911/A XXVII. GP
Eingebracht am 07.10.2020
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möglich.
Antrag
der Abgeordneten Dr. Stephanie
Krisper, Kolleginnen und Kollegen
betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Staatsanwaltschaftsgesetz geändert wird
Der Nationalrat wolle beschließen:
Bundesgesetz, mit dem das Staatsanwaltschaftsgesetz geändert wird
Der Nationalrat hat beschlossen:
Das Staatsanwaltschaftsgesetz, BGBl. Nr. 164/1986, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBl. I Nr. 32/2018, wird wie folgt geändert:
Nach § 35a Abs 1 wird folgender neuer Abs 1a eingefügt:
"(1a) Jedenfalls zu veröffentlichen sind Entscheidungen der Staatsanwaltschaften über die Einstellung des Ermittlungsverfahrens gemäß Abs 1. in berichtspflichtigen Strafsachen gemäß § 8 Abs 1."
Zwingende Veröffentlichungen von Einstellungsentscheidungen berichtspflichtiger Strafverfahren in der Ediktsdatei
Das Weisungsrecht des Bundesministers/ der Bundesministerin für Justiz gegenüber den Staatsanwaltschaften ist seit Jahrzehnten und zuletzt auch im Zusammenhang mit der "Causa Pilnacek" sehr prominent Gegenstand von Diskussionen sowohl in der Rechtswissenschaft als auch - meist aus Anlass einzelner konkreter Strafverfahren - der allgemeinen und insbesondere der medialen Öffentlichkeit. Als wesentliche Kritikpunkte am bestehenden Weisungsregime werden der Anschein einer politischen Beeinflussung der Staatsanwaltschaften sowie die sich durch die Berichtspflichten der Staatsanwaltschaften ergebende Verfahrensverzögerung genannt.
Gemäß § 8 Abs 1 StAG haben die Staatsanwaltschaften aus Eigenem an die jeweils übergeordnete Oberstaatsanwaltschaft über Strafsachen zu berichten, an denen wegen der Bedeutung der aufzuklärenden Straftat oder der Funktion des Verdächtigen im öffentlichen Leben ein besonderes öffentliches Interesse besteht oder in denen noch nicht hin reichend geklärte Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung zu beurteilen sind.
Dies bedeutet, dass in den dort genannten Fällen die Sachbearbeiter_innen ihre Fälle nicht selbst erledigen können, sondern von sich aus den Oberbehörden zu ihren jeweiligen Vorhaben (Festnahmen, Einvernahmen, Anklage, Einstellung, ... ) berichten müssen. Die Oberbehörden (OStA, sowie die Weisungsabteilung im BMJ) können dann den Vorhabensbericht "zur Kenntnis nehmen", was einer Genehmigung des Vorhabens entspricht, oder aber mittels Weisung eine andere Vorgangsweise anordnen, wobei im Fall von ministeriellen Weisungen der Weisungsrat zu befassen ist.
Der in der Rechtsprechung des EGMR garantierte Anspruch der Öffentlichkeit, über Straffälle bedeutender Art informiert zu werden, soll nicht den Zufälligkeiten der politischen und medialen Entscheidung überlassen werden, sondern als Aufgabe der Staatsanwaltschaften gesetzlich verankert werden. Dabei geht es einerseits um Transparenz den Verfahrensbeteiligten, andererseits um Transparenz der interessierten Öffentlichkeit gegenüber.
Um dem Transparenzgebot zu entsprechen, wurde mit BGBL I Nr. 108/2010 erstmals eine gesetzliche Grundlage geschaffen, Entscheidungen über die Einstellung von Verfahren, deren Führung öffentliches Interesse ausgelöst hat oder durch die über den Einzelfall hinausgehenden bedeutenden rechtlichen Fragen geklärt werden, anonymisiert zu veröffentlichen.
§35a StAG normiert seither: "Nach Maßgabe der personellen und technischen Voraussetzungen sind die Bestimmungen des Bundesgesetzes über den Obersten Gerichtshof, BGBl. Nr. 328/1968, und des Gerichtsorganisationsgesetzes, RGBl. Nr. 217/1896, über die allgemeine Zugänglichkeit von Entscheidungen auch auf Entscheidungen der Staatsanwaltschaften über die Einstellung des Ermittlungsverfahrens nach dem 10. und 11. Hauptstück der StPO, soweit sie von besonderem öffentlichen Interesse sind oder besondere für die Beurteilung gleichgelagerter Verfahren bedeutsame rechtliche Ausführungen beinhalten, sinngemäß anzuwenden. Eine Veröffentlichung hat in der Ediktsdatei zu erfolgen und ist durch die Oberstaatsanwaltschaft anzuordnen. Nach drei Jahren ab Veröffentlichung sind die Entscheidungen aus der Ediktsdatei zu löschen."
In den Jahren 2016 bis einschließlich 2019 wurden bundesweit 45 Begründungen nach § 35a StAG veröffentlicht (1343/AB vom 29.05.2020 zu 1335/J XXVII. GP). Davon erfolgten 42 durch die Oberstaatsanwaltschaft Wien und drei durch die Oberstaatsanwaltschaft Linz. Eine überschaubare Zahl an Fällen somit. Im selben Zeitraum wurden dem Justizministerium 1363 unter anderem berichtspflichtige Verfahren gem § 8 StAG zur Erledigung vorgelegt (1874/AB vom 03.07.2020 zu 1867/J XXVII. GP).
Aus diesem eklatanten Unterschied wird deutlich, dass zwar viele "clamorose" Verfahren aufgrund des öffentlichen Interesses eine Berichtspflicht gemäß § 8 StAG mit den damit verbunden Verzögerungen auslösen. Wenn es allerdings zur Einstellung des Verfahrens kommt, werden die wenigsten dieser Entscheidungen auch veröffentlicht. Insofern muss dem derzeitigen System unter dem Aspekt der Transparenz eine gehörige Schieflage attestiert werden.
Zur Behebung ebendieser Schieflage sollen dem neuen Absatz 1a zufolge bei der "Einstellung" berichtspflichtiger Verfahren, also jenen, an denen wegen der Bedeutung der aufzuklärenden Straftat oder der Funktion des Verdächtigen im öffentlichen Leben ein besonderes öffentliches Interesse besteht, oder in denen noch nicht hinreichend geklärte Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung zu beurteilen sind, auch verpflichtend eine Veröffentlichung in der Ediktsdatei durch die Staatsanwaltschaften vorgenommen werden müssen.
Solcherart vorgenommene Veröffentlichungen wahren einerseits die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen, als dass sie stets in anonymisierter Form erfolgen. Andererseits fördern sie die Transparenz und Nachvollziehbarkeit des staatsanwaltschaftlichen Handelns in diesen besonders gelagerten Fällen und stärken damit das Vertrauen in die Strafjustiz. Nicht zuletzt erlauben Veröffentlichungen von Einstellungsbegründungen einen beträchtlichen Erkenntnisgewinn für die Rechtswissenschaft im Allgemeinen.
So gehen die jüngsten Reformvorhaben betreffend bestimmter Gesetzeslücken im Korruptionsstrafrecht unmittelbar auf Ausführungen in einer durch die WKStA vorgenommenen Veröffentlichung einer Einstellungsbegründung zurück. Im betreffenden Edikt führte die WKStA aus: "Die Forderung einer finanziellen Unterstützung dafür, dass der Täter in die Position des Amtsträgers kommt, verbunden mit dem Versprechen, sich dadurch in der allfällig zu erlangenden Position als Amtsträger beeinflussen zu lassen oder einen allfälligen anderen Amtsträger zu beeinflussen, ist nach der geltenden Gesetzeslage nicht gerichtlich strafbar. Es wäre Sache des Gesetzgebers, diese - allfällige planwidrige - Lücke zu schließen."
Es zeigt sich, Veröffentlichungen gem § 35a StAG sind nicht bloß eine aufwendige Fingerübung für die Staatsanwaltschaften. Sie können bedeutende Motoren der Rechtsfortentwicklung sein und erlauben eine stetige reflektierte Rückkoppelung von abstrakter Rechtssetzung mit der gelebten staatsanwaltschaftlichen Praxis unter geregelten Rahmenbedingungen. Insofern erlauben Veröffentlichungen gem § 35a StAG ein laufendes Monitoring der Strafgesetzgebung auf ihre Effektivität, Treffsicherheit und Aktualität fern von sogenannten "Dienstbesprechungen".
Nicht zuletzt darf der beträchtliche qualitätssichernder Effekt nicht vernachlässigt werden, der mit der vorgeschlagenen Änderung verbunden ist. Zwar ist davon auszugehen, dass die Staatsanwaltschaften alle ihr zur Bearbeitung vorliegenden Fälle, gleichgültig ob berichtspflichtig oder nicht, mit größter Genauigkeit und Sorgfalt erledigen. Muss die Einstellung einer (berichtspflichtigen) Strafsache aber vor einer interessierten Öffentlichkeit im Wege einer Begründung "verteidigt" werden, so ist dies zwar mit erhöhtem Aufwand für die befassten Staatsanwält_innen verbunden. Dieser erhöhte Aufwand macht sich jedoch durch eine erhöhte argumentative Belastbarkeit und Glaubwürdigkeit der Entscheidung gewissermaßen "bezahlt". Dieser qualitätssteigernde Effekt ist vor Höchstgerichten täglich lebhaft zu beobachten. Was für bedeutende Fälle vor einem Höchstgericht gilt - in Casu eine öffentlich nachlesbare Begründung - sollte auch an der "Basis" der Strafrechtspflege gelten.
In Summe spricht somit vieles dafür, eine Veröffentlichungspflicht für die Staatsanwaltschaften gem § 35a für jene Verfahren einzuführen, die in besonderem Maße geeignet sind die Unabhängigkeit und Integrität der Staatsanwaltschaften in Frage zu stellen. Und das sind naturgemäß jene Fälle, denen § 8 StAG eine besondere Bedeutung beimisst und die Berichtspflicht auslöst, eben weil aufgrund der aufzuklärenden Straftat oder der Funktion des Verdächtigen im öffentlichen Leben ein besonderes öffentliches Interesse besteht oder in denen noch nicht hin reichend geklärte Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung zu beurteilen sind.
In formeller Hinsicht wird vorgeschlagen‚ diesen Antrag unter Verzicht auf die erste Lesung dem Justizausschuss zuzuweisen.