2481 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XXVII. GP
Bericht
des Justizausschusses
über die Regierungsvorlage (2462 der Beilagen): Bundesgesetz, mit dem zur Lösung haftungsrechtlicher Fragen bei Bäumen das allgemeine bürgerliche Gesetzbuch geändert wird (Haftungsrechts-Änderungsgesetz 2024 – HaftRÄG 2024)
Allgemeiner Teil
A. Problem
Das ABGB kennt keine eigene Bestimmung über die schadenersatzrechtliche Haftung für Bäume, im Besonderen nicht für Schäden, die durch das Umstürzen eines Baumes oder durch das Herabfallen eines Baumastes entstehen. Eine schon vor Jahrzehnten begründete Judikaturlinie hat für solche Schadensereignisse die Bestimmung des § 1319 ABGB über die Bauwerkehaftung analog herangezogen, die dem Besitzer des Werkes die Beweislast dafür auferlegt, dass er alle zur Abwendung der Gefahr erforderliche Sorgfalt angewendet habe. Die dadurch bei den betroffenen Verkehrskreisen entstandene Furcht vor einer strengen Haftung sowie eine auch in anderen Lebensbereichen zu beobachtende Tendenz zu Haftungsängsten und zu oft übertriebenen, aus der Sachlage gar nicht gebotenen Sicherheitsmaßnahmen hat im Bereich der Verantwortlichkeit für Bäume dazu geführt, dass es vermehrt zu schematischen Sicherheitsvorkehrungen kommt, ohne dass deren Notwendigkeit im Einzelfall eingehender geprüft würde. So werden etwa Bäume entlang von Straßen und Wegen oder sonst im öffentlichen Raum unter Hinweis auf eine vermeintliche Haftungsgefahr oft flächendeckend gefällt, obwohl eine so weitreichende Maßnahme auch unter Sicherheitsaspekten gar nicht erforderlich wäre. Davon sind häufig gerade auch Bäume betroffen, die etwa wegen ihres hohen Alters einen besonderen ökologischen Wert haben.
Die gegenwärtige Rechtslage zur Haftung für Bäume wird aber noch unter einem weiteren Aspekt als unbefriedigend empfunden: In Zeiten des Klimawandels gewinnt die Erhaltung der noch vorhandenen natürlichen Umwelt und hier im Besonderen die Erhaltung von ökologisch und für die Lebensqualität wertvollen Bäumen immer mehr an Bedeutung. Freilich muss der Schutz menschlichen Lebens, muss die körperliche Unversehrtheit von Menschen ein vorrangiges Ziel sein; und auch die Beschädigung von Sachen gilt es bestmöglich zu vermeiden. Doch dürfen diese Ziele nicht in dem Sinn als absolut verstanden werden, dass jegliche auch bloß theoretische oder geringgradige Gefahr ohne Rücksicht auf den Baumbestand zu beseitigen wäre. Auch die Erhaltung von Bäumen und besonders von im obigen Sinn „wertvollen“ Bäumen steht im Allgemeininteresse und hat einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf das Wohl und die Lebensqualität der Menschen. Dieser Gemeinwohlaspekt spiegelt sich allerdings in der gegenwärtigen Rechtslage zumindest nicht explizit wider; weder das allgemeine Schadenersatzrecht noch der bisher analog herangezogene § 1319 ABGB nehmen ausdrücklich auf ein solches Abwägungskriterium Bezug. Das wurde in den vergangenen Jahren mit dem Argument bemängelt, dass dadurch die Sicherheitsaspekte sehr einseitig in den Vordergrund gerückt würden.
B. Ziele des Entwurfs
Die Haftung für Bäume soll durch Einfügung einer eigenen Gesetzesbestimmung in das Schadenersatzrecht des ABGB auf eine neue, spezifische Grundlage gestellt werden. Diese Gesetzesbestimmung orientiert sich zum einen an den Grundsätzen der Verkehrssicherungspflichten, wie sie von Rechtsprechung und Lehre entwickelt wurden; und damit fügt sich die Bestimmung harmonisch in das Gesamtsystem des österreichischen Schadenersatzrechts ein. Zum anderen werden in die Regelung auch die besonders für die Baumhaftung maßgeblichen Gesichtspunkte aufgenommen. Vor allem wird auch ein besonderes Interesse an einem möglichst naturbelassenen Zustand eines Baumes als Abwägungskriterium eingeführt, womit das zuvor beschriebene Defizit beseitigt wird. Zum dritten werden für einen Schadenersatzanspruch nach der neuen Haftungsbestimmung die allgemeinen Regelungen über die Beweislast für anwendbar erklärt, sodass einer analogen Heranziehung der Bauwerkehaftung und der dortigen Beweislastumkehr nun auch normativ der Boden entzogen wird.
C. Abgrenzungen
Die in das ABGB neu eingefügte Gesetzesbestimmung gilt nicht für Bäume im Wald. Denn die Rechtsverhältnisse im Wald werden durch das Forstgesetz 1975 besonders geregelt; und diese Gesetzesvorschrift enthält in ihrem § 176 auch ein eigenes Haftungsregime für den Wald, das durch die nunmehrige Gesetzänderung unberührt bleibt.
Die neue Bestimmung bezieht sich auch nicht auf sämtliche möglichen Schadensfälle, die im Zusammenhang mit Bäumen denkbar sind. So unterliegt beispielsweise der Sturz eines Arbeiters, der an einem Baum in der Höhe Astschnitte oder sonstige Baumpflegemaßnahmen durchführt und dabei herabfällt, ebenso anderen Regeln wie etwa der Anprall eines stürzenden Schifahrers gegen einen Baum am Rand einer Piste. Nicht jeder im weitesten Sinn baumbezogene Schaden wird also von der neuen Gesetzesbestimmung erfasst, sondern nur jene Schadensereignisse, die in der bisherigen Rechtsprechung auch der Ansatzpunkt für die Analogie zur Bauwerkehaftung waren, nämlich das Umstürzen eines Baumes sowie das Herabfallen von Ästen.
D. Exkurs: Zum ökologischen Wert und zur Gemeinwohlwirkung von Bäumen
1. In der Wissenschaftsdisziplin der Ökologie wird darauf hingewiesen, dass sich die Lebensform Baum in ihrer ökologischen Relevanz deutlich von anderen pflanzlichen Lebensformen abhebt und dass sie – neben ihren vielfältigen Funktionen im Grünraum, wo sie zumeist dominant auftritt – in Städten und Siedlungen zu den wesentlichsten Gestaltungselementen zur Schaffung höherer Lebensqualität zählt. Durch die Ausbildung besonderer Stützgewebe und einen verholzenden Stamm sind Bäume nicht nur zu einer hohen Lebensdauer, sondern auch zu hoher Strukturvielfalt und besonderem Größenwachstum befähigt. Ein außergewöhnlich großes Genom ist wohl der Grund für das hohe Regenerationsvermögen von Bäumen gegenüber Umweltstressoren, welches es Bäumen ermöglicht, die langlebigsten und größten Organismen der Erde hervorzubringen (Matyssek, R.; Fromm, J.; Rennenberg, H.; Roloff, A.: Biologie der Bäume – von der Zelle zur globalen Ebene. Eugen Ulmer KG 2010, S. 350). Diese für die Lebensform Baum kennzeichnenden Merkmale haben ein reiches Spektrum an Ökosystemdienstleistungen von Einzelbäumen (und in erweitertem Ausmaß auch von Wäldern) zur Folge. Von großer Bedeutung für den Menschen und das Gemeinwohl sind die ausgleichenden und stabilisierenden Wirkungen von Bäumen auf das globale, regionale und lokale Klima. Im Besonderen gilt das für Städte, wo die Wohlfahrtswirkung von Bäumen den negativen Effekten des Siedlungsraums auf das Klima entgegensteht (Schauberger, R.: Ökologische Wirkungen von Bäumen im Stadtgebiet – ÖKO.L Zeitschrift für Ökologie, Natur- und Umweltschutz 2000/4 S. 35). Bäume können aufgrund ihrer Verdunstungsleistung und durch Beschattung lokal zu einer Temperaturabsenkung führen und regional eine wichtige temperaturausgleichende Rolle einnehmen. Aufgrund ihres hohen Anteils an gespeichertem Kohlenstoff in lebender Biomasse wirken Bäume einer Verstärkung des Treibhauseffekts entgegen und stellen im Verlauf des Klimawandels einen bestimmenden Faktor dar, auf den der Mensch Einfluss nehmen kann (Matyssek et al. 2010). Von ebenso großer Bedeutung sind stabilisierende und reinigende Wirkungen auf den Wasserhaushalt, luftverbessernde Wirkungen durch Sauerstoffanreicherung und Filterung von Schadstoffen, Feinstaub und Gasen sowie der Schutz des Bodens vor Erosion (Matyssek et al. 2010; Bartsch, N.; Röhrig, E.: Waldökologie. Einführung für Mitteleuropa. Springer Verlag Berlin Heidelberg 2016, S. 416).
2. Die strukturreiche und langlebige Lebensform der Bäume bietet überdies einer Vielzahl von Organismen wichtigen Lebensraum und Nahrung. Der Wert des Baumes für die Artenvielfalt steigt mit zunehmender Anzahl und Vielfalt an ökologischen Nischen und Kleinstlebensräumen, in der Regel daher mit steigendem Baumalter und Stammdurchmesser. Weitere einflussreiche Faktoren sind die Baumart und der Standort des Baumes (Gloor, S.; Hofbauer, M., G.: Der ökologische Wert von Stadtbäumen bezüglich der Biodiversität. Jahrbuch der Baumpflege, Haymarket Media 2018, S. 33 – 48; Bütler, R.; Lachat, T.; Krumm, F.; Kraus, D.; Larrieu, L.: Habitatbäume kennen, schützen und fördern. Merkblatt für die Praxis, 2020/64, S. 12). Habitatstrukturen wie etwa Höhlen, Risse, Kronentotholz oder Wucherungen erfüllen spezifische Ansprüche zahlreicher Arten in unterschiedlichen Lebensphasen. Die hohe Qualität der Bäume für das Angebot an ökologischen Nischen liegt – neben der Vielgestaltigkeit der Baumorgane vom Wurzelraum bis in die Krone – auch besonders in ihrer Langlebigkeit. So bieten Bäume über Jahre hinweg Brutplätze, Unterschlupf und Nahrung sowie physikalische Stütze. Dies ist besonders wichtig für jene Lebewesen, die mehrjährige Larvenstadien durchlaufen oder selbst gänzlich immobil sind (Matyssek et al. 2010). Bäume der späten Entwicklungs- und Zerfallsphasen sind in der vornehmlich wirtschaftlich genutzten Fläche nur in sehr geringem Maß vertreten oder fehlen dort gänzlich. Ein Mangel an solchen Bäumen bedroht freilich den Fortbestand von Organismen, die an die spezifischen Strukturen dieser Altersklassen und an Totholz gebunden sind. Besonders in Städten stellen Altbäume deshalb wichtige Refugialräume dar (Gloor et al. 2018). Die Erhaltung von Altbäumen als letzte Rückzugsorte dieser Arten ist daher von wesentlicher Bedeutung für die Biodiversität und den Artenschutz.
Bäume können also durch ihre charakteristischen Merkmale und ihre Lebensform vielfältige ökologische Funktionen für Umwelt und Gesellschaft erfüllen. Es besteht daher ein hohes Allgemeininteresse an der Erhaltung besonders von alten und großen Bäumen, welches bei der Beurteilung von Sicherungserfordernissen gegenüber etwaigen Baumrisiken abwägend mitzuberücksichtigen ist. Diese abwägende Mitberücksichtigung steht im Einklang mit dem Bundesverfassungsgesetz über die Nachhaltigkeit, den Tierschutz, den umfassenden Umweltschutz, die Sicherstellung der Wasser- und Lebensmittelversorgung und die Forschung, BGBl. I Nr. 111/2013, mit welchem sich die Republik Österreich zum Prinzip der Nachhaltigkeit bei der Nutzung der natürlichen Ressourcen, um auch zukünftigen Generationen bestmögliche Lebensqualität zu gewährleisten, und insbesondere zum umfassenden Umweltschutz bekannt hat.
E. Die Diskussion über die Baumhaftung und der bisherige Weg der Gesetzwerdung
1. Schon seit einigen Jahren ist eine öffentliche Diskussion über die zivilrechtliche Haftung für Schäden durch Bäume im Gang. Ausgangspunkt dafür war zunächst die Aussage, dass sich die Rechtsprechung zur Haftung des Baumhalters oder Waldeigentümers gravierend verschärft habe, wogegen nur durch Gesetzesänderungen im ABGB und im Forstgesetz Abhilfe geschaffen werden könne. Diese Meinung fand bei den für Bäume Verantwortlichen bald einige Verbreitung. Eine genauere Analyse der Judikatur lässt einen Trend zu einer immer strengeren Haftung zwar nicht erkennen; gerade im Gegenteil haben die Gerichte in jüngerer Zeit eine allzu strenge Haftung von Baum- und Waldeigentümern immer abgelehnt. Freilich wurde in der angesprochenen Diskussion von Baumverantwortlichen davon berichtet, dass es ungeachtet dieser Judikaturentwicklung in der jüngeren Vergangenheit bei einschlägigen Schadensfällen vermehrt zu Anspruchstellungen und in der Folge auch zu außergerichtlichen Schadensregulierungen gekommen sei, sodass sich das reale Geschehen im Zusammenhang mit der Haftung für Bäume in der veröffentlichten Rechtsprechung nicht hinreichend abbilde. Jedenfalls wird in den betroffenen Verkehrskreisen davon ausgegangen, dass umfassende Prüf- und Sicherungspflichten bestehen. Dies hat Unsicherheiten und Haftungsängste zur Folge, die häufig zu einem unnötigen Zurückschneiden oder Fällen von Bäumen führen. Um diesen Ängsten zu begegnen, trat das Bundesministerium für Justiz in einen systematischen Diskussionsprozess mit den verschiedenen Proponenten der Baumsicherung, insbesondere mit der Plattform Österreichische Baumkonvention, ein. Ein herausragendes Ereignis in diesem Diskussionsgeschehen war das im Oktober 2019 in Hainburg durchgeführte interdisziplinäre Symposium zur Haftung für Bäume, bei dem im Dialog zwischen Baumfachleuten, Rechtswissenschafter:innen und Vertreter:innen der Gerichtsbarkeit allgemeine Standards und Kriterien für die Baumsicherung und die Baumhaftung erarbeitet wurden (vgl. zu dieser Tagung Stabentheiner/Büchl-Krammerstätter [Hrsg.], Kriterien für eine differenzierte Baumhaftung [2020]; Kathrein/Stabentheiner, Die Hainburger Thesen zur Baumhaftung, ZVR 2020, 47; Stabentheiner, Die Hainburger Thesen zur Baumsicherung, Der Sachverständige 2020, 2; vgl auch die Studie von Jandl/E. Wagner, Umweltrelevante Haftungsfragen bei Bäumen, Pflanzen und Wegen [2016], die einen wesentlichen Impuls für die Beratungen in Hainburg bildete).
2. Im Regierungsprogramm 2020 – 2024 wurde die Evaluierung der haftungsrechtlichen Sorgfaltsanforderungen bei der Kontrolle und Pflege von Bäumen und Wäldern angekündigt, und zwar mit dem Ziel, Österreichs Bäume und Wälder zu erhalten und ein unnötiges Zurückschneiden oder Fällen von Bäumen zu verhindern. Unter Berufung auf diese Passage des Regierungsprogramms wurde von unterschiedlichen Seiten der Wunsch an das Bundesministerium für Justiz herangetragen, neben dem oben beschriebenen Diskussionsgeschehen, diesen Arbeiten an Standards und Leitlinien und weiteren spezifischen Projekten auch klarstellende Änderungen im Gesetzesrecht vorzubereiten und durchzuführen. Dabei sollte es nicht um Schäden im Wald gehen, zumal dafür – wie in Punkt C bereits erwähnt – ja die besonderen Regelungen des Forstgesetzes 1975 gelten.
3. Um diesem Wunsch Rechnung zu tragen, erstellte das Bundesministerium für Justiz im Winter 2021 den Entwurf eines Haftungsrechts-Änderungsgesetzes 2023, dessen zentraler Inhalt die Einfügung einer neuen Haftungsbestimmung zu Schäden durch einen Baum, nämlich eines neuen § 1319b, in das Schadenersatzrecht des ABGB sein sollte. Denn der systematisch passende Ort für eine Regelung über die Baumhalterhaftung im ABGB liegt wohl unmittelbar nach der Bestimmung des § 1319a ABGB über die Haftung des Wegehalters. Der Gesetzentwurf des Bundesministeriums für Justiz wurde sodann im Frühjahr und Sommer 2021 in einer ministeriellen Arbeitsgruppe, die aus Vertreter:innen der inhaltlich berührten Ressorts, des Gemeindebundes, der Plattform „Baumkonvention“, der betroffenen Interessengruppen, der Kammern und der Rechtsberufe sowie aus Exponent:innen der Zivilrechtslehre zusammengesetzt war, sehr eingehend besprochen und diskutiert. Im November 2021 fand in Traunkirchen ein weiteres Symposium zur Sicherung von Bäumen statt, das unter anderem auch für dieses Gesetzesprojekt wertvolle Impulse erbrachte (vgl. zu dieser Tagung Stabentheiner/Wieser/Borkowski, Das zweite Symposium zur Baumsicherung und die Traunkirchener Thesen, ZVR 2022, 23). Aufgrund der Beratungen der Arbeitsgruppe sowie der beim Symposium in Traunkirchen erzielten Diskussionsergebnisse wurde der Entwurf noch in einigen Punkten verändert und weiterentwickelt und sodann mit ausführlichen Erläuterungen versehen. Dieser Gesetzentwurf wurde sodann dem allgemeinen Begutachtungsverfahren zugeführt.
F. Hauptgesichtspunkte des Entwurfs
1. Gegenstand der neuen Bestimmung sind Schäden, die – außerhalb von Wäldern – durch einen Baum verursacht werden. Das wird bereits durch die Überschrift der Gesetzesbestimmung zum Ausdruck gebracht. Doch erfasst die Bestimmung – wie ebenfalls bereits in Punkt C ausgeführt – nicht alle denkbaren Schadensereignisse im Zusammenhang mit einem Baum, sondern beschränkt sich auf den Kernbereich der sogenannten „Baumhaftung“, nämlich auf Schädigungen durch das Umstürzen eines Baumes oder durch das Herabfallen von Ästen (Näheres zu dieser Eingrenzung sodann bei den Erläuterungen zu Abs. 1).
2. Die Schaffung einer eigenen Bestimmung über die Baumhalterhaftung verfolgt zwei Zielrichtungen: Erstens geht es darum, in einer solchen Bestimmung die speziellen haftungsrechtlichen Gegebenheiten und Fragen, die in solchen Konstellationen von Bedeutung sind, einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung zu unterziehen. Zweitens – und im Lichte der bisher zur Baumhaftung geführten Diskussion nicht weniger wichtig – ist es das Anliegen einer solchen Neuregelung, eine analoge Anwendung der haftungsrechtlichen Vorgaben für Bauwerke in § 1319 ABGB entbehrlich zu machen. Denn von den Proponenten der Baumsicherung wurde die analoge Anwendung des § 1319 ABGB auf das Umstürzen von Bäumen und das Abbrechen von Ästen, zu der sich die Rechtsprechung verstanden hat (1 Ob 50/70 EvBl 1970/294; 7 Ob 757/82 MietSlg 35.260; 5 Ob 564/85 SZ 59/121; 1 Ob 93/00h ZVR 2002/21; 2 Ob 203/11h MietSlg 63.205; u.a.), als zu weitreichend abgelehnt. Im Einzelnen wurde die damit zum Tragen kommende Beweislastumkehr hinsichtlich der Anwendung der zur Gefahrenabwendung erforderlichen Sorgfalt kritisiert. Es wurde argumentiert, dass die damit den Baumhalter treffende Beweislast dafür, alles Gebotene zur Schadensabwendung getan zu haben, in der Praxis zu großflächigen Fällungen zwecks Haftungsvermeidung führe. Zum anderen wurde aber auch beanstandet, dass der bei der Bauwerkehaftung im Gesetz verwendete Begriff der „mangelhaften Beschaffenheit“ bei der haftungsrechtlichen Beurteilung von Bäumen nicht sachgerecht sei, weil ein Baum als Gebilde der Natur keinen Mangel in diesem Sinn aufweisen könne. Durch die Schaffung einer eigenen Bestimmung über die Haftung des Baumhalters wird diesen Einwänden Rechnung getragen, indem einer analogen Anwendung der Bauwerkehaftung auf Bäume damit die Grundlage entzogen wird. Zur Frage der Beweislast wird überdies in Abs. 3 des neuen § 1319b ABGB die klarstellende Anordnung getroffen, dass auf einen Schadenersatzanspruch nach dieser Bestimmung die allgemeinen Regelungen über die Beweislast anzuwenden sind.
3. Rechtsdogmatisch handelt es sich bei der im neuen § 1319b ABGB geregelten Schadenersatzpflicht um eine Haftung für die Verletzung von Verkehrssicherungspflichten. Demgemäß werden in dieser Bestimmung die von Lehre und Rechtsprechung für solche Verkehrssicherungspflichten entwickelten Grundsätze gleichsam positiviert, dies allerdings bezogen auf die spezifischen Kriterien, die für das bei Bäumen relevante Risiko und für die Sorgfaltsanforderungen des Baumhalters von Bedeutung sind. Doch wird dabei unter dem Gesichtspunkt der Zumutbarkeit von Sicherungsmaßnahmen auch ein Abwägungselement angesprochen, das in dieser expliziten Ausformung erstmals beim Symposium in Hainburg – als These 7 – umschrieben und dann im Lichte der weiteren Diskussionen verallgemeinert wurde, nämlich ein besonderes Interesse an einem möglichst naturbelassenen Zustand eines Baumes. Wenn ein Baum wegen seines besonderen Werts für die Lebensqualität von Menschen oder wegen seiner besonderen ökologischen Bedeutung erhaltungswürdig ist (vgl. dazu die Ausführungen in Punkt D), sollten sowohl seine Fällung als auch sonstige gravierende Eingriffe, wie etwa funktionsbeeinträchtigende Schnittmaßnahmen, so weit wie möglich vermieden werden. Freilich kann das besondere Interesse am naturbelassenen Zustand kein absolut zu stellender, sondern nur ein Aspekt unter mehreren sein, weil der Schutz von Leib und Leben selbstverständlich einen eminenten Stellenwert hat und auch die Vermeidung von Sachschäden angestrebt werden muss. Doch wird von der normativen Ausformung dieser Überlegung der Erhaltungswürdigkeit in der neuen Gesetzesbestimmung gewiss ein nicht zu unterschätzender Effekt für die Praxis ausgehen.
G. Kompetenzgrundlage
Die Kompetenz des Bundes zur Erlassung dieses Bundesgesetzes gründet sich auf Art. 10 Abs. 1 Z 6 B-VG (Zivilrechtswesen).
H. Besonderheiten des Normerzeugungsverfahrens
Keine.
Der Justizausschuss hat die gegenständliche Regierungsvorlage in seiner Sitzung am 12. März 2024 in Verhandlung genommen. An der Debatte beteiligten sich außer der Berichterstatterin Abgeordneten Mag. Agnes Sirkka Prammer die Abgeordneten MMMag. Gertraud Salzmann, Mag. Selma Yildirim, Mag. Christian Ragger, Dr. Nikolaus Scherak, MA und Mag. Ulrike Fischer sowie die Bundesministerin für Justiz Dr. Alma Zadić, LL.M..
Bei der Abstimmung wurde der in der Regierungsvorlage enthaltene Gesetzentwurf einstimmig beschlossen.
Als Ergebnis seiner Beratungen stellt der Justizausschuss somit den Antrag, der Nationalrat wolle dem von der Bundesregierung vorgelegten Gesetzentwurf (2462 der Beilagen) die verfassungsmäßige Zustimmung erteilen.
Wien, 2024 03 12
Mag. Agnes Sirkka Prammer Mag. Michaela Steinacker
Berichterstattung Obfrau