519/A(E) XXVII. GP

Eingebracht am 28.04.2020
Dieser Text wurde elektronisch übermittelt. Abweichungen vom Original sind möglich.

Entschließungsantrag

 

der Abgeordneten Kucharowits, Kucher, Drobits

Genossinnen und Genossen

betreffend gesetzlich verankerter Freiwilligkeit und Diskriminierungsschutz bei Contact-Tracing-Apps

 

Seit Beginn der Covid-19-Pandemie wird weltweit darüber diskutiert, ob, wie und inwieweit digitale Instrumente wie Apps aber auch gezielte Auswertungen von Mobilitätsdaten im Kampf gegen Covid-19 nützlich sein können. In vielen Ländern wurden Apps entwickelt, die zur Verfolgung von Ansteckungsketten, Überwachung von Quarantänemaßnahmen oder Identifizierung von Clustern mit besonderem Ansteckungsrisiko verwendet werden. Auch auf europäischer Ebene wird aktuell an dem Projekt PEPP-PT (Pan European Privacy Protecting Proximity Tracing) gearbeitet, das einen länderübergreifenden Austausch ermöglichen soll. Apple und Google wiederum entwickeln eine Technologie, die die Zusammenarbeit ihrer Betriebssysteme verbessern soll und in so genannten Contact-Tracing-Apps das sind Apps, die Kontakte aufzeichnen und nachvollziehbar machen  Verwendung finden könnte.

In Österreich entzündet sich die Diskussion vor allem an der Stopp-Corona-App, die vom Versicherungskonzern UNIQA finanziert und vom internationalen Beratungsunternehmen accenture entwickelt wurde. Das Österreichische Rote Kreuz bietet diese App seit 25. März zum Download an und fungiert als datenschutzrechtlich Verantwortlicher. Die App stellt ein Kontakttagebuch dar. Entweder manuell oder automatisch werden alle näheren Kontakte von bestimmter Dauer (näher als 2 Meter, länger als 15 Minuten) gespeichert. Für den Fall, dass ein Nutzer/eine Nutzerin nach Selbsteinschätzung Symptome entwickelt, kann er bzw sie die pseudonymisiert gespeicherten Kontakte der letzten 54 Stunden durch Knopfdruck warnen. Die gewarnten Personen sollen sich in der Folge in Selbstisolation begeben, um die Ansteckungskette zu durchbrechen. Diese App wird auch vehement von Seiten der Bundesregierung beworben.

Rund um die Stopp-Corona App und digitale Unterstützungsinstrumente werden unterschiedliche Aspekte diskutiert. Viele Bereiche wie etwa diverse rechtliche Folgefragen einer Selbstisolation sind seitens der Bundesregierung, die die Benutzung der App bereits empfiehlt, bisher noch nicht einmal erwähnt worden. 

Vieles, wie etwa die angekündigte gemeinsame technische Entwicklung von Apple und Google, ist auch noch unklar. Einiges, wie etwa die vom israelischen Inlandsgeheimdienst entwickelte Überwachung mittels Handy, die manche Verantwortliche nach Medienberichten gerne für Österreich übernehmen würden, ist abzulehnen. 

 

Folgende konkrete Probleme werfen sich dadurch auf:

 

·        Erstens stellen sich technische Fragen zur Funktionsweise und zur verwendeten Technologie. Die Stopp-Corona-App verwendet die Technologie bluetooth low energy, um den Abstand zwischen den Handys zweiter Personen zu messen. Diese Technologie funktioniert jedoch nur eingeschränkt. Zu Problemen kommt es vor allem zwischen Android und Apple-Handys. Hier knüpfen Fragen an wie zum Beispiel, wie effizient die App arbeitet und ob sie wirklich einen wesentlichen Beitrag zur Bekämpfung von Covid-19 leisten kann, oder ob die verwendeten Mittel und die aufgewendete Zeit nicht besser in andere Maßnahmen investiert werden sollte.

 

·        Zweitens stellt sich die zentrale Frage nach der Freiwilligkeit. Die datenschutzrechtliche Zulässigkeit der App baut, wie Teile der Regierungsparteien und das Rote Kreuz betonen, auf dem Konzept der Freiwilligkeit auf. Doch gerade diese Freiwilligkeit wurde in Frage gestellt. Nur eine Woche nach dem Launch der App plädierte ausgerechnet der von der ÖVP gestellte Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka dafür, die als freiwillig angedachte Stopp-Corona-App des Roten Kreuzes in eine verpflichtende Maßnahme zu verwandeln und Einschränkungen für Personen prüfen zu lassen, die sich der Nutzung widersetzen. Diese Forderung ließ sowohl bei allen Oppositionsparteien als auch bei der Zivilgesellschaft die Alarmglocken schrillen. Nach Protesten von DatenschützerInnen, Verfassungsrechtlerlnnen und der Oppositionsparteien ruderte die ÖVP wieder zurück. Es ist aber keineswegs ausgeschlossen, dass die Bundesregierung nicht neuerlich versucht, die Freiwilligkeit durch mehr oder weniger sanften Druck, einzuschränken. So kann der vorliegende Regierungsvorschlag zur Novellierung des Epidemiegesetzes in diese Richtung verstanden werden: Danach könnte eine Behörde auf Basis des novellierten Epidemiegesetzes Lockerungen der Ausgangsbeschränkungen von der Benutzung der Stopp-Corona-App abhängig machen. Auch Private, wie zum Beispiel Arbeitgeber für ihre Arbeitnehmer, Betreiber von Supermarktketten für ihre Kunden oder Veranstalter für ihre Besucher könnten auf die Idee kommen, die Benutzung der App zu verlangen. BM Edtstadler wollte auf Nachfrage im Verfassungsausschuss nicht ausschließen, dass Grenzübertritte in Zukunft von der Benutzung einer einschlägigen App abhängig gemacht werden. Diese Beispiele zeigen, dass die vielfach beschworene Freiwilligkeit für die Benutzung der App ernsthaft bedroht ist und daher dringend gesetzlich festgeschrieben werden muss.

 

·        Drittens stellt sich die Frage nach dem Datenschutz, handelt sich doch um besonders schützenswerte Gesundheitsdaten. Hier wird der österreichischen Stopp-Corona-App von Datenschützern ein hoher Standard bescheinigt. Allerdings gibt es auch internationale Beispiele, wo Apps in Verbindung mit anderen Daten wie Standort, Kartenzahlungen oder Daten aus Überwachungskameras zu einem umfassenden Überwachungsinstrument wurden. Die Gefahr einer umfassenden Überwachung von uns allen entweder durch staatliche Stellen oder auch durch große Digitalkonzerne nimmt mit jeder sensiblen Anwendung zu und ist mit entsprechender Vorsicht zu behandeln.

·        Viertens stellt sich die Frage nach den rechtlichen Folgen. Unklar ist derzeit, welche rechtlichen Konsequenzen eine Warnung durch die App hat. Von Seiten der Bundesregierung bzw des Roten Kreuzes wird im Falle einer ausgelösten Warnung eine Selbstisolation empfohlen, um eine Weiterverbreitung des Virus möglichst rasch zu unterbinden. Was das jedoch konkret für das Arbeitsverhältnis, den Schulbesuch etc. bedeutet, ist völlig ungeregelt. Was soll etwa eine durch das App gewarnte Arbeitnehmerin tun? Sie kann ohne krank zu sein, nicht der Arbeit fernbleiben. Geht sie aber zur Arbeit und liegt eine Infektion vor, gefährdet sie ihre Kollegen. Ohne eine Klärung und verbindliche Regelung, was im potenziellen Infektionsfall von den betroffenen Personen zu tun ist, scheint die Bewerbung der App wenig sinnvoll. Und diese Frage zeigt auch, dass die App nicht losgelöst von der möglichst schnellen Verfügbarkeit zuverlässiger Tests gesehen werden kann. Sicherheit durch möglichst schnelle Testungen mit schnellen und zuverlässigen Ergebnissen würde viele Probleme bereits in ihrer Entstehung lösen.

·        Fünftens stellt sich die Frage nach möglichen Diskriminierungen. Selbst wenn die App auch weiterhin auf formaler Freiwilligkeit beruht, könnte ein indirekter Zwang aufgebaut werden, indem die Installation der App beispielsweise zur Voraussetzung für den Besuch von bestimmten Veranstaltungen oder das Betreten von bestimmten Gebäuden wird. Hierbei wäre eine digitale Technologie ein Instrument der Spaltung der Gesellschaft, in eine Hälfte, die sich frei bewegen kann und in eine andere, der das verwehrt ist. Das gilt es jedenfalls zu verhindern. Eine Lösung für – wohl meist ältere – Menschen ohne Smartphone wurde zwar diskutiert, scheint aber weit von einer Realisierung entfernt zu sein.

·        Sechstens sind auch die psychologischen und soziologischen Auswirkungen zu diskutieren. Beispielsweise besteht die Gefahr, dass die App Personen in falscher Sicherheit wiegt. Und auch die Frage nach den gesellschaftlichen Auswirkungen muss gestellt werden, wenn eine App zur Zugangsvoraussetzung für alle Bereiche des täglichen Lebens wird.

·        Siebtens muss auch die Frage der notwendigen Installationshäufigkeit diskutiert werden. ExpertInnen gehen davon aus, dass eine Installationshäufigkeit von 60 % der Gesamtbevölkerung anzustreben ist, weil nur dann Wirksamkeit gegeben ist. Selbst in Staaten, die massiven Druck auf Verwendung einer Contact-Tracing-App ausüben, ist der Deckungsgrad kolportiert bei 20 %. Bei so geringer Verwendungshäufigkeit der App verliert sie aber ihre Wirksamkeit, weil die Chance, dass sich zwei App-User begegnen, stark abnimmt. Auch dieses Problem wurde von der Bundesregierung bisher nicht angegangen. Wissenschaftliche Begleitung fehlt überhaupt völlig.

 

Angesichts der vielen offenen Fragen und weitgehenden Auswirkungen auf einzelne Personen, aber auch auf die Gesellschaft insgesamt, ist es vonnöten, gesetzlich einzugreifen und klare rechtliche Grenzen zum Schutz der Bevölkerung zu ziehen. Der Einsatz bestehender oder in Entwicklung befindlicher Contact-Tracing-Apps muss jedenfalls auf echter freiwilliger Basis stattfinden und darf auch nicht zu direkten oder indirekten Diskriminierungen führen. Um ein Maximum an Sicherheit zu garantieren sollen diese Vorgaben auf gesetzlicher Basis getroffen werden.

 


 

Aus diesem Grund stellen die unterfertigten Abgeordneten nachstehenden

 

Entschließungsantrag

 

Der Nationalrat wolle beschließen:

 

 „Die Bundesregierung wird aufgefordert, durch gesetzliche Maßnahmen sicherzustellen, dass die Anwendung sogenannter „Contact-Tracing-Apps“ in Österreich ausschließlich freiwillig erfolgt und jegliche Diskriminierung von staatlicher wie auch privater Seite wegen Nichtverwendung verboten wird“

 

Zuweisungsvorschlag: Gesundheitsausschuss