Erläuterungen

Allgemeiner Teil

Das im Rahmen des Europarats erarbeitete Übereinkommen über die Überstellung verurteilter Personen vom 21. März 1983, BGBl. Nr. 524/1986, ist für Österreich am 1. nner 1987 in Kraft getreten. Österreich hat auch das Zusatzprotokoll zum Übereinkommen über die Überstellung verurteilter Personen vom 18. Dezember 1997 (in der Folge: Zusatzprotokoll), BGBl. III Nr. 26/2001, ratifiziert. Die in den angeführten Rechtsinstrumenten enthaltenen Regelungen wurden ab 1. nner 2012 im Verhältnis zu jenen Mitgliedstaaten der Europäischen Union, die den Rahmenbeschluss 2008/909/JI über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Urteile in Strafsachen, durch die eine freiheitsentziehende Strafe oder Maßnahme verhängt wird, für die Zwecke ihrer Vollstreckung in der Europäischen Union, ABl. Nr. L 327 vom 5.12.2008 S. 27, in Österreich umgesetzt durch §§ 39 ff. des Bundesgesetzes über die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen mit den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU-JZG), BGBl. I Nr. 36/2004, ersetzt.

Zur Modernisierung und Erweiterung des Anwendungsbereichs des Zusatzprotokolls unter Berücksichtigung der Entwicklung der internationalen Zusammenarbeit bei der Überstellung verurteilter Personen seit dessen Inkrafttreten wurde im Rahmen des Europarats das Protokoll zur Änderung des Zusatzprotokolls zum Übereinkommen über die Überstellung verurteilter Personen, ETS Nr. 222 (in der Folge: Änderungsprotokoll) ausgearbeitet. Am 22. November 2017 beschloss die Bundesregierung per Zirkulationsbeschluss die Unterzeichnung des Änderungsprotokolls. Da die Unterzeichnung bereits am 22. November 2017 am Rande einer Tagung des „Committee of Experts on the Operation of European Conventions on Co-operation in Criminal Matters“ erfolgen sollte, wurde das Änderungsprotokoll bei diesem Anlass von dem Ständigen Vertreter Österreichs beim Europarat mit dem Zusatz „ad referendum“ unterzeichnet. Der Zusatz konnte nach Unterzeichnung der Vollmachtsurkunde durch den Herrn Bundespräsidenten am 4. Dezember 2017 zurückgezogen werden.

Bislang wurde das Änderungsprotokoll von dreizehn Vertragsparteien, darunter Österreich, unterzeichnet, sowie vom Heiligen Stuhl ratifiziert.

Das Änderungsprotokoll sieht folgende Änderungen bzw. Ergänzungen des Zusatzprotokolls vor, welche zu Erleichterungen des Überstellungsverkehrs im Verhältnis zu jenen Vertragsstaaten führen, die nicht Mitgliedstaaten der Europäischen Union sind:

• Zulässigkeit eines Ersuchens des Urteilsstaats um Übernahme der Strafvollstreckung durch den Heimatstaat (Vollstreckungsstaat) nicht nur für den Fall der Flucht der verurteilten Person in diesen Staat, sondern auch dann, wenn diese auf andere Weise als durch Flucht dorthin zurückgekehrt ist;

• Zulässigkeit der Überstellung auch bei Vorliegen einer im Urteilsstaat ergangenen Ausweisungs- oder Abschiebeanordnung, wobei diese nicht als Folge des Strafurteils erlassen worden sein muss, auf Grund dessen die Übernahme der Strafvollstreckung begehrt wird;

• Zulässigkeit der Überstellung auch für den Fall, dass die verurteilte Person die Abgabe einer Stellungnahme dazu verweigert;

• Festlegung einer Frist von grundsätzlich 90 Tagen für Entscheidungen über Ersuchen des Vollstreckungsstaats um Zustimmung zur Verfolgung der verurteilten Person auch wegen einer anderen, vor der Überstellung begangenen strafbaren Handlung als derjenigen, die der zu vollstreckenden Strafe zugrunde liegt, bzw. zur Vollstreckung einer wegen einer derartigen strafbaren Handlung verhängten Strafe; und

• Verkürzung der Frist für den Wegfall des Schutzes nach dem Spezialitätsgrundsatz auf 30 (bisher 45) Tage, in denen die verurteilte Person das Hoheitsgebiet des Vollstreckungsstaats nicht verlassen hat, obwohl sie dazu berechtigt war und Gelegenheit hatte, oder nach Verlassen freiwillig dorthin zurückkehrt.

Das Änderungsprotokoll steht denjenigen Staaten, die Vertragsparteien des Zusatzprotokolls sind, zur Unterzeichnung bzw. Ratifikation offen. Es tritt mit dem ersten Tag des Folgemonats nach Ablauf von drei Monaten nach dem Tag, an dem alle Vertragsparteien des Zusatzprotokolls ihre Zustimmung erteilt haben, an das Änderungsprotokoll gebunden zu sein, in Kraft. Es besteht allerdings die Möglichkeit der Abgabe einer Erklärung zur vorläufigen Anwendung im Verhältnis zu jenen Vertragsparteien, die eine entsprechende Erklärung abgegeben haben. Es wird in Aussicht genommen, für Österreich eine derartige Erklärung abzugeben.

Im Hinblick auf die durch das Änderungsprotokoll vorgesehene erweiterte Möglichkeit der Überstellung in den Heimatstaat zur weiteren Strafvollstreckung unabhängig von der Zustimmung der verurteilten Person in Verbindung mit dem Umstand, dass sich mehr verurteilte ausländische Staatsangehörige in Österreich in Strafhaft befinden als österreichische Staatsangehörige im Ausland, bestünde zwar theoretisch die Möglichkeit, dass die Ratifikation des Änderungsprotokolls zu einer Entlastung des österreichischen Budgets führen könnte. Allerdings ist die Anzahl an Überstellungen nach dem Zusatzprotokoll sehr gering und erscheinen wesentliche diesbezügliche Änderungen durch das Änderungsprotokoll wenig realistisch, sodass davon auszugehen ist, dass sich am Ist-Zustand im Wesentlichen nichts ändert und eine finanzielle Entlastung des Bundes nicht zu erwarten ist.

Das Änderungsprotokoll hat gesetzändernden bzw. gesetzesergänzenden Inhalt und bedarf daher der Genehmigung des Nationalrats gemäß Artikel 50 Absatz 1 Z 1 B-VG. Es enthält keine verfassungsändernden oder verfassungsergänzenden Bestimmungen und hat nicht politischen Charakter. Es ist nicht erforderlich, eine allfällige unmittelbare Anwendbarkeit des Änderungsprotokolls durch einen Beschluss gemäß Artikel 50 Absatz 2 Z 4 B-VG, dass dieser Staatsvertrag durch Erlassung von Gesetzen zu erfüllen ist, auszuschließen. Da durch das Änderungsprotokoll keine Angelegenheiten des selbständigen Wirkungsbereichs der nder geregelt werden bedarf es keiner Zustimmung des Bundesrats gemäß Artikel 50 Absatz 2 Z 2 B-VG.

Auf den auf der Homepage des Europarats abrufbaren erläuternden Bericht zum Änderungsprotokoll wird ergänzend hingewiesen.

Besonderer Teil

Zu Artikel 1

Durch diese Bestimmung wird Artikel 2 Absatz 1 des Zusatzprotokolls sowie dessen Überschrift geändert.

Nach dem neugefassten Absatz 1 kommt ein Ersuchen des Urteilsstaats an den Heimatstaat der verurteilten Person (Vollstreckungsstaat) um Übernahme der Strafvollstreckung unabhängig von der Zustimmung der betroffenen Person in Betracht, sofern diese entweder in den Vollstreckungsstaat geflohen oder auf andere Weise als durch Flucht in diesen Staat zurückgekehrt ist.

Anders als nach der bisherigen Bestimmung des Zusatzprotokolls werden daher auch Personen erfasst, denen es erlaubt war, in ihren Heimatstaat zurückzukehren.

In beiden Fällen ist es jedoch Voraussetzung, dass die verurteilte Person in Kenntnis des anhängigen Verfahrens bzw. des gegen sie ergangenen Urteils in den Heimatstaat zurückgekehrt ist. Damit sollen jene Fälle ausgeschlossen werden, in denen ein Abwesenheitsurteil ergangen ist.

Hingegen können Fälle betroffen sein, in denen eine Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe erfolgt ist, der Vollzug der Strafe jedoch (zuchst) aufgeschoben wurde und der Aufschub in der Folge widerrufen wird, nachdem die verurteilte Person bereits in ihren Heimatstaat zurückgekehrt ist.

Zu Artikel 2

Durch diese Bestimmung werden Artikel 3 Absätze 1, 3 lit. a, und Absatz 4 des Zusatzprotokolls geändert.

Nach Absatz 1 dieser Bestimmung kommt die Überstellung der verurteilten Person in den Heimatstaat zum weiteren Strafvollzug unabhängig von deren Zustimmung auch für den Fall in Betracht, dass gegen sie im Urteilsstaat eine rechtskräftige Ausweisungs- oder Abschiebeanordnung ergangen ist, aufgrund derer es ihr untersagt ist, sich nach Entlassung aus der Haft weiterhin im Hoheitsgebiet des Urteilsstaates aufzuhalten. Anders als nach der bisherigen Bestimmung des Artikel 3 Absatz 1 des Zusatzprotokolls ist es nicht erforderlich, dass die betreffende Anordnung eine Konsequenz des gegen die betroffene Person ergangenen Strafurteils darstellt, das dem Ersuchen um Übernahme der Strafvollstreckung zugrunde liegt.

Absatz 3 lit. a sieht vor, dass der Urteilsstaat dem Vollstreckungsstaat eine Erklärung der verurteilten Person zur vorgesehenen Überstellung zur Verfügung zu stellen hat, aus der sich deren Meinung zur beabsichtigen Überstellung ergibt. Durch die Änderung wird nunmehr auch der Fall berücksichtigt, dass sich die verurteilte Person zu dieser Frage nicht äußert. In diesem Fall hat der Urteilsstaat eine Erklärung zur Verfügung zu stellen, aus der der Umstand der Weigerung der betroffenen Person zur Äußerung hervorgeht.

Absatz 4 bezieht sich auf den Wegfall des Schutzes nach dem Spezialitätengrundsatz, der vorsieht, dass eine überstellte Person im Vollstreckungsstaat wegen einer anderen, vor der Überstellung begangen strafbaren Handlung, als der, die der zu vollstreckenden Sanktion zu Grunde liegt, nur in folgenden Fällen verfolgt, abgeurteilt, zur Vollstreckung einer Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung in Haft gehalten oder einer sonstigen persönlichen Freiheitsbeschränkung unterworfen werden darf;

-       mit Zustimmung durch den Urteilsstaat (lit. a). Dabei wird – anders als nach dem Zusatzprotokoll – vorgesehen, dass die Entscheidung dieses Staates über ein entsprechendes Ersuchen des Vollstreckungsstaats grundsätzlich binnen 90 Tagen nach Einlangen des Ersuchens getroffen werden muss. Kann diese Frist nicht eingehalten werden, so hat der Urteilsstaat die Verzögerung zu begründen und die voraussichtlich noch benötigte Zeit für die Entscheidung bekannt zu geben; oder

-       wenn die verurteilte Person innerhalb von 30 Tagen nach ihrer endgültigen Freilassung den Vollstreckungsstaat nicht verlässt, obwohl sie die Möglichkeit dazu hatte, oder nach Verlassen freiwillig wieder in diesen zurückkehrt (lit. b). Durch die Änderung wird der im Zusatzprotokoll vorgesehene genannte Zeitraum von 45 Tagen daher verkürzt.

Zu Artikel 3 bis 7

Diese Artikel enthalten die Schlussbestimmungen (Unterzeichnung und Ratifikation, Inkrafttreten, vorläufige Anwendung, Dauer der vorläufigen Anwendung, Notifikationen).

Nach Artikel 4 tritt das Änderungsprotokoll am ersten Tag des Monats in Kraft, der auf einen Zeitabschnitt von drei Monaten nach dem Tag folgt, an dem alle Vertragsparteien des Zusatzprotokolls zugestimmt haben, durch das Protokoll gebunden zu sein.

Artikel 5 sieht die Möglichkeit der Abgabe einer Erklärung über die vorläufige Anwendung des Änderungsprotokolls im Verhältnis zu jenen Vertragsparteien vor, die eine entsprechende Erklärung abgegeben haben. Es wird in Aussicht genommen, für Österreich eine derartige Erklärung abzugeben.