897/A(E) XXVII. GP

Eingebracht am 23.09.2020
Dieser Text wurde elektronisch übermittelt. Abweichungen vom Original sind möglich.

Entschließungsantrag

 

der Abgeordneten Mag.a Selma Yildirim,

Genossinnen und Genossen

 

betreffend die vergleichsweise hohen Inhaftierungsraten Jugendlicher in Österreich und die Suche nach sinnvollen Alternativen

 

 

Das Thema Jugend und Haft sorgt in Österreich immer wieder für mediale, politische und wissenschaftliche Aufmerksamkeit. So kam es in den frühen Nullerjahren zu einem dramatischen Anstieg der Gefangenenpopulation, wobei vor allem Jugendliche davon betroffen waren. Die Steigerung der Häftlingszahlen für Jugendliche fiel mit der äußerst umstrittenen Maßnahme der damaligen schwarz-blauen Bundesregierung und des Justizministers Dr. Dieter Böhmdorfer zusammen, den Jugendgerichtshof samt der dazugehörigen Justizanstalt Erdberg aufzulösen.

 

Nach dramatischen Vorfällen von Misshandlungen an jugendlichen Häftlingen durch Mithäftlinge im Jahr 2013 wurde vom Bundesministerium für Justiz eine interdisziplinäre Gruppe von Expertinnen und Experten („Taskforce“, „Runder Tisch“) aus den Bereichen Strafvollzugsverwaltung, Jugendgerichtsbarkeit, Jugendstaatsanwalt, Kriminalpolizei, Kinder- und Jugendhilfe, Kinder- und Jugendanwaltschaft, Bewährungshilfe, Jugendgerichtshilfe sowie Kinder- und Jugendpsychiatrie eingesetzt, um Reformempfehlungen im Hinblick auf die Vermeidung, Verkürzung und Vollziehung von Untersuchungshaft bei Jugendlichen zu erarbeiten. Unter den Mitgliedern dieser Runde konnte schnell ein Konsens darüber erzielt werden, Untersuchungshaft bei Minderjährigen nur in unbedingt notwendigen Fällen vorzusehen.

 

Ende 2015 beschloss der Nationalrat dann mit den Stimmen SPÖ und ÖVP eine vom Justizressort eingebrachte Novelle des Jugendgerichtsgesetztes (JGG), mit der der Ausnahmecharakter der Untersuchungshaft verstärkt sowie eine gesetzliche Grundlage für die Sozialnetzkonferenzen und eine bundesweit tätig werdende Jugendgerichtshilfe geschaffen wurde. Die Reform dehnte zudem die Kostentragung für betreutes Wohnen aus und erweiterte den Anwendungsbereich der meisten Bestimmungen des JGG auf junge Erwachsene.

 

Durch das Gewaltschutzgesetz 2019 von ÖVP und FPÖ kam es zu einer drastischen Verschlechterung der Rechtslage für „junge Erwachsene“. Vergeblich gab es dazu zahlreiche Stellungnahmen von Institutionen und ExpertInnen, die vor dieser Rücknahme der Verbesserungen warnten, die seinerzeit die Vorschläge der Jugend-Taskforce und deren Umsetzung gebracht hatten.

 

Es wurde zurecht darauf hingewiesen, dass mit dieser Verschärfung die positiven Entwicklungen der letzten Jahre gestoppt würden und damit mit einer höheren Rückfallquote zu rechnen sei. Mehr Rückfälle bedeuten mehr Opfer, weniger Sicherheit und weiter steigende Kosten.

 

Wenn man sich die gegenwärtigen Vergleichszahlen von Staaten des Europarates anschaut, gehört Österreich mit 1,3% Jugendanteil aller Inhaftierten zu den Ländern in Europa mit dem höchsten Anteil an inhaftierten Jugendlichen, gemessen an der gesamten Haftpopulation (Stand: 2019). Auch bei der Quote pro 100.000 Jugendliche ist Österreich mit 34,35 im negativen oberen Spitzenfeld anzusiedeln.

 

Quelle dazu ist die Space I. Studie, die jährlich im Auftrag des Europarates für alle Mitgliedsländer des Europarates erstellt wird. Diese Zahlen waren auch Grundlage des Bundesministeriums für Justiz für die Jugendtaskforce 2014.

 

Ein weiteres Problem stellt nach Ansicht der unterzeichnenden Abgeordneten jenes dar, dass es derzeit kein geeignetes Modell dafür gibt, wie man in Österreich mit „besonders schwierigen Jugendlichen“ umgeht. Nach Ansicht der ExpertInnen der damaligen Jugendtaskforce handelte es sich dabei jährlich um überschaubare Zahlen (bundesweit maximal 200-300 Jugendliche).

 

Für diese Jugendlichen scheint weder die bisherige Form der Jugendhaft noch die Form der betreuten Wohngemeinschaften, die jederzeit ganz einfach verlassen werden können, der geeignete Weg zu sein. Seit Jahren gibt es unter ExpertInnen und VertreterInnen von Bund und Ländern Diskussionen darüber, wie eine sozialpädagogische Einrichtung geschaffen werden könnte, die für diese Jugendlichen geeignet ist.

 

Die einzige Jugendstrafanstalt Gerasdorf ist ein Modell der 1970er Jahre und nicht mehr ausreichend für die heutigen Bedürfnisse geeignet.

 

Zum einen aus geographischen Gründen: eine einzige derartige Anstalt für ganz Österreich – in verkehrsungünstiger Lage in Niederösterreich gelegen – bedeutet vor allem für Angehörige aus den westlichen und südlichen Bundesländern eine außerordentlich schwierige Situation, wenn man einen Jugendlichen besuchen will. Es wären dringend drei bis vier Einrichten – aufgeteilt auf ganz Österreich – notwendig. Die Schwerpunkte derartiger Jugendkompetenzzentren liegen in den Bereichen Lernen und Entwicklung mit konstanten Bezugspersonen. Durch die Auseinandersetzung mit dem delinquenten Verhalten, dem Erlernen neuer Handlungskompetenzen und der Schaffung von Zukunftsperspektiven werden die Voraussetzungen für ein straffreies Leben geschaffen.

 

Zum anderen wäre der sozialpädagogische Charakter dieser Einrichtung - im Vergleich zu Gerasdorf - eindeutig zu stärken. Dort sollte nach einem sozialpädagogischen Konzept unter großzügigem Einsatz von SozialarbeiterInnen und PsychologInnen Betreuungsformen gefunden werden, die verhindern, dass Jugendliche künftig eine „kriminelle Karriere“ beschreiten.

 

Eine andere Möglichkeit wäre, im Bereich der „Jugendwohlfahrt“ neue Formen der betreuten Wohngemeinschaften zu schaffen, in denen anders als bisher ein dauerhafter Verbleib der Jugendlichen erreicht wird. Diese Variante ist allerdings aus rechtlichen und wohl auch finanziellen Gründen (hoher zusätzlicher Finanzeinsatz durch die Bundesländer) schwierig und wenig realistisch. Deshalb scheint der oben dargelegte Lösungsansatz im Bereich der Justiz der realistischere und damit sinnvollere.

 

Ziel sollte es jedenfalls sein, dass Modelle für die betreffenden Jugendlichen gefunden werden, die die Wahrscheinlichkeit künftiger Straftaten durch diese minimieren.

 

Die unterzeichnenden Abgeordneten stellen daher an die Bundesministerin für Justiz nachstehenden

 

Entschließungsantrag

 

Der Nationalrat wolle beschließen

 

„Die Bundesministerin für Justiz wird ersucht, dem Nationalrat einen Gesetzesentwurf zuzuleiten, durch welchen

1.     die vom sogenannten Gewaltschutzgesetz 2019 herbeigeführte Verschlechterung der Rechtslage von „jungen Erwachsenen“ wieder rückgängig gemacht wird,

2.     Maßnahmen gesetzt werden können, durch die die hohen Inhaftierungsraten Jugendlicher in Österreich gesenkt werden,

3.     wie in der Einleitung dargelegt, drei bis vier Jugendkompetenzzentren – geographisch sinnvoll auf Österreich verteilt – geschaffen werden, deren Schwerpunkte in den Bereichen Lernen und Entwicklung mit konstanten Bezugspersonen liegen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Zuweisungsvorschlag: Justizausschuss