1988 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XXVII. GP

 

Bericht

des Außenpolitischen Ausschusses

über den Antrag 3083/A(E) der Abgeordneten Katharina Kucharowits, MMMag. Dr. Axel Kassegger, Dr. Helmut Brandstätter, Kolleginnen und Kollegen betreffend Verurteilung und Stopp der Türkischen Angriffe in Nordostsyrien und dem Nordirak

 

Die Abgeordneten Katharina Kucharowits, MMMag. Dr. Axel Kassegger, Dr. Helmut Brandstätter, Kolleginnen und Kollegen haben den gegenständlichen Entschließungsantrag am 15. Dezember 2022 im Nationalrat eingebracht und wie folgt begründet:

„In der Nacht auf Sonntag, den 20. November 2022, bombardierten türkische Streitkräfte breitflächige Gebiete im Norden und Osten Syriens und in Teilen der autonomen Region Kurdistan - Irak. Ziel waren aber nicht etwa Stellungen des Islamischen Staates, sondern de facto autonome, vor allem kurdisch besiedelte Regionen. Rojava, die autonome Administration von Nord- und Ostsyrien stand einmal mehr im Mittepunkt türkischer Angriffe. Tags darauf erreichten die Bombardierungen eine weitere Dimension: Auch die iranischen Revolutionsgarden griffen kurdische Ziele im Nordirak und in Ostsyrien an (vgl. https://www.tagesspiegel.de/politik/nach-anschlag-in-istanbul-turkei-startet-luftangriffe-auf-syrien-und-irak-8897656.html). Neben Verwaltungsgebäuden wurden mutmaßlich auch eine Klinik und ein Flüchtlingslager von den Angriffen getroffen, womit diese verheerenden Angriffe zivile Opfer verzeichneten. Offizielle Stellen und Behörden sprechen von mehr als 250 Todesopfern, darunter auch rund 20 Zivilistinnen und Zivilisten. Die Dunkelziffer dürfte um einiges höher sein.

Laut der Organisation "Rojava Information Center" wurden allein in Rojava knapp 500 Ziele angegriffen. Diese Offensive hat das Leben von rund 100 Zivilistinnen und Zivilisten gefordert und zerstört gleichzeitig lebenswichtige Infrastruktur, wie zB Kraftwerke. Hilfsorganisationen warnen vor dem bevorstehenden Winter, in dem sowohl Haushalte als auch die Flüchtlingslager ohne ausreichende Energieversorgung auskommen müssen. Die türkische Invasion ist noch nicht zu Ende, vor allem die Regionen Kobane und Manbij stehen vor einer unmittelbaren Gefahr einer Bodenoffensive.

Diese erneute Anschlagsserie am und seit dem 20. November ist nur die jüngste Eskalation in einer ganzen Reihe von andauernder, brutaler Gewalt gegen Kurdinnen und Kurden in der Türkei selbst, in Nordostsyrien, im Nordirak und generell in den benachbarten Regionen. Seit Ausbruch des Krieges in Syrien 2011/2012 und verstärkt seit der türkischen Militäroffensive auf Afrin Anfang 2018 greifen türkische Streitkräfte immer wieder nordostsyrische, vorwiegend kurdische, Gebiete und Regionen an, offenbar mit dem Ziel, die kurdisch-stämmige Bevölkerung zu verdrängen. Im Mai dieses Jahres bestätigte das auch Präsident Erdogan selbst, in dem er sein Ziel eines Sicherheitskorridors entlang der türkisch-syrischen Grenze präsentierte: Auf mutmaßlich 600 km Länge und 30 km Breite wolle die Türkei dafür sorgen, terroristische Bedrohungen einzugrenzen. De facto würde es sich dabei aber um eine türkische Besatzung des Gebiets handeln (vgl. https://www.derstandard.at/story/2000135989102/erdogan-kuendigt-neuemilitaeroperation-an-syrien-grenze-an), die Kurdinnen und Kurden ihre Lebensgrundlage vollends rauben und vertreiben würde.

Nicht erst die jüngsten Angriffe im November 2022 zeigen, dass die Türkei unter Präsident Erdogan systematisch gegen Kurdinnen und Kurden im eigenen Land, aber vor allem auch in Nordostsyrien und im Nordirak vorgeht, gröbste Menschenrechtsverletzungen begeht und tausende Kurdinnen und Kurden dadurch ihr Leben verlieren. Österreich sollte klar gegen Menschenrechtsverletzungen Stellung beziehen.“

 

Der Außenpolitische Ausschuss hat den gegenständlichen Entschließungsantrag in seiner Sitzung am 23. März 2023 in Verhandlung genommen. An der Debatte beteiligten sich außer der Berichterstatterin Abgeordneter Petra Bayr, MA MLS die Abgeordneten MMMag. Dr. Axel Kassegger, Dr. Helmut Brandstätter, Dr. Ewa Ernst-Dziedzic sowie der Bundesminister für europäische und internationale Angelegenheiten Mag. Alexander Schallenberg, LL.M.

 

Im Zuge der Debatte haben die Abgeordneten Dr. Reinhold Lopatka, Dr. Ewa Ernst-Dziedzic, Petra Bayr, MA MLS und Dr. Helmut Brandstätter einen selbständigen Entschließungsantrag gem. § 27 Abs. 3 GOG-NR betreffend Schutz der Zivilbevölkerung und Einhaltung der Menschenrechte in Nordsyrien und im Nordirak eingebracht, der mit Stimmenmehrheit (für den Antrag: V, S, G, N, dagegen: F) beschlossen wurde.

Dieser selbständige Entschließungsantrag war wie folgt begründet:

„Am Vorabend des 20. November 2022 kam es im Rahmen der Operation „Klauenschwert“ zu Luftangriffen der Türkei im Norden Syriens und im Nordirak. Laut Angaben der Türkei richteten sich die Angriffe in Syrien gegen militärische Stellungen der syrischen Kurdenmiliz YPG. Die von der YPG angeführten Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) gelten einerseits als wichtiger Verbündeter der USA im Kampf gegen die Dschihadistenmiliz Islamischer Staat im Norden Syriens. Andererseits wird die YPG aus Sicht der Türkei als syrischer Ableger der in der Türkei verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und als Sicherheitsbedrohung wahrgenommen. Im Nordirak richteten sich die Angriffe gegen Ziele der PKK.

Laut Human Rights Watch (HRW) ereigneten sich die Angriffe vor allem in Syrien auf dicht besiedeltem Gebiet, forderten zahlreiche zivile Opfer und fügten zivilen Objekten und kritischer Infrastruktur einen enormen Schaden zu.

Die Luftangriffe verschärfen die bereits stark angespannte Situation in Nordsyrien weiter. Noch immer hat eine Reihe internationaler Akteure militärische Streitkräfte oder Stellvertretertruppen in Syrien stationiert. Österreich liefert deshalb auch schon seit 2013 keine Waffen mehr gemäß Kriegsmaterialgesetz an die Türkei. Vor allem verschlimmern die Luftangriffe die humanitäre Krise für die Zivilbevölkerung in der Region.

Zusätzlich zur stark angespannten Sicherheitslage in der Region kam es am 6. Februar 2023 in Nordsyrien und der Türkei zu einer Naturkatastrophe, einem schweren Erdbeben mit einer Stärke von 7,8. Das Epizentrum des Bebens lag in der Provinz Ekinozu in der Türkei, hat aber neben der Türkei auch zu starken Zerstörungen im Norden Syriens geführt. Österreich hat rasch auf das Erdbeben reagiert und insgesamt 114 Personen einschließlich 6 Suchhunde des BMLV in das Erdbebengebiet entsandt, die an Search and Rescue-Operationen teilnahmen.

Die österreichische Bundesregierung hat im Sinne der humanitären Tradition Österreichs sowie in ihrem Anliegen, bestmöglich Hilfe vor Ort für die betroffene Bevölkerung zur Linderung der Auswirkungen der Erdbebenkatastrophe zu leisten, insgesamt 5 Millionen Euro an humanitärer Unterstützung in der Türkei und in Syrien bereitgestellt: 3 Millionen Euro aus Mitteln des Hilfsfonds für Katastrophenfälle im Ausland (AKF), davon 2 Millionen Euro an die Internationale Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmondgesellschaften (IFRK) (Türkei und Syrien) und 1 Million Euro an den UN-OCHA Cross-Border Humanitarian Fund (für Nordwest-Syrien); sowie 2 Millionen Euro von den österreichischen Bundesländern.“

 

Der den Verhandlungen zu Grunde liegende Entschließungsantrag 3083/A(E) der Abgeordneten Katharina Kucharowits, MMMag. Dr. Axel Kassegger, Dr. Helmut Brandstätter, Kolleginnen und Kollegen fand nicht die Zustimmung der Ausschussmehrheit (für den Antrag: S, F, N, dagegen: V, G).

 

Zur Berichterstatterin für den Nationalrat wurde Abgeordnete Dr. Ewa Ernst-Dziedzic gewählt.


Als Ergebnis seiner Beratungen stellt der Außenpolitische Ausschuss somit den Antrag, der Nationalrat wolle

1.     diesen Bericht hinsichtlich des Entschließungsantrags 3083/A(E) zur Kenntnis nehmen und

2.     die angeschlossene Entschließung annehmen.

Wien, 2023 03 23

                         Dr. Ewa Ernst-Dziedzic                                         Dr. Pamela Rendi-Wagner, MSc

                                  Berichterstattung                                                                           Obfrau