1561 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XXVII. GP

 

Bericht

des Justizausschusses

über die Regierungsvorlage (1527 der Beilagen): Bundesgesetz, mit dem das Unterbringungsgesetz, das Sicherheitspolizeigesetz, das IPR-Gesetz, das Außerstreitgesetz und die Notariatsordnung geändert werden (Unterbringungsgesetz- und IPR-Gesetz-Novelle 2022 – UbG-IPRG-Nov 2022)

Im Mai 2016 hat ein einundzwanzigjähriger geistig verwirrter obdachloser Mann (im Folgenden „N.“) am Brunnenmarkt in Wien Ottakring ohne ersichtlichen Grund eine Passantin mit einer Eisenstange erschlagen. Zur Aufarbeitung dieser Geschehnisse wurde eine Sonderkommission eingerichtet. Diese hat unter anderem „Defizite in der Vernetzung und bei den Informationsflüssen zwischen den verschiedenen Beteiligten, dadurch keine Zusammenführung der Informationen und Koordinierung notwendiger Maßnahmen“ sowie „fehlende oder unklare Regelungen für den Informationsaustausch zwischen den verschiedenen Berufsgruppen und Behörden sowie Standards für das zielgerichtete Vorgehen bei psychischen Erkrankungen“ festgestellt.

Das gegenständliche, vom Bundesministerium für Inneres und vom Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz mitgetragene Reformvorhaben dient der Umsetzung der das Unterbringungsrecht betreffenden Empfehlungen dieser Sonderkommission (siehe den seit dem Frühjahr 2017 vorliegenden Abschlussbericht unter https://www.justiz.gv.at/home/service/publikationen/abschlussbericht-der-sonderkommission-brunnenmarkt~2c94848b5d5575b3015d64f867650ff4.de.html), beschränkt sich aber keineswegs darauf. In einem umfangreichen Arbeitsprozess (in über 25 Arbeitsgruppensitzungen von August 2018 bis April 2019) wurden – auch losgelöst vom so genannten „Brunnenmarkt-Fall“ – die derzeit aus Sicht der Praxis bestehenden Defizite des Unterbringungsgesetzes (UbG) erhoben und Lösungen entwickelt. An diesen Arbeiten waren laufend Experten aus den Bereichen der Psychiatrie, Kinder- und Jugendpsychiatrie, Kinder- und Jugendhilfe, dem Verfassungs- und Gesundheitsrecht, der Polizei, Justiz, Patientenanwaltschaft, Bewährungshilfe und Jugendgerichtshilfe sowie psychiatrieerfahrene Personen und Vertreter der Angehörigen, von psychosozialen Diensten und Unterstützungseinrichtungen, der Bundesländer und der Ärztekammer beteiligt.

Ein wichtiges Anliegen der Reform ist es auch, das UbG mit den Anforderungen der Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung (kurz: UN-Behindertenrechtskonvention) in Einklang zu bringen. In Hinkunft soll weniger über die Patienten, sondern mehr mit ihnen gesprochen werden.

Vertreter der Kinder- und Jugendpsychiatrie beklagen seit Längerem, dass das UbG ein „Erwachsenenpsychiatriegesetz“ sei und auf die besonderen Bedürfnisse der untergebrachten Minderjährigen zu wenig Rücksicht nehme (vgl. Berger, Spezifische Probleme der Unterbringung Minderjähriger, iFamZ-Sonderheft 2010, 18 [19]). Mit der vorliegenden Novelle, die einen eigenen Abschnitt mit Sonderregeln für Minderjährige vorsieht, soll auch dieser Kritik Rechnung getragen werden.

Einer Empfehlung der Sonderkommission „Brunnenmarkt“ folgend wurde im Herbst 2018 eine Forschungsarbeit zum Vollzug des UbG in Auftrag gegeben. Die Zwischen- und Endergebnisse dieser vom Institut für Rechts- und Kriminalsoziologie erstellten Studie (siehe den Endbericht unter www.irks.at/publikationen/studien/) flossen in das Reformwerk ein.

Das Regierungsprogramm 2020 bis 2024 sieht im Kapitel „Reform des Unterbringungsrechts“ folgende Maßnahmen vor:

-       „Evaluierung der Unterbringungsvoraussetzungen und -praktiken“

-       „Klärung der politischen Verantwortung durch Festmachung eines Weisungsrechts“

-       „Schaffung der gesetzlichen Voraussetzungen für eine bessere Vernetzung der verschiedenen Stellen unter Beachtung der datenschutzrechtlichen Notwendigkeiten“

-       „Klarere Aufgabenverteilung zwischen Polizei, Amtsärztinnen und Amtsärzten, Psychiatrien und Gerichten“.

Mit dem 2. Erwachsenenschutz-Gesetz (BGBl. I Nr. 59/2017) wurde die vormalige kraft Gesetzes entstandene Vertretungsbefugnis nächster Angehöriger (§ 284b ABGB idF BGBl I 92/2006, in der Folge kurz: Angehörigenvertretung) weiterentwickelt und nunmehr im Rahmen des Instituts der „gesetzlichen Erwachsenenvertretung“ geregelt. Neu ist, dass die Eintragung in das Österreichische Zentrale Vertretungsverzeichnis (ÖZVV) durch einen Notar, einen Rechtsanwalt oder einen Erwachsenenschutzverein für das Entstehen der Vertretung erforderlich ist; die Eintragung in das ÖZVV hat konstitutive Wirkung (§§ 245 Abs. 2, 270 ABGB).

Im österreichischen IPRG fand die Angehörigenvertretung keine ausdrückliche Berücksichtigung, auch für die gesetzliche Erwachsenenvertretung kennt das österreichische IPRG keine eigene Kollisionsnorm. § 15 IPRG regelt nach herrschender Lehre nur die gerichtliche Erwachsenenvertretung (Lurger/Melcher, Handbuch Internationales Privatrecht, 2/19; Nademleinsky, iFamZ 2018, 315; Traar, iFamZ 2017, 411). Aus den Erläuterungen zu § 15 IPRG (RV 2404 BlgNR 24. GP 10) geht hervor, dass diese Bestimmung nur für jene Fälle der Sachwalterschaft (nunmehr der gerichtlichen Erwachsenenvertretung) gelten soll, die das Haager Übereinkommen über den internationalen Schutz von Erwachsenen vom 13. Jänner 2000 (HESÜ, BGBl. III Nr. 287/2013) nicht regelt. Im Wesentlichen ist dies der Fall, wenn ein österreichischer Staatsbürger keinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem Vertragsstaat hat und sich die inländische Gerichtsbarkeit auf § 110 Abs. 1 Z 1 JN (österreichische Staatsangehörigkeit) stützt; damit wird der Grundgedanke des HESÜ (Gleichlauf von Forum und anwendbarem Recht) übernommen. § 15 IPRG kommt daher nach aktueller Rechtslage dann zur Anwendung, wenn der räumlich-persönliche Anwendungsbereich des HESÜ nicht gegeben ist (so auch Nademleinsky, iFamZ 2018, 315).

Sofern keine gerichtlichen oder behördlichen Maßnahmen getroffen werden, ist die gesetzliche Erwachsenenvertretung nach herrschender Lehre mit Hinweis auf den Lagarde-Bericht auch nicht vom HESÜ erfasst (vgl Lagarde-Bericht Rn 90; MüKoBGB/Lipp, Art. 24 EGBGB Rz 15 [noch zur Angehörigenvertretung nach der österreichischen Rechtslage vor dem 2. ErwSchG], Lurger/Melcher, Handbuch Internationales Privatrecht, 2/19 [ebenfalls noch zur Angehörigenvertretung]; Nademleinsky, iFamZ 2018, 314-315). Auf die Entstehung der gesetzlichen Erwachsenenvertretung österreichischer Prägung sind daher nach überwiegender Rechtsmeinung die Kollisionsnormen des HESÜ nicht anwendbar, weil die bloße Eintragung in das ÖZVV nicht als „behördliche Maßnahme“ im Sinne des HESÜ zu qualifizieren ist. Wird allerdings eine behördliche Maßnahme getroffen (etwa die Beendigung der gesetzlichen Erwachsenenvertretung durch Gerichtsbeschluss gemäß § 246 Abs. 1 ABGB), so sind die Kollisionsnormen des HESÜ sehr wohl wieder anzuwenden.

Für die Praxis ist nach aktueller Rechtslage nicht eindeutig geklärt, welches Recht zur Beurteilung, ob eine gesetzliche Erwachsenenvertretung vorgesehen ist und in das ÖZVV eingetragen werden kann, anzuwenden ist. Die Literaturmeinungen gehen hier auseinander und reichen von einer Anwendung des Rechts der Staatsangehörigkeit des Erwachsenen (Personalstatut) bis hin zur Anknüpfung an das Recht des gewöhnlichen Aufenthalts (vgl. etwa Nademleinsky, iFamZ 2018, 314 oder Traar, iFamZ 2017, 407). Nach dem Recht vieler Staaten ist eine Erwachsenenvertretung von Gesetzes wegen nicht vorgesehen. Käme das Recht dieser Staaten als Personalstatut zur Anwendung, so könnte eine Eintragung mangels Regelung im nationalen Recht nicht vorgenommen werden. Für Erwachsene mit ausländischer Staatsangehörigkeit hat diese Rechtsunsicherheit zur Folge, dass die Eintragung in das ÖZVV fallweise nicht durchgeführt und in der Folge ein gerichtlicher Erwachsenenvertreter bestellt wird, obwohl die Voraussetzungen einer gesetzlichen Erwachsenenvertretung nach österreichischem Recht erfüllt wären. Diese Situation ist auf Dauer nicht wünschenswert, eine Klärung durch den Gesetzgeber ist daher erforderlich.

 

Der Justizausschuss hat die gegenständliche Regierungsvorlage in seiner Sitzung am 21. Juni 2022 in Verhandlung genommen. An der Debatte beteiligten sich außer der Berichterstatterin Abgeordneten Bettina Zopf die Abgeordneten Mag. Harald Stefan, Dr. Nikolaus Scherak, MA, Mag. Selma Yildirim, Mag. Johanna Jachs und Heike Grebien sowie die Bundesministerin für Justiz Dr. Alma Zadić, LL.M.

Im Zuge der Debatte haben die Abgeordneten Mag. Michaela Steinacker und Mag. Agnes Sirkka Prammer einen Abänderungsantrag eingebracht, der wie folgt begründet war:

„Die in der Regierungsvorlage vorgesehene Paragrafenüberschrift vor § 31 UbG ist insofern irreführend, als auch in den Fällen des § 31 UbG der/die AbteilungsleiterIn – und nicht das Gericht – die Unterbringung beendet. Diese Paragrafenüberschrift soll daher – ebenso wie jene vor § 32 UbG – ersatzlos entfallen.

In der Z 4 soll ein Redaktionsversehen beseitigt werden.“

 

Bei der Abstimmung wurde der in der Regierungsvorlage enthaltene Gesetzentwurf unter Berücksichtigung des oben erwähnten Abänderungsantrages der Abgeordneten Mag. Michaela Steinacker und Mag. Agnes Sirkka Prammer einstimmig beschlossen.

Als Ergebnis seiner Beratungen stellt der Justizausschuss somit den Antrag, der Nationalrat wolle dem angeschlossenen Gesetzentwurf die verfassungsmäßige Zustimmung erteilen.

Wien, 2022 06 21

                                   Bettina Zopf                                                          Mag. Michaela Steinacker

                                  Berichterstatterin                                                                           Obfrau