4076/A(E) XXVII. GP
Eingebracht am 12.06.2024
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Entschließungsantrag
der Abgeordneten Josef Muchitsch, Philip Kucher, Christian Drobits,
Genossinnen und Genossen
betreffend Stärkung der Gemeinnützigkeit in der Pflege
In der Pflege und der Gesundheit steigt der Versorgungsbedarf enorm an. Haupttreiber der Entwicklungen in der Langzeitpflege ist die Demografie. Der Anteil der Menschen im Alter von 65 Jahren und älter wird deutlich anwachsen. Damit steigt die altersbedingte Nachfrage nach Betreuung und Pflege. Gleichzeitig gerät diese kritische Infrastruktur aber auch ins Visier profitorientierter Investoren. In den letzten Jahren haben internationale Konzerne und Finanzinvestoren immer mehr Bereiche der sozialen Infrastruktur vereinnahmt. Diese Entwicklung macht auch vor Österreich nicht Halt und schreitet zum Teil unbemerkt voran.
Geschäftsmodelle, wie Gewinnabschöpfung, Steuervermeidung, „cherry picking“ bzw. gewinnbringende Risikoauslese, die ausschließlich auf Profitmaximierung ausgerichtet sind, gefährden das Gemeinwohl und die Stabilität von Wirtschaft und Gesellschaft. Deshalb müssen Schutzvorkehrungen verstärkt werden.
Einige große Konzerne wittern das große Geschäft mit Wohnen, Gesundheit und Pflege: In den letzten Jahren sind börsennotierte Konzerne wie Vonovia (Wohnen), Fresenius (Gesundheit) oder Orpea (Pflege) sowie Finanzinvestoren (z. B. Private-Equity-Fonds, Pensionsfonds, Versicherungen) in Bereichen der kritischen sozialen Infrastruktur im Vormarsch. Sie versprechen sich dadurch stabile Renditen bei einem weitgehend von der öffentlichen Hand gestützten, risikolosen Geschäft.[1]
Erst vor wenigen Tagen hat sich die ÖBAG aus der Vamed AG zurückgezogen und ihre 13 Prozent Anteile an den deutschen Mehrheitseigentümer, den börsennotierten Krankenhausbetreiber Fresenius, abgegeben.
Die Geschäftsbereiche der Vamed waren in den vergangenen Wochen auf verschiedene Unternehmen aufgeteilt worden. Die Anteile an den Thermen in Österreich (u.a. Therme Wien, Geinberg, St. Martins), die technische Betriebsführung des Allgemeinen Krankenhauses Wien (AKH Wien) und das österreichische Vamed-Projektgeschäft wurden für 90 Mio. Euro an ein Konsortium der Baukonzerne Porr und Strabag verkauft, das rund 3.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter übernimmt.
Der Krankenhausdienstleistungsbereich mit einem Umsatzanteil von 30 Prozent wiederum wird an Fresenius übertragen.
Ein großer Teil der Vamed-Mitarbeiter sind in den Reha-Kliniken des Konzerns beschäftigt, die ebenfalls Anfang Mai mehrheitlich an die Beteiligungsgesellschaft PAI Partners verkauft wurden.
So wollen wir das Gesundheits- und Pflegesystem in Österreich nicht organisieren.
Statt auf die Steigerung des Gemeinwohls zielen die Geschäftsmodelle dieser gewinnorientierten Konzerne auf die Maximierung des sogenannten Shareholder-Values: Vorrangiges Ziel ist es, das Kapital der Investor:innen zu vermehren. Dabei veranlagen sie privates Kapital über unterschiedliche Wege, etwa in der Errichtung und dem Betrieb von Pflegeheimen sowie Facharztpraxen und Medizinischen Versorgungszentren.
Besonders deutlich zeigt sich das in der stationären Altenpflege: Hier haben die 25 größten shareholderorientierten Investoren ihre Bettenkapazität in Europa seit 2017 um mehr als ein Fünftel auf geschätzt 455.000 Betten erhöht.[2]
Dieses Vordringen von privaten Shareholder-Interessen erfolgt parallel zum Rückzug der öffentlichen Hand aus diesen (über)lebensnotwendigen Versorgungsbereichen.
Von einer neoliberalen Demontage der kritischen Bereiche der Daseins- und Krisenvorsorge wie in anderen Ländern ist Österreich bisher vergleichsweise verschont geblieben. Gleichzeitig schreiten diese Entwicklungen aber auch bei uns schleichend voran.[3]
Exemplarisch zeigt sich dies im Vergleich mit England, wo seit den 1980er Jahren sämtliche Regierungen – in unterschiedlichen Konstellationen – künstlich Märkte konstruiert und damit gewinnorientierten Akteuren den Teppich ausgerollt haben.
In England ist der Anteil öffentlicher Betten in der stationären Altenpflege seit den 1980er Jahren von zwei Drittel auf knapp 4 Prozent gefallen. Auch in Österreich ist er, wenngleich in geringerem Ausmaß, gesunken: von mehr als drei Viertel Mitte der 1980er Jahre auf weniger als die Hälfte.
Die Folgen für die kritische soziale Infrastruktur, wenn shareholderorientierte Geschäftsmodelle diese unterwandern, zeigen die bisherigen Erfahrungen:
Ungleicher Zugang: Shareholder-Geschäftsmodelle erhöhen das Risiko eines ungleichen Zugangs zu den Leistungen. Außerdem besteht die Gefahr einer räumlichen Konzentration gewinnträchtiger Dienstleistungen in einkommensstarken Regionen, während strukturschwache Gebiete unterversorgt werden.
Höhere Kosten: Mehr als ein Viertel der Einnahmen fließen bei großen internationalen Pflegekonzernen wie Orpea oder Private-Equity-geführten Pflegeketten als leistungsloses Einkommen an Kapitalgeber bzw. Eigentümer von Pflegeheimen und nicht wieder ins System.[4] Damit steigen die Kosten für die Betroffenen und die öffentliche Hand.
Unstabile Leistungserbringung: Gerät ein Unternehmen in Schieflage, wird das durch die komplexen transnationalen Unternehmensstrukturen nur beschränkt oder zu spät für die öffentliche Hand sichtbar. Das gefährdet die stabile, alltägliche Leistungserbringung, wie etwa bei den Insolvenzen großer Pflegeketten in England.
Um Entwicklungen wie in England oder teilweise auch Deutschland zu verhindern, braucht es entsprechende Maßnahmen:
· Gemeinnützigkeit stärken
Die Regelungen zur Gemeinnützigkeit in der Pflege könnten nach dem Vorbild der Wohnungsgemeinnützigkeit mit ihren Prinzipien der Vermögensbindung, Kostendeckung und Gewinnbeschränkung ausgestaltet werden.
Die vom Bund und den Ländern für die Betreuung und Pflege eingesetzten Finanzmittel müssen in Form hochqualitativer Pflege und Betreuung in modernen Pflegeeinrichtungen den pflegebedürftigen Menschen zur Gänze zugutekommen. Diese Leistungsdefinition muss gesetzlich vorgegeben werden und sie muss für alle Betreiber von Einrichtungen sowie Anbieter von mobilen Pflegediensten, die sich ganz oder teilweise aus Mitteln des Bundes oder der Länder finanzieren, gelten. Eine gute Leistungsdefinition macht die Spielräume für „kreative“ Geschäftsgebarung enger, macht Qualitätsansprüche transparenter und ermöglicht eine effektivere Überprüfung der Umsetzung. Die Gemeinnützigkeit muss als Bewilligungsvoraussetzung für die Ausübung der Tätigkeit gesetzlich verankert werden.
Erzielte Gewinne, die aus der Pflege- und Betreuungstätigkeit entstehen, sind zweckgewidmet ausschließlich und unmittelbar wieder für die Pflege, die Betreuung und die Verbesserung der Infrastruktur sowie die Qualität der Pflegeeinrichtungen und der Pflegeangebote der Träger zu verwenden.
· Grundsatz der Gemeinnützigkeit als Fördervoraussetzung
Die Finanzierung der privaten Träger von Langzeitbetreuung und -pflege erfolgt im Wesentlichen über Förderungen der Bundesländer. Daher sind die Förderkriterien zentrale Instrumente zur Regulierung der Geschäftsgebarung der Fördernehmer:innen.
Fließt das Fördergeld über das bestehende Instrument des Pflegefonds vom Bund an die Länder, können im Pflegefondsgesetz dazu auch österreichweit einheitliche, gemeinsame Kriterien und Grundsätze formuliert werden. Der Grundsatz der Gemeinnützigkeit von Trägerorganisationen könnte als zentrale formelle und materielle Fördervoraussetzung festgeschrieben werden.
Dazu braucht es den sog. Pflegegarantiefonds, der die finanziellen Mittel aller Gebietskörperschaften bündelt.
· Pflegegemeinnützigkeitsgesetz für Grundsätze der Leistungserbringung und spezifische Qualitätsvorgaben
Grundsätze der Leistungserbringung und spezifische Qualitätsvorgaben müssen rechtlich bundesweit einheitlich geregelt werden. Auf diese für alle gültigen Grundlagen kann sowohl in den Förderbedingungen verwiesen werden, als auch im Rahmen von Vergabeverfahren. Das Pflegefondsgesetz, oder ein neu zu schaffendes Pflegegemeinnützigkeitsgesetz wären ein passender Ort für die Verankerung von Grundsätzen und Qualitätsvorgaben.
In den Grundsätzen müssen jedenfalls die Zieldefinitionen von Langezeitbetreuung und -pflege, wie selbstbeststimmte Lebensgestaltung trotz Unterstützungsbedarf (Betreuung) und bestmögliche Erhaltung und Verbesserung der Gesundheit (Pflege, Medizin, Therapie), festhalten werden.
Als Qualitätskriterien sollen zB bedarfsgerechte Personalausstattung, höhere Zeitbudgets pro Klient:in in den mobilen Diensten vorgegeben werden.
Bezüglich der Leistungsqualität sind in den Förderungsbedingungen nur sehr allgemeine Vorgaben zulässig. Es wäre daher sinnvoll, die Möglichkeiten für Gemeinnützigkeit in der Langzeitbetreuung und -pflege auch im Vergaberecht zu erweitern.
· Verhinderung von Ausweichpraktiken
Privaten gewinnorientierten Anbietern von Betreuungs- und Pflegeleistungen steht in der Praxis ein breites Spektrum an Strategien zur Verfügung, um private Gewinne aus öffentlichen Geldern zu ziehen, die dann in der Leistungserbringung fehlen. Damit öffentliche Gelder Leistungen finanzieren und nicht private Gewinne, müssen die Spielräume für gewinnmaximierende Strategien geschlossen werden. Dies kann durch entsprechende Regelungen in den Förderkriterien, den Qualitätskriterien oder im Steuerrecht erfolgen.
Wesentlich ist dabei auch die Preisgestaltung für die von den Trägern erbrachten Leistungen. Diese sollte sich – nach dem Vorbild des Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetzes (WGG) – am Kostendeckungsprinzip orientieren. Das alleine verhindert zwar noch nicht solche Ausweichpraktiken, aber es ist ein Maßstab, an dem gemessen und kontrolliert werden kann.
· Errichtung unabhängiger Aufsicht und Kontrolle
Einrichtungen der Langzeitbetreuung und -pflege werden derzeit durch unterschiedliche Institutionen geprüft:
· Fachaufsicht durch Behörden der Bundesländer
· Arbeitnehmer:innenschutz durch Arbeitsinspektorat
· Kontrolle freiheitsbeschränkender Maßnahmen durch Bewohner:innenvertretung (HAufG)
· Jährliche Prüfung des Gemeinnützigkeitsstatus nach Bundesabgabenordnung (BAO) durch die Finanzämter im Nachhinein
Fallweise erfolgen Kontrollen durch:
· Kommissionen der Volksanwaltschaft im Rahmen des OPCAT
· Rechnungshof
Eine effektive Regelung von unerwünschten Geschäftspraktiken erfordert eine stärker institutionalisierte, regelmäßige wirtschaftliche Prüfung der Träger. Eine Fördervoraussetzung könnte die Einrichtung von Träger-internen, unabhängigen Revisionsstrukturen sein.
Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher nachfolgenden
Entschließungsantrag
Der Nationalrat wolle beschließen:
„Die Bundesregierung wird aufgefordert, ein Maßnahmenbündel zur Stärkung und Förderung der Gemeinnützigkeit in der Pflege auszuarbeiten und dem Nationalrat zur Beschlussfassung zu übermitteln. Insbesondere sollen dabei folgende Vorgaben erfüllt werden:
· Gemeinnützigkeit von Trägerorganisationen als zentrale formelle und materielle Fördervoraussetzung im Pflege(garantie)fondsgesetz festschreiben
· Ausweitung des Pflegefonds in einen Pflegegarantiefonds, der die finanziellen Mittel aller Gebietskörperschaften bündelt
· Ein neues Pflegegemeinnützigkeitsgesetz für die Vorgabe von Grundsätzen und Qualitätskriterien ausarbeiten
· Ausweichmöglichkeiten durch das Schließen von Schlupflöchern verhindern
· Starke, institutionalisierte und regelmäßige wirtschaftliche Prüfung der Träger einführen.“
Zuweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales
[1] Goldene Zeiten fürs Geschäft mit kritischer sozialer Infrastruktur? - A&W (awblog.at)
[2] Graues Gold — Das Milliarden-Geschäft mit der Altenpflege (investigate-europe.eu)
[3] Shareholderorientierte transnationale Investoren in der kritischen sozialen Infrastruktur - Portal der Arbeiterkammern und des ÖGB Verlags
[4] Statistics in biology (lancs.ac.uk)