2160 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XXVII. GP

 

Bericht

des Justizausschusses

über den Antrag 3474/A der Abgeordneten Mag. Michaela Steinacker, Mag. Agnes Sirkka Prammer, Kolleginnen und Kollegen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Jugendgerichtsgesetz 1988 geändert wird

Die Abgeordneten Mag. Michaela Steinacker, Mag. Agnes Sirkka Prammer, Kolleginnen und Kollegen haben den gegenständlichen Initiativantrag am 14. Juni 2023 im Nationalrat eingebracht und wie folgt begründet:

„Allgemeiner Teil

Allgemeines:

Der Antrag dient dem Zweck, punktuell Regelungen nachzuschärfen, die durch das Maßnahmenvollzugsanpassungsgesetz 2022, BGBl. I Nr. 223/2022, im Jugendgerichtsgesetz 1988 (JGG), BGBl. Nr. 599/1988, vorgenommen wurden, die aber erst mit 1. September 2023 in Kraft treten werden:

-       Bei Langzeitunterbringungen von über zehn Jahren sollen in Zukunft – anstatt der Höchstgrenze von 15 Jahren für die strafrechtliche Unterbringung nach § 21 StGB wegen einer Jugendstraftat – verpflichtende Fallkonferenzen stattfinden, um Untergebrachte bestmöglich auf eine bedingte Entlassung vorzubereiten. Eine solche Fallkonferenz soll zumindest alle drei Jahre stattfinden.

-       In den Bestimmungen über das Verfahren zur Unterbringung in einem forensisch-therapeutischen Zentrum sollen Redaktionsversehen beseitigt und insbesondere klargestellt werden, dass die Möglichkeit, anstelle eines kinder- und jugendpsychiatrischen Sachverständigen ersatzweise auch einen Sachverständigen der klinischen Psychologie des Kindes- und Jugendalters beizuziehen, auch im Hauptverfahren besteht.

Schließlich soll einem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes Rechnung getragen werden.

Kompetenzgrundlage:

Die Zuständigkeit des Bundes zur Erlassung dieses Bundesgesetzes ergibt sich aus Art. 10 Abs. 1 Z 6 B-VG (Strafrechtswesen).

Besonderer Teil

Zu Z 1, 2, 3 und 4 (§ 17b Abs. 1, § 17c und § 19 Abs. 2 JGG)

1. Anstelle der durch das Maßnahmenvollzugsanpassungsgesetz 2022, BGBl. I Nr. 223/2022, eingeführten Höchstgrenze von 15 Jahren für die strafrechtliche Unterbringung nach § 21 StGB wegen einer Jugendstraftat sollen die nachfolgend genannten Fallkonferenzen treten. Die Unterbringung eines gefährlichen terroristischen Straftäters in einer Anstalt für gefährliche Rückfallstäter nach § 23 Abs. 1a StGB wegen einer Jugendstraftat soll entsprechend der allgemeinen Bestimmung des § 25 Abs. 1, dritter Satz, zweiter Fall StGB mit zehn Jahren befristet werden, sodass eine spezielle Bestimmung im JGG entfällt. Dementsprechend ist die Überschrift anzupassen (§ 17b Abs. 1 JGG).

2. Die Fallkonferenzen haben den Zweck, über die jährliche Entscheidung über die Notwendigkeit der weiteren Unterbringung (§ 25 Abs. 3 StGB) hinaus die beteiligten Einrichtungen auch physisch an einen Tisch zu bringen und insbesondere in Zusammenarbeit mit Vertretern von für die Nachbetreuung in Betracht kommenden Einrichtungen (§ 179a StVG) abzuklären, welche über die bereits ergriffenen hinausgehende geeignete Maßnahmen es gibt, die die Langzeitunterbringung wegen einer Jugendstraftat enden lassen können. Das Ergebnis der Fallkonferenz soll ein Plan für die weitere, auf die individuellen Bedürfnisse des Langzeituntergebrachten abgestimmte Betreuung und Therapie in der Unterbringung sowie für die nächsten möglichen Vollzugslockerungen darstellen (§ 17c Abs. 1 JGG).

Vorgeschlagen wird, den Kreis der einzubeziehenden Personen offen zu umschreiben („jedenfalls“); so wird etwa, wenn dem Untergebrachten ein Erwachsenenvertreter bestellt ist, auch dieser beizuziehen sein. Die Beiziehung naher Angehöriger erscheint insbesondere zur Klärung eines sonstigen sozialen Empfangsraums zweckmäßig. Eine Beiziehung von kinder- und jugendpsychiatrischen Fachärzten scheint nicht mehr angezeigt, zumal diesbezügliche Expertise ohnehin im Rahmen der Begutachtung nach § 17b Abs. 2 berücksichtigt werden bzw. einfließen kann und die untergebrachte Person nach einer strafrechtlichen Unterbringung in der Dauer von zehn Jahren ohnehin bereits mindestens 24 Jahre alt ist. Die Mitwirkung der im Maßnahmenvollzug tätigen Fachdienste ist im Hinblick auf deren Erfahrungswerte zu Compliance und vollzuglichem Verhalten des Betroffenen grundsätzlich vorzusehen.

Die vorgeschlagenen Bestimmungen über den Austausch personenbezogener Daten und Verschwiegenheit sind § 52b Abs. 3 StGB nachgebildet.

3. Kann eine untergebrachte Person weiterhin nicht entlassen werden, sollen die Fallkonferenzen im Rhythmus von zumindest drei Jahren einzuberufen sein. Eine auch vor Ablauf dieser Zeit einberufene Fallkonferenz soll demnach rechtlich möglich sein (§ 17c Abs. 2 JGG).

4. Die vorgeschlagene Bestimmung ist nach ihrem Wortlaut auf jeden Fall anzuwenden, in dem die strafrechtliche Unterbringung bereits zehn Jahre dauert. Dies gilt auch, wenn eine solche Dauer zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der neuen Bestimmung gegeben bzw. überschritten (z.B. bereits zwölf Jahre) ist, sodass in allen diesen Fällen unverzüglich nach dem Inkrafttreten eine derartige (erstmalige) Fallkonferenz stattzufinden haben wird. Gesonderter Übergangsbestimmungen bedarf es daher nicht.

5. Fallkonferenzen nach § 17c JGG sollen auch für Personen durchgeführt werden, die wegen einer als junge Erwachsene, also vor Vollendung des 21. Lebensjahres, begangenen Tat nach § 21 StGB untergebracht sind (Ergänzung von § 19 Abs. 2 JGG).

Zu Z 5 und 7 (§ 32 Abs. 5, § 46a Abs. 2 JGG)

1. Nach geltender, durch das Maßnahmenvollzugsanpassungsgesetz 2022 geschaffener, Rechtslage besteht die Möglichkeit, anstelle eines kinder- und jugendpsychiatrischen Sachverständigen ersatzweise auch einen Sachverständigen der klinischen Psychologie des Kindes- und Jugendalters beizuziehen, nur im Ermittlungsverfahren (§ 32 Abs. 5 Z 1 zweiter Teil JGG). Diese Möglichkeit scheint aber auch für die Bestellung eines Sachverständigen im Hauptverfahren sinnvoll. Daher wird vorgeschlagen, die entsprechende Bestimmung in den Schlussteil von § 32 Abs. 5 JGG zu verschieben.

2. Im Übrigen dienen die zu § 32 Abs. 5 JGG vorgeschlagenen Änderungen der Beseitigung von Redaktionsversehen bzw. der Vereinfachung, ohne dass damit inhaltliche Änderungen beabsichtigt wären. So scheint der Regelungsgehalt der bisherigen § 32 Abs. 5 Z 2 JGG bereits durch § 32 Abs. 5 Z 1 JGG sichergestellt, sodass die Z 2 entfallen kann. Ebenso scheint der Regelungsgehalt der bisherigen § 32 Abs. 5 Z 4 JGG bereits durch § 32 Abs. 5 Z 3 JGG in Zusammenhalt mit den Bestimmungen der Strafprozessordnung (StPO) sichergestellt, sodass auch die Z 4 entfallen kann. Schließlich soll der Verweis auf die relevante Bestimmung der StPO in § 32 Abs. 5 Z 3 JGG (künftig: Z 2) richtiggestellt werden (statt auf § 432e Abs. 2 StPO richtig auf § 434d Abs. 2 StPO).

3. § 46a JGG regelt die Verfahrensbestimmungen für Strafsachen junger Erwachsener. § 46a Abs. 2 JGG verweist auf den gesamten § 32 JGG, somit auch auf den durch das Maßnahmenvollzugsanpassungsgesetz 2022 eingefügten neuen Abs. 5. Daher wären in Verfahren gegen junge Erwachsene ebenso zwingend Kinder- und Jugendpsychiater bzw. -Psychologen beizuziehen. Es soll nun klargestellt werden, dass diese Erweiterung nicht auch für junge Erwachsene gelten soll.

Zu Z 6 (§ 35 Abs. 1b JGG)

Mit Entscheidung vom 1. Dezember 2022 zu G 53/2022 hat der VfGH § 173 Abs. 6 StPO wegen Verstoßes gegen das aus Art. 2 Abs. 1 Z 2 iVm Art. 1 Abs. 3 PersFrSchG folgende Gebot, die Voraussetzungen der Verhängung einer Untersuchungshaft gesetzlich entsprechend genau vorzuschreiben, als verfassungswidrig aufgehoben; die Entscheidung wurde am 20. Jänner 2023 in BGBl. I Nr. 1/2023 kundgemacht. Der Verweis auf diese Bestimmung soll daher aufgehoben werden.

Zu Z 8 (§ 63 JGG)

1. Aufgrund eines Redaktionsversehens enthält die Übergangsbestimmung in § 63 derzeit zwei Absätze „(12)“. Dieses Versehen soll korrigiert werden, indem die Nummerierung angepasst wird.

2. Der vorgeschlagene neue Abs. 15 sieht zunächst vor, dass die Änderungen des JGG mit 1. September 2023 in Kraft treten werden (also bereits zu jenem Zeitpunkt, zu dem die maßnahmenvollzugsrelevanten Änderungen des JGG durch das Maßnahmenvollzugsanpassungsgesetz 2022 ohnehin erst in Kraft treten werden).

Darüber hinaus soll für jene bereits untergebrachten Personen, die nach neuer Rechtslage nicht mehr untergebracht werden könnten, weil es sich um keine „Anlasstat“ handelt (§ 5 Z 6b JGG), sichergestellt werden, dass eine bedingte Entlassung forciert wird. In diesem Zusammenhang muss sichergestellt werden, dass ein ihren individuellen Bedürfnissen und Anforderungen entsprechender sozialer und therapeutischer Empfangsraum, der eine entsprechende Nachbetreuung gewährleistet, vorhanden ist. Um eine solche bedingte Entlassung bestmöglich vorzubereiten und die oben genannten Rahmenbedingungen zu schaffen, soll auch in diesen Fällen umgehend (längstens binnen drei Monaten ab Inkrafttreten des Gesetzes) eine Fallkonferenz (entsprechend jener nach § 17c) durchgeführt werden.“

 

Der Justizausschuss hat den gegenständlichen Antrag in seiner Sitzung am 28. Juni 2023 in Verhandlung genommen. An der Debatte beteiligten sich außer der Berichterstatterin Abgeordnete Mag. Agnes Sirkka Prammer die Abgeordneten Mag. Ruth Becher, Dr. Johannes Margreiter, Christian Lausch und Dr. Gudrun Kugler sowie die Bundesministerin für Justiz Dr. Alma Zadić, LL.M.

Im Zuge der Debatte haben die Abgeordneten Mag. Michaela Steinacker und Mag. Agnes Sirkka Prammer einen Abänderungsantrag eingebracht, der wie folgt begründet war:

„Die vorgeschlagenen Änderungen sollen keine inhaltlichen Änderungen gegenüber dem Initiativantrag bewirken, sondern sollen lediglich die legistische Klarheit verbessern. Es liegt hier der besondere Fall vor, dass Bestimmungen, die durch das Maßnahmenvollzugsanpassungsgesetz 2022 (MVAG), BGBl. I Nr. 223, geschaffen wurden und die mit 1. September 2023 in Kraft treten sollten, durch die Vorschläge des Initiativantrages zum selben Zeitpunkt geändert werden (§ 17b Abs. 1 soll gänzlich entfallen); im Umfang der Änderungen werden die Regelungen des Maßnahmenvollzugsanpassungsgesetzes 2022 also gar nicht in Kraft treten. Dies soll klarer zum Ausdruck gebracht werden.

Für den Fall, dass Gerichte bereits – im Vorgriff auf die Regelungen in § 5 Z 6b oder § 17b Abs. 1 JGG in der Fassung des MVAG (die aber erst mit 1. September 2023 in Kraft treten sollten) – die Entlassung mit 1. September 2023 (oder zu einem späteren Zeitpunkt) ausgesprochen haben, soll ausdrücklich im Gesetz angeordnet werden, dass derartige Beschlüsse ohne Wirkung sind (eine Aufhebung solcher Beschlüsse durch einen contrarius actus im Einzelfall ist damit entbehrlich).“

Bei der Abstimmung wurde der Gesetzentwurf unter Berücksichtigung des oben erwähnten Abänderungsantrages der Abgeordneten Mag. Michaela Steinacker und Mag. Agnes Sirkka Prammer mit Stimmenmehrheit (dafür: V, G, dagegen: S, F, N) beschlossen.

Als Ergebnis seiner Beratungen stellt der Justizausschuss somit den Antrag, der Nationalrat wolle dem angeschlossenen Gesetzentwurf die verfassungsmäßige Zustimmung erteilen.

Wien, 2023 06 28

                    Mag. Agnes Sirkka Prammer                                          Mag. Michaela Steinacker

                                  Berichterstattung                                                                           Obfrau