Erläuterungen

I. Allgemeiner Teil

Die „großen Kronzeugenregelungen“ der § 209a und § 209b StPO traten erstmals mit dem Bundesgesetz BGBl. I Nr. 108/2010 („Strafrechtliches Kompetenzpaket“) vorläufig für einen Zeitraum von sechs Jahren ab 1.1.2011 in Kraft. Von BM aD Univ.-Prof. Dr. Brandstetter wurde im Jahr 2016 eine Arbeitsgruppe mit hochrangigen Expert:innen eingesetzt, die unter Einbeziehung rechtsvergleichender Aspekte einen Vorschlag für eine Überarbeitung erstellte, der in das Strafprozessrechtsänderungsgesetz II 2016, BGBl. I Nr. 121/2016, Eingang fand und zu einigen wesentlichen Änderungen, insbesondere auch hinsichtlich der erforderlichen Voraussetzungen für die Erlangung der Kronzeugeneigenschaft und in Bezug auf die Rechtssicherheit des Kronzeugen führte.

Die Änderungen der § 209a und § 209b StPO idF BGBl. I Nr. 121/2016 sind am 1.1.2017 in Kraft getreten. Da die Anwendungsfälle ursprünglich nicht ausgereicht hatten, um die tatsächliche Wirkung der Kronzeugenregelung auf die Aufklärung von gewichtigen Korruptions- und Wirtschaftsstrafsachen ohne Beeinträchtigung grundrechtlich gesicherter Positionen anderer Verfahrensbeteiligter abschließend beurteilen zu können, wurde von einer endgültigen Übernahme in den Rechtsbestand vorerst Abstand genommen und die Geltung neuerlich bis 31. Dezember 2021 befristet, wobei rechtzeitig davor eine Evaluierung der praktischen Anwendung der Bestimmungen und ihrer Effizienz stattfinden sollte.

Zu diesem Zweck wurden im Jahr 2020 ausgewählte Stakeholder (justizinterne, darunter alle Gerichte und Staatsanwaltschaften, und externe Stellen, insb. die Bundeswettbewerbsbehörde, der Bundeskartellanwalt sowie die Universitätsprofessor:innen, die an der Expert:innengruppe im Jahr 2016 mitgewirkt haben) zur Stellungnahme im Hinblick auf die Evaluierung der Kronzeugenregelung eingeladen und die bislang zur Anwendung bzw. Prüfung gekommenen Fälle gesammelt einer integrativen Analyse unterzogen. Vorweggenommen werden darf, dass die Evaluierung einhellig ergeben hat, dass auf die Kronzeugenregelungen nicht verzichtet werden kann und diese als generell positiv bewertet werden.

Darüber hinaus ist der Weiterbestand von Kronzeugenregelungen auch aufgrund europarechtlicher bzw. internationaler Vorgaben erforderlich: So haben nach dem Übereinkommen über die Bekämpfung der Bestechung ausländischer Amtsträger im internationalen Geschäftsverkehr (OECD-Anti-Bestechungs-Konvention) „alle Länder eine gemeinsame Verantwortung […], Bestechung im internationalen Geschäftsverkehr zu bekämpfen.“ Mit der Ratifizierung der OECD-Anti-Korruptionskonvention verpflichtete sich Österreich, mit den Vertragsparteien der Konvention zusammenzuarbeiten, um ausländische Bestechung zu bekämpfen. Eine immer wichtiger werdende Säule dieser Bekämpfung stellen sogenannte „non-trial resolutions“ oder „Settlements“ dar, die zu einer der wichtigsten Methoden zur Bekämpfung von schweren Wirtschaftsdelikten, einschließlich der Bestechung ausländischer Amtsträger:innen, geworden ist. Die Umsetzung dieser Empfehlung gelang mit der Einführung des § 209a StPO und soll nunmehr weiter ausgebaut werden. Zu § 209b StPO besteht nunmehr mit Art. 23 der Richtlinie 2019/1/EU zur Stärkung der Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten im Hinblick auf eine wirksamere Durchsetzung der Wettbewerbsvorschriften und zur Gewährleistung des reibungslosen Funktionierens des Binnenmarkts, ABl. Nr. L 11 vom 14.01.2019 S. 3 (sog: Richtlinie ECN+; in weiterer Folge „Richtlinie (EU) 2019/1“) eine europarechtliche Verpflichtung, wobei § 209b StPO sogar als Vorbild für den Referenzartikel dieser Richtlinie diente.

In mehreren sowohl im Rahmen der Evaluierung als auch der Begutachtung erstatteten Stellungnahmen wurde thematisiert, dass finanzielle Nachteile geeignet seien, potenzielle Kronzeugen von einem entsprechenden Herantreten an die Behörden abzuhalten. Besserstellungen im finanziellen Bereich sind allerdings auch nach neuerlicher eingehender Prüfung insb. aufgrund der Notwendigkeit der Gläubigergleichbehandlung schwer zu argumentieren, weshalb von einer Berücksichtigung dieser Forderung weiterhin Abstand genommen wurde. Darüber hinaus wurde in mehreren Stellungnahmen der im Ministerialentwurf vertretenen Meinung, dass die Regelungen hinsichtlich der Verbände besser im Verbandsverantwortlichkeitsgesetz (VbVG) statt in der StPO zu verorten wären (§ 209a Abs. 7 StPO, allenfalls Regelung im Sinne des § 209b Abs. 3 StPO idF BGBl. I Nr. 108/2010), weil eine Überleitung der Verbandsregelungen dem System des VbVG und der StPO gerecht werden und darüber hinaus zu einer verbesserten Anwendbarkeit in der Praxis führen würde, zugestimmt. Eine solche Überleitung könnte im Zuge der im Regierungsprogramm vorgesehenen Überarbeitung des VbVG diskutiert werden.

Mit dem vorliegenden Entwurf sollen eine leichtere Handhabbarkeit der Kronzeugenregelung in der Praxis und eine richtlinienkonforme Umsetzung der RL (EU) 2019/1 bewirkt werden, und zwar durch:

-       Einbeziehung der Kriminalpolizei in den Kreis der Behörden, an die der Kronzeuge/die Kronzeugin gemäß § 209a Abs. 1 StPO herantreten kann;

-       Fokussierung der Regelung des § 209b StPO auf den Beitrag des Unternehmens zur Aufklärung einer Zuwiderhandlung im Sinne von § 11b Abs. 1 Z 3 Wettbewerbsgesetz und die aktive Mitwirkung der einzelnen Mitarbeiter:innen daran sowie Setzen weiterer Anreize zur möglichst frühen Wissensoffenbarung durch diese.

Es wird zudem vorgeschlagen, die befristete Geltung um weitere sieben Jahre zu verlängern, um die Auswirkung der nunmehr adaptierten „Kronzeugenregelungen“ im Rahmen einer neuerlichen aussagekräftigen begleitenden Evaluierung insbesondere im Hinblick auf deren Attraktivität für potentielle Kronzeugen und auf die Verfahrensdauer auf einer breiteren Grundlage effektiv überprüfen zu können. Gleichzeitig soll in diesem Zeitraum die Überführung bzw Einfügung der Regelungen hinsichtlich der Verbände in das Verbandsverantwortlichkeitsgesetz (VbVG) statt deren Beibehaltung bzw. (Wieder)Einführung in der StPO im Zuge der im Regierungsprogramm vorgesehenen Überarbeitung des VbVG diskutiert werden.

Kompetenzgrundlage:

Die Zuständigkeit des Bundes zur Erlassung dieses Bundesgesetzes ergibt sich aus Art. 10 Abs. 1 Z 6 B-VG (Strafrechtswesen)

Besonderheiten des Normerzeugungsverfahrens:

Keine.

Verhältnis zu Rechtsvorschriften der Europäischen Union:

§ 209b des Entwurfs dient der Umsetzung der Richtlinie (EU) 2019/1.

II. Besonderer Teil

Zu Z 1 (§ 209a StPO)

Mit der im Begutachtungsverfahren überwiegend begrüßten vorgeschlagenen Änderung in § 209a Abs. 1 StPO soll die Möglichkeit eröffnet werden, an die Staatsanwaltschaft oder die Kriminalpolizei heranzutreten, anstelle wie bisher nur an die Staatsanwaltschaft. Die Stellungnahmen im Rahmen der Evaluierung hatten aufgezeigt, dass Unklarheiten aufgetreten sind, ob auf Grundlage des geltenden Gesetzestextes (§ 209a StPO idF BGBl. I Nr. 121/2016) auch ein Herantreten an Kriminalpolizei reiche.

Konkret stellten sich bereits derartige Konstellationen als problematisch heraus (s. etwa Entscheidung des OGH zu 14 Os 108/20v, in der der OGH das freiwillige Herantreten des Beschwerdeführers an die Staatsanwaltschaft als Erfordernis festhielt), in denen ein bloßes Herantreten an die Kriminalpolizei – aufgrund der derzeitigen Rechtslage – eben nicht ausreichte. Tritt nach der geltenden Rechtslage nämlich ein potentieller Kronzeuge bloß an die Kriminalpolizei aktiv heran und koordiniert diese daraufhin das weitere Vorgehen nicht unverzüglich mit der Staatsanwaltschaft, reicht dies expressis verbis auch nicht aus, um die Kronzeugenregelung anzuwenden. Ein funktionierendes Vorgehen hängt daher maßgeblich mit ausreichenden Schulungen der und Belehrungen durch die Kriminalpolizei über die Möglichkeit des § 209a StPO zusammen, was bei nicht erfolgter oder mangelnder Belehrung und Koordination der Kriminalpolizei zulasten des Beschuldigten gehen kann.

Zur Vermeidung solcher unbilligen Ergebnisse soll daher ein initiatives Herantreten auch an die Kriminalpolizei ermöglicht werden. Das weitere Verfahren soll aber weiterhin in den Händen der Staatsanwaltschaft verbleiben (§ 209a Abs. 2 ff. StPO).

Zu Z 2 (§ 209b StPO)

Vorauszuschicken ist, dass eine Regelung, wie sie § 209b StPO vorsieht, auch aufgrund unionsrechtlicher Vorhaben beibehalten werden muss (Art. 23 der Richtlinie (EU) 2019/1).

Die Änderung des Verweises auf § 11b Abs. 1 Z 3 (statt Z 1) Wettbewerbsgesetz stellt eine bloß formale Folgeanpassung aufgrund der Änderungen durch das Bundesgesetz, mit dem das Kartellgesetz 2005 und das Wettbewerbsgesetz geändert werden (Kartell- und Wettbewerbsrechts-Änderungsgesetz 2021 – KaWeRÄG 2021) dar. Ebenso soll künftig formal in Übereinstimmung mit § 11b Abs. 3 Wettbewerbsgesetz auf ein Vorgehen der Bundeswettbewerbsbehörde nach § 11b Abs. 1 oder 2 des Wettbewerbsgesetzes abgestellt werden.

Im Zuge der Evaluierung wurden mehrere positive Aspekte der derzeitigen Regelung betont (z. B. habe sich das Kriterium des „Gewicht[s] des Beitrags zur Aufklärung der Zuwiderhandlung“ und der Gesetzesbegriff „unverhältnismäßig“ in § 209b StPO bewährt, weiters solle die Flexibilität der Zusammenarbeit zwischen der Bundeswettbewerbsbehörde und dem Bundeskartellanwalt beibehalten werden).

Mit den vorgeschlagenen Änderungen in § 209b Abs. 1 StPO soll der Fokus auf den Beitrag der individuellen Mitarbeiter:innen gelegt werden, auch um dadurch einen besseren Gleichklang mit Art. 23 der RL (EU) 2019/1 zu erreichen. In einer Stellungnahme im Zuge der Evaluierung im Jahr 2020 wurde dargelegt, dass es zweckmäßig wäre, in § 209b Abs. 1 StPO nicht wie derzeit (im Weg des Verweises auf § 11 Abs. 1 und 2 WettbG) vordringlich auf das Gewicht des Beitrags des Unternehmens zur Aufklärung der Zuwiderhandlung, sondern zusätzlich auch auf jenen der einzelnen Mitarbeiter:innen zur Aufklärung der Zuwiderhandlung abzustellen. Dies würde bereits dem Bundeskartellanwalt die Möglichkeit eröffnen, zwischen dem Tatbeitrag der einzelnen Mitarbeiter:innen zu differenzieren, sodass § 209b StPO (nur) den „kooperativen“ Mitarbeiter:innen, nicht aber jenen, die eine Zusammenarbeit mit der BWB verweigert haben, zu Gute kommt. Damit würde ein Anreiz für die Mitarbeiter:innen des um Kronzeugenstatus ersuchenden Unternehmens geschaffen, möglichst früh, nämlich schon bevor der Bundeskartellanwalt seine Verständigung verfasst, ihr gesamtes Wissen zu offenbaren. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass der Bundeskartellanwalt Mitteilungen nach § 209b Abs. 1 StPO zwangsläufig erst nach dem Abschluss der Ermittlungen der BWB zu einem bestimmten Unternehmen, also zu einem recht späten Zeitpunkt im Verfahren, verfasst. Da eine solche Mitteilung in einem parallelen Strafverfahren zu berücksichtigen ist, kann das Ermittlungsverfahren erst nach dem Einlangen der Mitteilung des Bundeskartellanwalts und nach der Offenbarung der Tatsachen abgeschlossen werden. Je früher jedoch die Mitarbeiter:innen ihr gesamtes Wissen offenbaren, desto rascher und effizienter können die Strafverfahren (insb. wegen § 168b StGB, um die es sich in der Regel handelt) geführt und abgeschlossen werden. Erfolgt nämlich die vollständige Wissensoffenbarung eines Mitarbeiters/einer Mitarbeiterin erst mit Blick auf die mögliche Verfahrenseinstellung unter Vorbehalt gemäß § 209b StPO nach dem Einlangen der Mitteilung des Bundeskartellanwalts bei der Staatsanwaltschaft oder sogar nach der staatsanwaltschaftlichen Verfahrenseinstellung unter Vorbehalt, ergeben sich in diesem schon recht späten Ermittlungsstadium aus der vollständigen Wissensoffenbarung mitunter neue Ansätze auch für schon vermeintlich „erledigte“ Faktenkomplexe, die sodann weitere Ermittlungsschritte notwendig machen. Ein Anreiz für Mitarbeiter:innen der Unternehmen, ihr gesamtes Wissen möglichst früh zu offenbaren, hätte eine auch im Regierungsprogramm geforderte Verkürzung von Ermittlungsverfahren zur Folge.

Um einen Anreiz zur möglichst frühen Wissensoffenbarung der einzelnen Mitarbeiter:innen und des Unternehmens in diesem Sinne zu setzen, soll in § 209b Abs. 1 StPO nunmehr neben dem Beitrag des Unternehmens zur Aufklärung der Zuwiderhandlung der Fokus auf die aktive Mitwirkung der einzelnen Mitarbeiter:innen an der Aufklärung der Zuwiderhandlung gelegt werden. Stellungnahmen im Begutachtungsverfahren folgend soll in Übereinstimmung mit Art. 23 der RL (EU) 2019/1 ausdrücklich klargestellt werden, dass die Rechtswohltat des § 209b StPO nur jenen Mitarbeiter:innen eines Unternehmens zukommen soll, die aktiv an der Aufklärung der Zuwiderhandlung teilnehmen. Mitarbeiter:innen, die nicht mit den Wettbewerbsbehörden zusammenarbeiten und damit nicht an der Aufklärung der Zuwiderhandlung mitwirken, sollen hingegen nach dieser Bestimmung nicht in den Genuss der Kronzeugenregelung kommen. Das bedeutet, dass auch nur solche Mitarbeiter:innen, die diese Kriterien erfüllen, in die Mitteilung des Bundeskartellanwalts an die Staatsanwaltschaft nach § 209b Abs. 1 StPO aufzunehmen sind, während hinsichtlich nicht kooperierender Mitarbeiter:innen keine Mitteilung auf Basis dieser Gesetzesstelle zu erfolgen hat.

Das Kriterium der aktiven Mitwirkung der einzelnen Mitarbeiter:innen an der Aufklärung soll dabei den den einzelnen Mitarbeiter:innen auf Grund ihres Wissensstands und des Stands des Verfahrens tatsächlich möglichen Beitrag berücksichtigen, weil Mitarbeiter:innen nur in jenem Umfang an der Aufklärung der Zuwiderhandlung mitwirken können, der ihnen selbst tatsächlich möglich ist. Verfügt ein Mitarbeiter/eine Mitarbeiterin nur über untergeordnetes Wissen bzw. Wissen, das nur Teilbereiche der aufzuklärenden Zuwiderhandlungen betrifft, kooperiert er/sie jedoch aktiv und vollumfänglich, indem er/sie rechtzeitig sein/ihr gesamtes Wissen preisgibt, soll ihm/ihr die Rechtswohltat des § 209b Abs. 1 StPO – bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen, insbesondere jener des Abs. 2 – dennoch zu Gute kommen. Dadurch soll auch Stellungnahmen im Begutachtungsverfahren Rechnung getragen werden, die betont haben, dass es für den Erfolg (auch interner) Untersuchungen wichtig sei, Mitarbeiter:innen vom Nutzen einer Kooperation an der Aufklärung zu überzeugen, und dass vermieden werden soll, dass durch das Abstellen auf das Gewicht des Beitrags insbesondere Mitarbeiter:innen in unteren Unternehmensebenen oder solche, die erst zu einem späteren Zeitpunkt vernommen werden, nicht mehr in der Genuss der Kronzeugenregelung kommen können. Die durch die Anpassung erfolgten Änderungen sollen in diesem Sinn in Umsetzung von Art. 23 der RL (EU) 2019/1 bewirken, dass lediglich auf die aktive Zusammenarbeit der Mitarbeiter:innen an der Aufklärung abgestellt wird, nicht aber auf das Gewicht deren Beitrags.

Neben der Mitwirkung der einzelnen Mitarbeiter:innen an der Aufklärung einer Zuwiderhandlung soll – ebenfalls entsprechend mehreren Anregungen im Begutachtungsverfahren – klargestellt werden, dass auch der Beitrag des Unternehmens als solches nicht außer Acht bleiben soll: Für die Mitteilung des Bundeskartellanwalts an die Staatsanwaltschaft nach § 209b Abs. 1 StPO soll es daher auf das Gewicht des Beitrags des Unternehmens zur Aufklärung ankommen. Damit soll auch das Verhalten des Unternehmens selbst Gewicht erhalten und in die Beurteilung einfließen.

In § 209b Abs. 2 StPO soll der Anreiz zur möglichst frühen Wissensoffenbarung durch die einzelnen Mitarbeiter:innen durch Abstellen auf den Umstand, dass die Mitarbeiter:innen ihr gesamtes Wissen über die eigenen Taten und andere Tatsachen, die für die Aufklärung der durch die Zuwiderhandlung begangenen Straftaten von Bedeutung sind, offenbart haben, Rechnung getragen werden. Indem durch diese Umgestaltung eine (vorläufige) Einstellung des Verfahrens gegen den Mitarbeiter/die Mitarbeiterin auf Grundlage des § 209b Abs. 1 StPO nur mehr dann möglich wird, wenn diese:r sein/ihr Wissen der Staatsanwaltschaft gegenüber bereits offengelegt hat, sollen die Mitarbeiter:innen zu einer möglichst frühzeitigen Offenbarung motiviert werden. Mögliche praktische Probleme wie etwa die Aufdeckung weiterer strafbarer Handlungen, potenzielle Verjährungsprobleme oder frustrierter Ermittlungsaufwand sollen dadurch weitgehend hintangehalten werden. Das erklärte Ziel des Entwurfs könnte damit gut erreicht und die Verfahrensökonomie in Strafverfahren gefördert werden.

Im Gleichklang mit den vorgeschlagenen Änderungen in Abs. 1 und ebenfalls in Umsetzung von Art. 23 der RL (EU) 2019/1 soll es ausreichen, wenn der Mitarbeiter/die Mitarbeiterin frühzeitig aktiv an der Aufklärung mitwirkt und im Rahmen seiner/ihrer Möglichkeiten sein/ihr gesamtes Wissen über die eigenen Taten und andere Tatsachen, die für die Aufklärung der durch die Zuwiderhandlung begangenen Straftaten von Bedeutung sind, offenbart. Die Beibehaltung des Kriteriums der „entscheidenden“ Bedeutung der von dem Mitarbeiter/der Mitarbeiterin offenbarten Tatsachen stünde dabei in Widerspruch zu Abs. 1 und soll daher entfallen.

Von der (Wieder-)Einführung einer auf Verbände zugeschnittenen Regelung in § 209b StPO vergleichbar mit jener nach § 209b Abs. 3 StPO idF BGBl I Nr. 108/2010 wird aus den eingangs genannten Gründen Abstand genommen. Darüber hinaus würde nur eine auf den Verband selbst und auf die an ihn zu stellenden Anforderungen für eine Kronzeugenregelung abstellende Regelung die Möglichkeit der Verfolgung des Verbands trotz der Straflosigkeit der natürlichen Person endgültig ausschließen; dieser Anforderung wurde jedoch auch der bis 2017 in Geltung stehende § 209b Abs. 3 StPO nicht gerecht. Die Befristung soll auch genützt werden, um die Überführung bzw. Einfügung der Regelungen hinsichtlich der Verbände in das VbVG zu diskutieren. Eine Mitteilung des Bundeskartellanwalts nach § 209b Abs. 1 StPO, die sich stets auch auf das in Rede stehende Unternehmen und damit auf einen Verband beziehen muss, wird allerdings regelmäßig ohnedies bereits nach der geltenden Rechtslage dazu führen, dass das Verfahren gegen den Verband (also das kooperierende Unternehmen, das in den Genuss der wettbewerbsrechtlichen Kronzeugenregelung gekommen ist) durch Absehen oder Rücktritt von der Verfolgung nach § 18 VbVG zu beenden ist. Vom Vorliegen der Voraussetzungen einer derartigen Verfahrensbeendigung wird in derartigen Konstellationen in der Regel auszugehen sein.

Zu Z 3 (§ 514 Abs. 35 StPO)

Durch die vorgeschlagene Änderung des letzten Satzes in § 514 Abs. 35 StPO, der die Befristung der Kronzeugenregelung samt den notwendigen Änderungen in den Begleitbestimmungen in § 31 Abs. 6 Z 3 (Zuständigkeit des Landesgerichts als Senat von drei Richtern für Entscheidungen über Anträge auf Fortführung (§§ 195 und 209a StPO) und § 199 StPO (Anwendung der §§ 198, 200 bis 209b StPO nach Einbringen der Anklage durch das Gericht) enthält, soll die Weitergeltung der Bestimmungen des § 31 Abs. 6 Z 3 und des § 199 StPO für weitere sieben Jahre verankert werden.

Zu Z 4 (§ 514 Abs. 49 StPO)

Mit dieser Bestimmung wird das nahtlose In-Kraft-Treten der überarbeiteten Kronzeugenregelung per 1. Jänner 2022 geregelt.

Da sich das Konzept des Abstellens auf das Datum der „Offenbarung der Tatsachen“ hinsichtlich § 209a StPO im Wesentlichen bewährt hat, soll es auch künftig beibehalten werden.

Bei Vorgehen nach § 209b StPO bringt das Abstellen auf das Datum der „Offenbarung der Tatsachen“ hingegen komplizierte Konstellationen hervor. So wurde in einer Stellungnahme im Zuge der im Jahr 2020 durchgeführten Evaluierung aufgezeigt, dass es sich schwierig gestalte, wenn ein Unternehmen mehrere Mitarbeiter:innen habe, die üblicherweise zu unterschiedlichen Zeitpunkten die ihnen bekannten Tatsachen offenbaren (sei es, weil sie an unterschiedlichen – manchmal Monate auseinanderliegenden – Tagen vernommen werden, sei es, weil sie bei Faktenvielzahl in möglicherweise zeitlich weit auseinanderliegenden Vernehmungen zu Teilbereichen befragt werden). Durch die geltende Regelung können daher auf Mitarbeiter:innen eines Unternehmens unterschiedliche Gesetzesversionen anzuwenden sein. Noch schwieriger gestalte sich die Bestimmung des anwendbaren Rechts, wenn ein Mitarbeiter/eine Mitarbeiterin zu unterschiedlichen Fakten in mehreren Vernehmungen sein/ihr gesamtes Wissen offenbart und diese Vernehmungen teilweise vor und teilweise nach dem Stichtag liegen. Es wurde in der Stellungnahme daher angeregt, auf ein einheitliches Geschehen, beispielsweise auf das Datum der Mitteilung des Bundeskartellanwalts oder dessen Einlangen bei der Staatsanwaltschaft, abzustellen.

Diese Anregung soll aufgegriffen werden, wobei als entscheidendes Datum zeitlich auf das Einlangen bei der Staatsanwaltschaft als verfahrensrelevanter Zeitpunkt in der Sphäre der Staatsanwaltschaft abgestellt werden soll. Angelehnt an das Konzept der Regelung des § 81 Abs. 3 StPO wird es sich empfehlen, den Tag des Einlangens nachvollziehbar in den Akten zu beurkunden. Aus Gründen der Rechtssicherheit soll die Neuregelung auf Verfahren anzuwenden sein, in denen die Verständigung des Bundeskartellanwalts gemäß § 209b Abs. 1 StPO nach dem 31. Dezember 2021 bei der Staatsanwaltschaft eingelangt ist; in laufende Verfahren, in denen bereits eine Mitteilung des Bundeskartellanwalts erfolgt ist, soll jedoch nicht eingegriffen werden. Da lediglich der letzte Satz des § 514 Abs. 35 StPO geändert wird, bleibt überdies die Regelung aufrecht, wonach für vor dem 31. Dezember 2016 offenbarte Tatsachen weiterhin die §§ 199, 209a und 209b StPO in der Fassung des Bundesgesetzes, BGBl. I Nr. 108/2010 gelten.

Um die Auswirkung der im Hinblick auf die Ergebnisse der erfolgten Evaluierung neuerlich adaptierten „Kronzeugenregelungen“ effektiv überprüfen zu können, wird vorgeschlagen, deren befristete Geltung um weitere sieben Jahre zu verlängern und einer neuerlichen aussagekräftigen begleitenden Evaluierung zu unterziehen. Die Befristung soll auch genützt werden, um die eingangs angekündigte Überführung bzw. Einfügung der Regelungen hinsichtlich der Verbände in das Verbandsverantwortlichkeitsgesetz (VbVG) statt deren Beibehaltung bzw. (Wieder)Einführung in der StPO im Zuge der im Regierungsprogramm vorgesehenen Überarbeitung des VbVG zu diskutieren.