10146/J XXVII. GP

Eingelangt am 08.03.2022
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ANFRAGE

 

der Abgeordneten Rosa Ecker, MBA

und weiterer Abgeordneter

an die Bundesministerin für Frauen, Familie, Integration und Medien

betreffend Probleme bei Beantragung von Familienbeihilfe und Familienbonus Plus bei grenzüberschreitenden Sachverhalten

 

 

Die VERORDNUNG (EG) Nr. 883/2004 DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit samt ihrer Durchführungsverordnung haben aufgrund ihrer wirren Regelungen zu fast unzähligen Streitfragen geführt, die über dem Gerichtsweg ausgetragen wurden und noch werden. In vielen Fällen wurde auch der Europäische Gerichtshof (EuGH) um Vorabentscheidung ersucht.

 

Die beiden Verordnungen koordinieren Sozialversicherungsleistungen, wenn etwa eine Person in einem Staat wohnt, aber in einem anderen Staat arbeitet. Umso unverständlicher ist es, dass Familienleistungen von dieser Verordnung erfasst werden. Anders als Leistungen bei Arbeitslosigkeit, Todesfall, Invalidität, Krankheit oder Rentenansprüche sind Familienleistungen wie etwa die Familienbeihilfe keine Sozialversicherungsleistungen. Sie verlangen keine Erwerbstätigkeit oder den Umstand, dass Sozialversicherungsbeiträge bezahlt werden müssen. Eine Erwerbstätigkeit von wem auch immer kann daher niemals eine Voraussetzung sein, um Familienleistungen zu erhalten – selbst auch dann nicht, wenn das Kind nicht in Österreich wohnhaft ist.

 

Dessen ungeachtet gilt das Unionsrecht und es soll auf ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts verwiesen werden. Betroffener Fall dürfte kein Einzelfall sein. In der Rechtsache RV/7103765/2020 vom 28.01.2021 geht es um einen in Österreich wohnhaften Vater, der erwerbstätig ist. Eines seiner Kinder lebt mit der geschiedenen Mutter in Deutschland. Sie bezieht das deutsche Kindergeld, das gleichartig zur österreichischen Familienbeihilfe ist. Aufgrund seiner Erwerbstätigkeit hätte der Vater dem Grunde nach Anspruch auf die Familienbeihilfe. Allerdings nicht der Höhe nach, da das deutsche Kindergeld höher ist als die Familienbeihilfe. Der Vater beantragte die Familienbeihilfe Anfangs nicht. Er beantragte allerdings für das in Deutschland lebende Kind den Familienbonus Plus in voller Höhe und im weiteren Verlauf die Familienbeihilfe bzw. einen Unterschiedsbetrag.

 

Sein Antrag wurde abgelehnt, mit der Begründung, dass die in Deutschland wohnhafte Mutter keinen Antrag auf die Ausgleichszahlung der österreichischen Familienbeihilfe gestellt habe. Anders ausgedrückt: der Antrag des Vaters ist nicht zulässig, weil die Mutter die Familienbeihilfe beantragen müsste – unabhängig davon, dass die Höhe der Leistung, die Österreichs bezahlen müsste, Null Euro beträgt.

 

Allerdings gab es zuvor ein Erkenntnis in der Rechtsache RV/7100050/2016 vom 6. Juni 2018. Und in dieser Sache wurde klargestellt, dass ein Antrag des Vaters auf die Familienbeihilfe gemäß der EU-Durchführungsverordnung 987/2009 als Antrag zugunsten des Anspruchs der Mutter zu werten ist. In dieser Rechtsache ist die geschiedene Mutter mit dem Kind in Polen wohnhaft. Zwar wurde dieses Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit vom Verwaltungsgerichtshof aufgehoben. In der entsprechenden Rechtsache 2018/16/0040 hat diese Instanz jedoch die Frage nicht beantwortet, ob der Antrag des Vaters auf die Ausgleichszahlung der Familienbeihilfe als Antrag zugunsten der Mutter zu berücksichtigen ist. In dieser Rechtsache hat der Verwaltungsgerichtshof primär entschieden, dass ein geschiedener Elternteil die Familienbeihilfe für sein im Ausland wohnhaftes Kind beantragen kann, wenn er die überwiegenden Unterhaltskosten trägt. Daraus leitet sich auch der Anspruch für den Familienbonus Plus ab.

 

Im Übrigen soll auf das Urteil des EuGH in der Rechtsache C-16/09 Schwemmer erinnert werden. Die in Deutschland wohnhafte Mutter hatte einen Rechtsstreit wegen des deutschen Kindergelds, da der geschiedene und erwerbstätige Vater in der Schweiz lebte. Die Schweiz wäre vorrangig zuständig gewesen, Familienleistung zu bezahlen. Der Vater stellte aber offenbar aus Boshaftigkeit keinen Antrag. Deutschland wollte der Mutter nur die Differenzzahlung (also das Kindergeld abzüglich der fiktiven Leistung aus der Schweiz) bezahlen. Der EuGH konnte dieser Ansicht nicht folgen. Letztendlich entschied der deutsche Bundesfinanzhof in der Rechtsache III R 92/07 mit Beschluss, dass die Mutter die Voraussetzungen für das deutsche Kindergeld erfülle und ihr Anspruch nur aufgrund der gemeinschaftsrechtlichen Konkurrenzregeln gemindert werde. Es sei auch nicht gerechtfertigt, sie darauf zu verweisen, die Antragstellung durch den Vater auf dem Zivilrechtsweg durchzusetzen. Die Rechtsache betraf die EU-Vorgängerverordnungen von 883/2004 und 987/2009. Allerdings haben die aktuellen Verordnungen die gleichen Wesensmerkmale.

 

Es muss jedenfalls davon ausgegangen werden, dass es ähnliche Fälle gibt, bei denen es einen in Österreich erwerbstätigen Elternteil gibt, der die Familienbeihilfe als auch den Familienbonus Plus für sein im Ausland wohnhaftes Kind beantragen will. Bei vielen Fällen dürften die Eltern geschieden oder getrennt sein.

 

 

In diesem Zusammenhang richten die unterfertigten Abgeordneten an die Bundesministerin für Frauen, Familie, Integration und Medien nachstehende

 

Anfrage

 

1.    Sind die Vorgaben der EU-VO 883/2004 und 987/2009 dahingehend auszulegen, dass ein Antrag von einem geschiedenen Elternteil auf die Familienbeihilfe auch als Antrag des anderen Elternteils zu werten ist, der mit dem Kind in einem anderen Staat wohnhaft ist, der die beiden EU-VO zu berücksichtigen hat?

2.    Wenn dies nicht der Fall ist, welche aktuelle Rechtsprechung gibt es diesbezüglich?

3.    Wie viele Personen, bei denen das Kind nicht in Österreich wohnhaft ist, haben seit Inkrafttreten des Familienbonus Plus aufgeschlüsselt nach Jahren einen Antrag auf diese Leistung gestellt?

4.    Bei wie vielen dieser Personen wurde der Familienbonus Plus gewährt?

5.    Bei wie vielen Personen wurde diese Familienleistung abgelehnt?

6.    Wie hoch sind aktuell die Ausgaben aufgeschlüsselt nach Jahren seit Inkrafttreten des Familienbonus Plus für jene Personen, bei denen die Kinder nicht in Österreich wohnhaft sind?

7.    Ist es zutreffend, dass eine geschiedene oder getrenntlebende Person, die in Österreich erwerbstätig ist, einen Anspruch auf den Familienbonus Plus in voller Höhe hat, wenn der andere Elternteil, der mit dem Kind in einem anderen Mitgliedstaat eine Familienleistung bekommt, die höher ist als die österreichische (weshalb nur dem Grunde nach aber nicht der Höhe nach, ein Anspruch auf die österreichische Familienbeihilfe besteht)?

8.    Wenn nein, warum nicht und welche Rechtsprechung gibt es dazu?

9.    Hat angesichts der Rechtsprechung des EuGH in der Rechtsache C-279/93 Schumacker und C-321/93 Martinez, ein Elternteil, Anspruch auf den Familienbonus Plus, wenn dieser nicht in Österreich, sondern in einem anderen Mitgliedstaat erwerbstätig ist, folglich dort Steuern und Sozialversicherungsbeiträge bezahlt, wenn der andere Elternteil Anspruch auf die österreichische Familienbeihilfe hat?