951/A(E) XXVII. GP

Eingebracht am 14.10.2020
Dieser Text wurde elektronisch übermittelt. Abweichungen vom Original sind möglich.

ENTSCHLIESSUNGSANTRAG

der Abgeordneten Michael Bernhard, Kolleginnen und Kollegen

betreffend Rechtsanspruch auf einen Kinderbetreuungsplatz ab dem 1. Kindergeburtstag

Bis zur vollständigen Gleichstellung von Frauen und Männern am Arbeitsmarkt ist es noch ein weiter Weg. Wenngleich die Erwerbstätigenquote von Frauen in Österreich stetig steigt, arbeitet nach wie vor fast jede zweite Frau in Österreich Teilzeit (vgl. Statistik Austria 2019). Während die Teilzeitquote im EU-Schnitt im letzten Jahr gesunken ist, ist sie in Österreich gestiegen. Betrug sie im Jahr 2015 rund 46,8 Prozent, so ist sie im Jahr 2019 auf 47,1 Prozent gestiegen (vgl. Eurostat). Bei Männern liegt dieser Prozentsatz bei ca. 10 Prozent (vgl. Eurostat).

Wesentlich ist aber nicht nur die Differenz zwischen Männern und Frauen, was Teilzeitbeschäftigungen angeht, sondern vor allem die Gründe dafür. Denn während Männer häufig ihr Stundenmaß reduzieren, um sich weiterzubilden, geben 38 Prozent der Frauen zwischen 15 und 59 Jahren an, ihre Arbeitszeit zu reduzieren, um Betreuungsaufgaben für Kinder oder pflegebedürftige Erwachsene wahrzunehmen. Bei den 15- bis 64-jährigen Männern geben nur fünf Prozent die Betreuung von Kindern oder pflegebedürftigen Erwachsenen als Beweggrund an (vgl. WIFO 2017). Diese Problematik wurde besonders durch die Corona Krise zum Vorschein gebracht. Durch die Aufgabe Beruf, Kinderbetreuung, Homeschooling, Partnerschaft und Familienalltag unter einen Hut zu bringen, wurden besonders Frauen vor große Herausforderungen gestellt. 

"Die Verfügbarkeit, Zugänglichkeit und Bezahlbarkeit hochwertiger Betreuungseinrichtungen für Kinder ist ein Schlüsselfaktor, der es Frauen, aber auch Männern mit Betreuungspflichten ermöglicht, am Erwerbsleben teilzunehmen. Eine hochwertige frühkindliche Betreuung, Bildung und Erziehung ist ferner ein wichtiges Instrument, um gegen eine mögliche soziale Benachteiligung von Kindern vorzugehen; darüber hinaus ist sie der kognitiven und sozialen Entwicklung von Kindern von frühem Alter an förderlich", folgert auch die EU-Kommission in ihrem Bericht zu den Barcelona-Zielen im Jahr 2018. 

Österreich hinkt, was zur Verfügung stehende Kinderbetreuungsplätze für unter Dreijährige betrifft, immer noch anderen EU-Staaten hinterher. EU-weit wurde das Barcelona-Ziel, wonach zumindest für jedes dritte Kind unter drei Jahren ein Betreuungsplatz zur Verfügung stehen soll, von zwölf Mitgliedstaaten erreicht – Österreich ist nicht darunter. Dieses Ziel hätte schon 2010 erreicht werden sollen.

Auch was Öffnungszeiten und Schließtage betrifft, ist die aktuelle Situation in Österreich nicht zufriedenstellend. Außerhalb Wiens hat mehr als die Hälfte aller Kinderbetreuungseinrichtungen mehr als fünf Wochen im Jahr geschlossen (51,2 Prozent) – das heißt, dass nicht einmal die Hälfte aller Kinderbetreuungseinrichtungen es Alleinerzieher_innen ermöglichen, erwerbstätig zu sein und keine private Kinderbetreuung organisieren zu müssen. Auch was die Öffnungszeiten der Kindertagesheime angeht, zeigt sich ein deutliches Stadt-Land-Gefälle: Knapp die Hälfte der Betreuungseinrichtungen außerhalb Wiens (47,2 Prozent) schließt bereits vor 16 Uhr, fast ein Drittel (rund 32 Prozent) sogar vor 15 Uhr. Knapp die Hälfte der Betreuungseinrichtungen in Österreich hat täglich weniger als acht Stunden geöffnet (vgl. Kindertagesheimstatistik, Statistik Austria).

Ein Ausbau von Kinderbetreuungs- und -bildungseinrichtungen ist vor allem auch dann geboten, wenn man flexiblere Arbeitszeitmodelle einführen möchte. Will man Arbeitnehmer_innen mehr Flexibilität ermöglichen, dann muss man auch Rahmenbedingungen schaffen, die die bestmögliche Aufteilung der vorhandenen Zeit sicherstellen. Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen kann nur unter der Bedingung funktionieren, dass bei Bedarf ausreichend Infrastruktur und Hilfe zur Verfügung steht. Dafür ist ein sicherer Platz in einer Kinderbetreuungseinrichtung Grundvoraussetzung. Auf diese Grundvoraussetzung haben auch die Sozialpartner in einer Pressekonferenz am 23.09.2020 aufmerksam gemacht. Sie fordern eine flächendeckende, flexible und günstige Kinderbetreuung in ganz Österreich mit ausreichend vielen Plätzen, insbesondere für unter Dreijährige. 

Ziel muss es sein, für jedes Kind einen Betreuungsplatz zur Verfügung zu stellen, und zwar ab dem ersten Kindergeburtstag. Durch einen so geschaffenen Rechtsanspruch entsteht kein Zwang für Arbeitnehmer_innen, ihr Kind frühestmöglich einer entsprechenden Betreuungseinrichtung zu überlassen. Es wird lediglich die Möglichkeit für all jene geschaffen, die Betreuungsplätze wollen oder brauchen. Dadurch gewährleisten wir ein hohes Maß an persönlicher Freiheit und Chancengerechtigkeit für alle. Sowohl für Kinder als auch für Eltern. Wenn eine Flexibilisierung der Arbeitszeiten mit einem Ausbau von Infrastruktur, die Eltern mehr Möglichkeiten bietet, diese Flexibilität auch bestmöglich für sich umzumünzen, einhergeht, erhöht sich die Lebensqualität.

Damit ein Rechtsanspruch auch sinnvoll ist, müssen Betreuungsplätze vor allem für unter Dreijährige weiter ausgebaut werden. Dem Ziel, mehr Betreuungseinrichtungen für alle Kinder zur Verfügung zu stellen, hat sich auch die Bundesregierung in ihrem Regierungsprogramm verschrieben: "Kinderbetreuung ist für uns als Bundesregierung eine klar partnerschaftliche Aufgabe und jedes Kind soll die beste Betreuung erhalten. Um die alltäglichen organisatorischen und finanziellen Herausforderungen meistern zu können, bedarf es hierzu aber auch der richtigen Rahmenbedingungen sowie genügend Angebot an Betreuung. Eltern müssen in ihrer wichtigen Aufgabe unterstützt werden. Weiters braucht es einen flächendeckenden Ausbau von qualitätsvoller Kinderbetreuung in Kindergärten." (Regierungsprogramm 2020-2024, S. 282) 

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgenden

ENTSCHLIESSUNGSANTRAG

 

Der Nationalrat wolle beschließen:

"Die Bundesregierung wird aufgefordert, einen Rechtsanspruch auf einen Kinderbetreuungsplatz für jedes Kind ab Vollendung des ersten Lebensjahres zu schaffen. Außerdem soll ein weiterer Ausbau von qualitätsvollen Kinderbetreuungs- und -bildungseinrichtungen, vor allem mit längeren Öffnungszeiten und weniger Schließtagen, sichergestellt werden."

In formeller Hinsicht wird die Zuweisung an den Ausschuss für Familie und Jugend vorgeschlagen.