2240 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XXVII. GP

 

Bericht

des Ausschusses für Menschenrechte

über den Antrag 3629/A(E) der Abgeordneten Dr. Ewa Ernst-Dziedzic, Dr. Gudrun Kugler, Dr. Harald Troch, Dr. Helmut Brandstätter, Kolleginnen und Kollegen betreffend Stopp des militärischen Kampfeinsatzes und der humanitären Krise in Bergkarabach

 

Die Abgeordneten Dr. Ewa Ernst-Dziedzic, Dr. Gudrun Kugler, Dr. Harald Troch, Dr. Helmut Brandstätter, Kolleginnen und Kollegen haben den gegenständlichen Entschließungsantrag am 20. September 2023 im Nationalrat eingebracht und wie folgt begründet:

„Seit dem 12. Dezember 2022 blockiert Aserbaidschan den Latschin-Korridor, die einzige Verbindungstraße zwischen Bergkarabach und Armenien. Gemäß der Erklärung vom 9. November 2020, welche das Ende des blutigen 44-tägigen Krieges markierte, sollte dieser Korridor unter der Kontrolle russischer Truppen offenbleiben. Am 19. September 2023 griff Aserbaidschan in der Region militärisch ein. Zahlreiche internationale Appelle verlangen ein Ende der Kampfhandlungen und eine Rückkehr zum diplomatischen Verhandlungsweg. Eine Sondersitzung des UNO-Sicherheitsrates wurde einberufen. Am 20. September 2023 wurde eine Feuerpause vereinbart.

Die Blockade des Latschin-Korridors hat in Bergkarabach zu einer schweren humanitären Krise geführt, mit gravierendem Mangel an Nahrungsmitteln und lebenswichtigen Medikamenten sowie Behinderungen der Erdgas- und Stromversorgung. Zudem wurden die Aktivitäten des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes (IKRK) stark beeinträchtigt bzw. verunmöglicht.

Die Europäische Union hat im Februar 2023 im Rahmen der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik die zivile Beobachtermission ‚European Union Mission in Armenia – EUMA‘ zur Beobachtung und Entspannung des Konflikts vor Ort entsendet. Zu den Zielen der Mission zählt es, die menschliche Sicherheit in der Konfliktregion zu unterstützen und das Vertrauen zwischen Armenien und Aserbaidschan zu fördern. Die Mission ist auf zwei Jahre ausgelegt.[1]

Der Internationale Gerichtshof (IGH) der Vereinten Nationen erließ am 22. Februar 2023 und 6. Juli 2023 rechtsverbindliche Anordnungen, in denen Aserbaidschan aufgefordert wird, unverzüglich den ununterbrochenen Personen- und Gütertransport durch den Latschin-Korridor in beide Richtungen sicherzustellen. Auch die internationale Gemeinschaft - darunter die EU, die USA, Frankreich und andere EU-Mitgliedstaaten - hat Aserbaidschan wiederholt aufgefordert, den Latschin-Korridor gemäß den Anordnungen des IGH unverzüglich zu öffnen. Das Europäische Parlament hat eine Resolution[2] angenommen, die Aserbaidschan auffordert, den Latschin-Korridor sofort zu öffnen und die Transport-, Energie- und Kommunikationsverbindungen zwischen Armenien und Bergkarabach nicht zu stören.

Der österreichische Bundesminister für europäische und internationale Angelegenheiten forderte während einer Pressekonferenz im Anschluss an sein Treffen mit dem armenischen Außenminister in Wien am 18. Juli 2023 die Öffnung des Latschin-Korridors.[3]

Aufgrund der langanhaltenden Blockade des Korridors durch Aserbaidschan hat sich die humanitäre Situation für die Zivilbevölkerung zunehmend und nachhaltig verschlechtert und aufgrund des akuten Mangels an Medikamenten ergeben sich lebensbedrohliche Situationen für vulnerable Personen. Seit einigen Tagen finden humanitäre Hilfslieferungen wieder über die Stadt Aghdam über die Verbindungsroute zwischen Aserbaidschan nach Berg-Karabach statt. Dies ist eine grundsätzlich positive Entwicklung zur Entschärfung der akuten humanitären Situation, dennoch ist es wichtig, dass humanitäre Lieferungen uneingeschränkt auch über den Latschin-Korridor erfolgen können.

Am 15. Dezember 2022 hat der Nationalrat in einer einstimmigen Entschließung betreffend Einsatz für Ende der Gewalt und notwendiges Friedensabkommen zwischen Armenien und Aserbaidschan[4] die Notwendigkeit der vollumfassenden Achtung der Erklärung vom November 2020 und der strikten Einhaltung des humanitären Völkerrechts sowie der völkerrechtlichen Verpflichtungen zum Schutz der Zivilbevölkerung und ziviler Infrastruktur sowie der Menschenrechte betont. Wichtig ist, dass Aserbaidschan die Einhaltung von Minderheitenrechten nach internationalen Standards garantiert.“

 

Der Ausschuss für Menschenrechte hat den gegenständlichen Entschließungsantrag in seiner Sitzung am 10. Oktober 2023 in Verhandlung genommen. An der Debatte beteiligten sich außer der Berichterstatterin Abgeordneten Dr. Ewa Ernst-Dziedzic die Abgeordneten Robert Laimer, Mag. Hannes Amesbauer, BA, Dr. Gudrun Kugler und Mag. Martin Engelberg.

 

Im Zuge der Debatte haben die Abgeordneten Dr. Ewa Ernst-Dziedzic, Dr. Gudrun Kugler, Robert Laimer und Dr. Nikolaus Scherak, MA einen selbständigen Entschließungsantrag gem. § 27 Abs. 3 GOG-NR betreffend Verurteilung der militärischen Handlungen durch Aserbaidschan sowie Schutz von Minderheitenrechten und Kulturgütern in Bergkarabach eingebracht, der einstimmig beschlossen wurde.

 

Dieser selbständige Entschließungsantrag war wie folgt begründet:

„Am 19. September des Jahres startete Aserbaidschan eine großangelegte Militäroffensive in Bergkarabach. Zu dem Zeitpunkt lebten dort über 100.000 ethnische Armenierinnen und Armenier.

In der Zwischenzeit sind nahezu alle ethnische Armenierinnen und Armenier aus Bergkarabach geflohen, geschätzte 100.000 Flüchtlinge sind in Armenien angekommen. Eine UN-Mission, die nach Bergkarabach entsendet wurde, sprach am 2. Oktober 2023, davon, dass womöglich lediglich rund fünfzig bis eintausend ethnische Armenierinnen und Armenier in Bergkarabach verblieben sein könnten.

Es obliegt unabhängigen Gerichten zu qualifizieren, ob die Massenflucht nahezu aller ethnischen Armenierinnen und Armenier aus Bergkarabach eine völkerrechtswidrige sog. ‚ethnische Säuberung‘ ist, wenngleich ein derartiger Exodus Indikator für Vertreibung und Säuberungen sein kann.

Am Rande der UN-Generalversammlung im September in New York forderte der Bundesminister für europäische und internationale Angelegenheiten, Alexander Schallenberg, Aserbaidschan ganz dringend auf, zu deeskalieren, den Militäreinsatz zu beenden und die Truppen zurückzuziehen. Es sei etwas zynisch, wenn das genau zu dem Zeitpunkt stattfinde, während die Weltgemeinschaft in New York zusammenkomme und genau daran arbeite, dass solche Situationen nicht entstünden, erklärte Schallenberg und ortete die Gefahr eines Flächenbrandes im Südkaukasus.

Der Sprecher der Internationalen Organisation für Migration (IOM), Joe Lowry, sprach Anfang Oktober von einem ‚verborgenen humanitären Notfall‘ (‚hidden humanitarian emergency‘). Armenien ist Schwerpunktland der österreichischen Entwicklungszusammenarbeit. Über das Budget für bilaterale EZA in Höhe von drei Mio. Euro für 2023 hinaus unterstützt Österreich die notleidende Bevölkerung mit weiteren zwei Millionen Euro aus den Mitteln der Austrian Development Agency (ADA) zur Linderung der humanitären Notlage.

Laut UN-Mission sei es noch unklar, ob die lokale Bevölkerung die Absicht habe, nach Bergkarabach zurückzukehren. Europäische und armenische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie die armenische Kirche warnen unterdessen zudem vor einer Zerstörung von Kulturgütern und Kirchen in Bergkarabach, welche zum kulturelle Erbe der gesamten Menschheit gehören.“

 

Der den Verhandlungen zu Grunde liegende Entschließungsantrag 3629/A(E) der Abgeordneten Dr. Ewa Ernst-Dziedzic, Dr. Gudrun Kugler, Dr. Harald Troch, Dr. Helmut Brandstätter, Kolleginnen und Kollegen ist damit miterledigt.

 

Als Ergebnis seiner Beratungen stellt der Ausschuss für Menschenrechte somit den Antrag, der Nationalrat wolle die angeschlossene Entschließung annehmen.

Wien, 2023 10 10

                         Dr. Ewa Ernst-Dziedzic                                               Dr. Nikolaus Scherak, MA

                                  Berichterstattung                                                                          Obmann



[1] https://www.eeas.europa.eu/euma/eu-mission-armenia-euma_en.

[2] Entschließung des Europäischen Parlaments vom 19. Januar 2023 zu den humanitären Konsequenzen der Blockade von Bergkarabach (2023/2504(RSP)); verfügbar: https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/TA-9-2023-0012_DE.html.

[3] https://www.bmeia.gv.at/ministerium/presse/aktuelles/2023/07/migration-und-regionale-sicherheit-im-zentrum-des-treffens-zwischen-aussenminister-schallenberg-und-seinem-armenischen-amtskollegen-mirzoyan.

[4] Antrag der Abgeordneten Dr. Reinhold Lopatka, Dr. Ewa Ernst-Dziedzic, Kolleginnen und Kollegen betreffend Einsatz für Ende der Gewalt und notwendiges Friedensabkommen zwischen Armenien und Aserbaidschan; siehe https://www.parlament.gv.at/gegenstand/XXVII/A/2837.