IV-25 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XXVII. GP
Beratungen des Hauptausschusses in Angelegenheiten
der Europäischen Union
(Auszugsweise Darstellung)
Dienstag, 16. April 2024
Beratungen des Hauptausschusses in Angelegenheiten
der Europäischen Union
(Auszugsweise Darstellung)
XXVII. Gesetzgebungsperiode Di, 16. April 2024
8355/24 LIMITE
Außerordentliche Tagung des Europäischen Rates (17. und 18. April 2024)
– Entwurf der Schlussfolgerungen
EU will stärkeren Fokus auf Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der Union legen
Geplante Maßnahmen zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der EU, die Lage im Nahen Osten und in der Ukraine sowie die künftigen Beziehungen der EU zur Türkei standen im Mittelpunkt der Beratungen des für EU-Angelegenheiten zuständigen Hauptausschusses des Nationalrats, der im Vorfeld des EU-Sondergipfels am 17. und 18. April zu einer Sitzung zusammentrat. Sowohl Bundeskanzler Karl Nehammer als auch Europaministerin Karoline Edtstadler begrüßten dabei das Vorhaben der EU, künftig einen stärkeren Fokus auf die Industriepolitik zu richten. Die Industrie müsse im globalen Wettstreit wettbewerbsfähig bleiben, betonten sie. Vor allem ein Abbau von Bürokratie – auch im Bereich der Landwirtschaft – ist Nehammer ein Anliegen.
"Gute Nachrichten" brachte der Kanzler in Bezug auf die Sicherung der heimischen Gasversorgung mit. Durch den milden Winter sind die Gasspeicher ihm zufolge immer noch zu 75 % gefüllt. Auch sonst sieht er Österreich grundsätzlich gut für den Fall gerüstet, dass es infolge eines Stopps des Gastransits durch die Ukraine oder infolge anderer Ereignisse zu einem Totalausfall der russischen Gaslieferungen kommen sollte. In Zusammenhang mit den Angriffen des Irans auf Israel hob der Kanzler die Solidarität Österreichs mit Israel hervor, mahnte aber dazu, "Rationalität zu bewahren".
Keine Mehrheit fanden zwei Anträge der FPÖ. Sie zielten zum einen darauf ab, die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei zu beenden und einen effektiven und lückenlosen Grenzschutz an der EU-Außengrenze zur Türkei einzurichten. Zum anderen drängten Petra Steger und Axel Kassegger auf eine "technologieneutrale" Wirtschafts- und Industriepolitik der EU samt Abkehr von "Klimaverboten" sowie eine Beendigung der Russland-Sanktionen. Diese würden sowohl Europa als auch der heimischen Wirtschaft enorm schaden und die Energieversorgung Österreichs gefährden, argumentierten sie. Auch einer weiteren gemeinsamen Schuldenaufnahme der Mitgliedstaaten der Europäischen Union steht die FPÖ ablehnend gegenüber. Bei der Abstimmung blieb die FPÖ mit dieser Initiative allerdings alleine, der Türkei-Antrag erhielt auch die Zustimmung der NEOS.
Nehammer ortet Umschwenken der EU beim Thema Technologieoffenheit
Dass die EU künftig einen stärkeren Fokus auf das Thema Wettbewerbsfähigkeit richten will, hält Bundeskanzler Nehammer für richtig, wobei es ihm zufolge unter anderem um eine Stärkung des Binnenmarkts, eine gesamteuropäische Industriepolitik, eine bessere Rechtsetzung und eine starke Landwirtschaft geht. Sowohl für die Wirtschaft als auch für die Landwirtschaft sei eine Reduktion des Verwaltungsaufwands wesentlich, betonte er. So hält er umfangreiche Dokumentationspflichten insbesondere für kleinere Betriebe für ein großes Problem, zudem würden sie zu einer Wettbewerbsverzerrung zugunsten großer Unternehmen beitragen. Auch brauche es mehr Planbarkeit für Landwirtschaft und Industrie.
Von der SPÖ auf die ablehnende Haltung Österreichs zum Lieferkettengesetz angesprochen, sagte Nehammer, die Richtlinie sei zwar "gut gemeint, aber nicht gut gemacht". Die ÖVP sei nicht gegen die Intention des Lieferkettengesetzes, sondern lehne die Art der Umsetzung ab. Auch hier befürchtet er insbesonders Nachteile für kleine Betriebe. Positiv bewertete er hingegen Pläne für eine Kapitalmarktunion: Es brauche einen europäischen Kapitalmarkt, damit mehr Risikokapital zur Verfügung stehe. Zu Vorschlägen einer europaweiten Mindestkörperschaftssteuer von 25 % merkte Nehammer an, Österreich stehe auch global gesehen in einem starken Wettbewerb.
In Richtung FPÖ versicherte der Kanzler, dass es eine "klare Ablehnung" Österreichs gebe, was eine weitere Vergemeinschaftung von Schulden betrifft. Zudem ortet er "ein Umschwenken" der EU beim Thema Technologieoffenheit. Hier werde nun ein stärkerer Fokus auf Innovation und Forschung gesetzt. Auch in Bezug auf eine Stärkung der Kreislaufwirtschaft, ein Thema das von den Grünen angesprochen wurde, setzt der Kanzler auf "Innovationskraft" statt auf Regulierung.
Auf weniger Regulierungen drängte auch Europaministerin Edtstadler. Der Binnenmarkt sollte ein Booster und keine Bremse für österreichische Unternehmen sein, machte sie sich für eine Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der EU stark.
Weitere Unterstützung der Ukraine
Was die Ukraine betrifft, hält es Nehammer für wesentlich, dass die EU das Land weiter umfassend unterstützt, wobei er Österreich als nach wie vor "solidarischen Partner" bezeichnete. Jede Form der Schwäche würde Russland zu weiteren Angriffen ermutigen, glaubt er. Man dürfe eine diesbezügliche Erwartungshaltung Russlands nicht befördern.
Auch an den Russland-Sanktionen will Nehammer – im Gegensatz zur FPÖ – nicht rütteln. Diese hätten zwar nicht so rasch gewirkt wie erwartet, da Russland rasch auf eine "Kriegswirtschaft" umgestellt habe, sagte er, sie würden aber wirken. So sei der Zugang Russlands zu Hochtechnologie erschwert worden. Um ein Umgehen der Sanktionen zu verhindern, hält es der Kanzler für wichtig, die BRICS-Staaten – also etwa China, Indien und Südafrika – "ins Boot zu holen". Ihre Einbindung sei außerdem unumgänglich, wolle man einen "nachhaltigen und gerechten" Frieden erreichen.
Was die Gasversorgung betrifft, hat Österreich Nehammer zufolge bereits einige Vorsorgemaßnahmen für den Fall ergriffen, dass es zu einem Totalausfall der Gaslieferungen aus Russland kommen sollte. Neben der Pflicht zur Gasbevorratung verwies er in diesem Zusammenhang etwa auf die Sicherung von Pipeline-Kapazitäten, den Bau einer zweiten Pipeline nach Deutschland und vereinbarte Gaslieferungen aus Norwegen. Durch den milden Winter seien die Gasspeicher derzeit zudem zu 75 % gefüllt. Nehammer reagierte damit auf Ausführungen von FPÖ-Abgeordnetem Kassegger, wonach es sich nicht ausgehen werde, die Gasimporte Russlands durch erneuerbare Energie zu substituieren.
Zum angestrebten Rückzug der Raiffeisen Bank aus dem russischen Markt hielt Nehammer fest, er habe keine Hinweise darauf, wonach Raiffeisen plane, sich vom Ausstieg zu verabschieden. Auch würde "die Sanktionskonformität" laut Raiffeisen penibel eingehalten. Davor hatte SPÖ-Abgeordneter Kai Jan Krainer von einem Artikel in den Financial Times berichtet, wonach Raiffeisen das Personal in Russland in den vergangenen zwei Jahren aufgestockt habe und nun mehr als 3.000 neue Mitarbeiter:innen suche. Das sehe mehr nach massiven Expansionsplänen als nach einem Ausstieg aus, meinte er.
Nehammer besorgt über Lage im Nahen Osten
Besorgt zeigte sich Nehammer über die Lage im Nahen Osten. Mit dem direkten Angriff des Iran auf Israel sei eine neue Eskalationsstufe erreicht worden, meinte er. Österreich habe diesen "völlig unverantwortlichen" Angriff unmissverständlich verurteilt und den iranischen Botschafter einbestellt. Nehammer bekundete in diesem Zusammenhang auch volle Solidarität mit Israel, hält es auf der anderen Seite aber auch für wichtig, "Rationalität zu bewahren". Europaministerin Edtstadler zeigte sich darüber erfreut, dass Israel 99 % der Drohnen und Marschflugkörper ausschalten konnte.
Was die Lage der Geiseln im Gaza-Streifen anlangt, betonte Nehammer, dass sich Österreich in bilateralen Kontakten weiter bemühe, eine Befreiung der Geiseln oder zumindest einen humanitären Zugang zu ihnen zu erreichen. Derzeit gebe es keine Lebenszeichen von den Geiseln und auch keine verlässlichen Quellen, wie viele Geiseln tatsächlich am Leben seien. Auch würde Österreich weiterhin humanitäre Hilfe im Gazastreifen leisten, wobei die Hamas Nehammer zufolge die Situation der Bevölkerung "von einem Tag auf den anderen" deutlich verbessern könnte, würde sie ihre Waffen niederlegen.
Neuausrichtung der Beziehungen zur Türkei
Ausdrücklich begrüßt wurde von Nehammer das Strategiepapier der EU zur Neuausrichtung der Beziehungen zwischen der EU und der Türkei. Eine neue Art der Kooperation würde beiden Seiten mehr nutzen als der gegenwärtige Stillstand bei den Beitrittsverhandlungen, ist er überzeugt. Generell hält er eine Aufrechterhaltung der Beziehungen zwischen der EU und der Türkei für alternativlos: Es wäre seiner Ansicht nach fatal, würde man die Türkei als geostrategischen Partner verlieren. Das unterstrich auch ÖVP-Abgeordneter Wolfgang Gerstl.
Zuvor hatte FPÖ-Abgeordnete Petra Steger kritisiert, dass Österreich und die EU in Sachen Sanktionen mit zweierlei Maß messen würden. Obwohl die Türkei völkerrechtswidrig in Syrien "eingefallen" sei und den Irak bombardiere, würden Milliarden an "Heranführungshilfe" in die Türkei fließen. Auch der "Flüchtlingsdeal" mit der Türkei gehört ihrer Meinung nach beendet. Die EU dürfe sich nicht ständig von der Türkei "erpressen" lassen, erklärte sie.
Der Forderung der FPÖ nach einer Beendigung der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei schloss sich auch NEOS-Abgeordneter Nikolaus Scherak an. Diese hätten nicht das bewirkt, was man bewirken habe wollen, im Gegenteil, argumentierte er. Daher sei es notwendig, "einen Schlussstrich zu ziehen". Scherak begrüßt in diesem Sinn auch die österreichische Position zur von der EU geplanten Neuausrichtung der Beziehungen.
Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der EU: Opposition fordert Taten
Was die geplante Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der EU betrifft, forderten Scherak und FPÖ-Abgeordneter Kassegger Taten. Worte alleine seien zu wenig, man müsse die an sich guten Intentionen der Strategie mit Leben erfüllen, sagte Scherak. Zudem machte er geltend, dass Österreich bei Regulierungsschritten letztendlich immer mit dabei gewesen sei, mit Ausnahme der Ablehnung des Lieferkettengesetzes.
Als "eine Aneinanderreihung von Worthülsen" sieht FPÖ-Abgeordneter Kassegger die EU-Strategie für Wettbewerbsfähigkeit. In der Praxis passiere das genaue Gegenteil, meinte er und sprach etwa von "Bürokratiewahnsinn", der der europäischen Wettbewerbsfähigkeit im globalen Kontext schade. Auch bringt es seiner Auffassung nach global gesehen gar nichts, die Treibhausgasemmissionen in Europa "auf null zu stellen", dadurch würde lediglich die europäische Industrie geschwächt. Auch die Corona-Lockdowns hätten sich negativ auf die Leistungsfähigkeit Europas ausgewirkt.
Kritik übte Kassegger darüber hinaus an der Schuldenpolitik der EU und der Nullzinspolitik der letzten Jahre sowie an der EU-Migrationspolitik. Die "enormen Kosten", die die Migration verursache, würden Spielräume zur Entlastung von Unternehmen einengen.
Grüne: Green Deal darf nicht aus den Augen verloren werden
Seitens der ÖVP hob Maria Theresia Niss die Notwendigkeit hervor, den europäischen Wirtschaftsraum und den Binnenmarkt zu stärken. Es gebe immer noch viele Bereiche, wo es 27 unterschiedliche Regeln in der EU gebe, meinte sie. Zudem sei es "ein Gebot der Stunde", dem Green Deal einen "Industrial Deal" entgegenzusetzen. Es brauche Bürokratieabbau. In Richtung FPÖ und NEOS hielt Niss fest, die ÖVP habe als einzige österreichische Partei im Europäischen Parlament gegen das Lieferkettengesetz gestimmt.
Michel Reimon (Grüne) warnte demgegenüber davor, die Klimapolitik aus dem Fokus zu verlieren. Kommissionspräsidentin Van der Leyen habe mit dem Green Deal einen sehr ambitionierten – wenn auch nicht ganz ausreichenden – Klimaplan vorgelegt, der sich auch in der neuen strategischen Agenda wiederfinden müsse, mahnte er. Er sieht außerdem einen gemeinsamen Nenner von Klimapolitik und Sicherheitspolitik, schließlich seien Länder wie Russland, Iran oder Saudi-Arabien "fossil finanzierte Regime".
Seine Fraktionskollegin Elisabeth Götze gab zu
bedenken, dass Klimaschutz und Wirtschaft zu lange gegeneinander ausgespielt
worden seien. Eine Folge davon sei, dass andere Länder bei der Produktion von
E-Autos "an der EU vorbeiziehen". In diesem Sinn hält sie es
für positiv, dass nun ein stärkerer Fokus auf das Thema
Wettbewerbsfähigkeit gerichtet werde. Ein Anliegen ist Götze dabei
auch die Forcierung der Kreislaufwirtschaft, um Rohstoffe zu sparen. In Bezug
auf die Agrarpolitik hob Götze hervor, dass sich viele heimische Bauern
eine bessere Herkunftskennzeichnung wünschen würden.
SPÖ pocht auf faire Arbeitsbedingungen und leistbare Strompreise
Faire Arbeitsbedingungen seien das Herzstück eines fairen Binnenmarkts, machte SPÖ-Abgeordneter Alois Stöger geltend. Er forderte Bundeskanzler Nehammer in diesem Sinn auf, sich für die soziale Dimension des Binnenmarkts einzusetzen. Seiner Ansicht nach braucht es außerdem einen europäischen Mindestlohn, damit österreichische Unternehmen gegenüber osteuropäischen wettbewerbsfähig bleiben. Wer ein europäisches Lieferkettengesetz ablehnt, sorge überdies dafür, dass heimische Unternehmen mit Unternehmen in Konkurrenz treten müssten, die von Kinderarbeit profitieren, hob Stöger hervor. Ohne Berichtspflichten ist es ihm zufolge überdies schwierig, die EU zu steuern.
Stögers Parteikollegin Michaela Schmidt vermisst die Verankerung von Zielen wie Leistbarkeit, Versorgungsicherheit und Nachhaltigkeit im neuen Strommarktdesign der EU. Stabile und leistbare Energiepreise seien sowohl für die Bevölkerung als auch für Unternehmen wichtig, bekräftigte sie. Schmidt machte zudem "die falsche Gestaltung des Strommarktes" als wesentlichen Faktor für die "Teuerungskrise" verantwortlich. Es gehe auch nicht an, dass die öffentliche Hand viel in den Ausbau erneuerbarer Energie investiere, während die Früchte des Ausbaus bei den Energiekonzernen landen. Petra Oberrauner (SPÖ) wies darauf hin, dass ein Mindestsatz von 25 % für die Körperschaftsteuer zu einem harmonisierten Wettbewerb führen würde.
Die Situation im Nahen Osten wurde unter anderem von den ÖVP-Abgeordneten Michaela Steinacker und Wolfgang Gerstl angesprochen, wobei sich Steinacker ausdrücklich bei Nehammer und Außenminister Alexander Schallenberg dafür bedankte, dass diese sich für Israel und den Bestand dieser Demokratie im Nahen Osten einsetzten. Gerstl machte darauf aufmerksam, dass die Drohnen, die der Iran nach Israel geschickt hat, die gleichen seien, die von Russland in Richtung Ukraine geschickt würden. Christian Oxonitsch (SPÖ) betonte, man müsse alles tun, um eine Eskalation zu verhindern, und Schritte setzen, die zu Frieden führen.
Zu den von Steinacker angesprochenen EU-Beitrittsverhandlungen mit den Westbalkanstaaten hielt Europaministerin Edtstadler fest, Montenegro sei zuversichtlich, die Beitrittskriterien bis zum Jahr 2028 erfüllen zu können. Albanien strebe das für das Jahr 2030 an. Am bestehenden Einstimmigkeitsprinzip in wesentlichen Fragen will sie auch bei einer EU-Erweiterung nichts ändern. FPÖ-Abgeordnete Petra Steger hatte davor gemeint, die Erweiterungsdebatte dürfe nicht dazu führen, das Einstimmigkeitsprinzip in der EU abzuschaffen.
Folgender Antrag auf Stellungnahme der FPÖ blieb mit den Stimmen von FPÖ und NEOS in der Minderheit:
Antrag auf Stellungnahme
gemäß Art. 23e Abs. 3 B-VG
der Abgeordneten Petra Steger, MMMag. Dr. Axel Kassegger
und weiterer Abgeordneter
betreffend TOP 1: Rat der Europäischen Union, EU-Nr. 8355/24, CO EUR-PREP 9, Außerordentliche Tagung des Europäischen Rates (17. und 18. April 2024) – Entwurf der Schlussfolgerungen (179741/EU XXVII.GP)
eingebracht in der Sitzung des EU-Hauptausschusses am 16. April 2024
Beendigung der EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei
1999 wurde der Türkei offiziell der Status eines EU-Beitrittskandidaten zuerkannt, 2005 starteten die Beitrittsgespräche. 2018 wurden selbige aufgrund der innenpolitischen Entwicklungen in der Türkei auf Eis gelegt.
Es ist längst an der Zeit, dass diese Beitrittsgespräche endgültig beendet werden. Denn schon die Grundvoraussetzung für diese Gespräche fehlt, da die Türkei nicht zum europäischen Kulturkreis gehört.
Doch selbst abgesehen von dieser Tatsache und unbeachtet der innenpolitischen Entwicklungen in der Türkei, hätten die Beitrittsgespräche spätestens aufgrund des außenpolitischen Verhaltens des türkischen Regimes gegenüber den EU-Mitgliedstaaten Griechenland und Zypern beendet werden müssen.
Die Türkei droht Griechenland offen und unverhohlen mit Krieg, während türkische Kampfflieger im Tiefflug über bewohnte griechische Inseln donnern.[1] Am 16. September 2022 hielt die Tageszeitung „Die Presse“ fest: „Seit Jahresbeginn haben türkische Kampfbomber fast 6000 Mal den griechischen Luftraum über der Ägäis verletzt.“[2] Anfang September 2022 drohte Erdoğan den Griechen offen mit einer militärischen Konfrontation: „Wenn die Zeit gekommen ist, werden wir das Nötige tun. Eines Nachts können wir kommen“, ließ der türkische Präsident verlautbaren.[3]
Gegenüber der griechischen Insel Samos hielt Erdoğan im Juni 2022 ein Militärmanöver ab, welches die Einnahme eines Küstenabschnittes durch Landungstruppen proben sollte. „Samos ist eine von 22 Inseln, deren Zugehörigkeit zu Griechenland die Türkei jetzt infrage stellt. Auch auf Rhodos, Kos, Patmos und Lesbos meldet Erdogan jetzt Ansprüche an. […] Der Konflikt schwelt seit vielen Jahren. Aber erstmals stellt jetzt die Türkei die Souveränität Griechenlands über diese Inseln offen infrage – und probt in Militärmanövern demonstrativ Landungsoperationen. Der Kalte Krieg in der Ägäis droht in einen heißen Konflikt umzuschlagen.“[4]
Zypern ist ebenfalls erneut ins Visier der türkischen Außenpolitik geraten, dort werden von der Türkei Bohrtätigkeiten durchgeführt, welche gegen die Hoheitsgewalt der Republik Zypern verstoßen. Zudem setzt die Türkei seit geraumer Zeit auf eine Form der hybriden Kriegsführung gegen den EU-Mitgliedstaat Zypern, indem die Türkei systematisch die illegale Migration nach Zypern forciert. „80 Prozent der illegalen Zuwanderer kommen per Flugzeug aus der Türkei nach Nordzypern und überqueren dann die Demarkationslinie, die zwischen dem türkisch besetzten Teil der Insel und der Republik Zypern verläuft.“[5]
Man sollte in diesem Zusammenhang auch nicht vergessen, dass drei UNFICYP-Friedenssoldaten aus Österreich 1974 bei einem türkischen Luftangriff auf Zypern ums Leben kamen.
Die Türkei ist auch kein Partner im Kampf gegen die illegale Migration, sondern sie setzt diese als Druckmittel gegen Europa ein und lässt sich dafür im Rahmen der Türkei-Flüchtlingsfazilität mit Milliardenzahlungen überschütten.
In der EU-Türkei-Erklärung vom 18. März 2016 ist festgehalten: „Alle neuen irregulären Migranten, die ab dem 20. März 2016 von der Türkei auf die griechischen Inseln gelangen, werden in die Türkei rückgeführt.“[6] Tatsächlich nahm die Türkei seit Bestehen des Abkommens lediglich 2.140 Migranten zurück! Seit März 2020 weigert sich die Türkei überhaupt illegale Migranten zurückzunehmen, ein Umstand, welcher sogar von der EU-Kommission kritisiert wurde. Die EU nahm hingegen 37.397 Migranten aus der Türkei auf.[7]
Die deutsche Tageszeitung „Bild“ errechnete vor diesem Hintergrund, dass sich die Kosten der EU für jeden rückübernommenen Migranten auf 4,7 Millionen Euro belaufen.[8] Europa hat sich mit diesem missglückten Deal 2016 in die Abhängigkeit eines Regimes begeben, dessen Präsident seitdem den europäischen Kontinent damit erpresst, jederzeit die Schleusen der illegalen Migration öffnen zu können – und dies auch getan hat, bisweilen sogar mit organisierten Busreisen an die Grenze.[9]
Die EU unterstützt die Türkei in Migrationsfragen in Milliardenhöhe, die sogenannte „Fazilität für Flüchtlinge in der Türkei“ setzt sich zum Teil aus Milliardenbeträgen aus dem EU-Haushalt, als auch aus milliardenschweren bilateralen Beiträgen der Mitgliedstaaten zusammen. „Insgesamt“, so hält die EU-Kommission in ihrem Siebten Jahresbericht über die Fazilität für Flüchtlinge in der Türkei fest, „hat die EU für Flüchtlinge in der Türkei seit 2011 Hilfe im Umfang von fast 10 Mrd. EUR bereitgestellt.“[10]
Der bilaterale Anteil Österreichs an dieser Fazilität ist beträchtlich. Allein im Bundesvoranschlag 2023 waren 8,75 Millionen Euro österreichisches Steuergeld hierfür budgetiert.[11]
In diesem Zusammenhang stellen die unterfertigten Abgeordneten daher nachstehenden
Antrag auf Stellungnahme
gemäß Art. 23e Abs. 3 B-VG
„Die Bundesregierung wird aufgefordert, sich auf europäischer Ebene für eine Beendigung der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei und einen effektiven und lückenlosen Grenzschutz an der EU-Außengrenze zur Türkei einzusetzen.“
Das gegenständliche Vorhaben ist auf die Erlassung eines verbindlichen Rechtsaktes gerichtet, der sich auf die Erlassung von Bundes(verfassungs)gesetzen auf dem im Rechtsakt geregelten Gebiet auswirken würde.
Folgender Antrag auf Stellungnahme der FPÖ blieb ohne Stimmen anderer Parlamentsfraktionen in der Minderheit:
Antrag auf Stellungnahme
gemäß Art. 23e Abs. 3 B-VG
der Abgeordneten Petra Steger, MMMag. Dr. Axel Kassegger
und weiterer Abgeordneter
betreffend TOP 1: Rat der Europäischen Union, EU-Nr. 8355/24, CO EUR-PREP 9, Außerordentliche Tagung des Europäischen Rates (17. und 18. April 2024) – Entwurf der Schlussfolgerungen (179741/EU XXVII.GP)
eingebracht in der Sitzung des EU-Hauptausschusses am 16. April 2024
Technologieneutrale Wirtschafts- und Industriepolitik statt Klimaverboten, Schuldenunion und Sanktionsregimen
Der Entwurf der Schlussfolgerungen zum Europäischen Rat vom 16.-17. April 2024 hält fest: „Angesichts einer neuen geopolitischen Realität und zunehmend komplexer Herausforderungen ist die Europäische Union entschlossen, entschieden zu handeln, um ihre Wettbewerbsfähigkeit, ihren Wohlstand und ihre Führungsrolle auf der Weltbühne langfristig sicherzustellen.“[12]
Die Politik der Europäischen Kommission in den letzten Jahren hat allerdings exakt das Gegenteil bewiesen. Klimahysterie, Corona-Wahnsinn, Schuldenunion und Kriegstreiberei haben den Wohlstand Europas gefährdet, Rekordinflationsraten herbeigeführt und Europa im globalen Wettbewerb weit zurückgeworfen. Von einer Führungsrolle auf der Weltbühne kann aufgrund der Performance der EU-Institutionen überhaupt keine Rede sein.
Festgehalten werden muss, dass diese Abwärtsspirale bereits vor dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine im Februar 2022 begonnen hat. Denn die von der EU forcierte sogenannte „grüne Transformation“ bedeutet nichts anderes als Klimaverbote und Verletzungen der Technologieneutralität – gerade jedoch diese ist für jeden Wettbewerb Grundbedingung. Auch werden völlig selektiv manche Energieträger totgesagt und ausschließlich auf „grüne“ Technologien gesetzt, inklusive der Atomkraft natürlich. Verschwiegen wird, dass diese Klimahysterie die Inflation in Europa lange vor dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine bereits massiv befeuerte (Stichwort „Greenflation“).[13]
Denn bereits vor dem 24. Februar 2022 explodierten die Preise für die im Energiepreisindex erfassten Energieträger in Österreich. Im Jahresvergleich zu 2021 verteuerten sich die Preise für Strom um 6,2 Prozent, für Diesel um 30,8 Prozent, für Gas um 37,7 Prozent, sowie für Heizöl um 45,8 Prozent. Zusammengenommen weist der Energiepreisindex eine Steigerung von 22,4 Prozent auf.[14]
Ohne Zweifel war demnach die Preisentwicklung im Energiesektor bereits vor dem russischen Angriff bedenklich im Steigen begriffen. Mitverursacher dieser besorgniserregenden Tendenz war und ist die „grüne“ Politik der EU und ihrer Mitgliedstaaten. Hans-Werner Sinn, ehemaliger Chef des ifo Instituts für Wirtschaftsforschung, erkennt in der sogenannten Energiewende einen Inflationstreiber. „Das Verbot der billigen traditionellen Energiequellen zwingt die Wirtschaft, auf teurere Energieträger auszuweichen“, hält Sinn folgerichtig fest.[15] Der Bremer Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel konstatiert, dass die politisch gewollte Verteuerung der Treibhausgase die „grüne Inflation“ antreibt. Die Tagesschau hält hierzu fest: „Tatsächlich dürften die Klimaschutz-Programme wie das Fit-for-55-Paket der EU-Kommission und der Umstieg auf die vorerst teureren erneuerbaren Energien die Strom- und Verbraucherpreise hierzulande weiter antreiben.“[16]
Klar ist somit, dass die Teuerungen politisch gewollt sind und zum Ziel haben, ideologisch aufgeladene Klimaprogramme auf Kosten der Bürger zu forcieren. Denn schlussendlich hat der Bürger als Endkonsument die entstehenden Mehrkosten zu tragen. Dies ist insbesondere vor dem Hintergrund verantwortungslos, dass erneuerbare Energiequellen nicht den Energiebedarf des Kontinents abdecken werden.
Ebenso verantwortungslos für die europäische Industrie und Wirtschaft war die Verhängung der EU-Sanktionsregime gegen Russland, da diese die Energiepreise weiter massiv erhöht und die Lieferketten unterbrochen haben.
Man sollte in diesem Zusammenhang nicht vergessen, dass im Jänner 2023 die Inflationsrate in Österreich 11,2 Prozent[17] betrug, den höchsten Wert seit 1952 (!) – damals in der Nachkriegszeit lag die Teuerung bei 14,1 Prozent. Die EU-Sanktionsregime ließen die Preise für Haushaltsenergie und für Treibstoff weiter in die Höhe schnellen.[18]
Die schwarz-grüne Bundesregierung hat alle EU-Sanktionsregime mitgetragen. Ebenso wenig wie die EU-Kommission hat die Bundesregierung sich Gedanken über die fatalen Implikationen derselben gemacht bzw. diese leichtsinnig in Kauf genommen.
Die Sanktionen schaden massiv Europa und der heimischen Wirtschaft, sie gefährden die Energieversorgung unseres Landes und unserer Bürger. Russland hat hingegen ohne größeren Aufwand andere Abnehmer für seine Rohstoffe gefunden (China, Indien), welche diese zum Teil mit entsprechendem Aufschlag an europäische Staaten weiterverkaufen. Zahlreiche weitere Drittstaaten haben zudem Umgehungsmöglichkeiten für die EU-Sanktionsregime gefunden – wie Statistiken für veränderte Warenströme offenbaren.[19]
Daher lautet das Fazit zu den Sanktionen, dass Europa der große Verlierer derselben ist, während die USA und andere Drittstaaten von diesen profitieren. Russland dagegen findet Auswege aus den verhängten Sanktionsregimen. Folgerichtig sind die für die Volkswirtschaften Europas äußerst schädlichen Sanktionsregime zu beenden. Weitere Sanktionen sind mit einem österreichischen Veto im Rat zu verhindern.
Anzumerken ist auch noch, dass sich kaum andere Staaten den Sanktionsregimen angeschlossen haben – so viel zur Vorstellung des Europäischen Rates eine Führungsrolle auf der Weltbühne einnehmen zu wollen.
Hinsichtlich der Energieversorgung unserer Heimat ist auch anzuführen, dass das ukrainische Regime bewusst und mit voller Absicht diese torpediert und damit unsere Wirtschaft und den verbliebenen Wohlstand unserer Gesellschaft ernsthaft bedroht. Nichts anderes bedeutet die jüngste Ankündigung der Ukraine, ab 2025 kein russisches Gas mehr Richtung Westen zu leiten. „Der Chef des staatlichen ukrainischen Energiekonzerns Naftogas, Olexij Tschernyschow, bestätigte das in einem Interview mit dem US-Auslandssender Radio Liberty aber nunmehr noch einmal extra deutlich.“[20]
Selbst der ORF erkennt das enorme Risiko dieser ukrainischen Drohung: „Würden die Gaslieferungen aus Russland zum Erliegen kommen, würde das Österreich – jedenfalls unter den derzeitigen Voraussetzungen – merklich spüren. Im Frühjahr und Sommer des heurigen Jahres – zur Zeit als die heimischen Gasspeicher befüllt wurden – kamen immer noch rund 60 Prozent des Gases aus Russland.“[21]
Der ehemalige OMV-Chef Gerhard Roiss warnte vor dieser Entwicklung bereits im Frühsommer 2023. Er kritisierte scharf, dass die schwarz-grüne Bundesregierung auf dieses drohende Szenario nur mit „Ignoranz“[22] reagiere. Ein Wegfall der russischen Gaslieferungen würde seiner Einschätzung nach „sehr wohl zu hohen Preissprüngen von 100 bis 300 Prozent“[23] führen.
Sollte das Selenski-Regime tatsächlich die Energieversorgung Österreichs durch den angekündigten Lieferstopp von russischem Gas absichtlich gefährden, entstünden beträchtliche Mehrkosten für Unternehmer und Konsumenten. Betriebe und Haushalte hätten mit noch höheren Energiepreisen zu kämpfen, Insolvenzen und unbeheizte Wohnungen wären wohl die Folge. Eine weitere Explosion der Inflation steht somit vor der Türe.
Die Antwort der EU-Kommission auf die wirtschaftliche Misere in Europa lautet: Schuldenaufnahme. Mitunter zur Finanzierung der Verteidigung und des Wiederaufbaus der Ukraine schlägt der EU-Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni offiziell vor, „den Wiederaufbaufonds der EU in ein ‚permanentes‘ Instrument umzuwandeln und durch neue gemeinsame Schulden zu finanzieren.“[24] Gentiloni fordert gar zusätzliche Gelder in Höhe von 650 Milliarden Euro pro Jahr! Während normalerweise derartige Äußerungen bei jedem Nettozahlerstaat Alpträume verursachen müssten, hüllt sich die schwarz-grüne Bundesregierung hierzu in Schweigen.
Eine Vertiefung der Schuldenunion gilt es mit allen zur Verfügung stehenden politischen Mitteln zu verhindern!
In diesem Zusammenhang stellen die unterfertigten Abgeordneten daher nachstehenden
Antrag auf Stellungnahme
gemäß Art. 23e Abs. 3 B-VG
„Die Bundesregierung wird aufgefordert, sich auf europäischer Ebene von ideologiegetriebenen Klimaverboten zu distanzieren und stattdessen eine technologieneutrale Politik zum Wohle der Interessen der österreichischen Bürger und der Wirtschaft und Industrie unserer Heimat zu verfolgen.
Des Weiteren wird die Bundesregierung aufgefordert, sich auf europäischer Ebene für eine Beendigung der unserer Wirtschaft schadenden EU-Sanktionsregime gegen Russland einzusetzen, sowie sicherzustellen, dass die Ukraine weiterhin den Transport von leistbarem Gas aus Russland nach Mitteleuropa gewährleistet.
Darüber hinaus wird die Bundesregierung aufgefordert, eine erneute oder gar permanente gemeinsame Schuldenaufnahme der Mitgliedstaaten der Europäischen Union konsequent abzulehnen.“
Das gegenständliche Vorhaben ist auf die Erlassung eines verbindlichen Rechtsaktes gerichtet, der sich auf die Erlassung von Bundes(verfassungs)gesetzen auf dem im Rechtsakt geregelten Gebiet auswirken würde.
[1] https://www.rnd.de/politik/tuerkei-und-griechenland-konflikt-um-kos-rhodos-lesbos-droht-wirklich-ein-krieg-2XOE4HSC7RAXZONI74V52PDAXI.html
[2] Die Presse 16.09.2022: Eskalation im Konflikt mit Athen
[3] Tagesschau 06.09.2022: Erdogan droht Griechenland „Eines Nachts können wir kommen“
[4] RND 13.06.2022: Droht wirklich Krieg zwischen der Türkei und Griechenland?
[5] https://www.rnd.de/politik/neues-beobachtungssystem-zypern-will-migranten-aus-der-tuerkei-stoppen-A2ATFEL4KVHK5OZ55DETFTA244.html
[7] https://www.welt.de/politik/ausland/article247769504/Ankara-nahm-im-Rahmen-des-EU-Tuerkei-Deals-2140-Migranten-zurueck.html
[8] https://www.bild.de/bild-plus/politik/inland/politik-inland/fluechtlingskrise-mega-flop-tuerkei-deal-wir-zahlen-4-7-millionen-euro-pro-fluec-85598286.bild.html
[10] COM (2023) 543, S. 7
[11] https://service.bmf.gv.at/Budget/Budgets/2023/beilagen/Entwicklungszusammenarbeit_2023.pdf, S. 20
[12] Außerordentliche Tagung des Europäischen Rates (17. und 18. April 2024) - Entwurf der Schlussfolgerungen vom 8. April 2024
[14] https://www.energyagency.at/fakten-service/energiepreise/httpswwwenergyagencyatepi.html
[18] https://www.sn.at/wirtschaft/oesterreich/inflation-in-oesterreich-in-zweistelligen-bereich-geklettert-128596618
[19] https://www.tagesschau.de/wirtschaft/weltwirtschaft/habeck-sanktionen-russland-101.html