Bundesministerium
Bundesministerium für Justiz
Geschäftszahl
BMJ-S617.001/0010-IV 2/2015
Genehmigungsdatum
30.12.2015
Inkrafttretensdatum
01.01.2016
Titel
Einführungserlass vom 30. Dezember 2015 zum Bundesgesetz, mit dem das JGG, das StGB und das BewHG geändert werden und mit dem ein Bundesgesetz, mit dem ein Bundesgesetz zur Tilgung von Verurteilungen nach §§ 129 l, 129 l lit. b, 500 oder 500a Strafgesetzbuch 1945 sowie §§ 209 oder 210 Strafgesetzbuch erlassen wird (JGG-ÄndG 2015)
Text
Am 9. Dezember 2015 hat der Nationalrat das Bundesgesetz, mit dem das JGG, das StGB und das BewHG geändert werden und mit dem ein Bundesgesetz, mit dem ein Bundesgesetz zur Tilgung von Verurteilungen nach §§ 129 I, 129 I lit. b, 500 oder 500a Strafgesetz 1945 sowie §§ 209 oder 210 Strafgesetzbuch erlassen wird (JGG-ÄndG 2015), beschlossen; der Bundesrat hat in seiner Sitzung vom 15. Dezember 2015 beschlossen, gegen den Gesetzesbeschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben.
Das JGG-ÄndG 2015 wurde am 28. Dezember 2015 als BGBl I Nr. 154/2015 kundgemacht.
Dem Erlass sind das Bundesgesetzblatt BGBl I Nr. 154/2015 (Blg./A), die Regierungsvorlage samt Erläuterungen (852 BlgNR XXV. GP, Blg./B und ./C) und der Bericht des Justizausschusses (929 BlgNR XXV. GP, Blg./D), der den Abänderungsantrag betreffend § 35a JGG beinhaltet, angeschlossen.
Das JGG-ÄndG 2015 tritt mit 1. Jänner 2016 in Kraft.
Das Bundesministerium für Justiz informiert im Folgenden über die wesentlichen Änderungen, wobei sich über die Gesetzesmaterialien hinausgehende Bemerkungen unvorgreiflich der unabhängigen Rechtsprechung verstehen.
Übersicht
I. Neuerungen im JGG
A. Allgemeines
B. Sanktionsbestimmungen für Jugendliche
1. § 5 Z 6a JGG – Härteklausel bei Wertersatzverfall
2. § 5 Z 11 – Zusammenrechnung von Wert- oder Schadensqualifikation
3. § 7 Abs. 3 – Diversion durch Gerichte. 3
4. § 8 – Zeitliche Voraussetzung der Diversion: Eigenschaft “Jugendlicher”
5. § 15 Abs. 1 – Spezialpräventive Erforderlichkeit für nachträglichen Strafausspruch
C. § 19 – Sanktionsbestimmungen für junge Erwachsene
D. §§ 17a, 35a und § 29e BewHG – Sozialnetzkonferenzen
E. § 27 Abs. 1 – Klare Regelung der Zuständigkeit des Geschworenengerichts
F. Haftrecht für Jugendliche
1. § 35 Abs. 1a – Untersuchungshaft in Verfahren vor dem Bezirksgericht
2. § 35 Abs. 1b – Keine bedingt obligatorische Festnahme und Untersuchungshaft
3. § 35 Abs. 3a – Fristensystem bei Untersuchungshaft nach Anklage
G. § 46 Abs. 1 und 2 – Kostentragung iZm sozialtherapeutischen Wohneinrichtungen
H. § 43 Abs. 1, § 47 Abs. 3 und 4, § 48 Z 1, §§ 49 und 50 – Jugendgerichtshilfe und Jugenderhebungen
I. § 46a – Verfahrensbestimmungen für junge Erwachsene
J. Strafvollzugsbestimmungen
1. § 52 – Strafaufschub zu Ausbildungszwecken. 9
2. § 58 Abs. 9 – Hausarrest
II. Tilgungsgesetz
Die wichtigsten Anliegen der Änderungen des JGG können wie folgt zusammengefasst werden:
Verstärkung des Ausnahmecharakters der Untersuchungshaft; (Untersuchungs-)Haft bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen muss der Ausnahmefall sein;
Schaffung gesetzlicher Grundlagen für die Sozialnetzkonferenzen (Haftentlassung und Untersuchungshaft);
Adaptierung der gesetzlichen Grundlage für Jugendgerichtshilfe und damit für deren österreichweiten Ausbau;
Annäherung der Sanktionspalette für junge Erwachsene an jene für Jugendliche, etwa durch Angleichung der Strafuntergrenzen.
Das zuletzt genannte Ziel kommt auch darin zum Ausdruck, dass die jungen Erwachsenen nun in den Titel des JGG aufgenommen wurden und das JGG in § 1 Z 5 erstmals eine Definition des Begriffs des jungen Erwachsenen enthält.
B. Sanktionsbestimmungen für Jugendliche
1. § 5 Z 6a JGG – Härteklausel bei Wertersatzverfall
In Anlehnung an die für Geldstrafen geltende Härteklausel in § 5 Z 6 beschränkt nun auch eine Härteklausel den Verfall in Fällen des § 20 Abs. 3 StGB, soweit also die dem Verfall unterliegenden Vermögenswerte nicht sichergestellt oder beschlagnahmt sind (Wertersatzverfall). Bei einer Entscheidung, dass Vermögenswerte, Nutzungen oder Ersatzwerte für verfallen erklärt werden, ist ganz oder zum Teil dann abzusehen, wenn sie den Verurteilten unbillig hart träfe.
2. § 5 Z 11 – Zusammenrechnung von Wert- oder Schadensqualifikation
Bisher gab es eine Divergenz in der Rechtsprechung, wie bei Wert- oder Schadensqualifikation zusammenzurechnen ist (§ 29 StGB), wenn eine Jugendstraftat und später begangene Taten zusammentreffen.
Bei allen Varianten, in denen das Gesetz eine niedrigere Strafdrohung für eine Jugendstraftat, z.B. nach § 5 Z 4, vorsieht, gilt erst dann die höhere Strafdrohung, wenn durch die Tat als (zumindest) junger Erwachsener alleine die Qualifikation überschritten wird.
3. § 7 Abs. 3 – Diversion durch Gerichte
Es ist nun auch in Jugendstrafsachen ein diversionelles Vorgehen durch die Gerichte ausdrücklich gesetzlich vorgesehen. Im JGG fehlte bisher eine solche Bestimmung; Praxis und Rechtsprechung gingen aber schon bisher davon aus, dass eine gerichtliche Diversion zulässig und vom Gesetzgeber erwünscht ist.
4. § 8 – Zeitliche Voraussetzung der Diversion: Eigenschaft “Jugendlicher”
Durch die Aufnahme der Formulierung „jugendliche“ bzw. „Jugendlicher“ in Abs. 1 bzw. Abs. 2 wird klargestellt, dass für die Eigenschaft „Jugendlicher“ auf den Entscheidungszeitpunkt abzustellen ist.
5. § 15 Abs. 1 – Spezialpräventive Erforderlichkeit für nachträglichen Strafausspruch
Die Nichtbefolgung einer Weisung oder das Entziehen aus dem Einfluss des Bewährungshelfers reicht künftig für sich allein noch nicht für einen nachträglichen Strafausspruch aus; es muss (wie bisher schon nach § 53 Abs. 2 StGB) spezialpräventive Erforderlichkeit hinzukommen.
C. § 19 – Sanktionsbestimmungen für junge Erwachsene
Mit § 19 wurde – ähnlich den besonderen Verfahrensbestimmungen für Strafsachen junger Erwachsener in § 46a – eine Bestimmung geschaffen, die die materiellen (Sanktions-) Bestimmungen für Strafsachen junger Erwachsener regelt. Damit einhergehend wurden die bisherigen Sonderbestimmungen der §§ 36 und 46 Abs. 3 StGB über Personen unter 21 Jahren in das JGG eingegliedert (§ 19 Abs. 1).
Die Höchststrafe für junge Erwachsene ist nun mit 15 Jahren Freiheitsstrafe festgelegt.
Es gelten nun für junge Erwachsene wie bei Jugendlichen:
a) die Regelungen zum Mindestmaß aller angedrohten zeitlichen Freiheitsstrafen (§ 5 Z 2 lit. a, 3 und 4);
b) die vorrangige Anwendung der Spezialprävention (§ 5 Z 1);
c) bei Wertersatzverfall ist darauf zu achten, dass dieser das Fortkommen nicht gefährdet (§ 5 Z 6a);
d) bedingte Nachsicht (§§ 43 und 43a StGB) ist auch möglich, wenn auf eine Freiheitsstrafe von mehr als zwei bzw. drei Jahren erkannt wird oder zu erkennen wäre (§ 5 Z 9);
e) die Bestimmungen über ein diversionelles Vorgehen (§ 7 und § 8 Abs. 1, 3 und 4) – ausgenommen ist demnach nur die Einschränkung bei der Erbringung gemeinnütziger Leistungen in § 8 Abs. 2;
f) die Regelungen über den Schuldspruch ohne (§ 12) und unter Vorbehalt der Strafe (§ 13) mit Berücksichtigung besonderer Gründe (§ 14, soweit er auf §§ 12 und 13 verweist);
g) die Bestimmung über einen nachträglichen Strafausspruch (§§ 15, 16);
h) die Regelungen über die bedingte Entlassung aus einer Freiheitsstrafe (§ 17);
i) Entlassungskonferenzen (§ 17a);
j) die vorzeitige Beendigung der Probezeit (§ 18);
k) die Zusammenrechnung von Wert- oder Schadensqualifikation (§ 19 Abs. 3 – analog § 5 Z 11).
D. §§ 17a, 35a und § 29e BewHG – Sozialnetzkonferenzen
Schon seit einiger Zeit konnten Haft- und Rechtsschutzrichter für den Fall der Verhängung der Untersuchungshaft über einen Beschuldigten nach § 179 StPO vorläufige Bewährungshilfe anordnen und Neustart mit der Ausrichtung einer Sozialnetzkonferenz beauftragen (siehe den Erlass vom 6. Oktober 2014, BMJ-S618.019/0001-IV 2/2014, eJABl. Nr. 7/2014).
Die Sozialnetzkonferenzen werden nun gesetzlich geregelt: Die grundlegende Bestimmung findet sich im BewHG (§ 29e). Die Sozialnetzkonferenzen „Untersuchungshaft“ und „Haftentlassung“ sind im JGG verankert worden.
Für eine Untersuchungshaftkonferenz (§ 35a) kommen Jugendliche und einer Jugendstraftat (§ 1 Z 3) verdächtige erwachsen Gewordene in Betracht, über die Untersuchungshaft verhängt wurde. Sinn der Untersuchungshaftkonferenz ist es, unter Mitwirkung der Jugendgerichtshilfe und der Jugendwohlfahrtsträger (im Rahmen ihrer gesetzlichen Aufgaben) entsprechende Entscheidungsgrundlagen für die bei Jugendlichen angeordnete strenge Subsidiaritäts- und Verhältnismäßigkeitsprüfung (§ 35 Abs. 1; vgl. Schroll in WK, 2. Auflage, JGG § 35 Rz 1 ff.) zu schaffen und aktiv darauf hinzuwirken, dass die Untersuchungshaft zugunsten der Anwendung gelinderer Mittel (§ 173 Abs. 5 StPO) aufgehoben werden kann.
Die Staatsanwaltschaften sollen künftig ganz im Sinne von § 35 Abs. 1 bei den in Frage kommenden Anwendungsfällen aktiv die Durchführung einer Untersuchungshaftkonferenz bei Gericht beantragen, um gerade bei dieser Gruppe von Beschuldigten die Anhaltung in Untersuchungshaft möglichst kurz zu halten.
Diese Sozialnetzkonferenz soll wesentlich dazu beitragen, dass der oder die Jugendliche auch in Zukunft keine Straftaten (mehr) begeht.
Sofern nicht ohnehin beabsichtigt ist, eine Untersuchungshaftkonferenz zu initiieren, ist jedenfalls eine Äußerung der Jugendgerichtshilfe darüber einzuholen, ob eine solche zweckmäßig ist.
Eine Entlassungskonferenz (§ 17a) kann bei wegen einer Jugendstraftat Verurteilten, die sich in Strafhaft befinden, im Rahmen der Entlassungsvorbereitung vom Anstaltsleiter initiiert werden. Mit ihr sollen die Grundlagen dafür geschaffen werden, dass eine Haftentlassung nach § 46 StGB und § 17 möglich ist.
E. § 27 Abs. 1 – Klare Regelung der Zuständigkeit des Geschworenengerichts
Bisher waren die Zuständigkeitsregelungen sehr unübersichtlich. Zusätzlich standen sie im Spannungsfeld zu jenen Bestimmungen des Budgetbegleitgesetzes 2009, mit dem der Anwendungsbereich der Geschworenengerichtsbarkeit eingeschränkt wurde.
Eine Zuständigkeit des Geschworenengerichts besteht nun nach dem neu gefassten § 27 Abs. 1
a) in Jugendstrafsachen und in Strafsachen wegen Straftaten, die vor Vollendung des 21. Lebensjahres begangen worden sind, wegen der im § 31 Abs. 2 Z 2 bis 12 StPO angeführten strafbaren Handlungen („politische Delikte“);
b) in Jugendstrafsachen überdies wegen Straftaten, die ein Jugendlicher nach Vollendung des 16. Lebensjahres begangen hat, bei einer Strafdrohung von einem bis zu 15 Jahren Freiheitsstrafe – somit besteht bei einem im Tatzeitpunkt noch nicht 16-Jährigen in Strafverfahren, die nicht „politische Delikte“ betreffen, keine Geschworenengerichtszuständigkeit mehr;
c) in Strafsachen wegen Straftaten, die vor Vollendung des 21. Lebensjahres begangen worden sind, überdies wegen Straftaten mit einer Strafdrohung von einem bis zu 15 Jahren Freiheitsstrafe.
Zur Zusammensetzung des Schöffengerichts
Grundsätzlich gelten weiterhin in Jugendstrafverfahren auch die allgemeinen Regelungen über die Zusammensetzung des Schöffengerichts.
Es ist aber auf § 32 Abs. 1b StPO idFd StRÄG 2015, BGBl. I Nr. 112/2015, hinzuweisen, wonach im Fall eines Verlangens des Angeklagten oder der Staatsanwaltschaft das Landesgericht als Schöffengericht stets mit zwei Richtern und zwei Schöffen zu besetzen ist (siehe RV 689 BlgNR XXV. GP, 50).
1. § 35 Abs. 1a – Untersuchungshaft in Verfahren vor dem Bezirksgericht
Untersuchungshaft darf in Verfahren gegen einen jugendlichen Beschuldigten ausnahmslos nicht mehr verhängt werden, sofern für das Hauptverfahren das Bezirksgericht zuständig wäre.
2. § 35 Abs. 1b – Keine bedingt obligatorische Festnahme und Untersuchungshaft
Bei Jugendlichen sind die Regelungen über die bedingt obligatorische Festnahme und die bedingt obligatorische Untersuchungshaft nicht mehr anzuwenden.
3. § 35 Abs. 3a – Fristensystem bei Untersuchungshaft nach Anklage
Haftfristen und Haftverhandlungen haben einen nicht zu unterschätzenden haftvermeidenden Effekt, weshalb sie im Jahr 1993 (BGBl Nr. 526/1993) eingeführt wurden.
Bei jugendlichen Angeklagten gelten nun auch nach Einbringen der Anklage Haftfristen.
Ab dem 1. Jänner 2016 sind bei jugendlichen Angeklagten die §§ 174 Abs. 4 (Haftfristen bei Beschwerde gegen die Verhängung der Untersuchungshaft) und 175 Abs. 5 StPO (keine Begrenzung der Haftfristen nach Einbringen der Anklage) nicht anzuwenden. Mit Einbringen der Anklage verlängert sich die jeweils laufende Haftfrist (§ 175 Abs. 2 StPO) um eine Woche. Die Rechtswirksamkeit der Anklageschrift (§§ 213 Abs. 4, 215 Abs. 6 StPO) oder die Anordnung der Hauptverhandlung nach § 485 Abs. 1 Z 4 StPO löst sodann eine Haftfrist von einem Monat aus; ab weiterer Fortsetzung der Untersuchungshaft beträgt die Haftfrist zwei Monate.
Beobachtungen zeigen, dass der Ermittlungsakt nach einem Antrag auf Verhängung der Untersuchungshaft im besten Fall eine Woche vor Ablauf der ersten Haftfrist von 14 Tagen zur Staatsanwaltschaft zurücklangt. Wird nun – entsprechend dem Beschleunigungsgebot – Anklage bei Gericht eingebracht, so kann es vorkommen, dass es dem erkennenden Gericht für die Vorbereitung der Haftverhandlung an der erforderlichen Zeit mangelt. Mit der Verlängerung der jeweils laufenden Haftfrist um eine Woche wird dieses Problem entschärft; zugleich wird jedoch an der begrenzenden Wirkung der Haftfristen festgehalten.
Läuft die Haftfrist vor dem Beginn der Hauptverhandlung ab, ist eine Haftverhandlung durchzuführen.
Keine Haftfristen mehr gelten ab der Zustellung der Urteilsausfertigung erster Instanz. Die Durchführung von weiteren Haftverhandlungen auch nach dem Zeitpunkt der Zustellung der Urteilsausfertigung trägt jedenfalls im Fall des Schuldspruchs zur Haftverkürzung kaum bei, weil dem Gericht nicht zugemutet werden kann, seine eigene Strafzumessung in Frage zu stellen. Im Sinne des Vorrangs der Sacherledigung in Haftsachen entfällt die Befristung mit dem Zeitpunkt der Zustellung der Urteilsausfertigung (dem Gericht bleibt es unbenommen, nach Verkündung des Urteils durch Ausspruch über die Fortsetzung der Untersuchungshaft – siehe auch § 284 Abs. 3 StPO – eine weitere Frist von zwei Monaten auszulösen).
Übergangsregelung
Für jugendliche Angeklagte, bei denen die Anklage vor dem 31. Dezember 2015 eingebracht wurde, bedeutet das aus Sicht des Bundesministeriums für Justiz – unvorgreiflich der unabhängigen Rechtsprechung – Folgendes:
In Verfahren, in denen bereits im Jahr 2015 eine Anklage eingebracht wurde, gilt gemäß § 175 Abs. 5 StPO idgF bis 31. Dezember 2015 keine Haftfrist. Aufgrund der ausdrücklichen Anordnung des § 35 Abs. 3a ist diese Bestimmung ab 1. Jänner 2016 nicht mehr anzuwenden, sodass die Haft grundsätzlich einer Befristung unterliegt. Mangels ausdrücklicher Anordnung des Gesetzgebers über das Ausmaß dieser Frist und ihren Lauf wird – in Lückenfüllung – fiktiv davon auszugehen sein, dass jene Frist zu Anwendung kommt, die bis zum Einbringen der Anklage gegolten hat und diese nach Unterbrechung durch Einbringen der Anklage bis zum 31. Dezember 2015 mit 1. Jänner 2016 weiterläuft. Damit kann sich die Notwendigkeit der rechtzeitigen Anberaumung einer Haftverhandlung (bzw. Hauptverhandlung) ergeben. Wird in dieser Haftverhandlung ein Beschluss auf Fortsetzung der Untersuchungshaft gefasst, so löst dieser die nächstfolgende Haftfrist (§ 175 Abs. 2 StPO) aus. Wurde also beispielsweise mit Beschluss vom 13. November 2015 die zweiwöchige Haftfrist ausgelöst und am 25. November 2015 Anklage eingebracht, so läuft die zweiwöchige Frist nach Unterbrechung am 1. Jänner 2016 weiter. Einbringung der Anklage nach dem 1. Jänner 2016 bzw. Rechtswirksamkeit der Anklage bzw. Anordnung der Hauptverhandlung nach § 485 Abs. 1 Z 4 StPO lösen sodann das besondere Fristensystem nach § 35 Abs. 3a zweiter und dritter Satz aus.
G. § 46 Abs. 1 und 2 – Kostentragung iZm sozialtherapeutischen Wohneinrichtungen
Bei jugendlichen Rechtsbrechern oder Beschuldigten trägt nun auch der Bund die Kosten, die durch eine Weisung verursacht werden, in einer sozialtherapeutischen Wohneinrichtung Aufenthalt zu nehmen.
Die Kostentragung kann auch bereits im Ermittlungsverfahren eintreten.
Nach § 46 Abs. 2 kann der Bundesminister für Justiz Verträge mit gemeinnützigen therapeutischen Einrichtungen abschließen. Bisher wurden bereits Verträge mit folgenden derartigen Einrichtungen abgeschlossen:
Verein Limes
Österreichische Jungarbeiterbewegung
menschen.leben
Diakonie Flüchtlingsdienst gemeinnützige GmbH
Institut für forensische Therapie
pro mente plus GmbH.
H. § 43 Abs. 1, § 47 Abs. 3 und 4, § 48 Z 1, §§ 49 und 50 – Jugendgerichtshilfe und Jugenderhebungen
1. Die bundesweit (ausgenommen die weiterhin bestehende Wiener Jugendgerichtshilfe) im Rahmen der Familien- und Jugendgerichtshilfe tätige Jugendgerichtshilfe ist im Lauf des Jahres 2015 schrittweise eingerichtet worden (siehe dazu weiterführend den Einführungserlass zur bundesweit tätigen Jugendgerichtshilfe vom 23. Jänner 2015, BMJ-S618.015/0001-IV 2/2015, eJABl Nr. 8/2015; eine Überarbeitung dieses Erlasses wird im Jahr 2016 erfolgen) und ist an den meisten Standorten bereits im Vollbetrieb.
In Vorarlberg – wo bisher Jugenderhebungen über Jugendliche von Neustart durchgeführt worden sind – erfolgt der Aufbau der Jugendgerichtshilfe im Rahmen der Familien- und Jugendgerichtshilfe im Lauf des ersten Halbjahres 2016. Bis dies operativ ist, können in Vorarlberg Aufträge zur Durchführung von Jugenderhebungen in Verfahren gegen Jugendliche und junge Erwachsene noch an Neustart erteilt werden.
Ab tatsächlicher Aufnahme des Betriebes am jeweiligen Standort der Familien- und Jugendgerichtshilfe sind Aufträge zur Durchführung von Jugenderhebungen nur mehr an diese zu richten. Diese Jugenderhebungsberichte decken auch die Frage ab, ob Bewährungshilfe anzuordnen ist (vgl. § 15 BewHG).
Die bundesweit tätige Jugendgerichtshilfe führt Jugenderhebungen im Auftrag der Staatsanwaltschaften und/oder Gerichte durch; aus eigenem wird Haftentscheidungshilfe und Krisenintervention geleistet.
2. Die gesetzlichen Bestimmungen über die Jugendgerichtshilfe sind überarbeitet sowie an die für die Familiengerichtshilfe geltenden Bestimmungen des AußStrG und an die bestehende organisatorische Situation angepasst worden (z.B. Aufnahme der JugendgerichtshelferInnen über die Justizbetreuungsagentur).
In den §§ 43 Abs. 1 und 48 Z 1 ist der Verfahrensablauf bei der Durchführung von Jugenderhebungen geregelt.
I. § 46a – Verfahrensbestimmungen für junge Erwachsene
1. Die besondere Eignung, die Richter und Staatsanwälte für Jugendstrafsachen aufweisen müssen (§ 30), ist nun auch in Verfahren gegen junge Erwachsene Voraussetzung (§ 46a Abs. 1).
2. Neben den schon bisher für junge Erwachsene geltenden Bestimmungen gelten nun auch folgende weitere für diese (§ 46a Abs. 2):
a) Ausschluss der bedingt-obligatorischen Festnahme bzw. Untersuchungshaft (§ 35 Abs. 1b) und
b) Untersuchungshaftkonferenzen (§ 35a).
1. § 52 – Strafaufschub zu Ausbildungszwecken
Dieser ist nun bei einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren zulässig (bisher: bis zu einem Jahr).
Das Europäische Komitee zur Verhütung von Folter, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafen (CPT) hatte die bisherige Regelung des Hausarrests kritisiert, weil die Anhaltung in Einzelhaft oder Hausarrest besonders für Jugendliche massive Folgen haben kann.
Um dieser Kritik Rechnung zu tragen, wurde die zeitliche Befristung des Hausarrests im Jugendstrafvollzug von zwei Wochen auf eine Woche reduziert.
Das Gesetz leistet der Entscheidung des EGMR vom 7. November 2012 in den Beschwerdesachen BNr. 31913/07 u.a., mit der eine Verletzung von Art. 14 iVm 8 EMRK und 13 EMRK dadurch festgestellt wurde, dass Verurteilungen nach § 209 StGB (aF) weiterhin im Strafregister aufscheinen würden, Folge und ermöglicht die Tilgung von Verurteilungen nach §§ 129 I, 129 I lit. b, 500 oder 500a Strafgesetz 1945 (StG) sowie §§ 209 oder 210 StGB, insoweit sie Handlungen erfassten, die bei verschiedengeschlechtlicher Begehung nicht strafbar waren.
Die Tilgung erfolgt unabhängig davon, ob andere Verurteilungen vorliegen. Sind in einer Verurteilung Straftaten nach § 1 mit Straftaten anderer Art gemäß § 28 StGB zusammengetroffen, bleiben die Schuldsprüche wegen dieser von der Tilgung unberührt. Die Höhe der verhängten Strafe ist in sinngemäßer Anwendung der § 31a Abs. 1 StGB, § 410 StPO herabzusetzen.
Die Tilgung ist nur zulässig, so sie nicht zu einer Verlängerung der Tilgungsfrist oder anderen tilgungsrechtlichen Nachteilen führt. Dies ist etwa dann der Fall, wenn die Tilgung einer Verurteilung die nur durch dieses Urteil begründete Einheit zwischen Vorverurteilungen aufhebt und dadurch eine Verlängerung der Tilgungsfrist der übrigen Verurteilungen bewirkt.
Voraussetzung für die Tilgung ist ein Antrag des Verurteilten, eines Angehörigen (§ 72 StGB) oder der Staatsanwaltschaft. Die Staatsanwaltschaft hat die Tilgung jedenfalls zu beantragen, wenn für den Verurteilten keine tilgungsrechtlichen Nachteile zu erwarten sind. Der Antrag hat die Verurteilung, deren Tilgung begehrt wird, zu bezeichnen und das Vorliegen der Voraussetzungen einer Tilgung nach § 1 zu begründen.
Über die Tilgung einer Verurteilung und die Herabsetzung einer Strafe entscheidet der Einzelrichter des Landesgerichts, das in erster Instanz erkannt hat oder in dessen Sprengel das Gericht liegt oder lag, das in erster oder einziger Instanz entschieden hat, in nichtöffentlicher Sitzung. Im Fall der Tilgung mehrerer Verurteilungen erkennt jenes Gericht, das für die Tilgung der letzten Verurteilung zuständig wäre. Vor der Beschlussfassung sind die Staatsanwaltschaft und der Verurteilte zu hören, sofern diese die Tilgung nicht selbst beantragt haben.
Gegen den Beschluss über Tilgungsanträge ist Beschwerde zulässig, wobei dieser aufschiebende Wirkung zukommt. Ein Angehöriger darf jedoch nur dann Beschwerde erheben, wenn seinem Antrag nicht in vollem Umfang stattgegeben wurde.