46 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XXVII. GP

 

Bericht

des Ausschusses für Arbeit und Soziales

über den Antrag 264/A(E) der Abgeordneten Mag. Verena Nussbaum, Kolleginnen und Kollegen betreffend Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen für Menschen mit Behinderungen, sowie

über den Antrag 185/A(E) der Abgeordneten Fiona Fiedler, BEd, Kolleginnen und Kollegen betreffend Umsetzung der Empfehlungen der Volksanwaltschaft für einen inklusiveren Arbeitsmarkt

Antrag 264/A(E)

Die Abgeordneten Mag. Verena Nussbaum, Kolleginnen und Kollegen haben den Entschließungsantrag 264/A(E) am 22. Jänner 2020 im Nationalrat eingebracht und wie folgt begründet:

„Haben MitarbeiterInnen des AMS Zweifel über die Arbeitsfähigkeit eines arbeitsuchenden Menschen mit Behinderung, wird die PVA ersucht, ein (bindendes) Gutachten darüber zu erstellen. Bei jungen Menschen mit Behinderung, deren Wunsch dahingeht, nachhaltig am Erwerbsleben am offenen Arbeitsmarkt teilzuhaben, wird oft sehr rasch, ohne Erprobungsphase und nach rein medizinischen Kriterien originäre Arbeitsunfähigkeit festgestellt. Dies geschieht in einzelnen Fällen sogar dann, wenn davor bereits mehrjährige reguläre Berufstätigkeit vorlag. Als Folge dieser Feststellung, die kaum wirksam bekämpft werden kann, dürfen weder das AMS noch das Sozialministeriumservice Leistungen gewähren, da die Gesetze für die Leistungserbringung (inklusive der Vermittlung) Arbeitsfähigkeit voraussetzen. Der betroffene Mensch ist auf das Angebot der Tagesstruktur durch das jeweilige Land beschränkt.

Zur Verbesserung dieser menschenrechtlich und ökonomisch unvertretbaren Rechtslage müssen die gesetzlichen Vorschriften im ASVG dahingehend angepasst werden, dass für die Feststellung originärer Arbeitsunfähigkeit nicht rein medizinische Kriterien angewandt werden dürfen, sondern etwa auch berufskundliche Expertise beizuziehen ist. Außerdem muss eine Erprobungsphase von mindestens einem Jahr eingezogen werden, in der die Stärken und Fähigkeiten des Menschen mit Behinderung abgeklärt und entsprechende Beschäftigungsmöglichkeiten aufgezeigt werden sollen.

Derzeit sind etwa 24.000 Menschen mit Behinderung in Einrichtungen der Tagesstruktur (Beschäftigungstherapie) tätig. Nach der Judikatur sind das keine Arbeitsverhältnisse, weshalb die betroffenen Menschen nicht eigenständig kranken- und pensionsversichert sind und statt eines Lohns lediglich Taschengeld erhalten. Damit bleiben diese Menschen mit Behinderung rechtlich betrachtet auch als Erwachsene im Status von Kindern. Sie bekommen in der Regel erhöhte Familienbeihilfe, beim Tod der Eltern Waisenpension, können aber nie eine eigene Pension erwerben.

Diese Konstruktion widerspricht klar Art. 27 der UN-Behindertenrechtskonvention. Menschenrechtlich geboten ist die Einbeziehung dieser Menschen mit Behinderung in die gesetzliche Kranken- und Pensionsversicherung (Unfallversicherung besteht seit 2011), die in einem ersten Schritt durch eine ex lege-Vorschrift im ASVG erfolgen könnte. Mittelfristig ist die Einordnung als Arbeitsverhältnis mit einer angepassten Lohn- oder Gehaltsgestaltung anzustreben.

Persönliche Assistenz am Arbeitsplatz ist für Menschen mit schwerer Behinderung bundesweit einheitlich geregelt und wird über das Sozialministeriumservice den Betroffenen zur Verfügung gestellt. Im Freizeitbereich sind die Länder zuständig. Dort gibt es sehr unterschiedliche Regelungen, das Angebot reicht von relativ zufriedenstellend bis zu praktisch nicht vorhanden.

Um in ganz Österreich nach einheitlichen Kriterien und einem gleichen Leistungsniveau Persönliche Assistenz in Beschäftigung und Freizeit sicherzustellen und damit die vollwertige Teilhabe von Menschen mit Behinderung an unserer Gesellschaft zu ermöglichen, muss in einer bundesgesetzlichen Regelung im Wege einer Selbstbindung eine Fördermöglichkeit für alle Lebensbereiche vorgesehen werden. Für die Finanzierung wäre jedenfalls eine Vereinbarung nach Art 5a B-VG zwischen dem Bund und den Ländern zweckmäßig. Die Schaffung eines Inklusionsfonds analog zum Pflegefonds für die gemeinsame Dotierung behindertenpolitischer Notwendigkeiten in Richtung Inklusion über die Grenzen der Gebietskörperschaften hinweg, ist unbedingt anzustreben.

Die Beschäftigungsquote von Menschen mit Behinderung ist – dies wurde dieser Tage auf einer Konferenz der Ombudsstellen für Menschen mit Behinderung erneut untermauert – zwar geringfügig besser als im EU-Durchschnitt, aber bei einer Quote von 54 % beschäftigten Menschen mit Behinderung versus 73 % beschäftigten Menschen ohne Behinderung (jeweils im erwerbfähigen Alter) ist die Situation alles andere als zufriedenstellend.

Das klassische Instrument der Beschäftigungspflicht für Unternehmen ab 25 ArbeitnehmerInnen mit der Ausgleichstaxe bei Nichterfüllung der primären Pflicht scheint an Wirksamkeit stark eingebüßt zu haben. Auf der einen Seite erfasst die Beschäftigungspflicht lediglich 3 % aller Unternehmen in Österreich, anderseits wird die Ausgleichstaxe immer stärker als Strafe empfunden.

Ein neues System, das den Anreiz in den Vordergrund stellt, ist dringend geboten. Unter dem Motto
‚weg von der Strafe, hin zum Anreiz‘ müsste allen ArbeitgeberInnen unabhängig von der Zahl der MitarbeiterInnen ein kleiner Beitrag abverlangt werden; aus den dadurch zweckgebundenen eingehenden Mitteln sollten ArbeitgeberInnen, die tatsächlich Menschen mit Behinderung beschäftigen, einen ohne hohen bürokratischen Aufwand zu lukrierenden Bonus erhalten. Die Entwicklung eines solchen Modells muss unter Einbindung jedenfalls auch der Menschen mit Behinderung und ihrer Interessenvertretungen geschehen. “

 

Antrag 185/A(E)

Die Abgeordneten Fiona Fiedler, BEd, Kolleginnen und Kollegen haben den Entschließungsantrag 185/A(E) am 10. Jänner 2020 im Nationalrat eingebracht und wie folgt begründet:

„Aufgrund der UN-Behindertenrechtskonvention ist Österreich verpflichtet, einen inklusiven Arbeitsmarkt zu schaffen. Davon ist Österreich allerdings noch weit entfernt, wie der aktuelle Sonderbericht der Volksanwaltschaft: ‚Keine Chance auf Arbeit - Die Realität von Menschen mit Behinderung‘ aufzeigt. Der Bericht beschreibt die Situation von Menschen mit Behinderung in Bezug auf ihre Arbeitsmöglichkeiten als ‚unbefriedigend und unzulässig‘. Menschen mit einer Leistungsfähigkeit von unter 50% haben gegenwärtig nur zwei Möglichkeiten: In Werkstätten tätig zu sein oder nichts zu tun. Die Arbeit in den Werkstätten wird zwar als positiv empfunden, doch die gesetzlichen Rahmenbedingungen sind problematisch. Dabei unterscheidet die Volksanwaltschaft drei wesentliche Problemfelder:

1.     Es gibt keinen inklusiven Arbeitsmarkt.

2.     Menschen mit Behinderung erwerben durch ihre Tätigkeit in Werkstätten keinen eigenen Anspruch auf Sozialversicherung.

3.     Menschen mit Behinderung erhalten in Werkstätten nur ein Taschengeld (ca. 5 Euro bis – in sehr seltenen Fällen – 200 Euro pro Monat) und keine adäquate Entlohnung.

Die Schaffung eines inklusiven Arbeitsmarkts wird nahezu unmöglich gemacht, wenn beispielsweise auch Menschen mit einer Leistungsfähigkeit von unter 50% von Angeboten des AMS ausgeschlossen sind. Als Alternative bleiben oft nur die Werkstätten übrig. Die Tätigkeiten dort sind aufgrund der Rechtsprechung des OGH aber nicht als Arbeit zu verstehen und damit entfallen sozialversicherungsrechtliche Ansprüche, wie Krankengeld, Arbeitslosengeld und vor allem auch Pensionsansprüche. Die Betroffenen sind damit stets von der Sozialhilfe abhängig. Weiters fehlen auch Möglichkeiten auf einen selbstbestimmten Alltag, da für die Tätigkeiten in Werkstätten auch nur Taschengelder zwischen 5 und 200 Euro monatlich ausbezahlt werden. Von Gleichberichtigung kann keine Rede sein.“

 

Der Ausschuss für Arbeit und Soziales hat die Entschließungsanträge 264/A(E) und 185/A(E) in seiner Sitzung am 13. Februar 2020 unter einem in Verhandlung genommen. Als Berichterstatterin zum Entschließungsantrag 264/A(E) fungierte Abgeordnete Mag. Verena Nussbaum. Zum Entschließungsantrag 185/A(E) erstattete Abgeordnete Fiona Fiedler, BEd Bericht. An der Debatte beteiligten sich außer den beiden Berichterstatterinnen die Abgeordneten Kira Grünberg, Heike Grebien und Dr. Dagmar Belakowitsch.

 

Im Zuge der Debatte haben die Abgeordneten Kira Grünberg, Mag. Verena Nussbaum,
Dr. Dagmar Belakowitsch, Heike Grebien und Fiona Fiedler, BEd einen gesamtändernden Abänderungsantrag zum Entschließungsantrag 264/A(E) eingebracht, der wie folgt begründet war:

„Die schnelle Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention, insbesondere von Artikel 27, erfordert, dass Menschen mit Behinderungen dabei gefördert werden Erfahrungen auf dem regulären Arbeitsmarkt zu sammeln. Die Lage für Menschen mit Behinderungen auf dem Arbeitsmarkt ist in Österreich immer noch stark verbesserungswürdig. Deshalb ist es gerade bei jungen Menschen mit Behinderungen wichtig, nicht sofort eine Arbeitsunfähigkeit festzustellen, sondern ihnen eine längere Erprobungsphase unter Beiziehung von Expert*innen, dem AMS und dem Sozialministeriumsservice zu ermöglichen. Dadurch sollen die Potenziale und Fähigkeiten eines Menschen besser erkannt, die menschenrechtliche Lage verbessert und dem Wunsch vieler Menschen mit Behinderungen Genüge getan werden.

Im Regierungsprogramm haben sich die Koalitionsparteien dazu bekannt das Leben der Menschen mit Behinderungen in Österreich maßgeblich zu verbessern und ihre Selbstbestimmung zu stärken. Unter anderem wurde vereinbart, dass gemeinsam mit den Stakeholdern Umsetzungsschritte erarbeitet werden, um den in Tageswerkstätten beschäftigten Menschen mit Behinderungen in Zukunft Lohn statt Taschengeld zu bezahlen. Dies ist ein wesentlicher Schritt, um die Selbstbestimmung jener Menschen sicherzustellen und wird auch von sämtlichen Selbstbetroffenen-Verbänden sowie Behindertenanwalt Dr. Hansjörg Hofer gefordert.

Ebenso wurde im Regierungsprogramm von ÖVP und Grüne das Ziel definiert, bundeseinheitliche Rahmenbedingungen zur Persönlichen Assistenz zu erarbeiten und die Schaffung eines Inklusionsfonds zu prüfen. Dadurch sollen alle Mittel für das Thema Inklusion gemeinsam dotiert werden, was eine Vereinfachung zum Zugang von Fördermitteln bedeutet. Die Debatte im Plenum hat gezeigt, dass es diesbezüglich einen überfraktionellen Konsens gibt.“

 

Bei der Abstimmung wurde der Entschließungsantrag 264/A(E) der Abgeordneten
Mag. Verena Nussbaum, Kolleginnen und Kollegen in der Fassung des oben erwähnten Abänderungsantrages der Abgeordneten Kira Grünberg, Mag. Verena Nussbaum,
Dr. Dagmar Belakowitsch, Heike Grebien und Fiona Fiedler, BEd einstimmig beschlossen.

 

Der Entschließungsantrag 185/A(E) gilt als miterledigt.

 

Zur Berichterstatterin für den Nationalrat wurde Abgeordnete Heike Grebien gewählt.

Als Ergebnis seiner Beratungen stellt der Ausschuss für Arbeit und Soziales somit den Antrag, der Nationalrat wolle die angeschlossene Entschließung annehmen.

Wien, 2020 02 13

                                  Heike Grebien                                                                  Josef Muchitsch

                                 Berichterstatterin                                                                          Obmann