1407 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XXVII. GP
Bericht
des Ausschusses für Arbeit und Soziales
über die Regierungsvorlage (1360 der Beilagen): Bundesgesetz über die Regelung der Beziehungen im Bereich der sozialen Sicherheit im Verhältnis zur Provinz Québec
A. ZUM BUNDESGESETZ ÜBER DIE REGELUNG DER BEZIEHUNGEN DER SOZIALEN SICHERHEIT MIT QUÉBEC
Die Republik Österreich hat am 24.2.1987 mit Kanada ein Abkommen im Bereich der sozialen Sicherheit geschlossen, durch das zum einen ein umfassender Schutz im Bereich der Pensionsversicherung durch die Gleichbehandlung der beiderseitigen Staatsangehörigen, die Zusammenrechnung der Versicherungs- bzw. Wohnzeiten für den Leistungsanspruch, die Leistungsfeststellung entsprechend dem jeweiligen Zeitenverhältnis und den Leistungsexport, und zum anderen die Vermeidung von Doppelversicherungen durch Festlegung, welcher Staat für die Versicherungspflicht zuständig ist, sichergestellt wird (BGBl. Nr. 451/1987).
Unter Berücksichtigung der kanadischen Verfassungsrechtslage gilt in der Provinz Québec im Bereich der Pensionsversicherung nicht der für alle anderen Provinzen Kanadas geltende „kanadische Pensionsplan", sondern ein eigener „Québec Pensionsplan". Darüber hinaus fallen auch die Bereiche der Kranken- und Unfallversicherung in die Kompetenz der Provinzen. Dementsprechend wurde im Art. 24 des geltenden „alten“ österreichisch-kanadischen Abkommens festgelegt, dass die Republik Österreich und eine Provinz Kanadas Vereinbarungen über Angelegenheiten der sozialen Sicherheit, die in Kanada in die Zuständigkeit einer Provinz fallen, schließen können, soweit solche Vereinbarungen den Bestimmungen dieses Abkommens nicht widersprechen. In diesem Zusammenhang bestand Einverständnis darüber, dass der Abschluss solcher Vereinbarungen in Durchführung des Art. 24 des Abkommens nur im Rahmen der jeweiligen Verfassungsordnung erfolgen kann.
In der Folge wurde eine solche Vereinbarung mit Québec ausgearbeitet.
Aufgrund der nach kanadischem Verfassungsrecht fehlenden internationalen Vertragsabschlusskompetenz der Provinz Québec kann zwischen Österreich und Québec kein völkerrechtlicher Vertrag abgeschlossen werden. Daher kann eine Vereinbarung zwischen Österreich und Québec im Bereich der sozialen Sicherheit nicht als Staatsvertrag gem. Art. 50 B-VG, sondern lediglich als nicht völkerrechtliche Vereinbarung abgeschlossen werden.
Somit konnte eine Unterzeichnung der Vereinbarung durch Österreich erst erfolgen, nachdem zuvor ein entsprechendes Bundesgesetz vom Nationalrat beschlossen und im Bundesgesetzblatt kundgemacht worden ist. Auch die innerstaatliche Anwendung durch die zuständigen österreichischen Behörden und Träger musste im Hinblick auf die österreichische Rechtslage durch ein eigenes Bundesgesetz sichergestellt werden, dem die (noch nicht unterzeichnete) Vereinbarung mit Québec als Anlage angeschlossen ist (BGBl. Nr. 551/1993). Die Vereinbarung wurde sodann anschließend am 9.12.1993 unterzeichnet und ist am 1.6.1994 in Kraft getreten (BGBl. Nr. 464/1994). Sie wurde durch die Zusatzvereinbarung vom 11.11.1996 geändert (BGBl. Nr. 333/1996), welche am 1.5.1997 in Kraft getreten ist (BGBl. I Nr. 28/1997).
Aus den unter Teil B dargelegten Gründen wurde eine Revision der Vereinbarung erforderlich. Im Hinblick auf die österreichische Rechtslage ist auch für die innerstaatliche Anwendung der „neuen“ Vereinbarung wieder ein eigenes Bundesgesetz erforderlich. Eine Besonderheit im Vergleich zum Procedere im Zusammenhang mit der „alten“ Vereinbarung aus 1993 ergibt sich allerdings dadurch, dass nicht nur die „neue“ Vereinbarung in Kraft, sondern auch die „alte“ Vereinbarung außer Kraft treten muss, ohne dass eine zeitliche Lücke zwischen beiden Zeitpunkten entstehen darf.
Hinsichtlich des Gesetzes ist im Einzelnen insbesondere noch darauf hinzuweisen, dass der zuständige Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz beauftragt wird, die für die Anwendung der Vereinbarung erforderlichen Schritte zu setzen, was auch die Unterzeichnung der Vereinbarung einschließt (§ 2).
Mit dem Inkrafttreten dieses Gesetzes (was vor allem für die Ermächtigung zur Unterzeichnung der „neuen“ Vereinbarung von Relevanz ist) treten grundsätzlich auch die beiden Gesetze betreffend die „alte“ Vereinbarung (BGBl. Nr. 551/1993 und Nr. 333/1996) außer Kraft.
Die Vereinbarung tritt nicht gemeinsam mit dem Gesetz zu dem nach Art. 49 B-VG bestimmten Zeitpunkt in Kraft, sondern – nach der anschließend erfolgten Unterzeichnung - erst am ersten Tag des dritten Monates nach Ablauf des Monates, in dem Österreich und Québec einander durch Notifikation mitteilen, dass die innerstaatlichen Voraussetzungen für das Inkrafttreten der „neuen“ Vereinbarung vorliegen (§ 1 – durch den Verweis auf Art. 32 der Vereinbarung). Daher muss ergänzend sichergestellt www.parlament.gv.at 2 von 10 1360 der Beilagen XXVII. GP - Regierungsvorlage - Erläuterungen werden, dass auch jene nationalen Regelungen, die die innerstaatliche Anwendung der „alten“ Vereinbarung sicherstellen, erst zu diesem Zeitpunkt außer Kraft treten (§ 4 letzter Halbsatz).
Der Zeitpunkt des Inkrafttretens der „neuen“ Vereinbarung ist vom zuständigen österreichischen Bundesminister in der Folge durch Verordnung kundzumachen (§ 5). Entsprechend der bisherigen Praxis im Verhältnis zur „alten“ Vereinbarung (BGBl. Nr. 464/1994) wird gleichzeitig auch die „neue“ Verwaltungsvereinbarung zur „neuen“ Vereinbarung kundzumachen sein.
Dieses Bundesgesetz stützt sich auf den Kompetenztatbestand des Art. 10 Abs. 1 Z 11 B-VG („Sozial- und Vertragsversicherungswesen“).
B. ZUR VEREINBARUNG ZWISCHEN DER REPUBLIK ÖSTERREICH UND DER REGIERUNG VON QUÉBEC IM BEREICH DER SOZIALEN SICHERHEIT
Allgemeiner Teil
Allgemeine Überlegungen
Die Entwicklungen im nationalen und zwischenstaatlichen Bereich der sozialen Sicherheit machen von Zeit zu Zeit Anpassungen und Überarbeitungen der bestehenden zwischenstaatlichen Regelungen erforderlich. Mit Kanada wurden daher Expertengespräche im Jahr 2014 aufgenommen und 2015 konnte der Text eines neuen Abkommens weitestgehend vereinbart werden. Im Verhältnis zu Kanada soll durch ein neues Abkommen insbesondere auch die unübersichtlich gewordene Rechtslage bereinigt werden. Die Unterzeichnung des neuen Abkommens mit Kanada sowie die parlamentarische Behandlung erfolgten bereits (RV 1031 BlgNR 27. GP.).
Diese zwischenstaatliche Rechtsentwicklung sollte aufgrund der engen Verknüpfung der Vereinbarung mit Québec mit dem Kanada-Abkommen auch im Verhältnis zu Québec nachvollzogen werden. Als Basis für diese Änderung der Vereinbarung mit Québec kann sowohl Art. 24 des derzeit geltenden „alten“ Abkommens mit Kanada als auch die entsprechende wortgleiche Regelung des in Vorbereitung stehenden „neuen“ Abkommens mit Kanada herangezogen werden. Wegen der unterschiedlichen Verfahren für die Inkraftsetzung des neuen Abkommens mit Kanada (erst Unterzeichnung, dann parlamentarische Behandlung) und der Vereinbarung mit Québec (erst Beschluss des Bundesgesetzes dazu und anschließende Unterzeichnung) stört nicht, wenn der Zeitpunkt der Beschlussfassung des vorliegenden Bundesgesetzes zeitlich losgelöst von der parlamentarischen Behandlung des neuen Abkommens mit Kanada liegt. Ziel ist es jedenfalls, dass beide Instrumente möglichst zeitnahe in Kraft treten.
1. Werdegang der Vereinbarung
2015 wurden Expertengespräche aufgenommen, die nach nur zwei Besprechungsrunden auf Expertenebene erfolgreich abgeschlossen werden konnten.
2. Die Vereinbarung im Allgemeinen
Die Vereinbarung baut auf der alten Vereinbarung auf, es wurden allerdings einige Änderungen vorgenommen (zB umfassende Datenschutzregelung), um sie in materiell-rechtlicher Hinsicht weitestgehend dem neuen Abkommen mit Kanada und damit auch den in letzter Zeit von Österreich geschlossenen Abkommen (zB Abkommen mit Serbien vom 26.1.2012, BGBl. III Nr. 155/2012 oder mit Indien vom 4.2.2013, BGBl. III Nr. 60/2015) anzupassen. Grundsätzliche Änderungen im Vergleich zur derzeit geltenden Rechtslage sind, so wie bei Kanada, die neue Pensionsberechnung und zusätzlich dazu auch noch die neu aufgenommenen Bestimmungen im Bereich der Unfallversicherung.
Die Vereinbarung ist in sechs Abschnitte gegliedert:
Abschnitt I enthält allgemeine Bestimmungen und legt im Wesentlichen den persönlichen und sachlichen Geltungsbereich, den Grundsatz der Gleichbehandlung sowie die Gebietsgleichstellung hinsichtlich der Gewährung von Geldleistungen aus der Pensionsversicherung fest.
Abschnitt II normiert in Bezug auf die jeweils hinsichtlich der Versicherungspflicht anzuwendenden Rechtsvorschriften den Grundsatz des Beschäftigungslandprinzips sowie davon abweichende Sonderregelungen (insbesondere eine Entsenderegelung) und sieht die Möglichkeit vor, im Einzelfall Ausnahmen hiervon zu vereinbaren. Diese Regelungen werden grenzüberschreitend tätigen Unternehmen und Personen helfen, doppelte Beitragszahlungen zu vermeiden.
Abschnitt III legt die Leistungsfeststellung im Bereich der Pensionsversicherung von Québec und Österreich fest. Diese erfolgt unter Zusammenrechnung der im Gebiet der beiden Vertragsparteien zurückgelegten Versicherungszeiten für den Anspruch und unter Berechnung grundsätzlich entsprechend den im Gebiet jeder Vertragspartei zurückgelegten Versicherungszeiten, wobei eine Vereinheitlichung der zwischenstaatlichen Berechnung angestrebt wird.
Abschnitt IV enthält Bestimmungen im Bereich der Unfallversicherung, die auf Wunsch von Québec einbezogen wurden. Dabei geht es um Sachleistungsaushilfe im Zusammenhang mit Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten im Auftrag der jeweils anderen Vertragspartei sowie Zuständigkeitsregelungen insbesondere bei Verschlimmerung aufgrund einer Berufskrankheit oder nach einem Arbeitsunfall.
Abschnitt V enthält verschiedene Bestimmungen über die Durchführung und Anwendung der Vereinbarung.
Abschnitt VI enthält Übergangs- und Schlussbestimmungen.
Im EU-Bereich stehen hinsichtlich von Abkommen bzw. sonstigen zwischenstaatlichen Instrumenten über soziale Sicherheit mit Drittstaaten keine EU-Vorschriften in Kraft, sodass die Mitgliedstaaten einen diesbezüglichen Gestaltungsspielraum haben. Das gilt auch für Vereinbarungen mit Teilen eines Staates wie zB einer kanadischen Provinz. Die vorliegende Vereinbarung entspricht aber den in diesem Bereich maßgebenden Grundsätzen der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 (ABl. Nr. L 166 vom 30.4.2004, S. 1). Der vom EuGH in der Rechtssache C-55/00, Gottardo, unmittelbar aus Art. 45 AEUV (Arbeitnehmerfreizügigkeit) abgeleiteten Verpflichtung der Mitgliedstaaten, bei zwischenstaatlichen Regelungen mit Drittstaaten die Staatsangehörigen der anderen Mitgliedstaaten den jeweils eigenen Staatsangehörigen gleichzustellen, wird dadurch entsprochen, dass der persönliche Geltungsbereich aber auch die Gleichbehandlungsregelung der vorliegenden Vereinbarung unbeschränkt sind und daher alle versicherten Personen unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit erfasst werden.
3. Finanzielle Auswirkungen
Keine.
Die Vereinbarung schafft im Wesentlichen keine neue Rechtslage, sondern fasst nur die Rechtslage aufgrund der bestehenden Vereinbarung in der Fassung der Zusatzvereinbarung zusammen.
Die auf Wunsch von Québec neu aufgenommen Bestimmungen zur Unfallversicherung haben keine finanziellen Auswirkungen. Zum einen ist zu beachten, dass sich die Sachleistungsaushilfe nur auf jene Fälle beschränkt, in denen eine Vertragspartei die andere um konkrete Durchführung von bestimmten Behandlungen ersucht (daher hat jeder betroffene Träger die Kontrolle über die zu erwartenden Kosten); zum anderen wird es im Verhältnis zu Québec kaum Fälle geben, in denen Personen in beiden Vertragsparteien dem Risiko des Auftretens einer Berufskrankheit ausgesetzt waren bzw. Arbeitsunfälle in beiden Vertragsparteien eintreten. Selbst wenn durch diese Regelungen daher in ganz wenigen Fällen Zusatzkosten für die österreichische Unfallversicherung erwachsen sollten, muss auch bedacht werden, dass das Abkommen auch zu Einsparungen führen kann, indem zB, sollte tatsächlich eine in Österreich versicherte Person in Québec einen Arbeitsunfall erleiden, die Behandlung vor Ort erfolgen kann und daher die teuren Kosten einer Rückholung vermieden werden können oder zB auch ärztliche Untersuchungen vor Ort ohne Einschaltung von Privatärzten oder Rückholung zu Untersuchungszwecken möglich sind. Daher kann von einer Kostenneutralität dieser Neuregelungen ausgegangen werden.
Die Umstellung bei der Pensionsberechnung von der bisher vorgesehen gewesenen „Direktberechnung“ auf die Berechnung nach europäischem Recht (Verordnung (EG) Nr. 883/2004) hat – aus theoretischer Sicht – überhaupt nur Auswirkungen auf jene Fälle, in denen eine Zusammenrechnung der Versicherungszeiten erforderlich ist, um einen österreichischen Pensionsanspruch zu eröffnen. Auch bei diesen Fällen betrifft die Umstellung nur eine ganz geringe Fallzahl. Für die Alterspensionen führt diese Berechnung nach dem europäischen Recht zu keinen anderen Ergebnissen als die Direktberechnung. Lediglich im Bereich der Invaliditäts- und Hinterbliebenenleistungen könnte es aufgrund der unterschiedlichen Berechnung aus theoretischer Sicht zu minimalen Auswirkungen im Ergebnis kommen. Solche Unterschiede könnten sich daraus ergeben, dass bei Zurechnungszeiten (zB nach § 6 Abs. 2 Z 2 APG) und Lücken in der zwischenstaatlichen Versicherungskarriere die Invaliditäts- bzw. Hinterbliebenenleistung nach der „Direktberechnung“ einen geringfügig anderen Betrag ergeben könnte als jene nach dem EU-Recht (siehe auch die Erläuterungen zu Art. 15), wobei aber eine Quantifizierung dieser Auswirkungen nicht möglich ist. Zunächst ist die geringe Anzahl der Fälle ausschlaggebend (zum Stand 2019 betrafen von 5.405 Fällen, in denen österreichische Pensionen nach Kanada (inkl. Québec) gezahlt wurden, nur 6 Fälle Invaliditätsleistungen). Von diesen sind dann nur jene Fälle betroffen, in denen eine Zusammenrechnung der Versicherungszeiten für den Anspruch erforderlich ist und eklatante Lücken in der zwischenstaatlichen Versicherungskarriere auftreten. Zusätzlich ist noch zu beachten, dass sich die Anzahl der Fälle betreffend Invaliditätsleistungen generell in zwischenstaatlichen Fällen erheblich verringert, da nunmehr für jene Personen, für die vorübergehend eine Invalidität für mindestens 6 Monate festgestellt wurde, nach nationalem österreichischen Recht als Leistung aus der Krankenversicherung das Rehabilitationsgeld gewährt wird, welches vom sachlichen Geltungsbereich der Vereinbarung nicht umfasst ist (bereits zuerkannte befristete Invaliditätspensionen bleiben nur bis zum Ablauf der Befristung aufrecht). Diese Reduktion der zwischenstaatlichen Fälle würde sich ohnehin, also auch ohne Revision der Vereinbarung, ergeben. Zusammenfassend muss man daher zum Ergebnis kommen, dass auch in diesem Bereich keine finanziellen Auswirkungen mit der Revision verbunden sind.
Der Ausschuss für Arbeit und Soziales hat die gegenständliche Regierungsvorlage in seiner Sitzung am 16. März 2022 in Verhandlung genommen. An der Debatte beteiligte sich im Anschluss an die Ausführungen des Berichterstatters Abgeordneten Mag. Markus Koza der Abgeordnete Alois Stöger, diplômé.
Bei der Abstimmung wurde der in der Regierungsvorlage enthaltene Gesetzentwurf einstimmig beschlossen.
Als Ergebnis seiner Beratungen stellt der Ausschuss für Arbeit und Soziales somit den Antrag, der Nationalrat wolle dem von der Bundesregierung vorgelegten Gesetzentwurf (1360 der Beilagen) die verfassungsmäßige Zustimmung erteilen.
Wien, 2022 03 16
Mag. Markus Koza Josef Muchitsch
Berichterstatter Obmann