1418 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XXVII. GP

 

Bericht

des Ausschusses für Arbeit und Soziales

über den Antrag 1672/A(E) der Abgeordneten Dr. Dagmar Belakowitsch, Kolleginnen und Kollegen betreffend Aussteuerungssystem des ÖVP-Wirtschaftsbundes gegen Arbeitslosen in Österreich in Zeiten der Corona-Arbeitsmarktkrise

Die Abgeordneten Dr. Dagmar Belakowitsch, Kolleginnen und Kollegen haben den gegenständlichen Entschließungsantrag am 20. Mai 2021 im Nationalrat eingebracht und wie folgt begründet:

„Der ÖVP-Wirtschaftsbund ist nun auch arbeitsmarkt- und sozialpolitisch ohne Wenn und Aber in den 30 iger Jahren des letzten Jahrhunderts angelangt, wie ein intern ausgearbeitetes ‚Aussteuerungssystem‘ gegen Arbeitslose in Österreich in Zeiten der Corona-Arbeitsmarktkrise belegt:

‚diepresse.com‘ gefunden am 07.05.2021 06:24 Uhr

ÖVP-Wirtschaftsbund: Arbeitslosengeld soll mit Bezugsdauer sinken

Der ÖVP-Wirtschaftsbund möchte, dass Langzeitarbeitslose Jobs in ganz Österreich annehmen müssen und das Arbeitslosengeld mit Bezugsdauer sinkt – auf unter 40 Prozent.

Wien. Es ist ein internes Arbeitspapier, das als Leitlinie für die Mitglieder des Wirtschaftsbundes der ÖVP dient. Gerade einmal sieben DIN-A4-Seiten lang – aber diese sieben Seiten haben es in sich.

Der Wirtschaftsbund, dessen Chef Harald Mahrer ist, in einem seiner Brotberufe Präsident der Wirtschaftskammer, fordert darin unter anderem bei der Arbeitsmarktpolitik tiefgreifende Veränderungen. Dadurch will man die Menschen wieder in Beschäftigung bringen. Derzeit habe man nämlich die skurrile Situation, dass bei einer der höchsten Arbeitslosenzahlen der jüngeren Geschichte Firmen dennoch keine Mitarbeiter finden würden. Weil, wie es dem Papier heißt, die ‚unangenehme Wahrheit ist: Arbeit lohnt sich nicht immer‘.

Daher soll es als erste Maßnahme ein degressives Arbeitslosengeld geben, also eines, das mit der Dauer des Bezugs sinkt (das Arbeitslosengeld wird in der Regel für maximal zwölf Monate ausbezahlt). Unterm Strich soll es budgetneutral sein, also weder geringere noch höhere Kosten als jetzt verursachen.

Kein Zuverdienst mehr

Wie dieses System im Detail aussehen könnte, erklärt Kurt Egger, Generalsekretär des Wirtschaftsbundes, im Gespräch mit der ‚Presse‘ so: ‚Man kann am Anfang mehr bezahlen, durchaus auch für zwei, drei Monate 70 Prozent vom Letztbezug (diese Prozentzahl fordert die SPÖ seit Langem, derzeit sind es 55 Prozent, Anm.). Mit der Dauer sinkt das Arbeitslosengeld aber. Damit es aufkommensneutral bleibt, müsste es also in den letzten Monaten auf 40 Prozent oder darunter gehen.‘

Hand in Hand mit dieser Maßnahme müsse es auch eine zeitliche Begrenzung der Notstandshilfe geben (sie wird nach dem Arbeitslosengeld ausbezahlt, Anm.).

Ein weiterer Schritt, um die Annahme eines Jobangebots wieder attraktiver zu machen: Die Abschaffung der Zuverdienstmöglichkeit. Derzeit können Arbeitslose maximal 476 Euro brutto pro Monat zusätzlich zum Arbeitslosengeld verdienen.

‚In diesem Fall ist der Anreiz, eine Vollzeitbeschäftigung anzunehmen, für manche Berufsgruppen sehr gering‘, heißt es in dem Arbeitspapier der ÖVP-Teilorganisation. Durch die Zuverdienstmöglichkeit käme es nämlich ‚oftmals zu dem Ergebnis, dass Personen damit mehr verdienen als in potenziellen Jobs‘.

Strengere Zumutbarkeitsregeln

Auch an den Zumutbarkeitsbestimmungen will der Wirtschaftsbund drehen. Aktuell ist es nicht immer erforderlich, den Wohnort zu wechseln, wenn es geeignete Jobs in anderen Regionen gibt. Vermittelbare Positionen müssen normalerweise innerhalb einer Stunde vom Wohnort erreichbar sein.

Diese Wegzeit soll auf 1,5 Stunden ausgedehnt werden und bei Langzeitarbeitslosen gänzlich entfallen. Wörtlich heißt es im Arbeitspapier: ‚Bei Langzeitarbeitslosigkeit soll es möglich werden, Personen im ganzen Land zu vermitteln.‘ Diese Neuerungen würden ‚zu größeren Erfolgen bei der Vermittlung von Arbeitssuchenden führen‘, schreiben die Autoren.

Eine Neuerung soll nach den Wünschen des Wirtschaftsbundes für alle Beschäftigten gelten – und zwar eine Teilarbeit bei Krankheit. Derzeit sei ein Arbeitnehmer entweder krank oder gesund, auch wenn er beispielsweise mit einem verstauchten Fuß durchaus einen reinen Bürojob erledigen könnte.

Eingeschränkt arbeitsfähig

Es soll daher ‚die Möglichkeit zur Teilarbeit geschaffen werden, wo die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit tätigkeitsbezogen erfolgt‘, heißt es im Wirtschaftsbund-Papier. Entweder soll der Arzt je nach Krankheit die Arbeitszeit entsprechend kürzen oder die Arbeitsfähigkeit je nach Tätigkeit eingeschränkt werden. ‚Die Entscheidung lautet dann nicht krank oder gesund, sondern beispielsweise: 50 Prozent arbeitsfähig, nur einfache körperliche Tätigkeit.‘

Egger erklärt das Positionspapier des Wirtschaftsbundes so, dass aktuell viele Unternehmer darüber klagen würden, keine Mitarbeiter zu finden. ‚Das gilt nicht nur für Facharbeiter, bei denen es seit Jahren einen Mangel gibt. Das gilt auch für ganz normale Tätigkeiten.‘ Und es könne doch nicht sein, dass ‚in Zeiten einer Wirtschaftskrise mit Rekordarbeitslosigkeit Tausende offene Stellen unbesetzt sind‘.

Für den Wirtschaftsbund-Generalsekretär werden in dem Arbeitspapier die ‚richtigen Instrumente‘ genannt, um für den zu erwartenden Wirtschaftsaufschwung nach dem Ende der Pandemie gerüstet zu sein und die dann wieder notwendigen Arbeitskräfte zur Verfügung zu haben. Egger: ‚Ein eigenes Einkommen durch eine Erwerbstätigkeit ist auch eine Sinnerfüllung des Lebens.‘

Mit Stand Ende April 2021 waren in Österreich 433.443 Personen ohne Job oder in Schulungen des AMS. Vor rund einem Jahr, Mitte April 2020, lag die Zahl der Arbeitslosen und AMS‑Schulungsteilnehmer auf einem Rekordhoch von 588.200.

Weblink: https://www.diepresse.com/5976445/ovp-wirtschaftsbund-arbeitslosengeld-soll-mit-bezugsdauer-sinken

Zur zeithistorischen Erinnerung an die Mitglieder des ÖVP-Parlamentsklubs:

Das Jahr 1933 stellt für Österreich in der politisch und gesellschaftlich instabilen Lage der 30er Jahre eine entscheidende Zäsur dar. Die Arbeitslosigkeit erreichte ihren Höchststand: rund 600.000 Arbeitslose, von denen nur rund 65 Prozent noch Arbeitslosenunterstützung erhielten; alle anderen waren ‚ausgesteuert‘, also ohne staatliche Unterstützung. Fast jeder zweite Industriearbeiter war ohne Beschäftigung.

1933 | Österreichische Mediathek

 

Der Ausschuss für Arbeit und Soziales hat den gegenständlichen Entschließungsantrag in seiner Sitzung am 9. Juni 2021 erstmals in Verhandlung genommen. An der Debatte beteiligten sich außer der Berichterstatterin Abgeordneten Dr. Dagmar Belakowitsch die Abgeordneten Rebecca Kirchbaumer, Alois Stöger, diplômé, Mag. Gerald Loacker, Mag. Markus Koza, Peter Wurm, Mag. Ernst Gödl, Tanja Graf, Mag. Michael Hammer sowie der Bundesminister für Arbeit Mag. Dr. Martin Kocher und der Ausschussobmann Abgeordneter Josef Muchitsch. Anschließend wurden die Verhandlungen vertagt.

Der Ausschuss für Arbeit und Soziales hat den gegenständlichen Entschließungsantrag in seiner Sitzung am 6. Oktober 2021 erneut in Verhandlung genommen. An der Debatte beteiligten sich die Abgeordneten Mag. Markus Koza, Mag. Gerald Loacker, Bettina Zopf sowie der Bundesminister für Arbeit
Mag. Dr. Martin Kocher und der Ausschussobmann Abgeordneter Josef Muchitsch. Die Verhandlungen wurden vertagt.

Der Ausschuss für Arbeit und Soziales hat den gegenständlichen Entschließungsantrag in seiner Sitzung am 16. März 2022 erneut in Verhandlung genommen. An der Debatte beteiligten sich die Abgeordneten Mag. Verena Nussbaum, Tanja Graf, Mag. Gerald Loacker, Dr. Dagmar Belakowitsch und sowie der Bundesminister für Arbeit Mag. Dr. Martin Kocher und der Ausschussobmann Abgeordneter Josef Muchitsch.

Bei der Abstimmung fand der gegenständliche Entschließungsantrag der Abgeordneten Dr. Dagmar Belakowitsch, Kolleginnen und Kollegen keine Mehrheit (für den Antrag: S, F, dagegen: V, G, N).

 

Zur Berichterstatterin für den Nationalrat wurde Abgeordnete Tanja Graf gewählt.

Als Ergebnis seiner Beratungen stellt der Ausschuss für Arbeit und Soziales somit den Antrag, der Nationalrat wolle diesen Bericht zur Kenntnis nehmen.

Wien, 2022 03 16

                                     Tanja Graf                                                                    Josef Muchitsch

                                  Berichterstatterin                                                                          Obmann