3910/A(E) XXVII. GP

Eingebracht am 28.02.2024
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ENTSCHLIESSUNGSANTRAG

 

 

der Abgeordneten Mag. Gerald Loacker, Kolleginnen und Kollegen

betreffend Reform der Arbeitslosenversicherung: Degressives Arbeitslosengeld

 

Die wirtschaftlichen und technischen Entwicklungen haben zu einer Veränderung des sozialpolitischen Paradigmas in Europa geführt. In modernen Politikkonzeptionen werden die Elemente aktiver und passiver Arbeitsmarktpolitik nicht als getrennte Systeme verstanden, sondern vielmehr als interagierende Mechanismen (Hemerick 2017). Eine Reform der Arbeitsmarktpolitik muss immer Maßnahmen der aktiven und der passiven Arbeitsmarktpolitik umfassen, um zu einem nachhaltigen und ausbalancierten Ergebnis zu kommen. Die Ausgestaltung von Leistungen der Arbeitslosenversicherung ist eine zentrale Frage, wenn es darum geht, Menschen, die von Arbeitslosigkeit betroffen sind, einerseits angemessen sozial abzusichern und andererseits diese Personen auch wieder rasch in Beschäftigung zu bringen und die Dauer der Arbeitslosigkeit kurz zu halten.

Ziel ist es, den Versicherten Werkzeuge in die Hand zu geben, die es ihnen ermöglichen, ein eigenverantwortliches und selbstbestimmtes Leben zu führen. Das bedeutet, dass die Zeiten von Arbeitslosigkeit möglichst kurz sein sollten, um die negativen sozialen Folgen und auch die negativen Auswirkungen auf die Arbeitsmarktchancen der Betroffenen zu reduzieren. Gerade im Hinblick auf die Dauer der Leistungen der Arbeitslosenversicherung ergibt sich für Österreich ein interessantes Bild: Ein europäischer Vergleich zeigt (siehe Grafik), dass die österreichische Ausgestaltung von Geldleistungen aus der Arbeitslosenversicherung nicht den europäischen Standards und vor allem nicht ökonomisch sinnvollen Konzepten entspricht.

Internationaler Vergleich

Gerade die dauerhaft auf gleichem bzw. kaum verändertem Niveau bezahlte Leistung führt langfristig dazu, dass die Höhe des Arbeitslosengeldes nicht mehr mit dem Reservationslohn der betroffenen Person zusammenpasst. Im Laufe einer Arbeitslosigkeit nimmt nämlich der Reservationslohn aufgrund langsamer Dequalifizierung ab. Das bedeutet, es sinkt für eine arbeitssuchende Person im zeitlichen Verlauf die Höhe der Untergrenze jenes Lohnes, zu der die Person gerade noch bereit ist zu arbeiten. Dieser Tatsache wird durch den Übergang vom Arbeitslosengeld zur annähernd gleich hohen Notstandshilfe in der passiven Arbeitsmarktpolitik in Österreich bis dato nur unzureichend Rechnung getragen.

 

OECD - Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung nach 6 Monaten und nach 5 Jahren in Europäischen Ländern 2023 bzw. am spätesten verfügbare Daten (in Prozent des Letzteinkommens):

 

 

Quelle: https://data.oecd.org/benwage/benefits-in-unemployment-share-of-previous-income.htm

Zu dieser Grafik inhaltlich zu ergänzen ist der Umstand, dass nicht alle EU-Länder eine gesetzliche Arbeitslosenversicherung haben und manche Länder (z.B. Dänemark und Schweden) mit Systemen der freiwilligen Arbeitslosenversicherung arbeiten.

International anerkannte Standards setzen mit einer langsamen Variation bzw. Reduktion der Nettoersatzrate Arbeitsanreize und erhöhen diese Anreize im Zeitverlauf (Agenda Austria 2017, Weishaupt 2019). Dies geschieht in Ländern wie Dänemark, Schweden aber auch in den Niederlanden. In Österreich verändert sich die Nettoersatzrate im zeitlichen Verlauf sehr wenig bis gar nicht. Ein derartiges System gibt es, mit Ausnahme von Österreich, in keinem anderen EU-Mitgliedsstaat (Siehe Grafik 1). Im europäischen Vergleich ist die österreichische Leistung aus der Arbeitslosenversicherung zwar am Beginn der Arbeitslosigkeit eher niedrig (gemessen an der Nettoersatzrate), aber im Zeitverlauf (z.B. nach 6 Monaten) im Mittel im Unterschied zu fast allen anderen EU-Ländern bei langer Arbeitslosigkeit überdurchschnittlich hoch und zeitlich unbegrenzt verfügbar. Um die Arbeitslosenversicherung zeitgemäßer zu gestalten, wurden von wirtschaftswissenschaftlicher und sozialpolitischer Seite unterschiedliche Einflussfaktoren beleuchtet und Lösungsvorschläge für etwaige Problemstellungen erarbeitet. Eine lange bzw. zeitlich unbegrenzt verfügbare Arbeitslosenversicherung hat signifikant negative Effekte auf die Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt (Katz und Meyer 1990). Dem internationalen Standard entspräche ein am Beginn der Arbeitslosigkeit etwas höheres Arbeitslosengeld, welches im Zeitverlauf sinkt und zeitlich begrenzt ist.

In anderen europäischen Ländern ist das Arbeitslosengeld zu Beginn höher als die österreichischen 55 Prozent, sinkt aber im zeitlichen Verlauf je nach Dauer auch deutlich unter diese 55 Prozent Nettoersatzrate. Zu beachten ist auch, dass in anderen Ländern – verglichen mit Österreich – keine oder weniger weitere Sozialtransfers ausbezahlt werden. Eine zeitliche Staffelung würde auch ermöglichen, dass die Ersatzraten am Beginn einer Arbeitslosigkeit erhöht werden könnten. Denn gerade im Falle kurzer Arbeitslosigkeit (bzw. in den ersten Monaten einer Arbeitslosigkeit) zeigt sich, dass die österreichischen Nettoersatzraten im internationalen Vergleich leicht unterdurchschnittlich sind. Alle diese Fakten und wissenschaftlichen Erkenntnisse zeigen deutlich, dass in der österreichischen Arbeitsmarktpolitik die Steuerungsmöglichkeiten über passive Leistungen bisher nicht genutzt werden.

Nebeneinander von Notstandshilfe und Sozialhilfe

Abgesehen von der wirtschaftswissenschaftlich fragwürdigen Ausgestaltung fehlt auch eine Berücksichtigung von Interessen der Versichertengemeinschaft. Das Versicherungsprinzip wird überspannt, wenn die Arbeitslosenversicherung Leistungen der Notstandshilfe zeitlich unbegrenzt ausbezahlt. Das überfordert die Solidarität der Versichertengemeinschaft, da das Arbeitslosengeld und die ihr folgende Notstandshilfe eine Geldleistung zur Kompensation des vorübergehenden Einkommensentfalls aufgrund eines Jobverlustes darstellen. Logisch folgt daraus eine Überführung von Notstandshilfebeziehern in die Sozialhilfe nach einem länger andauernden Bezug und damit eine Zusammenführung der verschiedenen sozialen Sicherungssysteme. Eine Zusammenführung der Notstandshilfe und der Sozialhilfe zu einem gemeinsamen System der sozialen Absicherung fordert seit Jahren auch der Rechnungshof.

Degressives Arbeitslosengeld

Eine effizienzsteigerndere Umgestaltung von Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung in Bezug auf die Höhe der Nettoersatzraten kann aufkommensneutral gestaltet werden: Am Beginn der Arbeitslosigkeit können die Nettoersatzraten höher als bisher sein, um dann im zeitlichen Verlauf zu sinken - auch unter das derzeitige Niveau. Außerdem ist der Leistungsbezug aus der Arbeitslosenversicherung zeitlich zu begrenzen.

Bei der Bestimmung und Veränderung der Nettoersatzrate muss darauf geachtet werden, dass Arbeitsangebot und -nachfrage am Arbeitsmarkt tatsächlich zueinanderpassen. Um unerwünschte ökonomische, soziale und Mitnahmeeffekte durch ein zeitlich gestaffeltes Arbeitslosengeld zu vermeiden, kann z.B. die Bezugsdauer in Wochen je Stufe angepasst werden. Eine solche Ausgestaltung des Arbeitslosengeldes soll einem "Mismatch" am Arbeitsmarkt entgegenwirken. Es soll die betroffenen Personen finanziell absichern, aber auch genügend Anreize für eine Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt setzen. Außerdem ist die Durchrechnung der Versicherungszeit so zu optimieren, dass wiederkehrende Phasen der Arbeitslosigkeit in kurzer Zeit nicht jedes Mal aufs Neue zum Ausnützen der ersten (hohen) Stufe des Arbeitslosengeldes führen.



Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgenden

ENTSCHLIESSUNGSANTRAG

 

Der Nationalrat wolle beschließen:

"Die Bundesregierung, insbesondere der Bundesminister für Arbeit und Wirtschaft, wird aufgefordert, dem Nationalrat ehestmöglich eine Regierungsvorlage zuzuleiten, die eine umfassende Reform von monetären Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung vorsieht. Dabei sollen Arbeitslosengeld und Notstandshilfe in ein System zusammengeführt werden, in welchem die Ersatzrate am Beginn einer Arbeitslosigkeit höher sein und im zeitlichen Verlauf kontinuierlich reduziert werden soll. Zudem ist eine zeitliche Begrenzung dieser Leistung aus der Arbeitslosenversicherung vorzusehen."

 

In formeller Hinsicht wird die Zuweisung an den Ausschuss für Arbeit und Soziales vorgeschlagen.