3881/A(E) XXVII. GP

Eingebracht am 28.02.2024
Dieser Text wurde elektronisch übermittelt. Abweichungen vom Original sind möglich.

Entschließungsantrag

 

der Abgeordneten Petra Tanzler, Petra Wimmer,
Genossinnen und Genossen

betreffend „Recht auf einen ganztägigen Kinderbildungsplatz“

Im Unterschied zu Österreich haben Eltern in Deutschland schon lange einen Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz – ab vollendetem ersten Lebensjahr bis zum Schuleintritt. Mit diesem stellte sich jedoch für viele Eltern mit Kindern im Volksschulalter erneut die Betreuungsfrage. Der Bundestag in Deutschland hat deshalb im Jahr 2021 beschlossen, dass Eltern künftig auch einen Rechtsanspruch darauf haben, ihre Kinder im Volksschulalter bis in den Nachmittag hinein betreuen zu lassen. Ab 2026 sollen in Deutschland zunächst alle Kinder der ersten Schulstufe einen Anspruch auf einen Ganztagsplatz haben, in den Folgejahren wird er um je eine Schulstufe ausgeweitet. Somit hat ab August 2029 jedes Schulkind der Schulstufen 1 bis 4 einen Anspruch auf ganztägige Betreuung mit warmen Mittagessen. Wird eine Ganztagsschule besucht, wechseln sich Schule und Freizeit bis zum späteren Nachmittag rhythmisiert ab. Danach können die Kinder noch einen Späthort besuchen. Mit der Ausweitung dieses Rechtsanspruches kann Deutschland im Bereich der Kinderbildung ein wichtiges Vorbild für Österreich sein.

Im Gegensatz dazu, steht das momentan in Österreich vorherrschende System einer klassischen Halbtagsschule, welche man auch als „Hausübungsschule“ bezeichnen kann. Der Lernerfolg baut darauf auf, dass Eltern am Nachmittag mit den Kindern lernen. Wenn diese selbst nicht helfen können, dann müssen sie tief in die Tasche greifen und für private Nachhilfe bezahlen. Nicht nur von Pädagog:innen und Bildungswissenschaftler:innen wird die Ganztagsschule positiv bewertet. Wir möchten, angelehnt an die Forderungen der Forschung und Wissenschaft, eine Schule bauen, in die ein Kind ohne Schultasche hineingeht und ohne Hausübung wieder herauskommt. Eine Schule, die ihren Bildungsauftrag umfassend erfüllen kann und nicht abhängig von Möglichkeiten und Zeit der Eltern ist.

Auch gesellschafts- und beschäftigungspolitisch stellt sie die Lösung für viele Probleme dar und birgt ein hohes volkswirtschaftliches Potenzial. Zusätzlich zur besten Unterstützung unserer Kinder kann das Angebot einer ganztägigen Kinderbildung die Vereinbarkeit von Familie und Beruf nicht nur privilegierten Eltern ermöglichen, sondern auch darüber hinaus. Mit dem Ausbau sind zwar erhebliche Kosten verbunden, jedoch auch Mehreinnahmen für die öffentliche Hand. Ein Gutachten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) zeigt: Die Erwerbsquote der Mütter wächst je nach Szenario um zwei bis sechs Prozent. Mütter, die bereits erwerbstätig sind, erhöhen infolge der Reform ihre Arbeitszeit. Davon profitieren einerseits die Mütter und die Familien selbst, da ihr Bruttoeinkommen steigt. Andererseits aber auch der Staat, der sich über höhere Steuereinnahmen und weniger Sozialtransfers freuen kann. Die Berechnungen deuten an: Ein Ausbau der Ganztagsbetreuung für Volksschulkinder finanziert sich aus staatlicher Sicht zu einem guten Teil von selbst.[1]

Dazu kommt: Während in Wien die Eltern ein vergleichsweise gutes und vor allem auch gratis Angebot an Plätzen in elementarpädagogischen Einrichtungen und ganztägigen Schulen vorfinden, haben es Eltern in den ländlichen Regionen oft schwer, ein entsprechendes Angebot zu finden (siehe Grafik)[2]. Der Ausbau der Ganztagsbetreuung könnte somit auch einen großen Beitrag zur Gleichwertigkeit von Lebensverhältnissen in den unterschiedlichsten österreichischen Regionen leisten und kann durch eine Standortattraktivierung struktureller Abwanderung entgegenwirken.

 

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Im Unterschied zu Deutschland fehlt in Österreich aber seit Jahren das Bekenntnis der ÖVP-Bildungsminister, hier mit zügigen Schritten voranzugehen und den Eltern einen baldigen Rechtsanspruch bei freier Wahlmöglichkeit der Eltern, flankiert durch einen entsprechenden Ausbauplan, anbieten zu können. Im Gegenteil, die eigentlich bereits unter SPÖ- Bildungsministerin Sonja Hammerschmid 2016 beschlossenen zusätzlichen Mittel iHv. insgesamt 750 Mio. Euro für den Ausbau der ganztägigen Schulen wurden unter Türkis-Blau gekürzt bzw. die Ausgaben hierfür immer weiter nach hinten verschoben. Daran änderte auch die aktuelle türkis-grüne Koalition nicht viel.

Dabei muss es klar unser Ziel sein, allen Kindern unabhängig von ihrem sozioökonomischen Hintergrund die gleichen Rahmenbedingungen zum Wissenserwerb zu bieten. Die letzten Jahre haben jedoch noch einmal verdeutlicht: Unser Schulsystem fördert die Kinder bildungsnaher Eltern mit genügend zeitlichen und finanziellen Ressourcen, alle anderen Kinder gehen leer aus. Die Bildungsschere geht immer weiter auseinander. Dies schwächt im Ergebnis auch die Wirtschaft in unserem Land. Von einer echten Chancengleichheit im Bildungssystem ist Österreich somit auch im Jahr 2024 noch meilenweit entfernt.

Aus diesem Grund stellen die unterzeichneten Abgeordneten nachstehenden

 

Entschließungsantrag

 

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Der Bundesminister für Bildung, Wissenschaft und Forschung wird aufgefordert, dem Nationalrat ehestmöglich ein Gesetz zur Verankerung eines Rechtsanspruches auf einen kostenfreien, ganztägigen Schulplatz im Umkreis von 20km inklusive gratis Mittagessen nach deutschem Vorbild vorzulegen. Dieser Rechtsanspruch kann nur gemeinsam mit einem raschen Ausbau der ganztägigen Schulformen, welcher mit den Schulerhaltern koordiniert wird und einer entsprechenden budgetären Bedeckung durch den Bund, umgesetzt werden. Der Bundesminister für Bildung, Wissenschaft und Forschung hat zudem gemeinsam mit den Bundesländern ein Modell für einen Rechtsanspruch auf einen gratis Kinderbetreuungsplatz ab dem ersten Lebensjahr auszuarbeiten und ebenfalls auf eine baldige Umsetzung hinzuwirken.“

 

 

 

 

 

In formeller Hinsicht wird um Zuweisung an den Unterrichtsausschuss ersucht.



[1] DIW Berlin: Ausbau der Ganztagsbetreuung für Grundschulkinder: Neue DIW-Studie vorgestellt

[2] Drei Gründe, warum der Ausbau der Ganztagsschulen nicht schneller voran geht | KDZ - Zentrum für Verwaltungsforschung