1369 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XXVII. GP

 

Bericht

des Unterrichtsausschusses

über die Petition Nr. 63/PET: Petition betreffend "INKLUSIVE BILDUNG JETZT", überreicht von den Abgeordneten Petra Vorderwinkler, Fiona Fiedler, BEd, Mag. Martina Künsberg Sarre und Mag. Verena Nussbaum

Die gegenständliche Petition Nr. 63/PET wurde dem Nationalrat am 27. Mai 2021 zugeleitet.

 

Zu den Anliegen dieser Petition:

„Die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner fordern die Bundesregierung auf, für die tatsächliche Verwirklichung eines inklusiven Bildungssystems sofort 100 Millionen Euro zusätzlich zur Verfügung zu stellen.

Begründung:

Österreich bekennt sich seit der Unterzeichnung der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) im Jahr 2008 zu einem INKLUSIVEN Bildungssystem. Dies bedeutet, dass niemand vom gemeinsamen Leben, Lernen und Arbeiten ausgeschlossen werden darf und für jeden Menschen die vollständige Teilhabe in allen gesellschaftlichen Bereichen sicherzustellen ist.

Dreizehn Jahre nach der Ratifizierung der UN-BRK durch das österreichische Parlament, nach Beendigung der Frist für den Nationalen Aktionsplan Behinderung 2012-2021 (NAP), nach Zwischenberichten zum NAP, nach Evaluierung der Maßnahmen des NAP durch die Universität Wien, nach zahlreichen Rückmeldungen verschiedenster Organisationen muss festgestellt werden, dass sich Österreich von dem Ziel eines inklusiven Bildungssystems bisher eher entfernt als sich diesem angenähert hat.

Zahllose Rückmeldungen von Eltern, Betroffenen, Lehrpersonen, Forschenden und Lehrenden an den Hochschulen und letztlich auch von Verantwortlichen für das Bildungssystem (siehe auch Rechnungshofbericht 2019) begründen die Forderung nach einem MEHR an Ressourcen für inklusive Bildung. Inklusive Bildung ist KEIN Sparkonzept. Wer ein inklusives Bildungssystem will, muss die dafür notwendigen Ressourcen zur Verfügung stellen.

•       Wenn sich Eltern aufgrund mangelnder inklusiver Angebote zwangsweise für den Unterrichtin der Sonderschule entscheiden „müssen“, weil dort die Ressourcen vorhanden sind,

•       wenn Eltern ständig hören, dass für ihr Kind eine kleine Gruppe mit viel Personal die bessereForm ist und daher nur die Sonderschule angeboten wird,

•       wenn Eltern beklagen, keinen Kindergartenplatz für ihr Kind mit Behinderung zu bekommen,

•       wenn Eltern berichten, dass für die Nachmittagsbetreuung an der Sonderschule die Ressourcenvorhanden sind, in der Regelschule aber nicht,

•       wenn Eltern ihre Kinder anstelle der im Lehrplan vorgesehenen 27 Unterrichtsstunden für nur 15 Stunden in die Schule bringen dürfen,

•       wenn sich Eltern sorgen müssen, ob deren jugendlichen Kindern ein freiwilliges 11./12. Schuljahrbewilligt wird,

•       wenn Schulleitungen und Lehrpersonen berichten, dass für präventive Maßnahmen keineRessourcen zur Verfügung stehen,

•       wenn Eltern für medizinische Versorgung ihrer Kinder in der Schule selbst zahlen müssen,

•       wenn Eltern für pflegerische Leistungen (z.B. Unterstützung bei der Toilette) selbst Sorge zu tragen haben, oder in der Mittelschule gesagt wird, dass keine Lehrperson der Regelschule ihr Kind bei der Pflege unterstützen wird,

•       wenn keine ausreichende Assistenz in pädagogischen Bereichen zur Verfügung steht,

•       wenn in Kindern angelegte Fähigkeiten verkümmern oder sich nicht voll entwickeln können, weil adäquate Förderung kaum möglich ist,

•       wenn Schulen keine Ressourcen für inklusive Schulentwicklungsprozesse haben,

•       wenn Gemeinschaft nur schwer wachsen kann, weil Kommunikation nicht unterstützt werdenkann,

dann MUSS gehandelt werden! - Denn schöne Worte helfen nicht, was hilft sind ausreichende Ressourcen!

Ressourcen sind erforderlich, damit

•       ausreichende Lehrer*innenstunden in den Regelschulen zur Verfügung stehen (mit den 2,7% kommen die Schulen schon lange nicht mehr aus),

•       das notwendige und von allen Seiten geforderte Supportpersonal vorhanden ist,

•       ausreichend Kindergartenplätze, Plätze im 11. und 12. Schuljahr, die notwendige medizinische Versorgung in der Schule, die Assistenz in pädagogischen Bereichen,... zur Verfügung stehen,

•       Anreizsysteme für Regelschulen geschaffen werden können, sich der inklusiven Bildung zu stellen und inklusive Schulentwicklungsprozesse der Regelschulen forciert werden können,

•       präventive Maßnahmen zur Vermeidung von „Lernbehinderung“ und „Verhaltensbehinderung“ geschaffen werden können,

•       für alle Schülerinnen und Schüler die im Lehrplan vorgesehene Stundenanzahl auch tatsächlich in der Schule gehalten werden können und somit den Schülerinnen und Schülern das Recht auf Bildung nicht beschnitten wird,

•       anstelle der momentanen Mangelverwaltung die Ziele der UN-BRK umgesetzt werden können.

Mit allen anderen Unterzeichnerinnen und Unterzeichnern unterstütze ich die Forderung nach zusätzlich mindestens 100 Millionen Euro für ein inklusives Bildungssystem und fordere die Bundesregierung auf:

1.)    Kurzfristig und schon für das kommende Schuljahr 2021/22 zusätzliche Ressourcen zu bewilligen.

2.)    Im Nationalen Aktionsplan Behinderung (2022-2030), der 2021 beschlossen wird, die Ausrollung der zusätzlichen Mittel und die Finanzierung der Maßnahmen für ein inklusives Bildungssystem verbindlich zu verankern.

3.)    Im Rahmen einer zu implementierenden und transparenten Ressourcenverteilung auf Basis eines Sozialindex, diese Mittel zu verankern.

4.)    Bildungseinrichtungen Projekte zur Entwicklung inklusiver Bildung im Rahmen einer bundesweiten Ausschreibung zu ermöglichen.

5.)    Sicherzustellen, dass Effekte auf die Weiterentwicklung eines inklusiven Bildungssystems auf der Input-, der Prozess- und der Outputebene durch eine Steuergruppe wissenschaftlich begleitet wird.“

 

Der Ausschuss für Petitionen und Bürgerinitiativen, dem die gegenständliche Petition am 28. Mai 2021 zugewiesen wurde, hat in seiner Sitzung am 10. Dezember 2021 einstimmig beschlossen, den Präsidenten des Nationalrates zu ersuchen, diese zur weiteren Behandlung dem Unterrichtsausschuss zuzuweisen. Der Präsident des Nationalrates hat diesem Ersuchen entsprochen.

 

Der Unterrichtsausschuss hat die erwähnte Petition Nr. 63/PET in seiner Sitzung am 8. März 2022 in Verhandlung genommen. An der Debatte beteiligten sich außer der Berichterstatterin Abgeordneten
Petra Vorderwinkler die Abgeordneten Mag. Martina Künsberg Sarre, Fiona Fiedler, BEd, MMMag. Gertraud Salzmann, Rosa Ecker, MBA und Katharina Kucharowits sowie der Bundesminister für Bildung, Wissenschaft und Forschung Dr. Martin Polaschek.

Als Ergebnis seiner Beratungen stellt der Unterrichtsausschuss somit den Antrag, der Nationalrat wolle diesen Bericht zur Kenntnis nehmen.

Wien, 2022 03 08

                           Petra Vorderwinkler                                                 Mag. Dr. Rudolf Taschner

                                  Berichterstatterin                                                                          Obmann