1079 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XXVII. GP
Bericht
des Unterrichtsausschusses
über den Antrag 1929/A(E) der Abgeordneten Mag. Dr. Maria Theresia Niss, MBA, Mag. Sibylle Hamann, Mag. Martina Künsberg Sarre, Kolleginnen und Kollegen betreffend Abbau von Genderstereotypen in Arbeits- und Lehrmaterialien, insbesondere Schulbüchern sowie
über den Antrag 1603/A(E) der Abgeordneten Mag. Martina Künsberg Sarre, Kolleginnen und Kollegen betreffend Geschlechtersensible Evaluierung von Lern- und Lehrmaterialien
Antrag 1929/A(E)
Die Abgeordneten Mag. Dr. Maria Theresia Niss, MBA, Mag. Sibylle Hamann, Mag. Martina Künsberg Sarre, Kolleginnen und Kollegen haben den gegenständlichen Entschließungsantrag am 22. September 2021 im Nationalrat eingebracht und wie folgt begründet:
„Leider finden sich noch immer Genderstereotypen in Arbeits- und Lehrmaterialien, insbesondere in Schulbüchern. Um von Anfang an in der schulischen Bildung darauf zu achten, dass Genderstereotypen weder bewusst noch unbewusst vermittelt werden, muss bei den Lehrmaterialien und bei der Aus- und Fortbildung der Pädagoginnen und Pädagogen angesetzt werden.
Im Zuge der Lehrplanüberarbeitung kommt es in den nächsten Monaten und Jahren zu einer verpflichtenden Überarbeitung der Schulbücher. Diese Chance wollen wir nutzen! In den neuen Lehrplänen muss die Einengung auf klassische Rollenbilder und Genderstereoptypen überwunden werden. Auch soll bei Burschen das Interesse für soziale Berufe im Bereich Pflege, Betreuung und Pädagogik geweckt werden. Vor allem ist es unser Ziel, dass Berufsfelder, z.B. im MINT-Bereich, mit hohen Job- und Einkommenschancen jungen Mädchen vermehrt offen stehen (Siehe u.a. Projektbericht Research Report, „MINT-Interesse bei Kindern steigern“, Dezember 2020) und die Berufswahl von jungen Menschen frei von vorhandenen Geschlechternormen getroffen wird. Dazu soll bei der Besetzung von Gutachterkommissionen iSd § 15 SchUG auf ausreichende Gendersensibilität durch eine Verankerung in den Auswahlkriterien für die Kommissionsmitglieder geachtet werden. Dadurch kann sichergestellt werden, dass in den Unterrichtsmaterialen zeitgemäße Rollenbilder verankert werden.
Darüber hinaus wäre es wichtig, in der Fort- und Weiterbildung der Pädagoginnen und Pädagogen sicherzustellen, dass auf die (auch unbewusste) Vermeidung von Genderstereotypen (bspw. in Übungsbeispielen oder Hausaufgaben) geachtet wird. (Die Umsetzung der gesetzlichen Verankerungen im Sinne des § 9 HG wäre in den Ressourcen-, Ziel- und Leistungsplänen der Pädagogischen Hochschulen sicherzustellen.) Dafür bedarf es einer Sensibilisierung aller im Bildungsbereich tätigen Personen.“
Antrag 1603/A(E)
Die Abgeordneten Mag. Martina Künsberg Sarre, Kolleginnen und Kollegen haben den gegenständlichen Entschließungsantrag am 19. Mai 2021 im Nationalrat eingebracht und wie folgt begründet:
„Österreich ist nach wie vor ein sehr wertekonservatives Land, mit ausgeprägten traditionellen Rollenbildern und konservativen Familienvorstellungen. Kindererziehung und Kinderbetreuung ist in Österreich selbst bei gut ausgebildeten Frauen immer noch Frauensache und stellt einen großen Einschnitt in weibliche Karrieren dar.
Zu bedenken gilt: Geschlechtsvorstellungen bilden sich bereits in der frühen Kindheit, im Alter von zwei, drei Jahren aus. Kinder fangen an zu begreifen, was ein Junge und was ein Mädchen ist. Gleichzeitig sind in diesem Alter Bilderbücher omnipräsent und die Figuren darin haben Vorbildcharakter. Wenn immer süße Prinzessinnen oder tollkühne Helden abgebildet sind, hat das einen subjektivierenden Effekt.
Eine Datenanalyse von mehr als 50 000 Kinderbüchern der SZ, bei der auch der Elementarpädagoge Lars Burghardt, Uni Bamberg, in Kitas dazu geforscht hat, ergab:
6000 Figuren aus Bilderbüchern, die in Kitas verwendet werden, wurden untersucht.
Das Geschlechterverhältnis bei den Protagonisten gleicht sich allmählich an.
Der Großteil des Bilderbuchmarkts ist jedoch immer noch von Stereotypen durchzogen.
Bei 6000 Figuren zum Beispiel keine Alleinerziehenden oder Menschen mit Behinderung gefunden.
https://www.sueddeutsche.de/kultur/kinder-bilderbuch-kinderbuch-stereotyp-1.4279054
Und auch in Österreichs Schulen halten sich Geschlechterstereotype hartnäckig.
„Mädchen können kein Mathe und Jungs lesen nicht“ – solche stereotypen Annahmen sind allgegenwärtig und werden von Kindheit an verstärkt. Tatsächlich haben große Schulleistungsstudien wiederholt bessere Mathematikleistungen für Jungen und bessere Leseleistungen für Mädchen gezeigt. Während die Unterschiede zwischen Jungen und Mädchen in Mathematik und Physik in den letzten Jahren geringer werden, haben Mädchen nach wie vor einen deutlichen Vorsprung in sprachlichen Fächern, wie es auch die letzten PISA-Studien für die Lesekompetenz in den OECD-Staaten gezeigt haben.
Wenn Lehrkräfte sich bspw. im Lesen mehr mit den Mädchen als mit den Jungen auseinandersetzen, kann sich das unterschiedlich auf die Motivation zu lesen oder auf die Leseleistung von Schülerinnen und Schülern auswirken.
Eine Lehrkraft, die höhere Erwartungen an die Leseleistung von Mädchen als von Jungen hat, gibt den Mädchen vermehrt Aufgaben, die herausfordernder sind, und schenkt ihnen mehr Aufmerksamkeit.
„self-fulfilling prophecy“: Eine Erwartung, die eine Lehrkraft an eine bestimmte Schülerin oder einen bestimmten Schüler hat, wird durch das entsprechende (auch unbewusste) Verhalten der Lehrkraft gegenüber dieser Schülerin oder diesem Schüler wahr.
Erwartungen der Eltern beeinflussen ebenfalls den schulischen Erfolg, sie gelten als die erste und wichtigste Sozialisationsinstanz für Kinder, bevor sie die Schule besuchen.
Doch auch die Rolle der Schule spielt eine wichtige Rolle. Schule ist nicht nur ein Ort des Wissenserwerbs – Schule ist ein soziales Umfeld der Identitätsentwicklung, in dem Kinder ein Verständnis dafür entwickeln, wer sie sind.
Wenn Lehrkräfte Mädchen im Lesen favorisieren, schneiden Buben schlechter ab.
Wenn die Kinder in einer Klasse denken, dass Buben schlechter lesen als Mädchen, hat das vor allem Konsequenzen für die Buben. Diese sind dann weniger motiviert und glauben weniger an ihre eigenen Lesefähigkeiten.
Geschlechterstereotype spielen demnach eine zentrale Rolle in der Entwicklung und Aufrechterhaltung von schulischen Geschlechterunterschieden spielen, da sie unter anderem die Erwartungen und das Verhalten von Eltern, Lehrkräften und Klassenkameradinnen und -kameraden bestimmen.
Geschlechterstereotype führen zu ungenutzten Chancen für Mädchen und Jungen
Geschlechterstereotype auch in österreichischen Schulbüchern:
Ein Artikel zu Schulbuchanalyse am Institut für Geografie und Wirtschaftskunde, Uni Wien, zeigt auf, wie Männlichkeit und Weiblichkeit in den fünf am häufigsten verwendeten Geographie- und Wirtschaftskundeschulbüchern des Schuljahres 2014/15 der 7. und 8. Schulstufe in Österreich konstruiert werden. Die Ergebnisse der Diskursanalyse zeigen, dass Männer die Norm bilden, welcher sich Frauen anpassen sollen. Es existiert nach wie vor eine binäre Darstellung der Geschlechtsidentitäten, durch die klischeehafte Rollenbilder tradiert werden.
In den GW-Schulbüchern werden fast durchgängig geschlechterspezifische, stereotype Klischees und Rollenbilder perpetuiert. Durch die Unterrepräsentation von Frauen in der Sprache, die Konnotation von Frauen mit Haushalt und Kindererziehung auf Bildern sowie durch die häufig fehlende Darstellung der weiblichen Personen in Texten, wird ein Bild von Weiblichkeit und Männlichkeit konstruiert, welches nicht dem Gedanken der Gleichbehandlung und Gleichstellung aller Menschen, unabhängig von deren Geschlechtsidentität, entspricht (vgl. Butler 2015: 67 ff.). Damit wird von Schulbuchautorinnen und -autoren eine Chance vergeben, einen wichtigen Schritt in Richtung Gleichberechtigung und Chancengleichheit zu setzen. Zum Beispiel:
In neun von zehn Schulbüchern werden mehr Männer als Frauen abgebildet. Der prozentuelle Anteil der Männer auf Abbildungen liegt in den Schulbüchern je zwischen 55% und 66%
In den Schulbüchern werden 101 Personen im Kontext von Erziehung und Haushalt dargestellt, wobei es 70 Frauen und 31 Männer sind. Daraus ergibt sich, dass in neun von zehn Büchern Frauen häufiger im Kontext von Erziehung, Kindern und Haushalt abgebildet werden als Männer.
Eine ähnliche Repräsentation findet sich in „Faszination Erde 4 (2014)“, in welchem 20 Frauen und sieben Männer im Kontext von „Erziehung und Haushalt“ abgebildet werden. Das sind 29% aller abgebildeten weiblichen Personen und 7% der männlichen Personen im Schulbuch.
In Faszination Erde 3 (2015) werden nur drei Frauen in diesen Zusammenhang gebracht, jedoch keine Männer.
https://austriaca.at/0xc1aa5576_0x003a581a.pdf
Der Unterrichtsausschuss hat den Entschließungsantrag 1603/A(E) in seiner Sitzung am 9. Juni 2021 erstmals in Verhandlung genommen. An der Debatte beteiligten sich außer der Berichterstatterin Abgeordneten Mag. Martina Künsberg Sarre die Abgeordneten Mag. Sibylle Hamann, Eva Maria Holzleitner, BSc und Mag. Dr. Maria Theresia Niss, MBA sowie der Bundesminister für Bildung, Wissenschaft und Forschung Dr. Heinz Faßmann. Anschließend vertagte der Unterrichtsausschuss mit Mehrheit (dafür: V, G, dagegen: S, F, N) die Beratungen.
Der Unterrichtsausschuss hat den Entschließungsantrag 1929/A(E) in seiner Sitzung am 5. Oktober 2021 in Verhandlung genommen und gleichzeitig die Beratungen über den Entschließungsantrag 1603/A(E) fortgesetzt. An der Debatte beteiligten sich außer der Berichterstatterin für den Entschließungsantrag 1929/A(E) Abgeordneter Mag. Sibylle Hamann die Abgeordneten Mag. Dr. Maria Theresia Niss, MBA, Nurten Yılmaz, Mag. Martina Künsberg Sarre sowie der Bundesminister für Bildung, Wissenschaft und Forschung Dr. Heinz Faßmann.
Bei der Abstimmung wurde der gegenständliche Entschließungsantrag der Abgeordneten Mag. Dr. Maria Theresia Niss, MBA, Mag. Sibylle Hamann, Mag. Martina Künsberg Sarre, Kolleginnen und Kollegen mit Stimmenmehrheit (für den Antrag: V, S, G, N, dagegen: F) beschlossen.
Der Entschließungsantrag 1603/A(E) gilt als miterledigt.
Zur Berichterstatterin für den Nationalrat wurde Abgeordnete Mag. Sibylle Hamann gewählt.
Als Ergebnis seiner Beratungen stellt der Unterrichtsausschuss somit den Antrag, der Nationalrat wolle die angeschlossene Entschließung annehmen.
Wien, 2021 10 05
Mag. Sibylle Hamann Mag. Dr. Rudolf Taschner
Berichterstatterin Obmann