2616 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XXVII. GP
Bericht
des Justizausschusses
über die Regierungsvorlage (2602 der Beilagen): Bundesgesetz, mit dem ein Qualifizierte-Einrichtungen-Gesetz erlassen wird und die Zivilprozessordnung, das Konsumentenschutzgesetz, das Gerichtsgebührengesetz und das Rechtsanwaltstarifgesetz geändert werden (Verbandsklagen-Richtlinie-Umsetzungs-Novelle – VRUN)
Hauptgesichtspunkte der Richtlinie 2020/1828 und des Gesetzesvorschlags zur Umsetzung
1. Die Richtlinie (EU) 2020/1828 vom 25. November 2020 über Verbandsklagen zum Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher und zur Aufhebung der Richtlinie 2009/22/EG (im Folgenden kurz „Richtlinie 2020/1828“ oder „Verbandsklagen-Richtlinie“) wurde am 4.12.2020 im Amtsblatt der Europäischen Union (ABl. L 409/1) veröffentlicht. Sie möchte sicherstellen, dass in den nationalen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten wirksame prozessuale Mittel zur Verfügung stehen, um unerlaubte Praktiken, welche die Interessen einer großen Zahl von Verbrauchern bedrohen oder schädigen, zu beenden und für Verbraucher überdies in derartigen Konstellationen die Möglichkeit für Abhilfe in jeglicher Form schaffen. Sie weist in diesem Zusammenhang ausdrücklich darauf hin, dass das Fehlen wirksamer Mittel zur Durchsetzung des dem Verbraucherschutz dienenden Unionsrechts auch zu Wettbewerbsverzerrungen zwischen nicht gesetzestreuen und gesetzestreuen Unternehmern führen könne, die ihre Geschäftstätigkeit innerstaatlich oder grenzüberschreitend ausüben. Diese Verzerrungen können das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts beeinträchtigen.
Bereits mit der Richtlinie 2009/22/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2009 über Unterlassungsklagen zum Schutz der Verbraucherinteressen wurden Qualifizierte Einrichtungen in die Lage versetzt, Verbandsklagen zu erheben, die in erster Linie darauf abzielen, Verstöße gegen das Unionsrecht, welche die Kollektivinteressen der Verbraucher verletzen, zu unterbinden und zu verbieten. Allerdings konstatiert der Unionsgesetzgeber nunmehr, dass dabei die Probleme bei der Durchsetzung des Verbraucherrechts nicht in ausreichendem Maß angegangen worden seien. Um in einem zunehmend globalisierten und digitalisierten Markt besser vor unerlaubten Praktiken abzuschrecken und den Schaden für die Verbraucher zu verringern, müssen die Verbandsklageverfahren zum Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher dahingehend gestärkt werden, dass sie sowohl Unterlassungsentscheidungen als auch Abhilfeentscheidungen umfassen. Angesichts der zahlreichen erforderlichen Änderungen sei es angebracht, die Richtlinie 2009/22/EG aufzuheben und durch die vorliegende Verbandsklagen-Richtlinie zu ersetzen.
2. Vor diesem Hintergrund verfolgt die Richtlinie 2020/1828 die Zielsetzung, die Verbandsklageverfahren auf Unterlassungsentscheidungen und auf Abhilfeentscheidungen unionsweit in ihren Grundsätzen zu harmonisieren; dies war insbesondere aufgrund des Umstands bedeutsam, dass einige Mitgliedstaaten über keine Verbandsklageverfahren auf Abhilfeentscheidungen verfügten. Die Verbandsklagen-Richtlinie hält dazu fest, dass durch diese Situation das Vertrauen von Verbrauchern und Unternehmern in den Binnenmarkt und ihre Fähigkeit, auf diesem Markt tätig zu sein, verringert werde. Dies verzerre den Wettbewerb und beeinträchtige die wirksame Durchsetzung des Unionsrechts auf dem Gebiet des Verbraucherschutzes.
Ausgehend von der Richtlinie 2009/22/EG soll die vorliegende Verbandsklagen-Richtlinie sowohl innerstaatliche als auch grenzüberschreitende Verstöße abdecken, insbesondere, wenn die von einem Verstoß betroffenen Verbraucher in einem anderen Mitgliedstaat leben als dem Mitgliedstaat, in dem der zuwiderhandelnde Unternehmer niedergelassen ist (vergleiche ErwGr 20 der Richtlinie 2020/1828).
3. Mit dem vorgeschlagenen Entwurf sollen die beschriebenen Zielsetzungen und Vorgaben der Richtlinie 2020/1828 im nationalen Recht verwirklicht werden. Zu diesem Zweck sieht der Entwurf die Berechtigung für Qualifizierte Einrichtungen vor, im kollektiven Interesse von Verbrauchern Klagen auf Unterlassung (Beendigung und Verbot) und auf Abhilfe (Gestaltung sowie Leistung) gegen Unternehmer zu erheben.
4. Soweit der Entwurf Begriffe verwendet, die auch im normativen Text der Richtlinie 2020/1828 vorkommen, ist eine richtlinienorientierte Anwendung und Auslegung geboten; hierbei ist insbesondere auf die Begriffsbestimmungen in Art. 3 der Richtlinie 2020/1828 Bedacht zu nehmen.
Vorarbeiten
Das Bundesministerium für Justiz hat die Umsetzung der Verbandsklagen-Richtlinie in acht Sitzungen einer Arbeitsgruppe mit Vertreter:innen aller betroffenen Stakeholder besprochen.
Inhalte des Gesetzesvorschlags
Zum Qualifizierte‑Einrichtungen‑Gesetz (QEG):
Nach dem Grundkonzept der Richtlinie 2020/1828 sollen Verbandsklagen von sogenannten Qualifizierten Einrichtungen, die von den Mitgliedstaaten „benannt“ werden, erhoben werden können. Aus diesem Grund verlangt die Richtlinie 2020/1828 von den Mitgliedstaaten, ein Regelungssystem zur „Benennung“ und „Überwachung“ dieser Einrichtungen zu schaffen; dabei geht es somit um ein Zulassungs- und Überwachungsverfahren. Die Umsetzung dieser Verpflichtung bildet das Kernstück des Qualifizierte‑Einrichtungen‑Gesetzes.
Der erste Abschnitt des Qualifizierte‑Einrichtungen‑Gesetzes regelt die Anerkennung von Qualifizierten Einrichtungen zur Erhebung von grenzüberschreitenden (§ 1) sowie die Anerkennung von Qualifizierten Einrichtungen zur Erhebung von innerstaatlichen Verbandsklagen (§ 2) und deren Aufsicht. Die Kriterien für die Anerkennung von Qualifizierten Einrichtungen zur Erhebung von grenzüberschreitenden Verbandsklagen werden damit entsprechend den Vorgaben der Verbandsklagen-Richtlinie in das österreichische Recht übernommen. Einrichtungen, welche die Anerkennung zur Erhebung innerstaatlicher Verbandsklagen beantragen, müssen zwei weitere Anforderungen erfüllen. Zur Entscheidung über einen Antrag auf Anerkennung als Qualifizierte Einrichtung ist der Bundeskartellanwalt berufen. Ihm obliegt auch die regelmäßige Überprüfung der Einhaltung der Kriterien betreffend anerkannte Qualifizierte Einrichtungen (§ 4). Darüber hinaus wird im ersten Abschnitt festgelegt, welche Einrichtungen bereits ex lege als Qualifizierte Einrichtungen anerkannt werden (§ 3).
Der zweite Abschnitt stellt quasi das „Verbindungsstück“ zu den neu in einem „Fünften Abschnitt“ des Sechsten Teils in die ZPO aufgenommenen Regelungen über Verbandsklageverfahren dar und regelt die Klagslegitimation auf Unterlassung und Abhilfe.
Mit dem nur einen Paragraphen umfassenden dritten Abschnitt wird die Drittfinanzierung von Verbandsklagen auf Abhilfe ausdrücklich zugelassen, wobei die Ausgestaltung von Verträgen über eine Drittfinanzierung bewusst einer privatautonomen Regelung überlassen wird.
Der vierte Abschnitt beschäftigt sich mit den Informations- und Berichtspflichten der Qualifizierten Einrichtungen und deren Verpflichtungen zur Veröffentlichung von Informationen und Daten zu ihrer Tätigkeit generell sowie zu den von ihnen jeweils eingebrachten Verbandsklagen.
Der fünfte Abschnitt regelt die bereits von der Verbandsklagen-Richtlinie vorgegebenen Aufgaben und Pflichten der Aufsichtsbehörde und setzt diese somit in das nationale österreichische Recht um.
Im sechsten Abschnitt finden sich die üblichen Schlussbestimmungen.
Zu den Verbandsklagen auf Unterlassung:
§ 5 Abs. 1 und 3 QEG in Verbindung mit §§ 619 ff. ZPO sollen Qualifizierten Einrichtungen gemäß den §§ 1 bis 3 und 5 Abs. 5 QEG ermöglichen, gegen Rechtsverletzungen von Unternehmern, welche die kollektiven Interessen von Verbrauchern beeinträchtigen oder zu beeinträchtigen drohen, mit einer Klage auf Unterlassung vorgehen zu können.
Die vorgeschlagene Verbandsklage auf Unterlassung soll den gemäß geltendem österreichischen Recht bereits vorhandenen Rechtsschutz durch Verbandsklagen gemäß anderen gesetzlichen Bestimmungen, etwa gemäß den §§ 28 ff. KSchG und § 14 UWG, unberührt lassen. Vielmehr will der Entwurf in Umsetzung der Richtlinie 2020/1828 einen dazu parallelen Rechtsschutzweg ermöglichen, der den Qualifizierten Einrichtungen, sofern diese auch gemäß anderen gesetzlichen Regelungen zur Einbringung einer Verbandsklage legitimiert sind, die Wahl lässt, gemäß welchen Bestimmungen diese eine allfällige Klage erheben wollen. Dieses Vorgehen stellt sicher, dass die bewährten Systeme bestehender Verbandsklagen und die dazu im Laufe der Jahre herausgebildete reichhaltige Rechtsprechung der Gerichte unbeeinträchtigt erhalten bleiben und die einschlägige Judikatur überall dort, wo sich der Entwurf daran orientiert oder gleichlautende Regelungen vorsieht, auch für die nunmehr „neue“ Verbandsklage genutzt werden kann.
Der Entwurf orientiert sich mit diesem Konzept an den ausdrücklichen Vorgaben der Richtlinie 2020/1828 (vergleiche etwa Art. 1 Abs. 2 und 3; ErwGr 11 und 18).
Lediglich bei der Festlegung des sachlichen Anwendungsbereichs der Klagsbefugnis der Qualifizierten Einrichtungen auf Unterlassung geht der Entwurf über die Mindesterfordernisse der Richtlinie 2020/1828 hinaus. Deren Klagslegitimation ist nicht auf die Unterlassung von einem von den Regelungsbereichen der in Anhang I der Richtlinie 2020/1828 genannten Rechtsakte der Europäischen Union umfassten Verstoß beschränkt, sondern es ist grundsätzlich jegliche Rechtsverletzung, welche die kollektiven Interessen der Verbraucher beeinträchtigt oder zu beeinträchtigen droht, von der Klagsbefugnis der Qualifizierten Einrichtungen erfasst.
Auch die Richtlinie 2020/1828 möchte den Mitgliedstaaten diese Möglichkeit eröffnen. Gemäß ErwGr 18 sollten die Mitgliedstaaten weiterhin befugt sein, Bestimmungen der Verbandsklagen-Richtlinie auf Bereiche anzuwenden, die nicht in den Anwendungsbereich der Verbandsklagen-Richtlinie fallen. Beispielsweise sollten die Mitgliedstaaten nationale Rechtsvorschriften, die den Bestimmungen der Verbandsklagen-Richtlinie entsprechen, für Streitigkeiten, die nicht in den Anwendungsbereich von Anhang I fallen, beibehalten oder einführen können.
Der Entwurf erachtet diese Erweiterung als notwendig und zweckmäßig, zumal dadurch in der Praxis oftmals unklaren und schwer zu beurteilenden Abgrenzungsfragen vorgebeugt wird, ob eine als rechtswidrig erachtete unternehmerische Praktik eine Norm verletzt, die thematisch den Regelungsbereich eines in Anhang I der Richtlinie 2020/1828 aufgezählten Rechtsaktes betrifft oder nicht. Die vorgeschlagene generelle Öffnung des Anwendungsbereichs sorgt insofern für Rechtsklarheit und Rechtssicherheit und fördert eine straffe und ökonomische Verfahrensführung vor Gericht. Außerdem haben die Erfahrungen mit der Richtlinie 2009/22 gezeigt, dass der verpflichtende gemeinschaftsrechtliche Anwendungsbereich der verbraucherrechtlichen Verbandsklage auf Unterlassung stetig erweitert wurde. Damit ist auch im Zusammenhang mit der künftigen Entwicklung (nicht nur) des Verbraucherschutzrechts zu rechnen. Durch den gewählten weiten Anwendungsbereich beugt der Entwurf dadurch erforderlich werdenden künftigen Anpassungen der betreffenden Regelungen vor. Der Entwurf deckt auf diese Weise die ganze Vielfalt des Geschäftslebens in den sensiblen Schutzbereichen ab und unterstellt diese der nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichte.
Zu den Verbandsklagen auf Abhilfe:
§ 5 Abs. 2 sowie Abs. 3 Z 1 lit. b und Abs. 3 Z 2 QEG in Verbindung mit §§ 623 ff. ZPO sollen Qualifizierten Einrichtungen gemäß den §§ 1 bis 3 und 5 Abs. 5 QEG ermöglichen, gegen Rechtsverletzungen von Unternehmern, die nicht nur die kollektiven Interessen von Verbrauchern beeinträchtigen oder zu beeinträchtigen drohen, sondern bereits bei konkreten Verbrauchern Ansprüche auf Abhilfe entstehen haben lassen, die aber außergerichtlich bestritten werden, mit einer Klage auf Abhilfe vorgehen zu können; dies jedoch nur unter der Voraussetzung, dass bereits mindestens 50 solcher Ansprüche bestehen und diese einen gemeinsamen Kern haben.
Die Vorgaben der Verbandsklagen-Richtlinie erfordern ein völlig neues Verfahrenskonzept, weil einerseits Partei und Träger des Abhilfeverfahrens eine Qualifizierte Einrichtung sein soll, andererseits die einzelnen Verbraucher den Nutzen aus dem Verfahren ziehen sollen. Nach den Rahmenbedingungen des Regierungsprogramms sollen an einer Verbandsklage auf Abhilfe nur Verbraucher beteiligt sein, die sich dieser auch aktiv anschließen (opt-in). Die Qualifizierte Einrichtung kann Leistungsansprüche für alle Verbraucher, die der Klage beitreten, und im Rahmen einer Klage auf Abhilfe einen Zwischenfeststellungsantrag geltend machen, der sich auf die Klärung eines Rechtes oder Rechtsverhältnisses bezieht, von dessen Bestehen oder Nichtbestehen die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil abhängt, und das alle vom geltend gemachten Anspruch betroffenen Verbraucher in derselben Weise betrifft. Zu den näheren Voraussetzungen siehe unten zu § 5 Abs. 2.
Die Fragen, die sich im Rahmen einer Verbandsklage auf Abhilfe stellen, sollen separat in verschiedenen Verfahrensabschnitten geklärt werden: In einem ersten Verfahrensabschnitt soll das Gericht darüber verhandeln und entscheiden, ob die allgemeinen und besonderen Voraussetzungen eines Verbandsklageverfahrens auf Abhilfe vorliegen. In einem allfälligen zweiten Verfahrensabschnitt kann das Gericht über den Zwischenfeststellungsantrag der Qualifizierten Einrichtung bzw. der beklagten Partei entscheiden und dazu über die Streitpunkte verhandeln, die diesem Zwischenfeststellungsantrag (und allen Individualansprüchen) zu Grunde liegen. In einem dritten Verfahrensabschnitt soll das Gericht schließlich – allenfalls auf der Basis der Entscheidung über einen Zwischenfeststellungsantrag – über die einzelnen Leistungsbegehren von Verbrauchern entscheiden.
Verhältnis zu den Rechtsvorschriften der Europäischen Union:
Der Gesetzesvorschlag dient der Umsetzung von Unionsrecht. Er geht punktuell über eine verpflichtende Umsetzung zwingender Vorschriften des Unionsrechtes hinaus; dies erscheint aus den oben ausgeführten Gründen erforderlich.
Kompetenzgrundlage:
Der vorliegende Entwurf stützt sich auf Art. 10 Abs. 1 Z 6 B-VG („Zivilrechtswesen“).
Besonderheiten des Normerzeugungsverfahrens:
Keine.
Der Justizausschuss hat die gegenständliche Regierungsvorlage
in seiner Sitzung am 18. Juni 2024 in Verhandlung genommen. An der
Debatte beteiligten sich außer der Berichterstatterin Abgeordneten
Mag. Ulrike Fischer die Abgeordneten Dr. Johannes Margreiter,
MMMag. Gertraud Salzmann,
Mag. Harald Stefan und Mag. Christian Drobits sowie die
Bundesministerin für Justiz
Dr. Alma Zadić, LL.M..
Bei der Abstimmung wurde der in der Regierungsvorlage enthaltene Gesetzentwurf mit Stimmenmehrheit (dafür: V, F, G, dagegen: S, N) beschlossen.
Als Ergebnis seiner Beratungen stellt der Justizausschuss somit den Antrag, der Nationalrat wolle dem von der Bundesregierung vorgelegten Gesetzentwurf (2602 der Beilagen) die verfassungsmäßige Zustimmung erteilen.
Wien, 2024 06 18
Mag. Ulrike Fischer Mag. Michaela Steinacker
Berichterstattung Obfrau