10209/J XXVII. GP

Eingelangt am 21.03.2022
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Anfrage

der Abgeordneten Dr. Stephanie Krisper, Kolleginnen und Kollegen

an die Bundesministerin für Justiz

betreffend Reaktion auf die Veröffentlichung von Sidelettern und das dort dokumentierte geplante gesetzwidrige Verhalten

 

Im Zuge der Einvernahme des amtierenden Klubdirektors der FPÖ Norbert Nemeth bei der WKStA im Verfahren gegen Sebastian Kurz wegen vermuteter Falschaussage im "Ibiza"-Untersuchungsausschuss, legte dieser unter anderem einen sogenannten "Sideletter" bestehend aus geheimen Nebenvereinbarungen zum türkis-blauen Regierungsprogramm von 2017 vor. Dabei handelt es sich um einen Beleg für politischen Postenschacher in seiner reinsten Form: Justiz, Staatsunternehmen, Europäische Institutionen, ORF, Bundespräsident - bis ins kleinste Detail wurden Vereinbarungen für Postenvergaben getroffen und dabei sogar konkrete Namen (sogar für Nach-Nachfolger von Verfassungsrichter_innen) vorgesehen. Qualifikation spielte dabei wohl nur eine Nebenrolle und Unparteilichkeit scheint sogar ungewünscht gewesen zu sein (siehe dazu etwa: https://www.profil.at/oesterreich/postenschacher-und-orf-umbau-das-geheimpapier-von-tuerkis-blau/401887412).

Nur kurz nach dem Auftauchen des türkis-blauen Sideletters wurde den Medien eine korrespondierende Vereinbarung zwischen der ÖVP und den Grünen zugespielt. Sie ist kürzer, behandelt nur Personalfragen und entspricht im Aufbau dem türkis-blauen Papier aus 2017. Bisher wurde offenbar alles weitgehend nach Plan umgesetzt (https://www.derstandard.at/story/2000132992684/was-vom-tuerkis-gruenen-sideletter-schon-realitaet-ist?ref=rec). Auch wenn in diesem Sideletter keine konkreten Namen genannt werden ist zu hinterfragen, wann das BMJ von welchen Vereinbarungen wusste und wie jeweils darauf reagiert wurde.

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende

Anfrage:

 

  1. Wann gelangten Ihnen die jeweiligen Sachverhalte zur Kenntnis, insbesondere
    1. die Existenz des türkis-blauen "Sideletters" und den darin enthaltenen Vereinbarungen;
    2. die Existenz des türkis-grünen "Sideletters" und den darin enthaltenten Vereinbarungen;
    3. die parteipolitisch motivierte Beeinflussung von Postenvergaben im Bereich des BMJ;
    4. welche der weiteren unter dem Schlagwort "Sideletter" bzw. sonst wie in diesem Zusammenhang stehenden, veröffentlichten Sachverhalte?
  1. Sah bzw. sieht man im Ministerium anlässlich der jüngst veröffentlichten "Sideletter" Handlungsbedarf?
    1. Wenn ja, inwiefern? Welcher (mögliche) Missstand wurde identifiziert, dem man es nachzugehen gilt?
    2. Wenn ja, welche Maßnahmen wurden wann ergriffen um den Missständen auf den Grund zu gehen bzw. diese zu beheben?
    3. Wenn ja, welche (weiteren) Maßnahmen werden geplant?
    4. Wenn nein, warum nicht?
  1. Welche Maßnahmen setzten Sie wann in der Folge (bitte nach Sachverhalt chronologisch auflisten)?
  2. Welche Maßnahmen setzte wer in Ihrem Hause in wessen Auftrag wann in der Folge (bitte nach Sachverhalt chronologisch auflisten)?
  3. Sind Anzeigen bzw. Beschwerden im Zusammenhang mit den oben beschriebenen Sachverhalten eingelangt? 
    1.  Wenn ja, wann jeweils zu welchem Sachverhalt?
    2. Wenn ja, wie wurde mit diesen jeweils wann wie durch wen im Auftrag von wem verfahren? 
  1. Sind in Zusammenhang mit den oben beschriebenen Sachverhalten bereits Anzeigen bei einer Staatsanwaltschaft eingelangt?
    1. Wenn ja, gegen wie viele und welche Personen richten sich diese Anzeigen? 
  1. Kam es zur Einleitung von strafrechtlichen Ermittlungen?
  2. Kam es zur Einleitung von disziplinarrechtlichen Verfahren?
    1. Wenn ja, (bitte nach Sachverhalt chronologisch auflisten) gegen wen wann durch wen im Auftrag von wem? 
  1. Kam es zur Einleitung von anderen Maßnahmen? 
    1. Wenn ja, (bitte nach Sachverhalt chronologisch auflisten) welche wann durch wen im Auftrag von wem? 
  1. Gab es nach den oben beschriebenen Enthüllungen Änderungen bei Postenbesetzungen im Ministerium?
    1. Wenn ja, wie viele und welche Stellen sind von welcher wann vorgenommenen Änderung konkret betroffen?
    2. Wenn nein, warum nicht?
  1. Im Jahr 2022 soll die Position des BVwG-Präsidenten besetzt werden, die laut türkis-grünem Sideletter der ÖVP zugeordnet wurde. Wie ist der Anspruch der ÖVP auf die Besetzung dieser Position im Lichte der Rechtslage zu beurteilen?
    1. Ist die entsprechende Vereinbarung aus Sicht des Justizministeriums weiter aufrecht?
    2. Wenn ja, wie gedenken Sie, den Anspruch der ÖVP auf diese Besetzung umsetzen zu lassen?
    3. Wenn nein, gedenken Sie, entsprechende Ansprüche oder Einflussnahmen der ÖVP bzw. ihr zuzurechender Regierungsmitglieder zu unterbinden?
    4. Ist geplant, einzelne oder mehrere Mitglieder der gemäß § 2 Abs. 3 BVwGG zur Beurteilung der Bewerber_innen zu bildenden Kommission durch die ÖVP nominieren zu lassen?
    5. Ist geplant in der durchzuführenden Ausschreibung offenzulegen, dass das Nominierungsrecht für diese Position der ÖVP zugeordnet wurde?