10226/J XXVII. GP

Eingelangt am 23.03.2022
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ANFRAGE

 

des Abgeordneten Peter Wurm

und weiterer Abgeordneter 

an die Bundesministerin für Justiz

betreffend Gehaltsexekutionen seit 1.1.2020

 

Der Alpenländische Kreditorenverband (AKV) erklärt das „Instrument“ der „Offenkundigen Zahlungsunfähigkeit“ folgendermaßen:

 

„Recht einfach erklärt – Offenkundige Zahlungsunfähigkeit

Seit Juli 2021 ist die Gesetzesnovelle in Kraft, in der zahlreiche Änderungen im Exekutionsrecht beschlossen wurden. Ziel war es unter anderem, aussichtslose Exekutionsverfahren zu vermeiden bzw. zu beenden. Stattdessen sollen die offenen Forderungen in einem Insolvenzverfahren bedient werden. Dies hat den Vorteil, dass sämtliche Forderungen zu gleichen Teilen befriedigt werden und es andererseits zu keinen Anfechtungen kommen kann, bei denen bereits im Exekutionsweg lukrierte Beträge an die Masse zurückgezahlt und neu verteilt werden müssten.

Die Einleitung dieses Verfahrens erfolgt in den folgenden vier Schritten:

1. Feststellung durch Vollzugsorgan

Die offenkundige Zahlungsunfähigkeit wird im Exekutionsverfahren vom Vollzugsorgan oder einem Verwalter festgestellt. Dies geschieht bei einem Vollzug, der zur Ermittlung von Vermögen der verpflichteten Partei dient. In diesem Fall ist mit den Exekutionshandlungen vorerst innezuhalten.

2. Entscheidung durch das Gericht

In weiterer Folge wird das Exekutionsgericht – nach Einvernahme der Parteien – die offenkundige Zahlungsunfähigkeit mittels Beschlusses feststellen.

3. Rechtskraft des Beschlusses

Wird innerhalb einer zweiwöchigen Frist kein Rekurs gegen diesen Beschluss eingebracht, ist dieser rechtskräftig.

 

4. Veröffentlichung

Nach dem Eintritt der Rechtskraft, wird die offenkundige Zahlungsunfähigkeit in der Ediktsdatei veröffentlicht. Dadurch erhalten sämtliche Gläubiger Kenntnis über die offenkundige Zahlungsunfähigkeit.

Solange die offenkundige Zahlungsunfähigkeit besteht, ruhen sämtliche Exekutionsverfahren auf das bewegliche Vermögen.

Exekutiv erworbene Pfandrechte erlöschen

·         bei Insolvenzeröffnung oder

·         wenn nicht innerhalb von 6 Monaten das Exekutionsverfahren fortgeführt wird.

Gesetzliche und vertragliche Pfandrechte können weiter exekutiert werden – diese würden auch in einem Insolvenzverfahren weiter bestehen bleiben.

Gläubiger haben die Möglichkeit, entweder einen Insolvenzantrag zu stellen oder einen Antrag auf Fortsetzung des Exekutionsverfahrens.

Eine Fortsetzung der Exekution ist allerdings nur unter den folgenden Voraussetzungen möglich:

·              Über einen Insolvenzantrag wurde binnen 3 Monaten nicht entschieden.

·              Ein Insolvenzantrag wurde mangels kostendeckenden Vermögens abgewiesen.

·              Die Zahlungsunfähigkeit liegt nicht mehr vor.

 

Dies ist der Fall, wenn beispielsweise ein Insolvenzantrag mangels Zahlungsunfähigkeit abgewiesen wurde.

Das bedeutet, dass ein Fortsetzungsantrag erst eingebracht werden kann, wenn im Vorfeld ein Insolvenzantrag eingebracht wurde.

Entscheidet das Gericht allerdings das Exekutionsverfahren fortzusetzen, kann die offenkundige Zahlungsunfähigkeit über einen Zeitraum von drei Jahren nicht mehr festgestellt werden.

Eine amtswegige Einleitung von Insolvenzverfahren wurde diskutiert, aber letztendlich nicht beschlossen. Stattdessen sollen die Gläubiger durch die Gesetzesänderungen motiviert werden, frühzeitig Insolvenzanträge zu stellen.

Um dies zu erleichtern, wurde im Privatinsolvenzbereich auch ein neues Verfahren – die Gesamtvollstreckung – geschaffen.

Trotz all dieser Änderungen bleibt die gesetzliche Verpflichtung des Schuldners, einen Insolvenzantrag zu stellen, aufrecht.

Zusätzlich bekommen auch die Schuldner einen Anreiz, rasch Insolvenzanträge zu stellen. Das RIRUG, sieht bei Feststellung der offenkundigen Zahlungsunfähigkeit Folgendes vor:

Ein Schuldner kann nur dann ein auf drei Jahre verkürztes Abschöpfungsverfahren – den Tilgungsplan – in Anspruch nehmen, wenn er innerhalb von 30 Tagen nach Feststellung der offenkundigen Zahlungsunfähigkeit die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens beantragt hat.

Und für Schuldner, die kein Unternehmen betreiben – also Privatpersonen – gilt Folgendes:

Ein Schuldner darf innerhalb dieser 30 Tage keine neuen Schulden eingehen und muss Maßnahmen zur Beseitigung der Zahlungsunfähigkeit ergriffen haben – beispielsweise einen Beratungstermin bei einer Schuldnerberatungsstelle wahrgenommen oder vereinbart haben.[1]

Unter dem Link Ediktsdatei (justiz.gv.at) werden die Fälle der „Offenkundigen Zahlungsunfähigkeit“ aufgelistet. Aktuell ist vor allem auch für die Sozial- und Konsumentenschutzpolitik von Interesse, welche Entwicklung die Fälle einer „Offenkundigen Zahlungsunfähigkeit“ seit dem Inkrafttreten österreichweit, in den einzelnen Bundesländern, aber auch in den einzelnen Bezirksgerichtssprengeln genommen haben. Daraus lassen sich dann auch weitere Maßnahmen, etwa bei der Schuldnerberatung usw. ableiten.

Hohe Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit, eine steigende Anzahl an Sozialhilfebezieher und eine zunehmende Verarmung breiter Bevölkerungsschichten sind nicht zuletzt ein Resultat unverhältnismäßiger Corona-Maßnahmen dieser türkis-grünen Bundesregierung. Dazu kommen gestörte Lieferketten und explodierende Weltmarktpreise im Zuge der aktuellen Ukraine-Krise, die zu stark steigenden Preisen auf dem Energiesektor und bei Ver- und Gebrauchsartikeln des täglichen Bedarfs geführt haben. Immer weniger Personen finden so ein Auskommen mit ihrem Einkommen. Dies führt im Resultat sehr oft auch zu Zahlungsverzug, Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit. In diesem Zusammenhang sollte man daher auch das Instrument der „Offenkundigen Zahlungsunfähigkeit“ aus justiz-, vor allem aber auch aus sozial- und konsumentenpolitischer Sicht genau beobachten.

 

In diesem Zusammenhang richten die unterfertigten Abgeordneten an die Bundesministerin für Justiz folgende  

 

ANFRAGE

 

1)    Wie hat sich die Fallzahl der „Gehaltsexekutionen“ seit dem 1.1.2020 im Monatsvergleich bis heute österreichweit entwickelt?

2)    Wie hat sich die Fallzahl der „Gehaltsexekutionen“ seit dem 1.1.2020 im Monatsvergleich bis heute in den einzelnen Bundesländern entwickelt?

3)    Wie hat sich die Fallzahl der „Gehaltsexekutionen“ seit dem Inkrafttreten im Juli 2021 im Monatsvergleich bis heute in den einzelnen Bezirksgerichts-Sprengeln entwickelt?

4)    Welche Schlüsse ziehen Sie als Justizministerin aus dieser Entwicklung?

5)    Sehen Sie als Justizministerin insbesondere auch weiteren Handlungsbedarf in der Konsumenten- und Schuldnerberatung, um „Gehaltsexekutionen“ zu reduzieren?

 



[1] Alpenländischer Kreditorenverband https://www.akv.at/akv-newsroom/recht-einfach-erklaert/offenkundige-zahlungsunfaehigkeit