677/A(E) XXVII. GP
Eingebracht am 17.06.2020
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ENTSCHLIESSUNGSANTRAG
der Abgeordneten Henrike Brandstötter, Kolleginnen und Kollegen
betreffend Erleichterte Beibehaltung bei Annahme einer zweiten Staatsbürgerschaft
Fast 600.000 Österreicher_innen leben laut Statistik Austria permanent oder zeitweise im Ausland. Für viele Menschen ist die Annahme der Staatsbürgerschaft des Landes, in dem sie ihren Lebensmittelpunkt haben, aus beruflichen, familiären oder anderen Gründen wichtig. Regelmäßig besteht in diesen Fällen trotzdem eine starke familiäre und/oder berufliche Bindung zu Österreich. Die Beibehaltung der österreichischen Staatsbürgerschaft – also der Erwerb einer Doppelstaatsbürgerschaft – ist nur unter äußerst restriktiven Bedingungen möglich. In der stark internationalisierten Welt des 21. Jahrhunderts sind die Restriktionen des Staatsbürgerschaftsgesetzes (StbG) nicht mehr zeitgemäß.
Gemäß § 27 Abs 1 StbG führt die Verleihung einer ausländischen Staatsbürgerschaft mit Mitwirken der/des Antragsteller_in zum automatischen Verlust der österreichischen. Der Gesetzestext sieht keine Interessensabwägungsmechanismen vor; die Behörde hat keinen Ermessensspielraum, da sie den bereits ex lege eingetretenen Verlust lediglich im Nachhinein feststellen kann. Selbst Minderjährige vor dem 14. Lebensjahr werden ihrer österreichischen Staatsbürgerschaft verlustig, wenn ein/e Erziehungsberechtigte_r für sie eine Willenserklärung betreffend Annahme einer anderen Staatsbürgerschaft abgegeben hat. Nur Minderjährige ab der Vollendung des 14. Lebensjahres müssen einem Antrag auf Erwerb einer Staatsbürgerschaft in ihrem Namen ausdrücklich zustimmen um der österreichischen verlustig zu werden.
Gemäß § 29 Abs 1 StbG tritt ein Verlust der Staatsbürgerschaft für minderjährige Kinder sogar dann ein, wenn die fremde Staatsangehörigkeit gar nicht für das Kind, sondern für einen Elternteil beantragt wurde, aufgrund der fremden Staatsbürgerschaftsordnung das Kind jedoch wegen der Einbürgerung dieses Elternteils ebenfalls automatisch die ausländische Staatsbürgerschaft erwirbt (oder erwerben würde, wenn es diese nicht schon besäße). Wenn also ein Elternteil die Staatsbürgerschaft des ausländischen Ehepartners erwirbt und dadurch die österreichische ex lege nach § 27 Abs 1 StbG verliert, dann verliert das Kind in den meisten Fällen die österreichische Staatsbürgerschaft ebenfalls; jedenfalls dann wenn das Kind unter 14 Jahre alt ist. Nach dem vollendeten 14. Lebensjahr tritt in sinngemäßer Anwendung von § 27 Abs 3 StbG der Verlust beim Kind allerdings nur ein, wenn eine ausdrückliche Zustimmung des mündigen Minderjährigen vorliegt. Solche Fälle treten regelmäßig aus Unwissen der Eltern ein; die Behörde hat dennoch keine rechtliche Handhabe, Härtefälle zu berücksichtigen.
In zahlreichen Fällen verlieren Kinder die österreichische Staatsbürgerschaft durch Unwissenheit oder Fehlinformation der Eltern in Hinsicht auf die komplizierte Rechtslage. Wenn ein Elternteil eine Staatsbürgerschaft in einem Land besitzt, in dem Kindern aufgrund ihrer Abstammung die Staatsbürgerschaft automatisch verliehen wird, sind die Kinder zulässigerweise Doppelstaatsbürger. Manche Länder sehen jedoch für die Staatsbürgerschaft der Kinder keinen derartigen „Automatismus“ kraft Abstammung vor, sondern ermöglichen eine vereinfachte Einbürgerung. In so einem Fall kann die Beantragung eines Reisepasses ohne Wissen der Eltern einen Antrag auf Einbürgerung beinhalten. Wird diesem stattgegeben, verliert das Kind gemäß § 27 Abs 1 und 2 StbG die österreichische Staatsbürgerschaft. Diese Fälle betreffen regelmäßig Kinder in den ersten Monaten oder Jahren ihres Lebens, die in Österreich leben und aufwachsen. Da auf Basis des Kindeswohles in derartigen Fällen die Beibehaltung der österreichischen Staatsbürgerschaft gemäß § 28 Abs 1 Z 2 StbG regelmäßig zu bewilligen wäre, stellt die vorliegende Regelung letztlich einen schikanösen Formalismus dar, der sachlich nicht zu rechtfertigen ist. Für die betroffenen Kinder besteht auch keine adäquate Sanierungsmöglichkeit durch Wiedererwerb der Staatsbürgerschaft (abgesehen von den allgemeinen Einbürgerungstatbeständen).
Ein/e österreichische/r Staatsbürger_in, der/die eine Doppelstaatsbürgerschaft wünscht, muss vor Verleihung der zweiten Staatsbürgerschaft gemäß § 28 StbG um Beibehaltung ansuchen, und nach Erhalt der Beibehaltungsbestätigung innerhalb von zwei Jahren die ausländische Staatsbürgerschaft tatsächlich erwerben. Bei Erwachsenen wird die Beibehaltung nur im Falle eines bereits geleisteten oder zu erwartenden Verdienstes für die Republik Österreich erteilt. Im Falle eines Kindes ist auch das Kindeswohl zu berücksichtigen. Bei volljährigen Antragsteller_innen gilt also nur das Interesse der Republik als Anerkennungsgrund, oder – nur im Falle der Staatsbürgerschaft durch Abstammung – besonders berücksichtigungswürdige Gründe im Privat- und Familienleben. Da das Gesetz letztere nicht näher definiert, sind die von der Judikatur entwickelten Kriterien mittlerweile derart restriktiv, dass in der Praxis kaum einem Antrag auf Beibehaltung aufgrund privater Bedürfnisse stattgegeben werden kann.
Weiters erschwert wird die Beibehaltung der österreichischen Staatsbürgerschaft bei Verleihung einer fremden Staatsangehörigkeit durch die gesetzlich vorgesehene und nicht erstreckbare Zweijahresfrist. Wenn einem Antragsteller innerhalb von zwei Jahren nach Erhalt eines positiven Beibehaltungsbescheides nicht die ausländische verliehen wurde, erlischt der Beibehaltungsbescheid, und der Antragsteller verliert ex lege an dem Tag, an dem die ausländische Staatsbürgerschaft verliehen wird, unwiderruflich und im Regelfall unverschuldet die österreichische. Eine Sanierungsmöglichkeit ist im Staatsbürgerschaftsgesetz nicht vorgesehen. Da viele Einbürgerungsverfahren länger als zwei Jahre dauern, ist ein positiver Beibehaltungsbescheid keine Garantie für die Beibehaltung der österreichischen Staatszugehörigkeit. Fristverlängerungen sind im Gesetz nicht vorgesehen.
In all diese Fällen geht es um die Rechte von Österreicherinnen und Österreichern, nicht um Einwanderer. Österreich hat eine der höchsten Raten an im Ausland lebenden Bürger_innen in der Europäischen Union.
Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgenden
Der Nationalrat wolle
beschließen:
"Die Bundesregierung wird aufgefordert, zum Schutze von österreichischen Staatsbürger_innen mit beruflichen oder privaten Interessen im Ausland, und zur Vereinfachung des Erwerbs einer fremden Staatsangehörigkeit durch diese Personen, das Staatsbürgerschaftsgesetz zu novellieren. Insbesondere möge die Bundesregierung:
· Bei allen Entscheidungen in Zusammenhang mit dem Verlusttatbestand gemäß § 27 StbG der Behörde einen Ermessensspielraum bezüglich einer Interessensabwägung einräumen, da das Fehlen eines solchen weder sachlich gerechtfertigt noch mit europäischer Judikatur vereinbar ist.
· Die Kriterien für die Bewilligung der Beibehaltung an die Lebensrealitäten der vielen im Ausland lebenden Österreicher_innen anpassen und an ein erfüllbares Maß anpassen.
· Die in § 28 Abs 3 StbG vorgesehene Zweijahresfrist zur Verleihung einer ausländischen Staatsbürgerschaft nach Erhalt eines positiven Beibehaltungsbescheids durch die Möglichkeit eines Antrags auf Fristverlängerung ergänzen, da die Einhaltung der Frist jenseits der Kontrolle des Antragsstellers und in vielen Fällen unrealistisch ist.
· Den Anwendungsbereich von § 28 Abs 2 StbG auf alle Österreicher_innen ausweiten, ohne Rücksicht darauf, wie die Staatsbürgerschaft erworben wurde.
·
Den Verlust der
Staatsbürgerschaft bei Minderjährigen gemäß § 27 Abs
2 StbG sowie die Verlusterstreckung des § 29 StbG überdenken und
Kindern, die die österreichische Staatsbürgerschaft durch Abstammung
nach einem Elternteil erworben haben, die Doppelstaatsbürgerschaft in all
den Fällen vorbehaltlos gewährleisten, in denen eine
Staatsbürgerschaft erworben wird, die ein Elternteil selbst zum Zeitpunkt
der Geburt des Kindes besessen hat."
In formeller Hinsicht wird die Zuweisung an den Ausschuss für innere Angelegenheiten vorgeschlagen.