4057/A(E) XXVII. GP
Eingebracht am 16.05.2024
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ENTSCHLIESSUNGSANTRAG
der Abgeordneten Peter Wurm, Dr. Dagmar Belakowitsch
und weiterer Abgeordneter
betreffend Recht auf analoge Inanspruchnahme und Teilhabe an den Dienstleistungen der Verwaltung und der Daseinsvorsorge
Immer wieder kommt es zu Verwaltungsvereinfachungen bzw. zur Adaptierung bestehender Bundesnormen. Dies sollte aber keine Einbahnstraße in Richtung Digitalisierung sein, die auf Rechtsstaatlichkeit, Bürgernähe und Unmittelbarkeit des Verwaltungshandelns keine Rücksicht mehr nimmt.
Aktuell wird die Digitalisierung in der österreichischen Verwaltung und im Zugang zu öffentlichen Leistungen und Förderungen als die allein selig machende Innovation und als das einzig adäquate Mittel eines effizienten Staatswesens der Gegenwart und Zukunft dargestellt.
Die Schlagwortkombinationen sind:
· Digitalisierung der Gesellschaft
· Digitalisierung der Verwaltung
· Digitalisierung der Wirtschaft
Damit scheint für den Verwaltungsstaat alles gesagt und erledigt. Dass hier Unmittelbarkeit und Bürgernahe und damit auch der Zugang zum Rechtsstaat für die Bürger als Normadressaten vielfach auf der Strecke bleiben, blenden die Propagandisten von „E-Government“ auf ihrer technologiegetriebenen gesellschaftspolitischen Einbahnstraße aus.
Der Zugang zum Rechtstaat und die Möglichkeit, Sozialleistungen und Wirtschaftsförderungen oder Genehmigungen der Verwaltung auch analog und persönlich in Anspruch zu nehmen, werden immer weiter zurückgedrängt. Die Rechts- und Hilfesuchenden werden auf anonyme Internetangebote und nur mehr telefonisch oder per E-Mail erreichbare Service-Auskunftsstellen verwiesen.
Darunter leidet die Qualität der Beziehung der Bürger zu ihrem Staat und dessen Dienstleistungen. Ähnliches gilt für die Angebote der Daseinsvorsorge und weiterer gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Grundbedürfnisse.
Die Konsequenz ist eine fortgesetzte Entfremdung der Bürger und eine Ausgrenzung all jener, die durch ihr Alter oder ihren gesundheitlichen Zustand sich mit den digitalen Zugängen bei der Befriedigung ihrer Grundbedürfnisse immer schwerer tun.
Was es jetzt braucht, ist die Formulierung und die Durchsetzung des Rechts auf die Inanspruchnahme und Teilhabe an den Dienstleistungen der Verwaltung und an der Daseinsvorsorge. Dazu bedarf es einer Garantie des Staates, dass der einzelne auch unabhängig von Besitz und Gebrauch elektronischer Gerätschaften sein Recht auf den Zugang zu allen Verwaltungsdienstleistungen wie Sozialleistungen und Wirtschaftsförderungen sowie Genehmigungen der Verwaltung hat, der unmittelbare Zugang zur Justiz und damit dem Rechtsstaat garantiert wird und die Angebote der Daseinsvorsorge ebenfalls für alle direkt verfügbar sind.
Daseinsvorsorge als dritte Säule neben Verwaltung und Justiz
Um zu erläutern, wie wichtig auch der Zugang zur Daseinsvorsorge für die Bürger ist, sollen hier einige Punkte erläutert werden. Die Daseinsvorsorge umfasst die Bereitstellung und die Sicherung des allgemeinen und diskriminierungsfreien Zugangs zu existentiellen Gütern und Leistungen für alle Bürger auf der Grundlage definierter qualitativer und quantitativer Standards. Welche Güter und Leistungen als existentiell notwendig anzusehen sind, ist durch demokratische Entscheidungen in einem modernen Sozial-, Verwaltungs- und Wirtschaftsstaat festzulegen und weiterzuentwickeln.
In einen allgemeinen Kanon dieser existentiellen Leistungen gehören
für uns aktuell:
· Abwasserentsorgung/Wasserversorgung,
· Bildung,
· Brand- und Katastrophenschutz incl. Rettungswesen,
· Elektrizitätsversorgung,
· Friedhöfe/Krematorien,
· Gasversorgung,
· Geld- und Kreditversorgung,
· Gewerbliche und hoheitliche Entsorgung/Kreislaufwirtschaft,
· Gesundheit (Krankenhäuser, ambulante Versorgung, Vor- und Nachsorge, Pflege, permanente Verfügbarkeit von lebenswichtigen Produkten wie Arzneimittel und Medizinprodukte für den Seuchen- und Katastrophenschutz, intensivmedizinische Ausrüstungen usw. auch unter extremen Umständen wie denen einer Pandemie),
· Kultur,
· Öffentliche Sicherheit
· Justiz,
· Post,
· Straßenreinigung,
· Telekommunikation/Internet,
· Verkehrs- und Beförderungswesen (Schienen, Straßen, Wasserstraßen, Luftverkehr),
· Wohnungswirtschaft.
Diese Aufzählung ist nicht abschließend und kann nach Maßgabe der jeweiligen sozialen und wirtschaftlichen Herausforderungen und des Lagebilds ergänzt werden.
Manuduktionspflicht als zentrale Grundlage
Um das Recht auf analoge Inanspruchnahme und Teilhabe an den Dienstleistungen der Verwaltung und der Daseinsvorsorge zu garantieren, müssen für die Umsetzung gegenüber den Bürgern zentrale Grundlagen geschaffen werden. Eine dieser Grundlagen ist die Manuduktionspflicht.
Als Manuduktionspflicht definiert man die gesetzlich angeordnete Informations-, Anleitungs-, Belehrungs- und Aufklärungspflicht eines Betroffenen über seine Rechte. Diese Manuduktionspflicht kann sowohl öffentlich-rechtliche als auch privatrechtliche Einrichtungen und dort tätige Organwalter treffen. Sie hängt unmittelbar mit dem Recht des Betroffenen auf Information und Transparenz zusammen.
Mit der rechtlichen Verpflichtung von staatlichen Behörden und Unternehmen der Daseinsvorsorge zur Manuduktion soll jedem von einer Maßnahme betroffenen und in der Hierarchie der Über- und Unterordnung als schützenswert qualifizierten Rechtssubjekt die Möglichkeit eingeräumt werden, seine Rechte und Pflichten zu wahren. Auf dieser Grundlage soll die eigenen Rechtsposition eingeschätzt werden, um dann auch entsprechend zu reagieren.
Im Gegensatz zur Informationspflicht ist die Manuduktionspflicht weitaus umfangreicher und bedeutet für öffentlich-rechtliche als auch privatrechtliche Einrichtungen und dort tätige Organwalter eine entsprechend qualifizierte Reaktion auf die vorgebrachten Anliegen.
Diese Manuduktionspflicht muss in einem modernen Sozial-, Verwaltungs- und Wirtschaftsstaat von allen Gebietskörperschaften und Einrichtungen der Daseinsversorgung angeboten werden – und zwar sowohl analog wie digital.
Interventionsrecht als weitere zentrale Grundlage
Mit der Manuduktionspflicht korrespondiert untrennbar das Interventionsrecht für die Bürger. Jeder Bürger muss die Möglichkeit erhalten, sich nicht nur unmittelbar und persönlich analog über seine Rechte und Pflichten bei allen Gebietskörperschaften und Einrichtungen der Daseinsvorsorge zu informieren, sondern auf dieser Grundlage auch unmittelbar und persönlich zu intervenieren, d.h. seine Eingaben, Anträge, Rechtsmittel usw. physisch vorzulegen.
Bankgebührenbefreiung für alle Zahlungen an den Verwaltungsstaat
Der Rechtsverkehr mit den Behörden darf nicht an sozialen und finanziellen Hürden scheitern. Deshalb muss für den Zahlungsverkehr mit Justiz und Verwaltung eine gesetzliche Bankgebührenbefreiung eingeführt und umgesetzt werden. Das bedeutet eine Bankgebührenbefreiung für den gesamten Zahlungsverkehr mit Verwaltung und Justiz für die Bürger.
Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgenden
Entschließungsantrag
Der Nationalrat wolle beschließen:
„Die Bundesregierung, insbesondere der Bundeskanzler und der Bundesminister für Finanzen, wird aufgefordert, dem Nationalrat eine Regierungsvorlage zuzuleiten, die folgende Inhalte umfasst:
· Recht auf analoge Inanspruchnahme und Teilhabe für die Bürger an allen Dienstleistungen der Verwaltung, Justiz und der Daseinsvorsorge ohne technische und kommunikative Barrieren
· Analoge und digitale Manuduktionspflicht bei der Inanspruchnahme und Teilhabe an allen Dienstleistungen der Verwaltung, Justiz und der Daseinsvorsorge ohne technische und kommunikative Barrieren mit Gültigkeit für Gebietskörperschaften bzw. ausgegliederte Organisationseinheiten und einschlägige Unternehmen
· Analoges und digitales Interventionsrecht für Eingaben, Anträge sowie Rechtsmittel für die Bürger
· Bankgebührenbefreiung für den gesamten Zahlungsverkehr mit Verwaltung und Justiz für die Bürger“
In formeller Hinsicht wird die Zuweisung an den Ausschuss für Arbeit und Soziales vorgeschlagen.