1256 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XXVII. GP

 

Bericht

des Justizausschusses

über die Regierungsvorlage (1175 der Beilagen): Bundesgesetz, mit dem die Strafprozeßordnung 1975 geändert wird

Die „großen Kronzeugenregelungen“ der § 209a und § 209b StPO traten erstmals mit dem Bundesgesetz BGBl. I Nr. 108/2010 („Strafrechtliches Kompetenzpaket“) vorläufig für einen Zeitraum von sechs Jahren ab 1.1.2011 in Kraft. Von BM aD Univ.-Prof. Dr. Brandstetter wurde im Jahr 2016 eine Arbeitsgruppe mit hochrangigen Expert:innen eingesetzt, die unter Einbeziehung rechtsvergleichender Aspekte einen Vorschlag für eine Überarbeitung erstellte, der in das Strafprozessrechtsänderungsgesetz II 2016, BGBl. I Nr. 121/2016, Eingang fand und zu einigen wesentlichen Änderungen, insbesondere auch hinsichtlich der erforderlichen Voraussetzungen für die Erlangung der Kronzeugeneigenschaft und in Bezug auf die Rechtssicherheit des Kronzeugen führte.

Die Änderungen der § 209a und § 209b StPO idF BGBl. I Nr. 121/2016 sind am 1.1.2017 in Kraft getreten. Da die Anwendungsfälle ursprünglich nicht ausgereicht hatten, um die tatsächliche Wirkung der Kronzeugenregelung auf die Aufklärung von gewichtigen Korruptions- und Wirtschaftsstrafsachen ohne Beeinträchtigung grundrechtlich gesicherter Positionen anderer Verfahrensbeteiligter abschließend beurteilen zu können, wurde von einer endgültigen Übernahme in den Rechtsbestand vorerst Abstand genommen und die Geltung neuerlich bis 31. Dezember 2021 befristet, wobei rechtzeitig davor eine Evaluierung der praktischen Anwendung der Bestimmungen und ihrer Effizienz stattfinden sollte.

Zu diesem Zweck wurden im Jahr 2020 ausgewählte Stakeholder (justizinterne, darunter alle Gerichte und Staatsanwaltschaften, und externe Stellen, insb. die Bundeswettbewerbsbehörde, der Bundeskartellanwalt sowie die Universitätsprofessor:innen, die an der Expert:innengruppe im Jahr 2016 mitgewirkt haben) zur Stellungnahme im Hinblick auf die Evaluierung der Kronzeugenregelung eingeladen und die bislang zur Anwendung bzw. Prüfung gekommenen Fälle gesammelt einer integrativen Analyse unterzogen. Vorweggenommen werden darf, dass die Evaluierung einhellig ergeben hat, dass auf die Kronzeugenregelungen nicht verzichtet werden kann und diese als generell positiv bewertet werden.

Darüber hinaus ist der Weiterbestand von Kronzeugenregelungen auch aufgrund europarechtlicher bzw. internationaler Vorgaben erforderlich: So haben nach dem Übereinkommen über die Bekämpfung der Bestechung ausländischer Amtsträger im internationalen Geschäftsverkehr (OECD-Anti-Bestechungs-Konvention) „alle Länder eine gemeinsame Verantwortung […], Bestechung im internationalen Geschäftsverkehr zu bekämpfen.“ Mit der Ratifizierung der OECD-Anti-Korruptionskonvention verpflichtete sich Österreich, mit den Vertragsparteien der Konvention zusammenzuarbeiten, um ausländische Bestechung zu bekämpfen. Eine immer wichtiger werdende Säule dieser Bekämpfung stellen sogenannte „non-trial resolutions“ oder „Settlements“ dar, die zu einer der wichtigsten Methoden zur Bekämpfung von schweren Wirtschaftsdelikten, einschließlich der Bestechung ausländischer Amtsträger:innen, geworden ist. Die Umsetzung dieser Empfehlung gelang mit der Einführung des § 209a StPO und soll nunmehr weiter ausgebaut werden. Zu § 209b StPO besteht nunmehr mit Art. 23 der Richtlinie 2019/1/EU zur Stärkung der Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten im Hinblick auf eine wirksamere Durchsetzung der Wettbewerbsvorschriften und zur Gewährleistung des reibungslosen Funktionierens des Binnenmarkts, ABl. Nr. L 11 vom 14.01.2019 S. 3 (sog: Richtlinie ECN+; in weiterer Folge „Richtlinie (EU) 2019/1“) eine europarechtliche Verpflichtung, wobei § 209b StPO sogar als Vorbild für den Referenzartikel dieser Richtlinie diente.

In mehreren sowohl im Rahmen der Evaluierung als auch der Begutachtung erstatteten Stellungnahmen wurde thematisiert, dass finanzielle Nachteile geeignet seien, potenzielle Kronzeugen von einem entsprechenden Herantreten an die Behörden abzuhalten. Besserstellungen im finanziellen Bereich sind allerdings auch nach neuerlicher eingehender Prüfung insb. aufgrund der Notwendigkeit der Gläubigergleichbehandlung schwer zu argumentieren, weshalb von einer Berücksichtigung dieser Forderung weiterhin Abstand genommen wurde. Darüber hinaus wurde in mehreren Stellungnahmen der im Ministerialentwurf vertretenen Meinung, dass die Regelungen hinsichtlich der Verbände besser im Verbandsverantwortlichkeitsgesetz (VbVG) statt in der StPO zu verorten wären (§ 209a Abs. 7 StPO, allenfalls Regelung im Sinne des § 209b Abs. 3 StPO idF BGBl. I Nr. 108/2010), weil eine Überleitung der Verbandsregelungen dem System des VbVG und der StPO gerecht werden und darüber hinaus zu einer verbesserten Anwendbarkeit in der Praxis führen würde, zugestimmt. Eine solche Überleitung könnte im Zuge der im Regierungsprogramm vorgesehenen Überarbeitung des VbVG diskutiert werden.

Mit dem vorliegenden Entwurf sollen eine leichtere Handhabbarkeit der Kronzeugenregelung in der Praxis und eine richtlinienkonforme Umsetzung der RL (EU) 2019/1 bewirkt werden, und zwar durch:

-       Einbeziehung der Kriminalpolizei in den Kreis der Behörden, an die der Kronzeuge/die Kronzeugin gemäß § 209a Abs. 1 StPO herantreten kann;

-       Fokussierung der Regelung des § 209b StPO auf den Beitrag des Unternehmens zur Aufklärung einer Zuwiderhandlung im Sinne von § 11b Abs. 1 Z 3 Wettbewerbsgesetz und die aktive Mitwirkung der einzelnen Mitarbeiter:innen daran sowie Setzen weiterer Anreize zur möglichst frühen Wissensoffenbarung durch diese.

Es wird zudem vorgeschlagen, die befristete Geltung um weitere sieben Jahre zu verlängern, um die Auswirkung der nunmehr adaptierten „Kronzeugenregelungen“ im Rahmen einer neuerlichen aussagekräftigen begleitenden Evaluierung insbesondere im Hinblick auf deren Attraktivität für potentielle Kronzeugen und auf die Verfahrensdauer auf einer breiteren Grundlage effektiv überprüfen zu können. Gleichzeitig soll in diesem Zeitraum die Überführung bzw Einfügung der Regelungen hinsichtlich der Verbände in das Verbandsverantwortlichkeitsgesetz (VbVG) statt deren Beibehaltung bzw. (Wieder)Einführung in der StPO im Zuge der im Regierungsprogramm vorgesehenen Überarbeitung des VbVG diskutiert werden.

 

Der Justizausschuss hat die gegenständliche Regierungsvorlage in seiner Sitzung am 7. Dezember 2021 in Verhandlung genommen. An der Debatte beteiligten sich außer der Berichterstatterin Abgeordneten Mag. Agnes Sirkka Prammer die Abgeordneten Mag. Selma Yildirim, Dr. Johannes Margreiter, Dr. Christian Stocker und Mag. Christian Ragger sowie die Bundesministerin für Justiz Dr. Alma Zadić, LL.M..

Im Zuge der Debatte haben die Abgeordneten Mag. Michaela Steinacker und Mag. Agnes Sirkka Prammer einen Abänderungsantrag eingebracht, der wie folgt begründet war:

Zu Z 1 und (Einleitungssatz, § 514 StPO):

Die StPO wurde zwischenzeitlich durch das BGBl. I Nr. 190/2021 geändert, die Änderungen sind mit 1.11.2021 in Kraft getreten. Diese Änderung ist in der Regierungsvorlage entsprechend abzubilden.“

 

Bei der Abstimmung wurde der in der Regierungsvorlage enthaltene Gesetzentwurf unter Berücksichtigung des oben erwähnten Abänderungsantrages der Abgeordneten Mag. Michaela Steinacker und Mag. Agnes Sirkka Prammer mit Stimmenmehrheit (dafür: V, S, G, F, dagegen: N) beschlossen.

Als Ergebnis seiner Beratungen stellt der Justizausschuss somit den Antrag, der Nationalrat wolle dem angeschlossenen Gesetzentwurf die verfassungsmäßige Zustimmung erteilen.

Wien, 2021 12 07

                    Mag. Agnes Sirkka Prammer                                          Mag. Michaela Steinacker

                                  Berichterstatterin                                                                           Obfrau