2230 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XXVII. GP

 

Bericht

des Außenpolitischen Ausschusses

über den Antrag 3551/A(E) der Abgeordneten Petra Bayr, MA MLS, Kolleginnen und Kollegen betreffend Solidarität mit den Frauen in Afghanistan

Die Abgeordneten Petra Bayr, MA MLS, Kolleginnen und Kollegen haben den gegenständlichen Entschließungsantrag am 30. August 2023 im Nationalrat eingebracht und wie folgt begründet:

„Mit der Machtübernahme durch die Taliban im August 2021 hat sich die Lebenssituation der Frauen und Mädchen in Afghanistan rasant verschlechtert. Frauen und Mädchen leiden unter mangelnder Freiheit, fehlendem Zugang zu Bildung ab der siebten Klasse und zu Universitäten, zu Freizeitangeboten und medizinischen Einrichtungen. Kurz: Frauen und Mädchen werden in ihren Grundrechten massiv und dramatisch eingeschränkt, aus praktisch allen Bereichen des öffentlichen Lebens ausgeschlossen und geschlechtsspezifisch verfolgt. Fast täglich werden überdies neue gewalttätige Übergriffe auf Frauen und Mädchen in dem Land gemeldet.

Zwei Jahre nach der Machtübernahme der Taliban sind Frauen quasi komplett aus der Öffentlichkeit verbannt, und es werden immer noch laufend weitere Einschränkungen durchgesetzt. So hat etwa die Schließung von Schönheitssalons im Juli 2023 drastische Auswirkungen auf die noch letzten Arbeitsmöglichkeiten und Treffpunkte für Frauen. Außerdem wurde die Bildung für Mädchen im August 2023 noch weiter eingeschränkt, so ist der Schulbesuch für Mädchen in vielen Provinzen offiziell ab dem Alter von zehn Jahren verboten. Frauen und Mädchen erleben ihr Dasein zunehmend als aussichtslos und die drastischen Folgen für ihr psychische Gesundheit wird an der hohen Zahl an Selbstmorden sichtbar.[1]

‚Die Taliban verfolgen Frauen und Mädchen schwerwiegend und systematisch aufgrund ihrer Geschlechtszugehörigkeit. Gekoppelt mit entsprechenden politischen Maßnahmen bildet dies ein System der Unterdrückung, das Frauen und Mädchen im ganzen Land unterdrückt und ausgrenzt. Unser Bericht zeigt auf, dass alle fünf Kriterien erfüllt sind, um dies als geschlechtsspezifische Verfolgung und somit als Verbrechen gegen die Menschlichkeit einzustufen‘, sagt Santiago A. Canton, Generalsekretär der Internationalen Juristenkommission ICJ zu einem jüngst gemeinsam mit Amnesty International veröffentlichten Bericht betreffend des mutmaßlichen Delikts Verbrechen gegen die Menschlichkeit.[2]

Die Verfolgung von afghanischen Mädchen und Frauen wegen ihres Geschlechts steht außer Zweifel. Schweden, Dänemark und Finnland haben sie deshalb bereits grundsätzlich als Flüchtlinge anerkannt, da sie als soziale Gruppe in ihren Grundrechten verletzt werden. Auch in Österreich sollte afghanischen Mädchen und Frauen prinzipiell internationaler Schutz gewährt werden. Die Anerkennung als 'prima facie'-Flüchtlinge ist dafür eine gute Lösung.

Hinzu kommt die humanitäre Katastrophe, die Frauen und Kinder besonders hart trifft. Das UN-Büro für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (UNOCHA) schätzt, dass im Jahr 2023 eine Rekordzahl von 28,3 Millionen Menschen humanitäre Hilfe und Schutz in Afghanistan benötigen werden.[3]

Berichten zu Folge gibt es zahlreiche Beispiele, die zeigen, dass unter den Taliban Pressefreiheit, Meinungsfreiheit und Religionsfreiheit nicht existieren. Die Taliban vertreiben Hazaras, Tadschik:innen

und Usbek:innen von ihren angestammten Gebieten, um die ethnische Zusammensetzung der Regionen zu ändern. An ihrer Stelle haben die Taliban, um einer Forderung Pakistans gerecht zu werden, schätzungsweise 30.000 Mitglieder der pakistanischen Taliban angesiedelt[4]

Die Weltöffentlichkeit nimmt die ständige Verschlechterung der Situation in Afghanistan wahr, sie reagiert aber immer noch zu verhalten im Hinblick auf die Unterstützung afghanischer Frauen. Der Umgang der internationalen Gemeinschaft mit den Taliban kann insgesamt als ziellos, unkoordiniert, reaktionär und zurückhaltend beschrieben werden. Setzt sich diese Haltung weiter fort, hat das katastrophale Folgen für alle Menschen in Afghanistan. Ebenso können bereits jetzt umfassende negative Folgen in der gesamten Region, also auch in den Nachbarländern, festgestellt werden. Letztlich betrifft das Erstarken der radikalislamischen Terrororganisation, und somit auch ihrer menschenfeindliche Ideologie, die gesamte Welt.“

 

Der Außenpolitische Ausschuss hat den gegenständlichen Entschließungsantrag in seiner Sitzung am 04. Oktober 2023 in Verhandlung genommen. An der Debatte beteiligten sich außer der Berichterstatterin Abgeordnete Petra Bayr, MA MLS die Abgeordneten Dr. Ewa Ernst-Dziedzic und Mag. Carmen Jeitler-Cincelli, BA.

 

Im Zuge der Debatte haben die Abgeordneten Mag. Carmen Jeitler-Cincelli, BA, Petra Bayr, MA MLS, Dr. Ewa Ernst-Dziedzic und Henrike Brandstötter einen selbständigen Entschließungsantrag gem. § 27 Abs. 3 GOG-NR betreffend Wahrung der Menschenrechte, insbesondere von Frauen und Mädchen, in Afghanistan eingebracht, der einstimmig beschlossen wurde.

 

Dieser selbständige Entschließungsantrag war wie folgt begründet:

„Mit der Machtübernahme durch die radikalislamische Taliban am 15. August 2021 hat sich die Lage der Grund- und Freiheitsrechte in Afghanistan und insbesondere die Lebenssituation der Frauen und Mädchen im Land rasant und in einem besorgniserregenden Ausmaß verschlechtert. Vor allem Frauen und Mädchen werden aufgrund ihres Geschlechts in ihren Grund- und Freiheitsrechten massiv eingeschränkt, sind de facto komplett aus der Öffentlichkeit verbannt und es werden immer noch laufend weitere Einschränkungen durchgesetzt. Die Taliban haben mehr als 70 Dekrete und Erlässe erlassen, welche die Rechte von Frauen aushöhlen bzw. verletzen und sie vom täglichen Leben ausschließen (wie etwa ein Universitätsverbot, ein weitreichendes Arbeitsverbot für Frauen, einschließlich bei internationalen Organisationen und humanitären NGOs, die Schließung von Schönheitssalons, etc.). Die Schließung von Mädchenschulen ab der 7. Klasse bezeichnete der Generalsekretär der Vereinten Nationen António Guterres kürzlich als ‚nicht zu rechtfertigende Menschenrechtsverletzung, die dem gesamten Land langfristigen Schaden zufügt‘.

Zudem werden fast täglich gewalttätige Übergriffe auf Frauen und Mädchen gemeldet. Jüngster bekannter Fall ist die Verhaftung der Frauenrechtsaktivistin Julia Parsi am 27. September des Jahres in Kabul. Julia Parsi war im August vergangenen Jahres als Mitbegründerin einer afghanischen Frauenbibliothek in Kabul bekannt geworden. Dort konnten Frauen, die von höherer Bildung in Afghanistan ausgeschlossen sind, kostenfrei lesen und sich austauschen. Die Bibliothek wurde Berichten zufolge bereits im März 2023 geschlossen.

Die österreichische Bundesregierung hat seit dem Jahr 2017 insgesamt EUR 40,5 Mio. an humanitärer Hilfe für Afghanistan geleistet.“

 

Der den Verhandlungen zu Grunde liegende Entschließungsantrag 3551/A(E) der Abgeordneten Petra Bayr, MA MLS, Kolleginnen und Kollegen fand nicht die Zustimmung der Ausschussmehrheit
(für den Antrag: S, N, dagegen: V, F, G).

 

Zur Berichterstatterin für den Nationalrat wurde Abgeordnete Dr. Ewa Ernst-Dziedzic gewählt.

Als Ergebnis seiner Beratungen stellt der Außenpolitische Ausschuss somit den Antrag, der Nationalrat wolle

1.     diesen Bericht hinsichtlich des Entschließungsantrags 3551/A(E) zur Kenntnis nehmen und

2.     die angeschlossene Entschließung annehmen.

Wien, 2023 10 04

                         Dr. Ewa Ernst-Dziedzic                                                Dr. Christoph Matznetter

                                  Berichterstattung                                                                          Obmann



[1] Vgl.: https://www.thelancet.coin/journals/lansea/article/PIIS2772-3682(22)00098-1/fulltext, https://zantimes.com/2022/11/26/documenting-femicide-and-suicide-in-afghanistan-a-zan-times-report/ ; Stand: 23.08.2023

[2] Vgl. Afghanistan | Behandlung von Frauen und Mädchen durch Taliban ist möglicherweise Verbrechen gegen die Menschlichkeit | 26.05.2023 (amnesty.de); Stand: 25.08.2023

[3] https://reliefweb.int/report/afghanistan-humanitarian-needs-overview-2023-january-2023?_gl=1*ht5ntp*_ga* MjA1NTl2MTU5Ny4xNjc5NTc1NTM5*_ga_E60ZNX2F68*MTY4MjMzNTk2Ni4zLjAuMTY4MjMzNTk2Ni42MC4wLjA.; Stand: 20.04.2023

[4] Taliban Reaches Agreement With Pakistan To Relocate TTP Members to Northern Afghanistan | Afghanistan International (afintl.com); Stand; 24.08.2023