Grenze.[12]

 

Die EU unterstützt die Türkei in Migrationsfragen in Milliardenhöhe, die sogenannte „Fazilität für Flüchtlinge in der Türkei“ setzt sich zum Teil aus Milliardenbeträgen aus dem EU-Haushalt wie auch aus milliardenschweren bilateralen Beiträgen der Mitgliedstaaten zusammen. „Insgesamt“, so hält die EU-Kommission in ihrem Siebten Jahresbericht über die Fazilität für Flüchtlinge in der Türkei fest, „hat die EU für Flüchtlinge in der Türkei seit 2011 Hilfe im Umfang von fast 10 Mrd. EUR bereitgestellt.“[13]

 

Der bilaterale Anteil Österreichs an dieser Fazilität ist beträchtlich. Im Bundesvoranschlag 2023 sind 8,75 Millionen Euro österreichisches Steuergeld hierfür vorgesehen und budgetiert.[14]

 

Auch diesen Oktober besuchte Kanzler Nehammer erneut Erdogan. Von kritischen Worten bezüglich der völkerrechtswidrigen Angriffe gegen Syrien und den Nordirak fehlte jede Spur. Ebenso vermisste man mahnende Worte aufgrund der türkischen Drohgebärden gegenüber Griechenland und Zypern. Dafür sprach sich Nehammer offen für eine Fortführung des EU-Türkei-Deals aus – sprich für nicht funktionierende Rückführungen im Gegenzug für Milliardenzahlungen an die Türkei.[15]

 

 

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgenden

 

Entschließungsantrag

 

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung wird aufgefordert, völkerrechtswidrige Angriffskriege der Türkei gegen Syrien und den Irak sowie Drohgebärden des türkischen Regimes gegenüber EU-Mitgliedstaaten zu verurteilen. Des Weiteren wird die Bundesregierung aufgefordert, sich auf europäischer Ebene für eine Beendigung der EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei und für einen effektiven und lückenlosen Grenzschutz an der EU-Außengrenze zur Türkei einzusetzen. Die Einzahlungen in die Türkei-Fazilität sind auszusetzen.“

 

 

 

 

 

 

In formeller Hinsicht wird ersucht, diesen Entschließungsantrag dem Außenpolitischen Ausschuss zuzuweisen.



[1] 3083/A(E)

[2] 312/E

[3] https://www.tagesschau.de/ausland/europa/tuerkei-luftangriffe-nordsyrien-100.html

[4] https://www.bundestag.de/resource/blob/663322/fd65511209aad5c6a6eae95eb779fcba/WD-2-116-19-pdf-data.pdf, S. 10, 12

[5] https://www.tagesspiegel.de/politik/turkischer-einmarsch-im-irak-volkerrechtswidrig-8021017.html

[6] https://www.rnd.de/politik/tuerkei-und-griechenland-konflikt-um-kos-rhodos-lesbos-droht-wirklich-ein-krieg-2XOE4HSC7RAXZONI74V52PDAXI.html

[7] https://www.rnd.de/politik/neues-beobachtungssystem-zypern-will-migranten-aus-der-tuerkei-stoppen-A2ATFEL4KVHK5OZ55DETFTA244.html

[8] https://orf.at/stories/3273777/

[9] https://www.consilium.europa.eu/de/press/press-releases/2016/03/18/eu-turkey-statement/

[10] https://www.welt.de/politik/ausland/article247769504/Ankara-nahm-im-Rahmen-des-EU-Tuerkei-Deals-2140-Migranten-zurueck.html

[11] https://www.bild.de/bild-plus/politik/inland/politik-inland/fluechtlingskrise-mega-flop-tuerkei-deal-wir-zahlen-4-7-millionen-euro-pro-fluec-85598286.bild.html

[12] https://www.diepresse.com/5777204/wenn-erdogan-die-fluechtlinge-schickt

[13] COM (2023) 543, S. 7

[14] https://service.bmf.gv.at/Budget/Budgets/2023/beilagen/Entwicklungszusammenarbeit_2023.pdf, S. 20

[15] https://orf.at/stories/3334665/