79 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XXVII. GP
Bericht
des Außenpolitischen Ausschusses
über die Regierungsvorlage (6 der Beilagen): Übereinkommen über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke im Ausland in Zivil- oder Handelssachen vom 15. November 1965
Allgemeines:
Das Übereinkommen über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke im Ausland in Zivil- oder Handelssachen vom 15. November 1965 (in der Folge Zustellungsübereinkommen 1965, Übereinkommen oder HZÜ) hat gesetzesändernden bzw. gesetzesergänzenden Inhalt und bedarf daher der Genehmigung des Nationalrats gemäß Art. 50 Abs. 1 Z 1 B-VG. Es hat nicht politischen Charakter. Es ist nicht erforderlich, eine allfällige unmittelbare Anwendung des Übereinkommens im innerstaatlichen Rechtsbereich durch einen Beschluss gemäß Art. 50 Abs. 2 Z 4 B-VG, dass dieser Staatsvertrag durch Erlassung von Gesetzen zu erfüllen ist, auszuschließen. Da durch das Übereinkommen keine Angelegenheiten des selbständigen Wirkungsbereichs der Länder geregelt werden, bedarf es auch keiner Zustimmung des Bundesrates gemäß Art. 50 Abs. 2 Z 2 B-VG.
Das Übereinkommen ist in englischer und französischer Sprache authentisch. Dem Nationalrat werden gemäß Art. 50 Abs. 2 Z 3 B-VG die authentische englische und französische Sprachfassung sowie die Übersetzung ins Deutsche zur Genehmigung vorgelegt.
Grund der Ratifikation:
Mit dem Zustellungsübereinkommen 1965 wurden die Art. 1 bis 7 der Haager Zivilprozessübereinkommen von 1905 und 1954 (dabei handelt es sich um die Bestimmungen, die Zustellungen betreffen) durch neue, praxistauglichere Regelungen ersetzt. Allerdings tritt diese Wirkung nur zwischen den Vertragsstaaten der alten Übereinkommen ein, die dem neuen Übereinkommen angehören. Im Verhältnis eines Vertragsstaats der alten Übereinkommen und des neuen Übereinkommens zu einem Staat, der nur Mitglied der Zivilprozessübereinkommen von 1905 oder 1954 ist, sowie zwischen Staaten, die nur den früheren Übereinkommen angehören, bleiben die früheren Übereinkommen von 1905 und 1954 in Kraft.
Nachdem von Praktikerseite Bedarf an einer Ratifikation des Zustellungsübereinkommens 1965 durch Österreich geäußert worden war und auch die Haager Konferenz selbst immer wieder die Vorteile des Übereinkommens für Österreich herausgestrichen hatte, ersuchte Österreich die Europäische Union bereits vor einigen Jahren um Erteilung der Genehmigung zur Unterzeichnung und Ratifikation. Die Ermächtigung wurde nach einigen Urgenzen Österreichs und längeren Verhandlungen auf Ratsebene mit Beschluss vom 10. März 2016 rechtswirksam erteilt (ABl. Nr. L 75 vom 22.03.2016 S. 1). Mit demselben Beschluss wurde auch Maltas Beitritt zum Übereinkommen genehmigt, sodass in naher Zukunft sämtliche Mitgliedsstaaten der Europäischen Union Vertragsstaaten des Zustellungsübereinkommens 1965 sein werden.
Ebenso wie die Zivilprozessübereinkommen von 1905 und 1954 gilt das Zustellungsübereinkommen 1965 für die Zustellung in Zivil- oder Handelssachen, zu denen auch Arbeitsrechtssachen gehören, soweit sie dem Zivilrecht zuzurechnen sind. Straf-, Verwaltungsgerichts- und Steuersachen sind vom Anwendungsbereich ausgenommen.
Den wesentlichen Fortschritt des Zustellungsübereinkommens 1965 gegenüber dem für Österreich derzeit geltenden Übereinkommen betreffend das Verfahren in bürgerlichen Rechtssachen vom 1. März 1954, BGBl. Nr. 91/1957, bringen die Bestimmungen der Art. 15 und 16. Mit diesen Regeln werden die Gefahren eingeschränkt, die vor allem von der „remise au parquet“ für eine in einem anderen Staat wohnende Partei eines gerichtlichen Verfahrens und für den internationalen Rechtsverkehr ausgehen.
Bei der „remise au parquet“ handelt es sich um ein vornehmlich im romanischen Rechtskreis verbreitetes System, bei dem das Zustellungsstück nicht tatsächlich an den Empfänger im Ausland zugestellt, sondern im Inland der Staatsanwaltschaft („parquet“) übergeben wird. Mit der Übergabe („remise“) gilt die Zustellung als bewirkt. Erst im Anschluss daran wird der Empfänger von der fristauslösenden Zustellung benachrichtigt, indem der Gerichtsvollzieher („huissier de justice“) spätestens am Tag nach der Übergabe des Schriftstücks an die Staatsanwaltschaft dem Empfänger eine Kopie des zugestellten Schriftstücks per Einschreiben mit Rückschein übermittelt (s. dazu ausführlich Peer in Burgstaller/Neumayr/Geroldinger/Schmaranzer, Internationales Zivilverfahrensrecht, Art. 1 EuZVO Rz 5; s. auch Schlosser, EU-Zivilprozessrecht³, Art. 1 HZÜ Rz 6).
Das Zustellungsübereinkommen 1965 enthält zur „remise au parquet“ eine Kompromisslösung, die darin besteht, dass für die besonders wichtige Zustellung einer Klage oder eines Versäumungsurteils „mittelbare Sanktionen“ eingeführt werden, welche die Durchführung des vertraglich festgelegten Übermittlungsverfahrens sicherstellen sollen: Ist zur Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens eine Ladung oder ein entsprechendes Schriftstück im Ausland zuzustellen und hat sich der Beklagte nicht auf das Verfahren eingelassen, so muss der Richter das Verfahren solange aussetzen, bis er feststellen kann, dass das Schriftstück dem Beklagten tatsächlich so rechtzeitig zugestellt worden ist, dass er sich hätte verteidigen können. Eine Säumnisentscheidung darf also nicht schon deswegen ergehen, weil nach dem Recht des Prozessstaates die Zustellung als im Inland rechtzeitig erfolgt gilt. Mit dieser Regelung werden die Interessen des Beklagten geschützt, rechtzeitig von einem Verfahren Kenntnis zu erlangen, das in einem anderen Vertragsstaat anhängig ist. Einen Ausgleich zwischen den verschiedenen Systemen soll Art. 15 Abs. 2 HZÜ bringen: Nach dieser Bestimmung kann ein Vertragsstaat erklären, dass zur Hintanhaltung unzumutbarer Verfahrensverzögerungen unter bestimmten Voraussetzungen auch dann, wenn noch kein Zustellungszeugnis vom ersuchten Staat eingegangen ist, über den Rechtsstreit entschieden werden darf. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass seit Absendung des Zustellungsstücks mindestens sechs Monate vergangen sind und dass trotz aller zumutbaren Schritte bei den zuständigen Behörden des ersuchten Staates ein Zustellungszeugnis nicht zu erlangen war.
Ist derart eine Entscheidung gegen den nicht erschienenen Beklagten ergangen und hat er von der Ladung oder dem verfahrenseinleitenden Schriftstück ohne sein Verschulden nicht so rechtzeitig Kenntnis erlangt, dass er die erforderlichen Schritte hätte setzen können, so kann er nach Art. 16 HZÜ in angemessener Frist nach Erlassung der Entscheidung die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in Bezug auf die Rechtsmittelfristen beantragen. Voraussetzung für die Bewilligung der Wiedereinsetzung ist zudem, dass die Verteidigung des Beklagten nicht von vornherein aussichtslos scheint.
Das Übereinkommen geht allerdings nicht so weit, einheitlich für alle Vertragsstaaten festzulegen, in welchen Fällen eine Zustellung im Ausland erwirkt werden muss. Dies bestimmt sich vielmehr nach dem Recht des Verfahrensstaates (s. dazu Schlosser, EU-Zivilprozessrecht³, Art. 1 HZÜ Rz 5). Es hat jedoch insofern verpflichtenden Charakter, als es die Wege festlegt, auf denen Ersuchen zu übermitteln sind, wenn nach dem Recht des Prozessgerichtes eine Zustellung in einem anderen Vertragsstaat erforderlich ist. Außerdem ergibt sich aus dem Übereinkommen für den ersuchten Staat die Verpflichtung, einem Zustellungsersuchen nachzukommen und die Zustellung in der entsprechenden Form zu bewirken.
Die zweite wichtige Neuerung, die das Übereinkommen bringt, betrifft die technische Abwicklung. Die Zustellung hat über eine „Zentrale Behörde“ zu erfolgen, deren Organisation und Zusammensetzung den einzelnen Vertragsstaaten überlassen wird (Art. 2 HZÜ). Außerdem stellt das Zustellungsübereinkommen 1965 als Erleichterung für die Praxis in einer Anlage einheitliche Formulare für den Zustellungsantrag und das Zustellungszeugnis bereit.
Die früher üblichen Übermittlungswege (konsularischer oder diplomatischer Weg) sollen nur noch hilfsweise in besonderen Fällen eingeschlagen werden (Art. 9 HZÜ). Die Zustellung auf diplomatischem Weg soll überhaupt nur erfolgen, wenn „außergewöhnliche Umstände dies erfordern“. Österreich nimmt in Aussicht, einen Vorbehalt einzubringen, um klarzustellen, dass jegliche Zustellungen von Schriftstücken an die Republik Österreich auf diplomatischem Weg zu erfolgen haben.
Das Zustellungsübereinkommen 1965 schreibt allerdings nicht vor, dass alle Zustellungsersuchen über die in jedem Vertragsstaat einzurichtende Zentrale Behörde weiterzuleiten sind. Vielmehr sieht es daneben in seinen Art. 8 und 10 vier Formen der unmittelbaren Zustellung vor. Da diese Formen allerdings nach vielen Rechtsordnungen als Eingriff in staatliche Hoheitsrechte angesehen werden, besteht die Möglichkeit eines Opt-out.
Nach Art. 24 HZÜ bleiben Zusatzvereinbarungen zwischen Vertragsstaaten der Haager Zivilprozessübereinkommen von 1905 und 1954 anwendbar, außer die betreffenden Staaten vereinbaren Anderes.
Inhalt des Übereinkommens:
Das Zustellungsübereinkommen 1965, das der Verordnung (EG) Nr. 1393/2007 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedsstaaten („Zustellung von Schriftstücken“) und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1348/2000, ABl. Nr. L 324 vom 10.12.2007 S. 79 (in der Folge: Europäische Zustellungsverordnung), als Vorbild gedient hat, regelt, welche Übermittlungswege zu benutzen sind, wenn ein gerichtliches oder außergerichtliches Schriftstück in einem anderen Vertragsstaat des Übereinkommens zugestellt werden muss. Die Übermittlung wird durch das Übereinkommen vereinfacht. Schriftstücke werden demnach hauptsächlich über eine Zentrale Behörde weitergeleitet, die die Zustellung bewirkt oder veranlasst.
Auswirkungen der Ratifikation:
Durch die zwischen den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union in Geltung stehende Europäische Zustellungsverordnung ist seit Langem ein direkter Verkehr von Gericht zu Gericht im Verhältnis zu jenen Staaten, mit denen ein besonders starker Rechtshilfeverkehr besteht, abgesichert. Durch die Ratifikation des Zustellungsübereinkommens 1965 sind jedoch Erleichterungen bei den grenzüberschreitenden Zustellungen im Verhältnis zu Nicht-EU-Staaten, wie etwa den USA, zu erwarten. Grenzüberschreitende Zustellungen werden schneller und effektiver, was wiederum einerseits zu einer Beschleunigung von Gerichtsverfahren und andererseits zu einer gewissen Aufwandsersparnis führt.
Finanzielle Auswirkungen:
Durch die Ratifikation des Zustellungsübereinkommens 1965 ist zu erwarten, dass es zu einer zumindest teilweisen Beschleunigung von Gerichtsverfahren kommt, bei denen Zustellungen in anderen Vertragsstaaten des Übereinkommens vorzunehmen sind, sofern diese Zustellungen in den Anwendungsbereich des Übereinkommens fallen. Raschere Gerichtsverfahren haben zwar im konkreten Fall nicht bezifferbare, aber grundsätzlich positive Auswirkungen auf den Wirtschaftsstandort und die Finanzlage.
Durch die Ratifikation erfolgen keine Aufgabenverschiebungen, die eine veränderte Personalverteilung und damit einen Planstellentransfer rechtfertigen würden. Budgetäre Auswirkungen sind mit diesem Vorhaben nicht verbunden.
Kompetenzgrundlage:
Die Zuständigkeit des Bundes zur Unterzeichnung und Ratifikation des HZÜ ergibt sich aus Art. 10 Abs. 1 Z 2 B-VG (äußere Angelegenheiten).
Besonderheiten des Normerzeugungsverfahrens:
Keine.
Der gegenständliche Staatsvertrag hat gesetzändernden bzw. gesetzesergänzenden Charakter und bedarf daher gemäß Art. 50 Abs. 1 Z 1 B-VG der Genehmigung durch den Nationalrat.
Der Staatsvertrag hat nicht politischen Charakter und ist der unmittelbaren Anwendung im innerstaatlichen Rechtsbereich zugänglich, sodass eine Erlassung von Gesetzen gemäß Art. 50 Abs. 2 Z 4 B-VG nicht erforderlich ist.
Eine Zustimmung des Bundesrates gemäß Art. 50 Abs. 2 Z 2 B-VG ist nicht erforderlich, da keine Angelegenheiten, die den selbständigen Wirkungsbereich der Länder betreffen, geregelt werden.
Bei der Abstimmung wurde einstimmig beschlossen, dem Nationalrat die Genehmigung des Abschlusses dieses Staatsvertrages zu empfehlen.
Der Außenpolitische Ausschuss vertritt weiters einstimmig die Auffassung, ►dass die Bestimmungen des Staatsvertrages zur unmittelbaren Anwendung im innerstaatlichen Bereich ausreichend determiniert sind, sodass sich eine Beschlussfassung des Nationalrates gemäß Art. 50 Abs. 2 Z 4 B-VG zur Erfüllung des Staatsvertrages erübrigt.
Als Ergebnis seiner Beratungen stellt der Außenpolitische Ausschuss somit den Antrag, der Nationalrat wolle beschließen:
Der Abschluss des Staatsvertrages: Übereinkommen über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke im Ausland in Zivil- oder Handelssachen vom 15. November 1965 (6 der Beilagen) wird gemäß Art. 50 Abs. 1 Z 1 B-VG genehmigt.
Wien, 2020 03 10
Dr. Ewa Ernst-Dziedzic Dr. Pamela Rendi-Wagner, MSc
Berichterstatterin Obfrau