2104 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XXVII. GP

 

Bericht

des Verfassungsausschusses

über den Antrag 3354/A(E) der Abgeordneten Christian Hafenecker, MA, Kolleginnen und Kollegen betreffend Verletzung des ORF-Gesetzes durch Maulkorb-Erlass

Der Abgeordnete Christian Hafenecker, MA, Kolleginnen und Kollegen haben den gegenständlichen Entschließungsantrag am 27. April 2023 im Nationalrat eingebracht und wie folgt begründet:

„Unter der Überschrift ‚Maulkorb-Erlass für ORF-Redakteure’ berichtet ‚oe24.at’ am 26.04.2023 davon, dass die Nervosität im ORF angesichts der geplanten Novelle des ORF-Gesetzes[1] groß sein dürfte. So groß, dass man eine zu umfassende Information der Bevölkerung lieber nicht selbst vornehmen möchte:

Die ORF-Steuer sorgt derzeit für breite Diskussionen und für viel Kritik. Im ORF selbst hat man den Mitarbeitern die Losung auferlegt, zu schweigen. FM4-Radiochefin Dodo Roscic [Anm: bürgerlich Gradištanac] berichtet in einem E-Mail an ihre Mitarbeiter, dass ORF-Chef Roland Weißmann den ‚unmissverständlichen Auftrag’ an alle Führungskräfte gegeben habe, ‚politische Einschätzungen’ dazu zu unterlassen. Er habe die Führungskräfte ‚vergangene Woche davon in Kenntnis gesetzt, dass in Bälde mit einem neuen Gesetz zur Finanzierung des ORF zu rechnen’ sei. Weiter im E-Mail: ‚Daran knüpfte er den absolut unmissverständlichen Auftrag, sich in allen Programmen des ORF zu keinerlei Kommentaren dazu, persönlichen Einschätzungen, Jokes oder zu sonst was hinreißen zu lassen. Dieser Bitte schließe ich mich an.’

Roscic schreibt weiter: ‚In der Fläche ist davon bitte nichts zu hören. Niente. Nada. Nichts’.

Das E-Mail endet: ‚Ich muss mich da absolut auf euch verlassen können. Persönlich würde es mich nicht wundern, wenn in dieser schwierigen Zeit zuwiderhandeln disziplinär geahndet wird.’[2]

Die Berichterstattung im ORF wurde daher massiv eingeschränkt, wie ‚exxpress.at’ berichtet:

Wenn die geplante Reform unbedingt Thema werden müsse, dann solle sie ‚in den englischen Nachrichten oder im Halb-Block‘ versteckt werden.[3]

Zweck des Maulkorb-Erlasses ist es laut ‚Kurier’, den Verhandlungserfolg des ORF‘ der durch die Novelle künftig sogar mehr finanzielle Mittel bekommen wird‘ zu sichern:

Gesetzesnovelle bringt ORF mehr Millionen und Digital-Spielraum. Interner Maulkorb-Erlass, um Verhandlungsergebnis zu sichern.[4]

Auch ‚Der Standard’ berichtet über die Wagenburgmentalität am Küniglberg zu Lasten der Steuerzahler und von der Androhung disziplinärer Folgen gegenüber potentiellen ‚Nestbeschmutzern’:

Besonders im Visier hatte Gradištanac das Team rund um die ‚FM4 Passt Show!’ von Hannes Duscher und Roland Gratzer. ‚Das gilt natürlich vor allem und ausdrücklich für euch’, heißt es in der Mail. Die Satireshow ist dafür bekannt, niemanden zu schonen, auch nicht den eigenen Arbeitgeber. ‚Bis auf Widerruf’ soll der ORF in dieser Causa nun aber ‚komplett’ von der Themenliste Duschers und Gratzers gestrichen werden. ‚Bei Unsicherheiten kontaktiert mich sofort’, fügte Gradištanac hinzu.

Verunsichert dürften einige Empfängerinnen und Empfänger der Mail sehr wohl gewesen sein. So appellierte Gradištanac am Ende ihrer Mail an die Loyalität ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und deutete mögliche Konsequenzen an: ‚Persönlich würde es mich nicht wundern, wenn in dieser schwierigen Zeit Zuwiderhandeln disziplinär geahndet wird.’[5]

Im Ergebnis wird im ORF aus reinem Eigeninteresse das ORF-Gesetz gebrochen, welches in § 4 die umfassende Information der Allgemeinheit über alle wichtigen politischen Fragen sogar als öffentlich-rechtlichen Kernauftrag definiert. Von Generaldirektor Weißmann als bestimmende und FM4-Chefin Gradištanac [geb. Roscic] als ausführende Kraft wurde versucht, in die als Recht und als Pflicht beschriebene Unabhängigkeit der journalistischen oder programmgestaltenden Mitarbeiter einzugreifen. Die Einhaltung der inhaltlichen Grundsätze gem. § 10 ORF-Gesetz, wonach die ‚umfassende Information […] zur freien individuellen und öffentlichen Meinungsbildung im Dienste des mündigen Bürgers und damit zum demokratischen Diskurs der Allgemeinheit beitragen‘ soll, wurde so bewusst untergraben, obwohl sich Weißmann gem. § 22 Abs. 3 ORF-Gesetz auch in der Unternehmensleitung an das Gesetz halten muss.

Unter der Überschrift ‚Unabhängigkeit’ heißt es in § 32 ORF-Gesetz weiters:

Die journalistischen Mitarbeiter dürfen in Ausübung ihrer Tätigkeit insbesondere nicht verhalten werden, etwas abzufassen oder zu verantworten, was der Freiheit der journalistischen Berufsausübung widerspricht.

Der Schweigebefehl ist daher eindeutig als Bruch des ORF-Gesetzes aber auch als Bruch von § 3 des Redakteursstatuts[6] zu sehen.

Die Regulierungsbehörde KommAustria entscheidet gem. § 36 ORF-G über die Verletzung von Bestimmungen des ORF-Gesetzes, wenn dies vom Bund beantragt wird. Die Entscheidung der Regulierungsbehörde besteht gem. § 37 Abs. 1 ORF-G in der Feststellung, ob und durch welchen Sachverhalt eine Bestimmung dieses Bundesgesetzes verletzt worden ist.

Aufgrund des Umstandes, dass eine ORF-Reform zeitnah beschlossen werden muss, und angesichts dessen, dass vom Generaldirektor ausgehend auf die Mitarbeiter des ORF Druck ausgeübt wird, um die Berichterstattung darüber zu unterlassen, ist rasches Handeln geboten. Wird von der Regulierungsbehörde eine Verletzung des ORF-Gesetzes durch den Generaldirektor festgestellt, die im Zeitpunkt dieser Feststellung noch andauert, kann die Regulierungsbehörde gem. § 37 ORF-Gesetz die Entscheidung des betreffenden Organs aufheben. Generaldirektor Weißmann muss dann unverzüglich einen der Rechtsansicht der Regulierungsbehörde entsprechenden Zustand herstellen. Widrigenfalls kann ihn die Regulierungsbehörde unter gleichzeitiger Verständigung des Stiftungsrates abberufen.

Ebenfalls zu entscheiden ist, ob das Handeln von Generaldirektor Weißmann bzw. FM4-Chefin Gradištanac [geb. Roscic] eine strafbare Verwaltungsübertretung gem. § 38 ORF-Gesetz war. Stellt die Regulierungsbehörde eine solche fest, insbesondere durch die Verletzung der Programmgrundsätze des § 10 Abs. 1 oder Abs. 2 ORF-Gesetz – im Raum steht die Frage, ob auch in das Recht auf Meinungsäußerungsfreiheit (Art. 13 StGG; Art. 10 EMRK) eingegriffen wird –, droht eine Geldstrafe bis zu 58.000 Euro. Ebenfalls zu überprüfen wäre vor dem Hintergrund des geschilderten Sachverhalts, ob ein § 4a ORF-G entsprechendes Qualitätssicherungssystem tatsächlich betrieben wird oder dieses nur auf dem Papier existiert.

Die Regulierungsbehörde hat über den Antrag ohne unnötigen Aufschub zu entscheiden. Angesichts dessen, dass die ORF-Reform, über die nicht berichtet werden soll, unmittelbar bevorsteht, ist das auch geboten.“

 

Der Verfassungsausschuss hat den gegenständlichen Entschließungsantrag in seiner Sitzung am 20. Juni 2023 in Verhandlung genommen. An der Debatte beteiligten sich außer dem Berichterstatter Abgeordneten Christian Hafenecker, MA die Abgeordneten Mag. (FH) Kurt Egger, Alois Stöger, diplômé, Henrike Brandstötter, Mag. Eva Blimlinger, Mag. Christian Drobits, Petra Steger und Karl Schmidhofer sowie die Bundesministerin für Frauen, Familie, Integration und Medien im Bundeskanzleramt MMag. Dr. Susanne Raab.

 

Bei der Abstimmung fand der gegenständliche Entschließungsantrag nicht die Zustimmung der Ausschussmehrheit (für den Antrag: F, dagegen: V, S, G, N).

 

Zur Berichterstatterin für den Nationalrat wurde Abgeordnete Mag. Michaela Steinacker gewählt.

Als Ergebnis seiner Beratungen stellt der Verfassungsausschuss somit den Antrag, der Nationalrat wolle diesen Bericht zur Kenntnis nehmen.

Wien, 2023 06 20

                       Mag. Michaela Steinacker                                                Mag. Jörg Leichtfried

                                  Berichterstattung                                                                          Obmann



[1] https://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=10000785

[2] https://www.oe24.at/oesterreich/politik/aktuell/maulkorb-erlass-fuer-orf-redakteure/553583194

[3] https://exxpress.at/befehl-an-orf-sternchen-kein-wort-zu-neuer-orf-steuer-auch-keine-jokes/

[4] https://kurier.at/kultur/medien/orf-verhandlungen-mehr-gebuehren-weniger-werbung-streit-ums-digitale/4024239-71

[5] https://www.derstandard.at/story/2000145846348/unmissverstaendlicher-auftrag-an-die-fm4-redaktionzum-

schweigen-ueber-orf-reform

[6] https://zukunft.orf.at/rte/upload/texte/veroeffentlichungen/komm_kommunikation/redakteustatut.pdf