Erläuterungen

Allgemeiner Teil

Die Bedeutung von Normen ist in den letzten Jahrzehnten deutlich gestiegen. Vor allem mit Einführung der „Neuen Konzeption“ („New Approach“) ab den 80er Jahren hat die Europäische Union (bzw. damals EWG) technische Detailregelungen der Normung überlassen. Aber auch abseits der daraus entstandenen harmonisierten Normen hat die internationale, europäische und nationale Normung Vorgaben nicht nur für eine Vielzahl von Produkten, sondern auch für Dienstleistungen, Gesundheitswesen, Digitalisierung, Hygiene, Qualitätssicherung u.a.m. entwickelt. Anzumerken ist, dass die rein nationale Normung parallel zu der angeführten Entwicklung massiv an Bedeutung verloren hat und mittlerweile einen Anteil von weniger als zehn Prozent hält.

Der Großteil der in der EU relevanten Normen wird von den europäischen Normungsorganisationen CEN, CENELEC und ETSI erarbeitet. Allerdings sind in den diversen Normungsgremien, in denen üblicherweise Normen entwickelt werden, bestimmte gesellschaftliche Bereiche nicht angemessen vertreten: während Unternehmen – und hier v.a. Großunternehmen – ihre Interessen in der Normung regelmäßig geltend machen können, sind die Zivilgesellschaft und hier u.a. Organisationen, die Verbraucher/innen sowie Menschen mit Behinderungen vertreten, mangels Ressourcen unterrepräsentiert. Dieses Defizit wurde und wird auf verschiedenen Ebenen angesprochen. So mahnt etwa die Europäische Normenverordnung explizit ein, dass auch die Verbraucherseite sowie Menschen mit Behinderungen bei der Normenentwicklung adäquat vertreten sein sollten und dafür Verbraucher- bzw. Behindertenorganisationen Zugang zur Normung ermöglicht und erleichtert werden muss: „Die europäischen Normungsorganisationen fördern und erleichtern eine angemessene Vertretung und wirkungsvolle Beteiligung aller einschlägigen Interessenträger, einschließlich KMU, Verbraucherorganisationen sowie von Interessenträgern ökologischer und sozialer Interessen, an ihren Normungstätigkeiten…“. Zuletzt hat die Europäische Kommission mit der Mitteilung COM(2022) 31 final vom 2.2.2022 eine neue Normenstrategie vorgestellt („Eine EU-Strategie für Normung – Globale Normen zur Unterstützung eines resilienten, grünen und digitalen EU‑Binnenmarkts festlegen“) und „fordert die europäischen Normungsorganisationen auf, bis Ende 2022 Vorschläge zur Modernisierung ihrer Governance vorzulegen, damit dem öffentlichen Interesse und den Interessen von KMU, Zivilgesellschaft und Nutzern umfassend Rechnung getragen und der Zugang zu Normen erleichtert wird.“

Diesen Problemen wurde in Österreich schon im Jahr 1990 mit der Idee eines „Verbraucherrates“ begegnet. Dieser sollte die Interessen der Verbraucher/innen in der Normung wahrnehmen und wurde schließlich 1991 auf Grundlage eines Ministerratsvortrags bei Austrian Standards International (ASI; damals Österreichisches Normungsinstitut – ON) als Sonderausschuss eingerichtet (Bundesministerium für Umwelt, Jugend und Familie zl. 13 5582/11-II/3/90 14. Juli 1990)(nunmehr „Ausschuss für Verbraucherangelegenheiten“).

Mit einer Förderung des für Konsumentenschutz zuständigen Ressorts wurde zur operativen Unterstützung des Verbraucherrates parallel am ASI ein Büro („Büro des Verbraucherrats“) finanziert, das die Entwicklung von Normen beobachtet und begleitet, Entscheidungsgrundlagen erarbeitet, Stellungnahmen zu Normen abgibt, Expertinnen und Experten in Normungsgremien entsendet, die Leitung (Sekretariat) von Normungsgremien übernimmt u.v.a.m. Im Jahr 2005 wurde die Förderung des Verbraucherrates im § 24 des Produktsicherheitsgesetzes 2004, BGBl. I Nr. 16/2005, rechtlich verankert. Allein schon im Hinblick auf die Sicherheit von Produkten ist die Teilnahme an Normungsprozessen durch Verbraucher/innen unerlässlich.

Die Fokussierung auf das ASI beruht auf der bisherigen Geschichte des Verbraucherrates bzw. des Büros des Verbraucherrates. Selbstverständlich umfasst das Tätigkeitsspektrum der Fachstelle auch Normung anderer Organisationen wie etwa des Österreichischen Verbandes für Elektrotechnik (OVE), mit dem ebenfalls die Zusammenarbeit gesucht werden soll.

Im Laufe der Jahre hat der Verbraucherrat auch den Themenbereich „Design for all“ übernommen und sich somit im Bereich Barrierefreiheit engagiert, wenn auch auf Grund begrenzter Ressourcen nur eingeschränkt. Gerade dieser Bereich ist aber für die Betroffenen von immenser Bedeutung: Barrierefreiheit gehört zu den Allgemeinen Grundsätzen nach Artikel 3 der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) und ist Voraussetzung dafür, dass Menschen mit Behinderungen selbstbestimmt leben, vollständig und gleichberechtigt an der Gesellschaft teilhaben und ihre Rechte ausüben können. Dem Grundgedanken des „Design for all“ folgend, sollen Produkte grundsätzlich für alle Nutzer und Nutzerinnen ohne zusätzliche Anpassungen verwendbar sein. Barrierefreiheit und „universal design“ sind daher auch in der UN-Behindertenrechtskonvention als wesentliche Voraussetzungen für Inklusion von Menschen mit Behinderung verankert.

Die Richtlinie (EU) 2019/882 über die Barrierefreiheitsanforderungen für Produkte und Dienstleistungen (European Accessibility Act – EAA) wird zukünftig wesentliche Verbesserungen für Menschen mit Behinderungen bringen. Sie stellt einen Beitrag zur EU-weiten Harmonisierung von Barrierefreiheitsanforderungen für bestimmte Produkte und Dienstleistungen dar, für die auch entsprechende harmonisierte Normen erarbeitet werden müssen. Die Europäische Kommission wird im Zusammenhang mit dem EAA demnächst einen Auftrag an die Europäischen Normungsorganisationen zur Überarbeitung bestehender und Ausarbeitung von harmonisierten Normen erteilen. Eine starke Vertretung der Anliegen von Menschen mit Behinderungen in den entsprechenden Gremien ist daher eine vordringliche Aufgabe.

Hinsichtlich Gleichstellung wird festgehalten, dass die Interessen von Verbraucherinnen und Verbrauchern bzw. Frauen und Männern mit Behinderung von der Fachstelle gleichwertig wahrzunehmen sind.

Auf Grund organisatorischer Veränderungen kann das „Büro des Verbraucherrates“ nicht mehr wie bisher fortgeführt werden; der Ausschuss für Verbraucherangelegenheiten bei ASI ist davon zwar nicht betroffen, der Wegfall des Büros würde aber bedeuten, dass die operative Tätigkeit im Hinblick auf Normung für Verbraucher/innen sowie Menschen mit Behinderungen weitgehend zum Erliegen kommen würde.

Mit Entschließung vom 15.12.2021 hat der Nationalrat den Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz ersucht, die Einrichtung einer Fachstelle zur Wahrnehmung der Interessen der Verbraucher/innen in der Normung einschließlich Barrierefreiheiten zu prüfen (227/E XXVII. GP)

Auf Grundlage diese Berichtes, der am 15.6.2022 vom Nationalrat zur Kenntnis genommen wurde, wurde der gegenständliche Gesetzesvorschlag ausgearbeitet, wonach mit der Einrichtung einer „Fachstelle Normungsbeteiligung“ für Verbraucher/innen sowie Menschen mit Behinderungen eine angemessene Mitwirkung an der Normung sichergestellt werden soll.

Der Bund bzw. das Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz kann die Aufgaben der Fachstelle nicht selbst übernehmen, da sich die Interessenslage bei Normen für die staatliche Verwaltung anders darstellt oder darstellen kann, wie für eine Stelle, die dezidiert im Sinne von Verbraucherinnen und Verbrauchern bzw. Menschen mit Behinderungen am Normungsgeschehen teilnimmt.

Kompetenzgrundlage

Das vorgeschlagene Bundesgesetz stützt sich auf Art. 10 des Bundes-Verfassungsgesetzes, insbesondere hinsichtlich

- Normenwesen auf Abs. 1 Z 5

- Produktsicherheit auf Abs. 1 Z 8 (Angelegenheiten des Gewerbes und der Industrie)

Begutachtungsverfahren

Im Begutachtungsverfahren wurde der Entwurf überwiegend begrüßt; eine Reihe von Anmerkungen wurde im Entwurf nunmehr berücksichtigt, u.a.:

                        – Neuer Kurztitel („Fachstelle-Normungsbeteiligung-Gesetz“ statt „Normungsbeteiligungsgesetz“) und neue Abkürzung („FNBG“).

                        – Konkretisierung der für Dienstverträge der Fachstelle anzuwendenden arbeitsrechtlichen Bestimmungen.

                        – Aufträge von Dritten können nur dann entgegengenommen werden, wenn sie den Zielen dieses Gesetzes entsprechen.

                        – Der jährliche Tätigkeitsbericht ist dem/der Bundesminister/in für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz vorzulegen und von diesem/dieser zu veröffentlichen.

                        – Konkretisierung des Eintrags im Firmenbuch.

                        – Die Geschäftsordnung wirkt im Innenverhältnis, ist vom/von der Leiter/in der Fachstelle zu erstellen und vom/von der Bundesminister/in für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz zu genehmigen.

                        – Periodische Evaluierung der Tätigkeit der Fachstelle.

Besonderer Teil

Zu § 1:

Mit dem Verweis auf die österreichische Normenstrategie (https://www.bmdw.gv.at/Themen/Technik-und-Vermessung/Normung.html) und das Normengesetz 2016 werden zwei Grundlagen für dieses Bundesgesetz aufgeführt, in denen eine stärkere Beteiligung u.a. von Verbraucherinnen und Verbrauchern bzw. von Menschen mit Behinderungen an der (Weiter-)Entwicklung von Normen eingefordert wird.

Mit dem ebenfalls angeführten Produktsicherheitsgesetz 2004 wurde schon bisher die Verpflichtung des/der für Konsumentenschutz zuständigen Ministers/Ministerin zur „Förderung einer geeigneten Institution wie etwa dem beim Österreichischen Normungsinstitut eingerichteten Verbraucherrat“ normiert. Dieses Fördermodell (die Förderung des bisherigen Büros des Verbraucherrates) wird mit dem gegenständlichen Bundesgesetz abgelöst (dementsprechend ist für 2023 keine Förderung des Büros des Verbraucherrates mehr vorgesehen) und neue organisatorische Voraussetzungen für die Beteiligung an der Normung geschaffen.

Zu § 2:

Mit Abs.1 wird die Einrichtung einer Anstalt öffentlichen Rechts des Bundes (Bundesanstalt) mit eigener Rechtspersönlichkeit in Form einer „Fachstelle Normungsbeteiligung“ geregelt. Der Begriff „Fachstelle“, der dem Tierschutzgesetz BGBl. I Nr. 118/2004, in der geltenden Fassung, bzw. der Fachstellen-/HaltungssystemeVO, BGBl. II Nr. 63/2012, entnommen wurde, bringt zum Ausdruck, dass die mit diesem Bundesgesetz einzurichtende Organisation eine kleine Einrichtung mit einigen wenigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sein soll. Gemäß Abs. 2 ist die Tätigkeit der Fachstelle nicht gewinnorientiert. Gemäß Abs. 3 trifft den Bund keine Haftung für Pflichten, die die Fachstelle eingeht.

Zu § 3:

Die wesentlichen Aufgaben der Fachstelle werden hier – nicht erschöpfend – angeführt; sie entsprechen weitgehend den Aufgaben des bisherigen Büros des Verbraucherrates, wie sie im informellen Anhang der Geschäftsordnung des Ausschusses für Verbraucherangelegenheiten bei Austrian Standards International aufgeführt werden.

Da das ASI der Einrichtung der Fachstelle positiv gegenübersteht, wird davon ausgegangen, dass auch der Ausschuss für Verbraucherangelegenheiten als dauerhafte Einrichtung am ASI bestehen bleibt und die fortdauernde Kooperation mit der Fachstelle ermöglicht wird.

Ohne sie explizit aufzuzählen, bedarf die Tätigkeit der Fachstelle hinsichtlich Verbraucherinteressen umfangreicher Kooperationen und der Vernetzung mit einschlägigen Organisationen wie zB ANEC (Europäische Vertretung der Konsumenteninteressen in der Normung); bei der Vertretung der Interessen von Menschen mit Behinderungen werden u.a. auch Organisationen für und von Selbstvertreter/innen einzubinden sein.

Zu § 4:

Im Rahmen ihrer eigenen Rechtspersönlichkeit wird die Fachstelle zu allen erforderlichen Geschäften berechtigt. Dazu zählt auch die Möglichkeit, gegen angemessenes Entgelt Tätigkeiten im Auftrag Dritter zu erbringen – dies könnte zB die Beobachtung und Mitgestaltung eines konkreten Normenvorhabens sein, an dem eine Institution besonderes Interesse hat; die Tätigkeiten müssen aber dem Ziel des § 1 entsprechen. Daraus resultierende Einnahmen sind im Gebarungsvorschlag der Fachstelle zu berücksichtigen und zur Finanzierung ihrer Aufgaben heranzuziehen.

Als Arbeitgeberin ihres Personals hat die Fachstelle die entsprechenden privatrechtlichen Rechtsvorschriften anzuwenden (Angestelltengesetz und Arbeitszeitgesetz).

Gemäß Abs. 4 hat die Fachstelle jährlich ein Arbeitsprogramm und einen Tätigkeitsbericht vorzulegen. Wesentlich ist, dass das Arbeitsprogramm mit dem Ausschuss für Verbraucherangelegenheiten am ASI und dem Behindertenrat abgestimmt wird, um eine einvernehmliche Priorisierung von zu bearbeitenden Normungsbereichen zu ermöglichen.

Mit Abs. 5 wird die Pflicht zur jährlichen Vorlage eines Gebarungsvorschlags und Rechnungsabschlusses normiert. Tätigkeiten wie etwa Buchführung können auch ausgelagert werden.

Der Bund haftet nicht für Verbindlichkeiten der Fachstelle, die im Zusammenhang mit der Aufgabenwahrnehmung entstehen (Abs. 6).

Zu § 5:

Gemäß Stellenbesetzungsgesetz ist vom/von der Bundesminister/in für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz für die Dauer von bis zu fünf Jahren ein/e Leiter/in der Fachstelle zu bestellen; die Bestellung erfolgt nach Anhörung des Ausschusses für Verbraucherangelegenheiten bei Austrian Standards International sowie des Behindertenrates, da mit diesen eine enge Zusammenarbeit herzustellen ist; eine Wiederbestellung ist zulässig; eine Abberufung bedarf wichtiger Gründe.

Die Geschäftsführung und die Vertretung der Fachstelle wird von ihrem/er Leiter/in ausgeübt; die Grundsätze eines ordentlichen Unternehmers sind einzuhalten. Darüber hinaus ist der/die Leiter/in verpflichtet ein Planungs- und Berichterstattungssystem, ein Rechnungswesen und ein internes Kontrollsystem einzurichten. Weiters ist eine Firmenbucheintragung vorzunehmen.

Zu § 6:

Die Fachstelle unterliegt hinsichtlich der Erfüllung ihrer Aufgaben der Aufsicht des/der Bundesministers/Bundesministerin für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz sowie der Kontrolle des Rechnungshofes. Damit verbunden ist eine umfassende Auskunfts- und Mitwirkungspflicht.

Nähere Bestimmungen über die Organisation der Fachstelle etc. werden in einer Geschäftsordnung festgelegt.

Die/der Bundesminister/in für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz hat die Tätigkeit der Fachstelle periodisch (alle drei Jahre) zu evaluieren und den Evaluierungsbericht zu veröffentlichen; die erste Evaluierung erfolgt 2026; zuvor befindet sich die Fachstelle noch in der Aufbauphase, so dass ein früherer Evaluierungszeitpunkt nicht sinnvoll wäre.

Zu § 7:

Die Finanzierung der Fachstelle erfolgt – wie schon die des bisherigen Büros des Verbraucherrates – aus Mitteln des Bundesministeriums für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz (siehe dazu auch die WFA). Die Zuwendungen an die Fachstelle erfolgen auf Grundlage von Arbeitsprogramm, Gebarungsvorschlag und vorangegangenen Rechnungsabschluss.

Nach den Erfahrungen mit dem bisherigen Büro des Verbraucherrates werden etwa 65 % der Mittel für Personalkosten aufgewendet werden müssen und etwa 15 % für Büro-Infrastruktur (Miete, IT, Telefon etc.). Die restlichen 20 % verteilen sich auf Reisekosten, Entsendung von Verbrauchervertreterinnen und Verbrauchervertretern und sonstige Aufwendungen.

Förderungen anderer Rechtsträger als des Bundes können entgegengenommen werden.