Eingelangt am 28.02.2022
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Anfrage
der Abgeordneten Dr.
Stephanie Krisper, Kolleginnen und Kollegen
an den Bundesminister
für Inneres
betreffend
Systematische Postenkorruption
"Postenschacher"
ist nach wie vor eines der am weitest verbreiteten Korruptionsprobleme
Österreichs. Insbesondere innerhalb der Ministerien und des Bundeskanzleramts
werden Posten immer noch nach parteipolitischen Motiven vergeben. Für
den Bundesdienst regelt das Ausschreibungsgesetz die Vorgangsweise bei der
Aufnahme neuer Mitarbeiter_innen und der Besetzung von Leitungsfunktionen
(gemäß § 2 Abs. 1 AusG) in Zentralstellen und nachgeordneten
Dienststellen. §2 und §3 schreiben vor, dass betreffende Funktionen
öffentlich auszuschreiben sind, bevor Personen damit betraut werden.
Eine hierzulande
gängige Gepflogenheit ist das Vertauschen der vorausgesetzten Prozessschritte.
Das bedeutet, dass Begünstigen vorab informell Jobs zugesagt werden und
formelle Ausschreibungen erst im Anschluss daran erfolgen. „Schon vorher
stand fest, wer es wird“, sagte etwa eine erfahrene Beamtin des
Innenministeriums im Dezember 2019 hinsichtlich wichtiger Stellenbesetzungen in
ihrem Ressort; in den vergangenen Jahren habe dies vor allem für
ÖVP-Männer gegolten (https://www.youtube.com/watch?v=Piefl_iqDHU). Schnelle Abhilfe, um
erwünschte Posten zu schaffen, bringt die Änderung von Geschäftseinteilungen.
Im Innenresort werden
Posten seit Jahrzehnten bis in die untersten Ebenen nach Parteibuch besetzt,
wobei insbesondere die politische Besetzung der Funktionen der Referats- und
Abteilungsleiter_innen ("Leitungsfunktionen") problematisch
erscheint. Allerdings ist Parteibuchwirtschaft bei Leitungsfunktionen nicht zu
verhindern, solange alle Neuaufnahmen am unteren Ende der
"Karriereleiter" auf Basis des Parteibuchs erfolgen. Dieses Bild
bestätigt auch die Statistik: Seit 2014 sind bei der Bundesgleichbehandlungskommission
114 Anträge wegen Diskriminierung aufgrund der "Weltanschauung"
im Bundesdienst eingegangen, wobei 88 davon (77%) den Bereich BMI/Polizei
betreffen, obwohl nur ca. 25% aller Bundesbediensteten in diesen Bereichen
arbeiten. Bei 50% dieser Anträge wurde eine Diskriminierung festgestellt
und bei 9% konnte eine solche nicht ausgeschlossen werden. (Tweet Laurenz Ennser-Jedenastik)
Das Innenministerium wird,
mit kurzer Unterbrechung durch die Ära Kickl, seit über zwanzig
Jahren von ÖVP-Politikern geleitet. Bei Durchsicht jener Personen, denen
in den vergangenen Jahren Führungsaufgaben innerhalb des BMI zugeteilt
wurden fällt auf, dass eine Vielzahl davon ehemalige Kabinettsmitarbeiter
der jeweiligen Minister_innen waren. Offensichtlich dienen in der gelebten
Praxis Kabinettsposten als "Karrieresprungbrett" ins
Innenministerium. Damit einher geht die zunehmende Politisierung der Verwaltung
bis an die sensibelsten Stellen der Republik, ist das BMI doch für
Sicherheitsagenden verantwortlich. Für die innere Sicherheit und eine
bestmögliche Arbeit in diesen hochsensiblen Bereichen ist es jedoch
unerlässlich die "besten Köpfe" im Sinne der am besten
qualifizierten Personen in der Verantwortung zu wissen und nicht
parteipolitische Wunschkandidaten. Die Erfahrung zeigt, dass gerade dies jedoch
nicht der Fall ist: erst kürzlich gewährten in den Medien
veröffentlichte Chatnachrichten Einblicke in die interne Kommunikation,
die zeigen, welchen Stellenwert Postenbesetzungen und Parteipolitik im Innenministerium
hatten (https://www.derstandard.at/story/2000133175727/rote-bleiben-gsindl-mikl-leitners-unmut-und-sobotkas-interventionsliste). Es gab eine am Server der Kabinettsmitarbeiter
gespeicherte Liste namens "Interventionen" unter Wolfgang Sobotka als
Innenminister. Es ist anzunehmen, dass sich die Unsachlichkeiten bei
Stellenbesetzungen nicht auf die im Zusammenhang mit den aufgetauchten
Chatnachrichten bekannt gewordenen beschränken und auch in Zukunft keine
Besserung erwartet werden kann. So mutet es beispielsweise auch seltsam an,
wenn für die Besetzung der neu zu schaffenden Stelle des
Bundespolizeikommandanten bereits ein Name kursiert, der diese Funktion
übernehmen soll, bevor es überhaupt eine entsprechende Ausschreibung
gibt (https://www.diepresse.com/6084666/die-grosse-neuorganisation-des-innenressorts). Ähnlich auffällig gestaltete
sich die Ausschreibung "Leiter/Leiterin GB B LPD Bgld", die sich
bis vor kurzem auf der Jobbörse des Bundes befand. Neben allgemeinen
Anforderungen wie das Bestehen eines unbefristeten Dienstverhältnisses zum
Bund; Besitz der österreichischen Staatsbürgerschaft; die volle
Handlungsfähigkeit; die persönliche und fachliche Eignung für
die Erfüllung der Aufgabe führt die Ausschreibung als Hinweis auch
an, dass "ein laufendes Disziplinarverfahren ebenso wie eine noch nicht
länger als drei Jahre zurückliegende disziplinäre Verurteilung
oder eine noch nicht länger als fünf Jahre zurückliegende
strafgesetzliche Verurteilung /ausgenommen leichte Fahrlässigkeitsdelikte,
keinen absoluten Ausschließungsgrund" darstellt.
Im Sinne von fairen
Postenbesetzungen und im Interesse aller in Österreich lebenden Menschen
ist es nun an der Zeit, ein gesetzlich geregeltes, transparentes, objektives,
anonymisiertes und auf qualitativen Kriterien aufgebautes Aufnahmeverfahren
für den Staatsdienst zu etablieren, in dem die besten Köpfe mit
Leitungsfunktionen im Ministerium betraut werden die sich in ihrer weiteren
beruflichen Tätigkeit ausschließlich den Bürgern und keiner
Partei verpflichtet fühlen.
Die unterfertigten
Abgeordneten stellen daher folgende
Anfrage:
- Wie oft und wann wurde die
Geschäftseinteilung Ihres Ressorts seit 2013 geändert (Bitte um
Übermittlung aller der in diesem Zeitraum in Geltung gestandenen
Versionen der Geschäftseinteilung)?
- Wie viele
Leitungsfunktionen wurden jeweils durch die Änderung der
Geschäftseinteilung vakant (Bitte um Auflistung nach
Geschäftseinteilung und jeweiliger Ebene Leitungsfunktion: Sektion,
Gruppe, Abteilung sowie Stabstelle)?
- Wie viele Leitungsfunktionen waren
danach neu zu besetzen (Bitte um Auflistung nach Geschäftseinteilung
und jeweiliger Ebene Leitungsfunktion: Sektion, Gruppe, Gruppe, Abteilung
sowie Stabstelle)?
- Wie viele und welche
Leitungsfunktionen wurden vorläufig
- mit Personen aus dem
Kabinett besetzt (Bitte um chronologische Auflistung)?
- mit dem
Generalsekretär oder Personen aus dem Büro des
Generalsekretärs besetzt (Bitte um chronologische Auflistung)?
- mit Personen aus
anderen Ressorts besetzt (Bitte um chronologische Auflistung)?
- mit Personen, die nach
2017 ins Ressort gekommen sind besetzt (Bitte um chronologische
Auflistung)?
- Wie viele Personen mit
Doppelzuteilung im Kabinett und einer Leitungsfunktion erhielten im
zeitlichen Zusammenhang mit einer Geschäftseinteilung einen
höher bewerteten Arbeitsplatz (Bitte um Auflistung pro Kalenderjahr)?
- Wie viele und welche
Leitungsfunktionen wurden in Ihrem Ressort seit 2013 vergeben (Bitte um
chronologische Auflistung mit den jeweiligen Informationen)?
- Wie viele Personen
haben sich für die ausgeschriebenen Leitungsfunktionen
beworben?
- Zu welchen Ergebnissen
führten die jeweiligen Auswahlverfahren (Bitte um Übermittlung
der Bewerber-Rankings)?
- Wie viele
Leitungsfunktionen wurden mit Personen besetzt, die zuvor
vorläufig mit dieser Funktion betraut waren?
- Wie viele
Leitungsfunktionen wurden mit internen Personen besetzt?
- Wie viele und welche
Personen waren in den Jahren 2013-2021 gleichzeitig im Kabinett oder dem
Generalsekretariat einerseits und einer Leitungsfunktion andererseits zugeteilt
(Bitte um chronologische Auflistung pro Kalenderjahr)?
- Welche dieser
Leitungsfunktionen waren als Teilzeittätigkeit ausgeschrieben?
- Sind aktuell Personen gleichzeitig im
Kabinett und einer anderen Position in Ihrem Ressort zugeteilt?
- Wenn ja, welche
Personen auf welchen Positionen?
- Wenn ja, waren diese
Funktionen als Teilzeittätigkeit ausgeschrieben?
- Wie viele
Mitarbeiter_innen Ihres aktuellen Kabinetts bekamen bereits eine Stelle in
Ihrem oder einem anderen Ressort durch wen wann zugesagt?
- Wo und über
welchen Zeitraum wurden die jeweiligen Stellen ausgeschrieben?
- Wie und von wem wurden
die Bewerbungsvorraussetzungen und das Wording der jeweiligen
Ausschreibungen ermittelt?
- Wie viele Personen
haben sich für die ausgeschriebenen Positionen beworben?
- Wurden externe
Personalisten in die jeweiligen Besetzungsprozesse eingebunden?
i. Wenn ja: Welche waren das und wie wurden sie
ausgewählt?
- Zu welchen Ergebnissen
führten die jeweiligen Auswahlverfahren (Bitte um Übermittlung
der Bewerber-Rankings)?
- Wie viele
Mitarbeiter_innen Ihres aktuellen Kabinetts sind auf Planstellen anderer
Ministerien und wurden von diesen Ihrem Ministerium zugeteilt?
- Seit wann bestehen
diese Zuteilungen jeweils?
- Gab es Fälle, in
denen Mitarbeiter_innen des Kabinetts auf eine Planstelle eines anderen
Ministeriums übertragen wurden und sogleich wieder zur
Tätigkeit im Kabinett Ihres Ministeriums zugeteilt wurden?
i. Wenn ja, wann wurde dies vollzogen und welche
Ministerien waren involviert?
- In wie vielen
Fällen wurden Mitarbeiter_innen nach einer
Geschäftseinteilungsänderung aus Leitungsfunktionen entfernt,
aber erhielten Ergänzungszulagen gem. 75 VBG bzw. fielen in die
"Fallschirmregel" gem. § 12b Abs. 5 GehG (Bitte um
Auflistung der Fälle pro Kalenderjahr)?
- Was waren die Gesamtausgaben
für Ergänzungszulagen gem. § 75 VBG und § 12b GehG in
den Kalenderjahren 2013-2022 (Bitte um Auflistung der Ausgaben pro
Kalenderjahr)?
- Wie viele Fälle von
Dienstfreistellungen gem. § 17 BDG (§ 29i VBG) gab es jeweils in
den Kalenderjahren 2013-2022 (Bitte um Auflistung pro Kalenderjahr)?
- Wenn ja, wann wurden
jeweils die entsprechenden Anträge gestellt?
- Wenn ja, wurde in
diesen Fällen jeweils eine Gehaltskürzung gem. § 12d GehG
vorgenommen?
- Sind Ihnen die in der
Begründung angegeben Zahlen zu Anträgen bei der
Gleichbehandlungskommission bekannt?
- Werden Sie Schritte
gegen diesen offensichtlichen Missstand in Ihrem Ressort unternehmen?
- Wenn ja, welche?
- Wenn nein, warum nicht?
- Haben die 88
Anträge wegen Diskriminierung aufgrund der "Weltanschauung"
und die Feststellung dieser in 44 Fällen zu Evaluierungen von
Ausschreibungs- und Besetzungsmechanismen in Ihrem Ressort geführt?
- Wenn ja, wann zu
welchen Evaluierungen mit welchem Ergebnis?
i. Wurden daraufhin Maßnahmen gesetzt?
- Wenn nein, warum nicht?
- Für wie viele
BeamtInnen in Leitungsfunktion in ihrem Ressort ist ein laufendes
Disziplinarverfahren anhängig?
- Wie viele BeamtInnen in
Leitungsfunktion wurden bereits disziplinär verurteilt?
- Wie viele BeamtInnen in
Leitungsfunktion wurden in der den letzten fünf Jahren
strafgesetzlich verurteilt?
- Wie oft wurde in
Ausschreibungen des Bundes für Positionen im BMI bisher
ausgeführt, dass ein laufendes Disziplinarverfahren keinen absoluten
Ausschließungsgrund für die Besetzung
von Leitungsfunktion im Ressortbereich des BMI darstellt?
- Warum?
- Wie oft wurde in
Ausschreibungen des Bundes für Positionen im BMI bisher
ausgeführt, dass eine noch nicht länger als drei Jahre
zurückliegende disziplinäre Verurteilung keinen absoluten
Ausschließungsgrund für die Besetzung von Leitungsfunktion im
Ressortbereich des BMI darstellt?
- Warum?
- Wie oft wurde in
Ausschreibungen des Bundes für Positionen im BMI bisher
ausgeführt, dass eine noch nicht länger als fünf Jahre
zurückliegende strafgesetzliche Verurteilung /ausgenommen leichte
Fahrlässigkeitsdelikt keinen absoluten Ausschließungsgrund
für die Besetzung von Leitungsfunktion im Ressortbereich
des BMI darstellt?
- Warum?
- Seit wann wird ein
laufendes Disziplinarverfahren ebenso wie eine noch nicht länger als
drei Jahre zurückliegende disziplinäre Verurteilung oder eine
noch nicht länger als fünf Jahre zurückliegende
strafgesetzliche Verurteilung /ausgenommen leichte
Fahrlässigkeitsdelikt nicht als absoluter Ausschließungsgrund
für die Besetzung von Leitungsfunktion im Ressortbereich des
BMI geführt?
- Auf wessen wann
gefällten Entscheidung ist dies zurückzuführen?
- Gab es bereits
Besetzungen für die dieser Passus in der Ausschreibung schlagend
wurde?
- Wenn ja, welche wann?