Erläuterungen

Allgemeiner Teil

Das Zusatzprotokoll von Nagoya/Kuala Lumpur über Haftung und Wiedergutmachung zum Protokoll von Cartagena über die biologische Sicherheit hat gesetzesändernden bzw. gesetzesergänzenden Inhalt und bedarf daher der Genehmigung des Nationalrats gemäß Art. 50 Abs. 1 Z 1 B-VG. Es hat nicht politischen Charakter. Es ist erforderlich, hinsichtlich des nichtunionsrechtlichen Teiles eine allfällige unmittelbare Anwendung des Zusatzprotokolls im innerstaatlichen Rechtsbereich durch einen Beschluss gemäß Art. 50 Abs. 2 Z 4 B-VG, dass dieser Staatsvertrag durch Erlassung von Gesetzen zu erfüllen ist, auszuschließen. Da durch das Zusatzprotokoll Angelegenheiten des selbständigen Wirkungsbereichs der Bundesländer geregelt werden, bedarf es überdies der Zustimmung des Bundesrates gemäß Art. 50 Abs. 2 Z 2 B-VG.

Das Zusatzprotokoll ist in den sechs Amtssprachen der Vereinten Nationen authentisch. Dem Nationalrat werden gemäß Art. 50 Abs. 2 Z 3 B-VG die authentische englische und französische Sprachfassung, die Übersetzung ins Deutsche sowie die Erläuterungen zur Genehmigung vorgelegt.

Das Zusatzprotokoll ist ein sog. gemischtes Abkommen, da es sowohl Angelegenheiten regelt, die in die Kompetenz der Europäischen Union (EU) fallen, als auch solche, die in die Kompetenz der EU-Mitgliedstaaten fallen. Daher bedarf es auch der Genehmigung durch alle EU-Mitgliedstaaten. Die EU und ihre Mitgliedstaaten führen die unionsrechtlichen Verpflichtungen aus dem Zusatzprotokoll mit der Richtlinie 2004/35/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 über Umwelthaftung zur Vermeidung und Sanierung von Umweltschäden (Umwelthaftungsrichtlinie), RL (EG) Nr. 2004/35, ABl. L 143 vom 30.4.2004 S. 56–75, durch.

Österreich hat das Übereinkommen über die biologische Vielfalt (CBD) am 18. August 1994 ratifiziert (BGBl. Nr. 213/1995). Österreich hat auch das Protokoll von Cartagena über die biologische Sicherheit zum Übereinkommen über die biologische Vielfalt ratifiziert. Es trat am 11. September 2003 in Kraft (BGBl. III Nr. 94/2003) und regelt als rechtlich verbindliches Instrument die grenzüberschreitende Verbringung von genetisch veränderten Organismen (GVO), die nachteilige Auswirkungen auf Gesundheit und biologische Vielfalt haben könnten.

Das Nagoya/Kuala Lumpur Zusatzprotokoll über Haftung und Wiedergutmachung zum Cartagena Protokoll über die biologische Sicherheit wurde von den Vertragsparteien des Cartagena Protokolls am 15. Oktober 2010 in Nagoya/Japan angenommen. Österreich hat das Zusatzprotokoll am 11. Mai 2011 unterzeichnet. Es trat am 5. März 2018 in Kraft und hat mit Stand 10. Februar 2021 48 Vertragsparteien, darunter die EU und 20 ihrer Mitgliedstaaten.

Das Zusatzprotokoll ist das erste völkerrechtliche Instrument zur Regelung von Haftungsfragen bei Vorliegen von Schäden an der biologischen Vielfalt, die durch die grenzüberschreitende Verbringung von GVO entstehen. Es fügt den bestehenden nationalen zivilrechtlichen Haftungsregelungen einen sogenannten „administrativen Ansatz“ hinzu, der es den zuständigen Behörden erlaubt, im Schadensfall dem Betreiber Abhilfemaßnahmen aufzutragen bzw. diese selbst vorzunehmen und sich beim Betreiber zu regressieren. Für die Mitgliedstaaten der EU ist dieser Ansatz bereits mit der Umwelthaftungsrichtlinie umgesetzt.

Besonderer Teil

Zu Art. 1

Ziel des Zusatzprotokolls ist es, durch die Festlegung völkerrechtlicher Regeln und Verfahren im Bereich der Haftung und Wiedergutmachung im Zusammenhang mit lebenden veränderten Organismen und unter Berücksichtigung von Risiken für die menschliche Gesundheit zur Erhaltung und nachhaltigen Nutzung der biologischen Vielfalt beizutragen.

Zu Art. 2

Laut Abs. 1 gelten die Begriffsbestimmungen des Art. 2 des Übereinkommens über die biologische Vielfalt und des Art. 3 des Protokolls von Cartagena über die biologische Sicherheit auch für das Zusatzprotokoll.

Abs. 2 enthält die Begriffsbestimmungen der „Konferenz der Vertragsparteien, die als Tagung der Vertragsparteien des Protokolls dient“ (lit. a), eines „Schadens“ im Sinne des Zusatzprotokolls (lit. b), des „Betreibers“ (lit. c) und der „Abhilfemaßnahmen“ im Sinne von angemessenen Maßnahmen (lit. d), um Schäden zu verhüten, einzudämmen zu mindern oder zu vermeiden, bzw. die biologische Vielfalt wiederherzustellen.

Abs. 3 zählt beispielhaft Faktoren auf, auf deren Grundlage eine „erheblich nachteilige Auswirkung“ i.S. des Art. 2 Abs. 2 lit. b ii festzustellen ist.

Zu Art. 3

Art. 3 regelt den Geltungsbereich des Zusatzprotokolls. Gemäß Abs. 1 findet es Anwendung auf Schäden, die durch lebende veränderte Organismen verursacht werden, die ihren Ursprung in einer grenzüberschreitenden Verwendung haben, wobei lit. a – lit. c die in den Anwendungsbereich des Zusatzprotokolls fallenden lebenden veränderten Organismen anhand ihres Zwecks beschreiben.

Abs. 2 und Abs. 3 legen den Geltungsbereich im Hinblick auf genehmigte, absichtlich erfolgte grenzüberschreitende Verbringungen von lebenden veränderten Organismen bzw. für unabsichtliche und rechtswidrige grenzüberschreitende Verbringungen fest.

Abs. 4 regelt den zeitlichen und Abs. 5 den räumlichen Geltungsbereich.

Abs. 6 gestattet Vertragsparteien, in ihrem innerstaatlichen Recht festgelegte Kriterien zu verwenden, um mit Schäden umzugehen, die innerhalb ihrer Hoheitsgebiete eintreten.

Gemäß Abs. 7 findet innerstaatliches Recht auch Anwendung auf Schäden, die durch Verbringung lebender veränderter Organismen aus Staaten entstanden sind, die Nichtvertragsparteien sind.

Zu Art. 4

Art. 4 über die Kausalität sieht vor, dass ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Schaden und dem betreffenden lebenden veränderten Organismus im Einklang mit dem innerstaatlichen Recht hergestellt wird.

Zu Art. 5

Art. 5 regelt Abhilfemaßnahmen im Schadensfall. Gemäß Abs. 1 verlangen die Vertragsparteien im Schadensfall vom jeweiligen Betreiber, unverzüglich die zuständige Behörde in Kenntnis zu setzen (lit. a), den Schaden zu bewerten (lit. b) und geeignete Abhilfemaßnahmen zu ergreifen (lit. c).

Abs. 2 regelt Befugnisse der zuständigen Behörde, wonach diese den Betreiber, der den Schaden verursacht hat, ermittelt (lit. a), den Schaden bewertet (lit. b) und festlegt, welche Abhilfemaßnahmen vom Betreiber zu ergreifen sind (lit. c).

Abs. 3 verpflichtet den Betreiber bereits bei hinreichender Wahrscheinlichkeit eines Schadens, geeignete Abhilfemaßnahmen zu ergreifen.

Gemäß Abs. 4 kann die zuständige Behörde insbesondere bei Untätigkeit des Betreibers geeignete Abhilfemaßnahmen ergreifen.

Abs. 5 berechtigt die zuständige Behörde, vom Betreiber Kosten und Auslagen, die durch die Bewertung des Schadens und die Abhilfemaßnahmen angefallen sind, zurückzufordern und überlässt es dem innerstaatlichen Recht, Situationen vorzusehen, in denen der Betreiber nicht für die Kosten und Auslagen aufkommen muss.

Abs. 6 regelt formale und inhaltliche Anforderungen an Entscheidungen der zuständigen Behörde einschließlich dem Erfordernis, diese einer Überprüfung durch Verwaltung oder Gerichte unterziehen zu lassen.

Nach Abs. 7 kann eine Vertragspartei prüfen, ob ihr innerstaatliches Recht bereits zivilrechtliche Haftung vorsieht.

Abhilfemaßnahmen erfolgen gemäß Abs. 8 im Einklang mit dem innerstaatlichen Recht.

Zu Art. 6

Gemäß Art. 6 Abs. 1 können Vertragsparteien in ihrem innerstaatlichen Recht Ausnahmen für unvorhersehbare Ereignisse oder höhere Gewalt (lit. a) und Kriegshandlungen oder bürgerkriegsähnliche Umstände (lit. b) vorsehen. Nach Abs. 2 können weitere, angebracht erscheinende Ausnahmen oder Erleichterungen vorgesehen werden.

Zu Art. 7

Art. 7 berechtigt Vertragsparteien, innerstaatliche relative und/oder absolute Fristen etwa für Abhilfemaßnahmen (lit. a) vorzusehen und den Beginn des Fristenlaufs (lit. b), festzulegen.

Zu Art. 8

Gemäß Art. 8 können innerstaatlich finanzielle Obergrenzen für die Rückforderung von Kosten und Auslagen im Zusammenhang mit Abhilfemaßnahmen vorgesehen werden.

Zu Art. 9

Gemäß Art. 9 werden mögliche Rückgriffsrechte oder Schadenersatzansprüche von Betreibern gegen Dritte durch das Zusatzprotokoll nicht eingeschränkt.

Zu Art. 10

Art. 10 regelt finanzielle Sicherheiten. Gemäß Abs. 1 haben Vertragsparteien das Recht, innerstaatlich Bestimmungen über finanzielle Sicherheiten vorzusehen, wobei sie gemäß Abs. 2 dieses Recht im Einklang mit dem Völkerrecht und unter Berücksichtigung der Präambel ausüben, d. h. insbesondere unter Beachtung des Vorsorgeprinzips.

Gemäß Abs. 3 wird das Sekretariat (Art. 15) durch die erste nach dem Inkrafttreten des Zusatzprotokolls stattfindende Tagung der Vertragsparteien des Protokolls ersucht werden, eine umfassende Studie über Modalitäten der Mechanismen finanzieller Sicherheiten (lit. a), eine Bewertung der ökologischen, wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen solcher Mechanismen, insbesondere auf Entwicklungsländer (lit. b) und zur Ermittlung geeigneter Stellen, die finanzielle Sicherheiten zur Verfügung stellen (lit. c) zu erstellen.

Zu Art. 11

Gemäß Art. 11 lässt das Zusatzprotokoll die Rechte und Verpflichtungen der Staaten nach den Regeln des allgemeinen Völkerrechts in Bezug auf die Verantwortlichkeit der Staaten für völkerrechtswidrige Handlungen unberührt.

Zu Art. 12

Art. 12 regelt die Umsetzung und das Verhältnis zum jeweiligen nationalen zivilrechtlichen Haftungsregime. Gemäß Abs. 1 haben die Vertragsparteien innerstaatlich Regeln und Verfahren für den Umgang mit Schäden vorzusehen. Es sind dem Zusatzprotokoll entsprechende Abhilfemaßnahmen vorzusehen. Die Vertragsparteien können entweder ihre bestehenden auf die zivilrechtliche Haftung anwendbaren Regeln und Verfahren beibehalten (lit. a), spezielle Regeln und Verfahren für die zivilrechtliche Haftung (lit. b) oder eine Kombination aus beidem schaffen (lit. c).

Abs. 2 sieht Ähnliches für Sach- oder Personenschäden i. S. der Berücksichtigung der Risiken für die menschliche Gesundheit (Art. 2 Abs. 2 lit. b) vor.

Abs. 3 sieht vor, dass bei der Schaffung spezieller zivilrechtlicher Haftungsnormen u. a. den Schadensbegriff (lit. a), den Haftungsgrund, sei er verschuldensabhängig oder -unabhängig Haftung (lit. b), gegebenenfalls die Kanalisierung der Haftung (lit. c) und das Recht, Ansprüche geltend zu machen (lit. d) zu behandeln sind.

Zu Art. 13

Gemäß Art. 13 ist die Wirksamkeit des Zusatzprotokolls von der Tagung der Vertragsparteien des Protokolls von Cartagena über die biologische Sicherheit erstmals fünf Jahre nach Inkrafttreten des Zusatzprotokolls und danach alle fünf Jahre zu überprüfen, wenn Informationen der Vertragsparteien vorliegen, die eine solche Überprüfung erforderlich machen. Außer die Vertragsparteien des Zusatzprotokolls beschließen anderes, erfolgt die Überprüfung im Rahmen der Bewertung und Überprüfung gemäß Art. 35 des Protokolls von Cartagena, wobei sich die erste Überprüfung des Zusatzprotokolls mit der Wirksamkeit der Art. 10 (finanzielle Sicherheiten) und Art. 12 (Umsetzung und Bezug zur zivilrechtlichen Haftung) zu befassen hat.

Zu Art. 14

Gemäß Abs. 1 dient die als Tagung der Vertragsparteien des Protokolls von Cartagena über die biologische Sicherheit dienende Konferenz der Vertragsparteien als Tagung der Vertragsparteien des Zusatzprotokolls. In Angelegenheiten des Zusatzprotokolls sind nur seine Vertragsparteien stimmberechtigt.

Gemäß Abs. 2 überprüft diese Tagung der Vertragsparteien des Protokolls regelmäßig die Durchführung des Zusatzprotokolls und trifft im Rahmen ihres Auftrags die notwendigen Entscheidungen, um seine wirksame Durchführung zu fördern. Dabei nimmt sie die ihr durch das Zusatzprotokoll und ebenso die ihr durch Art. 29 Abs. 4 lit. a und lit. f des Protokolls von Cartagena über die biologische Sicherheit zugewiesenen Aufgaben wahr.

Zu Art. 15

Art. 15 sieht vor, dass das Sekretariat des Übereinkommens über die biologische Vielfalt auch als Sekretariat des Zusatzprotokolls dient.

Zu Art. 16

Art. 16 regelt das Verhältnis des Zusatzprotokolls zum Übereinkommen über die biologische Vielfalt und dem Protokoll von Cartagena über die biologische Sicherheit. Gemäß Abs. 1 ergänzt das Zusatzprotokoll das Protokoll von Cartagena über die biologische Sicherheit und ändert es nicht.

Gemäß Abs. 2 lässt das Zusatzprotokoll die Rechte und Verpflichtungen der Vertragsparteien des Zusatzprotokolls aufgrund des Übereinkommens über die biologische Vielfalt und des Protokolls von Cartagena über die biologische Sicherheit unberührt.

Es sei denn im Zusatzprotokoll ist anderes vorgesehen, gelten gemäß Abs. 3 die Bestimmungen des Übereinkommens über die biologische Vielfalt und des Protokolls von Cartagena über die biologische Sicherheit auch für das Zusatzprotokoll.

Ansonsten lässt das Zusatzprotokoll die Rechte und Pflichten einer Vertragspartei aufgrund des Völkerrechts unberührt.

Zu Art. 17

Das Zusatzprotokoll lag vom 7. März 2011 bis 6. März 2012 für die Vertragsparteien des Protokolls von Cartagena über die biologische Sicherheit am Sitz der Vereinten Nationen in New York zur Unterzeichnung auf.

Zu Art. 18

Das Zusatzprotokoll tritt neunzig Tage nach der Hinterlegung der vierzigsten Ratifikations-, Annahme-, Genehmigungs- oder Beitrittsurkunde durch Staaten oder Organisationen der regionalen Wirtschaftsintegration (z. B. EU), die Vertragsparteien des Protokolls von Cartagena über die biologische Sicherheit sind, in Kraft.

Für später ratifizierende, annehmende, genehmigende bzw. beitretende Parteien tritt es 90 Tage nach Hinterlegung in Kraft.

Eine von einer Organisation der regionalen Wirtschaftsintegration hinterlegte Urkunde gilt nicht als zusätzliche Urkunde zu den von den Mitgliedsstaaten der betreffenden Organisation hinterlegten Urkunden.

Zu Art. 19

Es sind keine Vorbehalte zulässig.

Zu Art. 20

Eine Vertragspartei kann nach Ablauf von zwei Jahren nachdem das Zusatzprotokoll für sie in Kraft getreten ist, durch eine schriftliche Mitteilung an den Depositär vom Zusatzprotokoll zurücktreten. Wirksam wird der Rücktritt ein Jahr darauf. eine Vertragspartei, die vom Protokoll von Cartagena über die biologische Sicherheit zurücktritt, gilt auch als vom Zusatzprotokoll zurückgetreten.

Zu Art. 21

Das Zusatzprotokoll ist in den sechs Amtssprachen der Vereinten Nationen authentisch. Depositär ist der Generalsekretär der Vereinten Nationen.