1966 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XXVII. GP

 

Bericht

des Unterrichtsausschusses

über den Antrag 3222/A(E) der Abgeordneten Petra Tanzler, Kolleginnen und Kollegen betreffend Umsetzung eines gesamtheitlichen Erwachsenenbildungspakets

 

Die Abgeordneten Petra Tanzler, Kolleginnen und Kollegen haben den gegenständlichen Entschließungsantrag am 1. März 2023 im Nationalrat eingebracht und wie folgt begründet:

„Unsere Gesellschaft und damit die Berufswelt mitsamt allen Anforderungen befindet sich in einem immer schneller werdenden Wandel. Hat man früher einen Beruf ergriffen und in diesem fast das gesamte Erwerbsleben verbracht, so ist das in der heutigen Zeit oft gar nicht mehr möglich. Weiterbildung und Umorientierung sind bereits jetzt und werden in der Zukunft noch wichtiger werden, damit Österreich wirtschaftlich stark und wettbewerbsfähig bleibt. Wir brauchen gut ausgebildete Fachkräfte in allen Bereichen. Daher hört Bildung nicht nach der Schule im Kindheits- und Jugendalter auf, sondern muss allen zu jeder Zeit möglich sein. Es kann nicht sein, dass sich Bildung nur jene leisten können, die dementsprechend finanziell aufgestellt sind – weder bei Kindern und Jugendlichen, noch im Erwachsenenalter.

Erwachsenenbildung als öffentliches Gut muss daher für alle Menschen in Österreich in allen Lebensphasen zugänglich sein. Unabhängig von Alter, Geschlecht und Herkunft kann Erwachsenenbildung so den Horizont erweitern. Erwachsenenbildung kann flexibel und innovativ auf die Anforderungen aus gesellschaftlichem Wandel und einem dynamischen Arbeitsmarkt reagieren und so die aktuell benötigten Qualifikationen für die Arbeitswelt schaffen. Zusätzlich kann nur so der Anschluss an den technologischen Fortschritt vollzogen werden. Einzelne Ministerien versuchen bereits Maßnahmen in diese Richtung zu setzen, langanhaltende Veränderungen können aber nur mit einer ganzheitlichen Denkweise erzielt werden.

Lebensbegleitendes Lernen entwickelt die Persönlichkeit, erhöht die berufliche Mobilität und eröffnet neue Perspektiven. Nicht zuletzt dient die Erwachsenenbildung auch der Bewältigung relevanter gesellschaftlicher Herausforderungen. Kurz: Wirtschaft und Demokratie brauchen die Erwachsenenbildung, sie liegt daher in öffentlicher Verantwortung. Das bedeutet auch, dass die Politik gesetzliche Rahmenbedingungen vorgeben muss und eine ausreichende, zielgruppenorientierte, langfristige Finanzierung der Erwachsenenbildung sicherzustellen hat.

Um die Bildungssituation der Erwachsenen in Österreich zu verbessern und das Recht auf lebenslanges, begleitendes Lernen auch tatsächlich zu gewährleisten, braucht es vor allem in Anbetracht der aktuellen Umstände und der immensen Teuerung dringend Maßnahmen vonseiten des Bundes. Aus diesem Grund wird die Erstellung eines „Erwachsenenbildungspakets“ vorgeschlagen, welches zumindest folgende (Haupt)-Punkte beinhalten sollte:

 

 

 

 

 

•       Weiterbildungs- und Validierungsstrategie mit klaren Zielsetzungen

         Diese legen die Eckpfeiler für eine integrative, umfassende, kompensatorische Weiterbildung fest. Hier müssen klare Zielvorstellungen auch in Abstimmung zu den Ergebnissen der PIACC-Studie[1] (2010: 1 Mio. Menschen in Österreich besitzt nur unzureichende Grundkompetenzen) entwickelt werden. Ziel ist, dass der Erwerb und das Nachholen von zeitgemäßen Schlüsselkompetenzen jederzeit für alle Bürger*innen zugänglich ist. Niederschwellig sollen Menschen ihre Kompetenzen aber auch bewerten, anerkennen und ergänzen lassen können. Sämtliche Gleichhaltungs-, Berufsanerkennungs- und Nostrifizierungsverfahren werden auf ihre Zeitgemäßheit geprüft. Die daraus resultierenden Kompetenznachweise müssen arbeitsmarktkompatibel, europäisch anerkannt und kostenfrei zugänglich sein. Auch ein an das duale Ausbildungssystem angelehntes Weiterbildungssystem mit entsprechenden Abschlüssen soll es Menschen im Erwachsenenalter ermöglichen, ein neues signalstarkes Bildungszertifikat zu erlangen. Diese Weiterbildungen sollen im Vergleich zur Erstausbildung verkürzt werden und modular strukturiert sein. Um hier eine sinnvolle Strategie zu erstellen und die Erwachsenenbildung strukturiert aufzubauen, braucht es eindeutig geregelte Zuständigkeiten und die Koordinierung durch das Bildungsministerium.

•       Finanzierung und Sicherung eines langfristigen Bestandes an Erwachsenenbildungs-einrichtungen

         Das staatliche Budget für die Förderung der Erwachsenenbildung gilt es deutlich anzuheben. Zusätzlich ist eine sinnvolle Verschränkung mit arbeitsmarktpolitischen Strategien notwendig. Insgesamt muss 1% des Unterrichtsbudgets des Bildungsministeriums für die Erwachsenenbildung freigemacht und als öffentliche Ausgabe von Bund, Ländern und Gemeinden aufgewandt werden (rund 100 Mio. Euro). Die Leistungsvereinbarungen mit der KEBÖ, der Konferenz der Erwachsenenbildung Österreichs, einer Arbeitsplattform der im Erwachsenenbildungs-Förderungsgesetz von 1973 anerkannten Österreichischen Erwachsenenbildungsverbände, sollen weitergeführt und jährlich valorisiert werden.

•       Erweiterung und Verbesserung von schulisch erworbenem Wissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten

         Der Erwerb und das Nachholen von Grundkompetenzen (Lesen, Schreiben, Rechnen, digitale Grundkompetenzen, Englisch, Problemlösen) werden im Programm „Initiative Erwachsenenbildung“ in einen Rahmen gefasst. Dieses Programm muss ausgebaut, flächendeckend angeboten und kostenfrei zugänglich sein. Dafür gilt es, die Finanzierung auch dementsprechend langfristig gesetzlich abzusichern (momentan besteht eine lückenhafte staatliche Finanzierung und eine periodische Befristung). Die Kontingentierung beim Modell „Lehre mit Matura“ muss aufgehoben und die Pro-Kopf-Förderung valorisiert werden. Beim Nachholen von Bildungsabschlüssen wie der Berufsreifeprüfung werden die Fragen der Zentralmatura durch alternative, erwachsenengerechte Prüfungs-Modelle ersetzt.

•       Breiter Zugang zu Bildungsmaßnahmen

         Technologischer         Wandel, Digitalisierung, Dekarbonisierung und weitere rasante Veränderungen in der Wirtschaft und am Arbeitsmarkt verlangen von den Beschäftigten eine rasche Anpassungsleistung an veränderte Qualifikationen. Es sind die Unternehmen, die insbesondere von aktuell qualifizierten Arbeitnehmer*innen profitieren. Betriebe haben daher die Zeit und die Finanzierung für betriebsbezogene Weiterbildung zur Verfügung zu stellen. Mit der Schaffung eines österreichweiten Aus- und Weiterbildungsfonds, dessen Finanzierung durch Beiträge der Unternehmen (1 Prozent der Jahres- Brutto- Lohnsumme) getragen wird, gelingt der Ausgleich zwischen Unternehmen und Arbeitnehmer*innen. Ein Rechtsanspruch auf eine Woche Weiterbildung (beruflich oder persönlich) pro Arbeitnehmer*in und die dazu passende Freistellung komplettiert den verbesserten Zugang zu Weiterbildungsmaßnahmen. Auch ein neues „Qualifizierungsgeld“ in Stipendium-Form, welches Erwachsenen eine berufliche Neu-Orientierung ohne betriebliche Anbindung ermöglicht, soll altersunabhängig einführt werden.

Der Intention dieses Maßnahmenpakets folgend, ist die Bundesregierung aufgefordert, die Bedeutung der Erwachsenenbildung anzuerkennen, Maßnahmen zur Verbesserung der Situation zu setzen und die Umsetzung des Rechts auf lebenslanges Lernen zu gewährleisten.“

 

Der Unterrichtsausschuss hat den gegenständlichen Entschließungsantrag in seiner Sitzung am 14. März 2023 in Verhandlung genommen. An der Debatte beteiligten sich außer der Berichterstatterin Abgeordneter Petra Tanzler die Abgeordneten Mag. Sibylle Hamann, Ing. Johann Weber, Mag. Martina Künsberg Sarre und Hermann Brückl, MA.

 

Bei der Abstimmung fand der gegenständliche Entschließungsantrag der Abgeordneten Petra Tanzler, Kolleginnen und Kollegen nicht die Zustimmung der Ausschussmehrheit (für den Antrag: S, dagegen: V, F, G, N).

 

Im Zuge der Debatte haben die Abgeordneten Mag. Dr. Rudolf Taschner und Mag. Sibylle Hamann einen selbständigen Entschließungsantrag gem. § 27 Abs. 3 GOG-NR betreffend Absicherung des lebensbegleitenden Lernens eingebracht, der mit Stimmenmehrheit (für den Antrag: V, G, dagegen: S, F, N) beschlossen wurde.

 

Zur Berichterstatterin für den Nationalrat wurde Abgeordnete Mag. Sibylle Hamann gewählt.

Als Ergebnis seiner Beratungen stellt der Unterrichtsausschuss somit den Antrag, der Nationalrat wolle

1.     diesen Bericht hinsichtlich des Entschließungsantrags 3222/A(E) zur Kenntnis nehmen und

2.     die angeschlossene Entschließung annehmen.

Wien, 2023 03 14

                           Mag. Sibylle Hamann                                                 Mag. Dr. Rudolf Taschner

                                  Berichterstattung                                                                          Obmann



[1] PIAAC (Programme for the International Assessment of Adult Competencies) ist eine fortlaufende internationale Studie zur Untersuchung von Schlüsselkompetenzen (Lesefähigkeit, alltagsmathematische Fähigkeit und adaptives Problemlösen), die für Erwachsene im Alter von 16 bis 65 Jahren wichtig sind, um am täglichen gesellschaftlichen Leben aktiv teilzunehmen.