2106 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XXVII. GP
Bericht
des Verfassungsausschusses
über die Regierungsvorlage (2083 der Beilagen): Bundesgesetz, mit dem ein Terrorinhalte-Bekämpfungs-Gesetz erlassen und das KommAustria-Gesetz geändert wird
Hauptgesichtspunkte des Entwurfs:
Die Verordnung (EU) 2021/784 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2021 zur Bekämpfung der Verbreitung terroristischer Online-Inhalte (im Folgenden kurz: Verordnung) ist verbindlich und gilt ab dem 7. Juni 2022 unmittelbar in jedem Mitgliedstaat.
Durch diese Verordnung soll das reibungslose Funktionieren des digitalen Binnenmarkts in einer offenen und demokratischen Gesellschaft gewährleistet werden, indem der Missbrauch von Hostingdiensten für terroristische Zwecke bekämpft und ein Beitrag zur öffentlichen Sicherheit in der gesamten Union geleistet wird. Neben dem Schutz der öffentlichen Sicherheit sollen gleichzeitig angemessene und solide Vorkehrungen zum Schutz der Grundrechte (bspw. Recht auf Achtung des Privatlebens, auf den Schutz personenbezogener Daten, auf Meinungsfreiheit, auf unternehmerische Freiheit und auf wirksamen Rechtsbehelf) getroffen werden.
In Bezug auf EU-Verordnungen hat der EuGH festgestellt, dass ein prinzipielles unionsrechtliches Verbot der Änderung, Ergänzung oder Präzisierung durch verbindliches innerstaatliches Recht besteht (EuGH 18.2.1970, Rs. 40/69, Bollmann, Rz. 4; 31.1.1978, Rs. 94/77, Zerbone, Rz. 22/27). Der Umstand, dass eine Regelung in einem unmittelbar anwendbaren Unionsrechtsakt enthalten ist, bedeutet gleichwohl nicht notwendigerweise, dass jede nationale Maßnahme in diesem Bereich verboten wäre (EuGH 21.12.2011, Rs. C-316/10, Danske Svineproducenter, Rz. 42). Insb. dürfen nach der Rechtsprechung staatliche Vorschriften im Interesse ihres inneren Zusammenhangs und ihrer Verständlichkeit für die Adressaten bestimmte Punkte der EU-Verordnungen wiederholen (EuGH 28.3.1985, Rs. 272/83, Kommission/Italien, Rz. 27). Durchführungsmaßnahmen wie etwa im vorliegenden Fall betreffend Behördenzuständigkeit und Strafen sind zulässig und mitunter auch unionsrechtlich geboten. Die innerstaatliche Durchführung hat sich allerdings zwingend auf jene Bereiche zu beschränken, die durch die Verordnung nicht determiniert und zum innerstaatlichen Vollzug erforderlich sind. Jüngst wurden diese Grundsätze vom EuGH im Urteil vom 25.11.2021, Rs. C-372/20, Finanzamt für den 8., 16. und 17. Bezirk in Wien, Rz. 47 f in Erinnerung gerufen:
„47 Insoweit erscheint es angebracht, darauf hinzuweisen, dass […] Verordnungen zwar aufgrund ihrer Rechtsnatur und ihrer Funktion im Rechtsquellensystem des Unionsrechts im Allgemeinen unmittelbare Wirkung in den nationalen Rechtsordnungen haben, ohne dass nationale Durchführungsmaßnahmen erforderlich wären, es jedoch vorkommen kann, dass manche Verordnungsbestimmungen […] des Erlasses von Durchführungsmaßnahmen durch die Mitgliedstaaten bedürfen […]
48 Die Mitgliedstaaten können [solche] Maßnahmen […] dann erlassen, wenn sie deren unmittelbare Anwendbarkeit nicht vereiteln, deren gemeinschaftliche Natur nicht verbergen und die Ausübung des durch die betreffende Verordnung verliehenen Ermessens innerhalb der Grenzen dieser Vorschriften konkretisieren […].“
Nach Art. 12 der Verordnung sind die zuständigen Behörden zu benennen, die die Aufgaben nach den Art. 3, 4, 5 und 18 vollziehen werden. Wie einleitend erwähnt, ist die Verordnung am 7. Juni 2022 in Kraft getreten.
Näher betrachtet sieht die Verordnung im Wesentlichen Folgendes vor:
Entfernungsanordnungen (Art. 3 und 4)
Behörden jedes Mitgliedstaates können Entfernungsanordnungen erlassen, wodurch die Hostingdiensteanbieter verpflichtet werden, in allen Mitgliedstaaten terroristische Inhalte innerhalb einer Stunde nach Erhalt der Entfernungsanordnung zu entfernen. Die Behörden des Herkunftslandes können Anordnungen aus anderen Mitgliedstaaten überprüfen.
Spezifische Maßnahmen (Art. 5)
Wenn ein Anbieter terroristischen Inhalten ausgesetzt ist, hat er spezifische Maßnahmen zu ergreifen, wobei es ihm zunächst freisteht, welche Maßnahmen er ergreift, so zB:
- geeignete technische und operative Maßnahmen oder Kapazitäten, um terroristische Inhalte zu ermitteln und unverzüglich zu entfernen;
- Meldemechanismen für Nutzer;
- Mechanismen zur stärkeren Sensibilisierung für terroristische Inhalte;
- Beschwerdemechanismus für Inhalteanbieter, deren Inhalte aufgrund spezifischer Maßnahmen entfernt oder gesperrt wurden.
Rechtsbehelfe (Art. 9)
Sowohl Hostingdiensteanbieter als auch Inhalteanbieter haben das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf gegen Entscheidungen, die sie auf Grundlage dieser Verordnung erhalten haben. Dies beinhaltet das Recht, die Entscheidungen vor den Gerichten des für die Vollzugsbehörde zuständigen Mitgliedstaats, die die Entscheidung erlassen hat, anzufechten.
Sanktionsvorschriften (Art. 18)
Die Verordnung gibt vor, dass für diverse – taxativ angeführte – Verstöße seitens der der Rechtshoheit des betreffenden Mitgliedstaates unterliegenden Diensteanbieter auf nationaler Ebene entsprechende Sanktionsbestimmungen erlassen werden und wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen zu verhängen sind sowie alle für die Anwendung der Sanktionen erforderlichen Maßnahmen getroffen werden.
Allfällige weitere Maßnahmen zur Bekämpfung der Verbreitung terroristischer Online-Inhalte – auf legislativer, nichtlegislativer und freiwilliger Basis – bleiben durch diesen Entwurf unberührt (siehe dazu die ErwG 2 und 3 der Verordnung)
Kompetenzgrundlage:
Die Kompetenz des Bundes zur Erlassung dieses Bundesgesetzes gründet sich auf Art. 10 Abs. 1 Z 9 BVG („Post- und Fernmeldewesen“), auf Art. 10 Abs. 1 Z 6 B-VG („Pressewesen“), Art. 10 Abs. 1 Z 7 B‑VG („Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit“) und – soweit es die von Art. 12 iVm. Art. 13 Abs. 2 der Verordnung vorausgesetzte Betrauung einer unabhängigen Einrichtung betrifft – ergänzend auch auf Art. 20 Abs. 2 Z 8 BVG („nach Maßgabe des Rechts der Europäischen Union geboten“).
Der Verfassungsausschuss hat die gegenständliche Regierungsvorlage in seiner Sitzung am 20. Juni 2023 in Verhandlung genommen. An der Debatte beteiligten sich außer dem Berichterstatter Abgeordneten Mag. Georg Bürstmayr die Abgeordneten Alois Stöger, diplômé, Mag. Wolfgang Gerstl, Werner Herbert, Henrike Brandstötter, Dr. Johannes Margreiter und Mag. Friedrich Ofenauer sowie die Bundesministerin für Frauen, Familie, Integration und Medien im Bundeskanzleramt MMag. Dr. Susanne Raab.
Im Zuge der Debatte haben die Abgeordneten Mag. Wolfgang Gerstl und Mag. Georg Bürstmayr einen Abänderungsantrag eingebracht, der wie folgt begründet war:
„Die Änderungen sind erforderlich, um die in der Regierungsvorlage vorgeschlagenen Inkrafttretensdaten auf den aktuellen parlamentarischen Terminplan abzustimmen und so gleichzeitig auch der künftig zuständigen Behörde eine angemessene Vorbereitungszeit einzuräumen.“
Bei der Abstimmung wurde der in der Regierungsvorlage enthaltene Gesetzentwurf unter Berücksichtigung des oben erwähnten Abänderungsantrages der Abgeordneten Mag. Wolfgang Gerstl und Mag. Georg Bürstmayr mit Stimmenmehrheit (dafür: V, S, G, dagegen: F, N) beschlossen.
Als Ergebnis seiner Beratungen stellt der Verfassungsausschuss somit den Antrag, der Nationalrat wolle dem angeschlossenen Gesetzentwurf die verfassungsmäßige Zustimmung erteilen.
Wien, 2023 06 20
Mag. Georg Bürstmayr Mag. Jörg Leichtfried
Berichterstattung Obmann