10750/J XXVII. GP

Eingelangt am 21.04.2022
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Anfrage

der Abgeordneten Dr. Helmut Brandstätter, Kolleginnen und Kollegen

an den Bundeskanzler

betreffend BK Nehammers Bedingungen für ein Ende der Russlandsanktionen

 

Am 11. April besuchte Bundeskanzler Nehammer den russischen Kriegsherren Vladimir Putin in dessen Anwesen nahe Moskau. Laut Presseaussendung teilte der Bundeskanzler Putin mit, dass zwischen Österreich und Russland "sehr große Differenzen" bestünden – wenige Minuten danach korrigiert zu normalen "Differenzen." Auch informierte er Putin darüber, dass der ukrainische Präsident Selenskyi zu einem persönlichen Gespräch bereit sei und dass es in diesem Krieg nur Verlierer gebe. All das war Putin wohl nicht neu. 

Positive Ergebnisse aus dem Treffen gab es für Nehammer keine. Die Berichterstattung an die europäischen Partner, die der Kanzler ankündigt, dürfte also ebenfalls von spärlichem Neuigkeitswert sein. 

Ein Satz sticht aus dem Pressekommuniqué heraus: "Ich habe Präsident Putin auch in aller Deutlichkeit gesagt, dass die Sanktionen gegen Russland aufrecht bleiben und weiter verschärft werden, solange Menschen in der Ukraine sterben." Daraus erschließt sich, dass die Sanktionen sich am (kriegsbedingten) Sterben von Menschen orientieren. Wenn Putin also einem Waffenstillstand zustimmt, stehen die Diskussionen zur Debatte. Ein derartiges Statement konterkariert jedoch zwei Grundpfeiler der Politik der freien, demokratischen Welt im diesem Krieg:

  1. Das Völkerrecht ist die rote Linie (oftmaliger Originalton Schallenberg) und ein Angriffskrieg im Herzen Europas im 21. Jahrhundert darf nicht erfolgreich sein – Russland muss die international (und bis 2014 auch von Russland) anerkannten Grenzen der Ukraine wiederherstellen. 
  2. Mit Russland unter Putin ist nicht mehr zu verhandeln.

Nach Nehammers neuer roter Linie kann Putin einen Waffenstillstand ausrufen, ein Drittel der Ukraine behalten und über die Lockerung der Sanktionen zu verhandeln beginnen. Beide Grundpfeiler der westlichen Politik gegenüber diesem Okkupationskrieg wären gebrochen. Weiters wäre Putin bestärkt, beim nächsten Anzeichen innenpolitischer Schwäche einen dritten Angriffskrieg (nach 2014 und 2022) anzuzetteln, um sich weitere Teile der Ukraine, Georgiens oder Moldaus nach gleichem Strickmuster einzuverleiben. Bei weiteren derartigen Siegen würden die baltischen Staaten ein interessantes Ziel.

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende

Anfrage:

 

  1. Ist es die offizielle Linie der österreichischen Außenpolitik, dass das Ende des (kriegsbedingen) Sterbens in der Ukraine zu einem Ende der Sanktionen führen kann, selbst wenn Russland noch Teile der Ukraine völkerrechtswidrig besetzt hält?
    1. Wenn ja, welche russischen Gebietsansprüche würde die österreichische Bundesregierung akzeptieren, um Sanktionen nicht weiter zu unterstützen?
    2. Wenn nein, wie ist dieses Statement zu verstehen?
  1. Ist diese Vorgehensweise mit den europäischen und transatlantischen Partnern abgesprochen?
    1. Wenn nein, wird sich Österreich im Falle eines Waffenstillstands unilateral und gegen die Meinung der europäischen und transatlantischen Mehrheit für eine Lockerung der Sanktionen einsetzen?

                                          i.    Wenn nein, welchen Sinn hatte das Statement des Kanzlers?

  1. Welche Neuigkeiten hat der österreichische Bundeskanzler Putin überbracht? Wovon zeigte sich Putin überrascht?
  2. Warum hat der Bundeskanzler diese Informationen an Putin nicht in einem Telefonat kommuniziert, wie es etablierte internationale Spitzendiplomaten und Politiker gemacht haben, um den Narrativ der Isoliertheit Russlands nicht zu verwässern?
  3. Welche Neuigkeiten hat der Bundeskanzler von Putin erfahren?
  4. Welche internationalen Partner hat der Bundeskanzler vor der Reise mit einbezogen? 
    1. Wann wurde wer informiert? Wurden alle EU-Partnerstaaten kontaktiert?
    2. Welche Reaktionen wurden geäußert?
    3. Handelte es sich um eine Information der europäischen Partner, oder um eine Diskussion über Sinn und Unsinn der Reise?
    4. Welche Vorgangsweise wurde vereinbart?
    5. War die Aussage, dass ein Ende des Sterbens die Voraussetzung für Abschwächung oder Aussetzung der Sanktionen sei, ein Teil dieser Vereinbarungen?

                                          i.    Wenn ja, war diese Vorgehensweise einstimmig?