10487/J XXVII. GP

Eingelangt am 01.04.2022
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Anfrage

der Abgeordneten Mag. Martina Künsberg Sarre, Kolleginnen und Kollegen

an den Bundesminister für Bildung‚ Wissenschaft und Forschung

betreffend Frühkindliche Sprachförderung und Deutschförderklassen

 

Der Erwerb der deutschen Sprache ist eine Grundvoraussetzung für eine gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben in Österreich und eine erfolgreiche Bildungslaufbahn. Eine entsprechende Sprachförderung sowohl der jeweiligen Erstsprache, als auch der Bildungssprache Deutsch muss daher bereits im Kindergarten ansetzen. Das Thema frühkindliche Sprachförderung nimmt daher auch in der Vereinbarung gemäß Art. 15a B-VG zwischen dem Bund und den Ländern über die Elementarpädagogik für die Kindergartenjahre 2018/19 bis 2021/221 eine wichtige Rolle ein. Dort wird in Art. 14 u.a. festgehalten, dass die Bundesländer jeweils mindestens 25% des Bundeszuschusses für frühe sprachliche Förderung verwenden müssen. Art. 4 sieht außerdem vor, dass "frühe sprachliche Förderung [...] in den letzten beiden Jahren vor Schuleintritt systematisch durchgeführt und besser mit der Schnittstelle zur Schule abgestimmt" wird. Zur Feststellung des Förderbedarfs von Kindern im elementarpädagogischen Bereich wurde das Beobachtungsinstrument BESK eingeführt. Der Übergang von Kindergarten zu Schule wurde durch die Einführung eines Übergabeformulares basierend auf dieser BESK-Evaluierung des Sprachstands verbessert. Durch dieses Übergabeformular sollen die Pädagog_innen der Primarstufe einen raschen Überblick über die sprachlichen Fähigkeiten bzw. den Förderbedarf ihrer Schüler_innen bei Schuleintritt erhalten.

Kinder mit Deutsch als Zweitsprache müssen bei Verdacht auf mangelhafte Sprachkenntnisse in der Bildungssprache Deutsch außerdem seit September 2018 bei Schuleintritt den sog. MIKA-D (Messinstrument zur Kompetenzanalyse – Deutsch) Test zur Sprachstandsfeststellung absolvieren. Basierend auf dessen Ergebnissen werden Schüler_innen als ordentliche Schüler_innen den Regelklassen bzw. als außerordentliche Schüler_innen den Deutschförderklassen (Primarstufe 15 Wochenstunden / Sekundarstufe 20 Wochenstunden statt Regelunterricht) bzw. Deutschförderkursen (6 Wochenstunden parallel zum Regelunterricht) zugeteilt. Diese Deutschförderklassen und Deutschförderkurse sollen Schüler_innen unterstützen, die dem Regelunterricht aufgrund mangelnder Deutschkenntnisse nicht folgen können und stehen aufgrund fehlender umfassender Evaluierungsergebnisse, der defizitorientierten Stigmatisierung, Mehrbelastung und der segregierenden Wirkung in starker Kritik, integrationshemmend und daher kontraproduktiv zu wirken und nicht aussagekräftig zu sein.

Die oben genannte Vereinbarung zur Elementarpädagogik läuft mit Ende August 2022 aus, eine neue Folgevereinbarung wird in den kommenden Wochen und Monaten zwischen Bund und Ländern verhandelt und auch die Deutschförderklassen bzw. -förderkurse existieren bald 4 Jahre. Daher scheint es notwendig, v.a. im Hinblick auf die neue Bund Länder-Vereinbarung darzulegen, inwiefern diese Maßnahmen zur Verbesserung der Deutschförderung von der Elementarpädagogik aufwärts beigetragen haben.

1 https://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=20010549

2 https://www.bmbwf.gv.at/dam/jcr:dc3a144a-7cef-4a48-ac8c-4c09b6ca14ad/dfk_eval.pdf

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende

Anfrage:

 

  1. Wie viele außerordentliche Schüler_innen gab es von 2011 bis 2021 jährlich pro Bundesland (bitte um Angabe in absoluten Zahlen und Prozent, Deutschförderklasse und Deutschförderkurs bzw. Sprachstartgruppen und Sprachförderkurse oder alternative Formen der Organisation der Deutschförderung)?
  2. Lassen sich im Hinblick auf den Anteil ao. Schüler_innen seit 2018 positive Effekte aus der aktuellen Bund-Länder-Vereinbarung zur Elementarpädagogik ablesen, die mind. 25% des Bundeszuschusses pro Bundesland für den Bereich "frühe sprachliche Förderung" veranschlagt, das Beobachtungsinstrument BESK weiterentwickelt und die sog. Übergabedokumente zum Schuleintritt vorsieht?
    1. Wenn ja, welche positiven Effekte sind das und wie gedenken Sie, diese zu verstärken?
    2. Wenn nein, welche Ursachen sehen Sie für den ausbleibenden positiven Effekt und welche weiteren Maßnahmen werden Sie setzen?
  1. Der Rechnungshof kritisiert in seinem Bericht zum Thema "Frühe sprachliche Förderung in Kindergärten" aus Mai 2021 die große Diskrepanz zwischen den Ergebnissen der Sprachstandserhebungen durch BESK im Kindergarten und MIKA-D bei der Schuleinschreibung. Es gibt offenbar bereits in den Jahren 2015/16 bis 2018/19, also als MIKA-D noch freiwillig war, einen beträchtlichen Anteil an Kindern, die bei MIKA-D aufgrund mangelnder Deutschkenntnisse nur als außerordentliche Schüler_innen eingestuft werden, die aber davor im Kindergarten auf Basis des BESK als nicht deutschförderungsbedürftig eingestuft wurden und daher keine Sprachförderung erhalten haben. Inzwischen ist der BESK überarbeitet, MIKA-D verpflichtend und ein Übergabedokument vom Kindergarten zur Volksschule vorgesehen.
    1. Wie viele Kinder im letzten Kindergartenjahr galten 2019/20 laut BESK-Einstufung als deutschförderbedürftig? Wie viele Schüler_innen der darauffolgenden 1. Schulstufe wurden basierend auf den Ergebnissen des MIKA-D im Schuljahr 2020/21 als außerordentliche Schüler_innen eingestuft und einer Deutschfördermaßnahme zugeteilt (Bitte um Aufschlüsselung nach Bundesländern)?
    2. Wie viele Kinder im letzten Kindergartenjahr galten 2020/21 laut BESK-Einstufung als deutschförderbedürftig? Wie viele Schüler_innen der darauffolgenden 1. Schulstufe wurden basierend auf den Ergebnissen des MIKA-D im Schuljahr 2021/22 als außerordentliche Schüler_innen eingestuft und einer Deutschfördermaßnahme zugeteilt (Bitte um Aufschlüsselung nach Bundesländern)?
    3. Wie viele Kinder im letzten Kindergartenjahr gelten 2021/22 laut BESK-Einstufung als deutschförderbedürftig (Bitte um Aufschlüsselung nach Bundesländern)?
    4. Wie erklären Sie sich etwaige immer noch bestehende Diskrepanzen zwischen der Anzahl der Feststellungen des Förderbedarfs im Kindergarten durch den BESK und zum Schuleintritt durch MIKA-D?
    5. Welche Maßnahmen werden Sie wann setzen, um dieser Diskrepanz weiter entgegenzuwirken?
  1. Am MIKA-D wird häufig kritisiert, dass es aufgrund des Settings nicht dazu geeignet ist, den Sprachstand eines Kindergartenkindes - das es ja zum Zeitpunkt der Schuleinschreibung noch ist - verlässlich abzubilden. Das Kind kommt für die Schulreifefeststellung in ein ihm fremdes Gebäude und wird dort ohne Eltern zu einer fremden erwachsenen Person in einen fremden Raum gebracht, um seine Deutschkenntnisse unter Beweis zu stellen. Dass in dieser Situation auch Faktoren wie Schüchternheit, Nervosität und Ablenkung die Ergebnisse prägen und nicht nur die tatsächlichen Kenntnisse, liegt auf der Hand. Gibt es Überlegungen, das Setting und/oder den Test zu verändern, etwa in den Kindergarten zu verlagern, um zu aussagekräftigeren Ergebnissen zu gelangen und wenn nein, warum nicht?
  2. Um eine Deutschförderklasse bzw. einen Deutschförderkurs zu eröffnen, müssen außerdem mindestens 8 Schüler_innen pro Schule einen solchen Förderbedarf aufweisen. Wird diese Anzahl unterschritten, werden die jeweiligen Schüler_innen integrativ, also innerhalb der Regelklassen zusätzlich gefördert. Lassen sich die MIKA-D Ergebnisse nach integrativem bzw. vom Regelunterricht getrennten Sprachförderunterricht differenzieren? 
    1. Wie viele ao. Schüler_innen konnten die Deutschförderklassen bzw. Deutschförderkurse seit deren Einführung im September 2018 bis ins Schuljahr 2021/22 nach nur einem Semester verlassen und in Deutschförderkurse bzw. den ordentlichen Status wechseln (bitte um Angabe nach Bundesländern, Schuljahren, in absoluten Zahlen sowie Prozent und ggf. nach integrativem bzw. additivem Unterricht)?
    2. Wie viele der ao. Schüler_innen konnten die Deutschförderklassen bzw. Deutschförderkurse seit deren Einführung im September 2018 bis ins Schuljahr 2021/22 nach zwei Semestern verlassen und in Deutschförderkurse bzw. den ordentlichen Status wechseln (bitte um Angabe nach Bundesländern, Schuljahren, in absoluten Zahlen sowie Prozent und ggf. nach integrativem bzw. additivem Unterricht)?
    3. Wie viele der ao. Schüler_innen konnten die Deutschförderklassen bzw. Deutschförderkurse seit deren Einführung im September 2018 bis ins Schuljahr 2021/22 nach drei Semestern verlassen und in Deutschförderkurse bzw. den ordentlichen Status wechseln (bitte um Angabe nach Bundesländern, Schuljahren, in absoluten Zahlen sowie Prozent und ggf. nach integrativem bzw. additivem Unterricht)?
    4. Wie viele der ao. Schüler_innen konnten die Deutschförderklassen bzw. Deutschförderkurse seit deren Einführung im September 2018 bis ins Schuljahr 2021/22 erst nach der maximal erlaubten Dauer von vier Semestern verlassen und in Deutschförderkurse bzw. den ordentlichen Status wechseln (bitte um Angabe nach Bundesländern, Schuljahren, in absoluten Zahlen sowie Prozent und ggf. nach integrativem bzw. additivem Unterricht)?
  1. Welche Schlüsse ziehen Sie hinsichtlich der Zahlen aus Frage 2.) und 3.) in Bezug auf die Budgetmittel für die neue Bund-Länder-Vereinbarung zur Elementarpädagogik, für die bereits im Regierungsprogramm wesentlich mehr Mittel angekündigt wurden?
  2. Welche Schlüsse ziehen Sie hinsichtlich der Zahlen aus Frage 2.) und 3.) in Bezug auf die Ausgestaltung und Umsetzung der Deutschförderklassen und Deutschförderkurse, die immer wieder in der Kritik stehen, segregierend, stigmatisierend und integrationshemmend zu wirken?
  3. Im Juni 2021 wurden die Ergebnisse einer wissenschaftlichen Evaluation im Rahmen eines "Vorprojekts zur Evaluation der Deutschförderung" bekanntgegeben.2 Darin werden von Expert_innen aus Schulen, Schulaufsicht, Bildungsministerium und Hochschulen sowohl Ziele, Wirkung als auch Mängel und Verbesserungsvorschläge der aktuellen Sprachfördermaßnahmen genannt. Welche dieser Empfehlungen und Verbesserungsvorschläge werden Sie konkret umsetzen und in welcher Form?
    1. Wann werden diese Verbesserungsvorschläge umgesetzt werden?
    2. Welche dieser Verbesserungsvorschläge werden Sie nicht umsetzen und warum nicht?
  1. Wann ist mit den Ergebnissen einer umfassenden Evaluierung der Deutschförderklassen und Deutschförderkurse konkret zu rechnen und wer führt diese Evaluierung genau durch?
  2. Für die Einrichtung einer Deutschförderklasse bzw. eines Deutschförderkurses braucht es mind. 8 Schüler_innen mit entsprechendem Förderbedarf, gibt es auch eine maximale Schüler_innen-Obergrenze pro Klasse und Kurs, um einen qualitativ hochwertigen Förderunterricht gewährleisten zu können?
    1. Wird bei der Einrichtung der Deutschförderklassen bzw. Deutschförderkurse darauf Bedacht genommen, Schüler_innen mit gleicher Muttersprache möglichst zusammenzufassen und wenn nein, warum nicht?
    2. Wird bei der Evaluierung der Deutschförderklassen und Deutschförderkurse auch untersucht, welchen Einfluss Klassengröße und homogene/heterogene sprachliche Zusammensetzung der Schüler_innen auf den Förderunterricht haben und wenn nein, warum nicht?
  1. Welche spezifischen Qualifikationen müssen Lehrende in den Deutschförderklassen und Deutschförderkursen mitbringen, welche spezifischen Schulungsangebote für Lehrende gibt es und sind diese verpflichtend?
  2. Inwiefern sind die Ergebnisse des "Vorprojekts zur Evaluierung der Deutschförderung“ in das Forschungsdesign der Studie eingeflossen? Welche Ergebnisse und Anregungen aus dem Vorprojekt wurden aufgegriffen? Welche Ergebnisse und Anregungen wurden nicht aufgegriffen und warum nicht?
  3. In der Kritik an den Deutschförderklassen wird angenommen, dass diese Deutschfördermaßnahme negative soziale Effekte hat und sich Schüler_innen der Deutschförderklassen ausgeschlossen und stigmatisiert fühlen. Werden diese Annahmen in der Evaluation überprüft und wenn ja, wie? Wenn nein, warum nicht? 
  4. Um Laufbahnverluste der ao. Schüler_innen nach Möglichkeit zu vermeiden oder gering zu halten, wird die Verschränkung von fachlichem und sprachlichem Lernen in Deutschfördermaßnahmen empfohlen. Wird in der Evaluierung der Deutschförderklassen überprüft, ob und wie diese Verschränkung gelingt? Wenn nein, warum nicht? 
  5. Die Effekte der Deutschförderklassen betreffen Kinder bzw. Jugendliche (sowohl jene in Deutschförderklassen bzw. Deutschförderkursen als auch jene in sog. Regelklassen) ebenso wie Lehrer_innen, Schulleiter_innen und Eltern. Werden die genannten Gruppen in der Evaluierung der Deutschförderklassen berücksichtigt und wenn ja, wie werden deren Erfahrungen und Einschätzungen erhoben? Wenn nein, welche Gruppen nicht und warum nicht?
  6. Wie hoch sind die Kosten der Evaluierung der Deutschförderung im Auftrag des BMBWF (bitte um möglichst detaillierte Aufschlüsselung der Kosten)?