1512 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XXVII. GP
Bericht
des Ausschusses für Menschenrechte
über den Antrag 2601/A(E) der Abgeordneten Dr. Ewa Ernst-Dziedzic, Dr. Gudrun Kugler, Kolleginnen und Kollegen betreffend Einhaltung der Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts in der Ukraine und individuelle strafrechtliche Verantwortlichkeit
Die Abgeordneten Dr. Ewa Ernst-Dziedzic, Dr. Gudrun Kugler, Kolleginnen und Kollegen haben den gegenständlichen Entschließungsantrag am 19. Mai 2022 im Nationalrat eingebracht und wie folgt begründet:
„Selbst im Krieg gibt es Regeln, die zwingend zu befolgen sind. Die Regeln des humanitären Völkerrechts stellen gleichsam rote Linien dar, die sich letztlich aufgrund des unsagbaren Leids, das Kriege hervorrufen, im Völkerrecht herausgebildet haben und zu befolgen sind. Ebenso ist die Einhaltung der Menschenrechte und insbesondere der Schutz von Personen in vulnerablen Situationen, einschließlich von Frauen, Menschen mit Behinderungen und Kindern, zu gewährleisten.
Das humanitäre Völkerrecht umfasst unter anderem Regeln zu zulässigen Mitteln und Methoden der Kriegführung, zur Behandlung geschützter Personen wie beispielsweise verwundeten Soldat:innen, Kriegsgefangenen und Zivilpersonen, zum Schutz von Sanitätsdiensten und Krankenhäusern, humanitären Organisationen wie insbesondere dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz, Kulturgütern und anderen zivilen baulichen Einrichtungen, sowie grundsätzliche Bestimmungen hinsichtlich der strafrechtlichen Verfolgung von Kriegsverbrechen. Zum Kern dieses komplexen Rechtsgebiets des Völkerrechts zählen die Genfer Abkommen mit ihren Zusatzprotokollen sowie die Haager Abkommen. Eine Reihe von grundlegenden Prinzipien sind als Teil des Völkergewohnheitsrechts verpflichtend zu befolgen. Gemäß Art. 9 Abs. 1 B-VG gelten die allgemein anerkannten Regeln des Völkerrechtes als Bestandteile des Bundesrechtes.
Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit stellen besonders schwerwiegende Verstöße gegen das Völkerrecht dar. Im Kontext des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine werden wiederholt schwerwiegende Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht beobachtet, etwa Gräueltaten gegen die Zivilbevölkerung, Angriffe auf Schulen und Krankenhäuser, Verletzungen des Verbots der Folter, systematische Vergewaltigungen etc. So gibt es im Kontext des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine bereits Hinweise auf systematische Vergewaltigungen von Frauen und Männern, auch Kindern, als strategisches Instrument der Kriegsführung.
In einer Zusammenfassung des Expert:innenberichts[1] der OSZE Fact-Finding Mission im Rahmen des Moskauer Mechanismus fand die Mission klare Muster von Verletzungen des humanitären Völkerrechts durch russische Streitkräfte in der Kriegsführung (“clear patterns of IHL [International Humanitarian Law] violations by the Russian forces in their conduct of hostilities”), etwa im Bereich der Unterscheidung zwischen Kombattanten und Nicht-Kombattanten, bezüglich der Verhältnismäßigkeit oder hinsichtlich Angriffen auf besonders geschützte Objekte wie Krankenhäuser. Darüber hinaus sah die Mission auch Verletzungen und „Probleme“ auf ukrainischer Seite. Die OSZE Mission befasste sich weiters mit den Auswirkungen des Konflikts auf die Menschenrechtslage insgesamt und fand glaubhafte Beweise zur Verletzung selbst elementarster Menschenrechte (Recht auf Leben, Verbot der Folter) und insbesondere für schwerwiegende Auswirkungen auf Personen, die zu vulnerablen Gruppen gehören, wie Kinder, ältere Menschen und Menschen mit Behinderungen.
Österreich unterstützt jeden Schritt, der der Weltöffentlichkeit signalisiert, dass gravierende Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht, wie Kriegsverbrechen, geächtet und geahndet werden. Eine Vielzahl an internationalen Gremien und Akteuren, von den Vereinten Nationen bis hin zu internationalen Gerichten, wie dem Internationalen Gerichtshof und dem Internationalen Strafgerichtshof, hat sich bereits im Kontext des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine geäußert und dabei wiederholt auf die Notwendigkeit der Einhaltung des humanitären Völkerrechts hingewiesen.
In einer Resolution der Generalversammlung der Vereinten Nationen vom 28.3.2022[2] wurde insbesondere die Einstellung von Angriffen auf die Zivilbevölkerung und zivile Ziele eingefordert, ebenso der Schutz von Zivilistinnen und Zivilisten, humanitärem und medizinischem Personal, Journalistinnen und Journalisten und Personen in vulnerabler Situation. Ebenso wurden die Achtung und der Schutz von Objekten, die für das Überleben der Zivilbevölkerung unabdingbar sind, sowie der Schutz von ziviler Infrastruktur, die wesentlich für die elementaren Hilfestellungen im bewaffneten Konflikt sind, eingefordert. Weiters wurden alle Konfliktparteien aufgefordert, Zivilist:innen diskriminierungsfrei sichere Fluchtkorridore zu gewähren. Schließlich wurden alle Verletzungen des humanitären Völkerrechts sowie Verletzungen von Menschenrechten verurteilt und alle Seiten des bewaffneten Konflikts aufgefordert, das humanitäre Völkerrecht, die Menschenrechte und das internationale Flüchtlingsrecht strikt einzuhalten.
Österreich ist Gründungsmitglied und seit 28. Dezember 2000 Mitgliedsstaat des IStGH mit Sitz in Den Haag, welcher eingerichtet wurde, um die im IStGH-Statut geregelten schwerwiegenden Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht strafrechtlich zu ahnden und eine individuelle strafrechtliche Verantwortlichkeit zu begründen.
Im Einklang mit Artikel 5 des IStGH-Statuts beschränkt sich die Gerichtsbarkeit des IStGH auf „die schwersten Verbrechen […], welche die internationale Gemeinschaft als Ganzes berühren.“ Die Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs erstreckt sich auf das Verbrechen des Völkermords, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und – unter bestimmten Voraussetzungen – das Verbrechen der Aggression.
Artikel 8 Abs. 2 des IStGH-Statuts definiert den Tatbestand eines Kriegsverbrechens.
Österreich hat am 2. März 2022 gemeinsam mit 40 weiteren Staaten die Situation in der Ukraine an den IStGH verwiesen, wobei das Büro des Chefanklägers noch am selben Tag Ermittlungen aufnahm. Österreich unterstützt die Ermittlungen des IStGH und sämtliche Bemühungen, die Verantwortlichen von mutmaßlichen Kriegsverbrechen zur Rechenschaft zu ziehen. Um die Aufklärung der in der Ukraine begangenen Kriegsverbrechen voranzutreiben, richtete das Justizministerium umgehend eine Kontaktstelle bei Eurojust zur Verfolgung von Kriegsverbrechen in der Ukraine ein und entsendet eine/n zusätzliche/n Justizexperten/in an den IStGH.[3] Das Außenministerium unterstützt das Büro des Anklägers des IStGH mit einem zusätzlichen, freiwilligen Beitrag in Höhe von EUR 100.000. Der Beitrag wird an einen Fonds des IStGH gezahlt, welcher zur Verarbeitung und Analyse von Beweismitteln sowie zur Finanzierung spezifischer Expertise für psychologische Hilfe für Opfer und Zeug:innen eingesetzt wird.[4]
Aufgrund der mutmaßlichen Kriegsverbrechen gilt es, Beweise rasch, systematisch und effizient zu sammeln sowie unabhängige, internationale Untersuchungen einzuleiten, die zu einer objektiven Aufklärung der Geschehnisse beitragen. In diesem Zusammenhang hat der UN-Menschenrechtsrat in einer Resolution[5] aus März 2022 die Einrichtung einer Unabhängigen Internationalen Untersuchungskommission zur Ukraine mit Sitz in Wien beschlossen. Ziel der Untersuchungskommission ist es, Verletzungen von Menschenrechten und des humanitären Völkerrechts im Kontext der russischen Invasion in der Ukraine zu untersuchen sowie Empfehlungen abzugeben.
Ebenso unterstützt die EU-Justizagentur Eurojust die Koordinierung und Zusammenarbeit zwischen den nationalen Justizbehörden.[6] Aus österreichischer Sicht besonders bedeutsam im Sinne der Aufklärung möglicher Straftaten ist es, Vertriebene aus der Ukraine bei ihrer Einreise nach Österreich zu ihren Wahrnehmungen hinsichtlich möglicher Verstöße gegen Völkerstrafrecht zu befragen, diese Aussagen entsprechend zu dokumentieren sowie diesen Vorwürfen – bei Vorliegen der Zuständigkeit – auch strafrechtlich nachzugehen. Die österreichische Justiz könnte Kriegsverbrechen im russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine auch innerstaatlich strafrechtlich verfolgen. Für solche Verfahren in Österreich gibt es mit den §§ 64f StGB bereits eine Rechtsgrundlage; ein Erlass zur Konkretisierung ist in Ausarbeitung.
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die vielfältigen Bestrebungen auf internationaler, europäischer und nationaler Ebene darauf abzielen, die Verantwortlichen für schwerste völkerrechtliche Verbrechen zur Rechenschaft zu ziehen und die Straflosigkeit zu unterbinden. Eine Stärkung des Völkerstrafrechts trägt zur Abschreckung und Prävention hinsichtlich der schwersten völkerrechtlichen Verbrechen bei, erlaubt es die individuelle strafrechtliche Verantwortlichkeit festzustellen und Opfern wie Angehörigen Zugang zu Reparationen und weiterer Unterstützung einzuräumen. In diesem Zusammenhang ist es unerlässlich, für den Schutz der Unabhängigkeit internationaler Gerichte einzutreten und weitere Staaten von der Wichtigkeit des Beitritts zum Römer Statut zu überzeugen. Die Zusammenarbeit der diversen Akteure auf internationaler und europäischer Ebene mit den zuständigen Stellen auf nationaler Ebene ist voranzutreiben, damit Beweise systematisch ausgewertet und eine zügige Durchführung der Strafverfahren ermöglicht werden kann.
Österreich kann sich vieler unterschiedlicher Möglichkeiten zur Unterstützung internationaler Institutionen, die sich für die Einhaltung von Menschenrechten und des humanitären Völkerrechts sowie für die Feststellung der individuellen strafrechtlichen Verantwortlichkeit einsetzen, bedienen. Neben der finanziellen Unterstützung durch verpflichtende und freiwillige Beiträge bieten sich etwa Möglichkeiten der Unterstützung durch personelle Ressourcen, wie die bereits beschlossene Entsendung eines bzw. einer nationalen Experten/in an den IStGH, sowie strukturelle Bemühungen zur Förderung der Aufnahme österreichischer Staatsbürger in relevante internationale Organisationen entsprechend den dafür vorgesehenen nationalen Quoten. Darüber hinaus bieten sich Möglichkeiten im Bereich der verstärkten Kooperation mit internationalen Organisationen und Gerichten.
Der Nationalrat anerkennt die besondere Bedeutung der Einhaltung des Völkerrechts als Anliegen der gesamten internationalen Staatengemeinschaft und unterstützt die Bemühungen Österreichs zu einem umfassenden Menschenrechtsschutz mit besonderem Augenmerk auf besonders vulnerable Gruppen.“
Der Ausschuss für Menschenrechte hat den gegenständlichen Entschließungsantrag in seiner Sitzung am 8. Juni 2022 in Verhandlung genommen. An der Debatte beteiligten sich außer der Berichterstatterin Abgeordneten Dr. Ewa Ernst-Dziedzic die Abgeordneten Dr. Gudrun Kugler, Mag. Dr. Martin Graf, Petra Bayr, MA MLS sowie der Bundesminister für europäische und internationale Angelegenheiten Mag. Alexander Schallenberg, LL.M. und der Ausschussobmann Abgeordneter Dr. Nikolaus Scherak, MA.
Bei der Abstimmung wurde der gegenständliche Entschließungsantrag der Abgeordneten Dr. Ewa Ernst-Dziedzic, Dr. Gudrun Kugler, Kolleginnen und Kollegen einstimmig beschlossen.
Als Ergebnis seiner Beratungen stellt der Ausschuss für Menschenrechte somit den Antrag, der Nationalrat wolle die angeschlossene Entschließung annehmen.
Wien, 2022 06 08
Dr. Ewa Ernst-Dziedzic Dr. Nikolaus Scherak, MA
Berichterstatterin Obmann
[1] Report On Violations Of International Humanitarian And Human Rights Law, War Crimes And Crimes Against Humanity Committed In Ukraine Since 24 February 2022’, verfügbar unter: https://www.osce.org/odihr/515868.
[2] https://documents-dds-ny.un.org/doc/UNDOC/GEN/N22/301/67/PDF/N2230167.pdf?OpenElement.
[3] https://orf.at/stories/3255698/.
[4] Kriegsverbrechen in der Ukraine: Österreich unterstützt Ermittlungen des Internationalen Strafgerichtshofs | Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten, 22.04.2022 (ots.at).
[5] https://documents-dds-ny.un.org/doc/UNDOC/GEN/G22/277/44/PDF/G2227744.pdf?OpenElement.
[6] APA0018 5 AI 0719, 20.04.2022.