10834/J XXVII. GP

Eingelangt am 27.04.2022
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Anfrage

der Abgeordneten Dr. Helmut Brandstätter, Kolleginnen und Kollegen

an den Bundesminister für europäische und internationale Angelegenheiten

betreffend Rückführung von österreichischen Staatsbürger_innen aus Gefangenenlagern in Syrien

 

Nach der militärischen Niederlage des Islamischen Staates (IS) im Jahr 2017 wurden zehntausende Frauen und Kinder, die auf den Gebieten, die von der Terrororganisation kontrolliert worden waren, lebten, in Lager in Nord- und Ostsyrien verbracht. Die meisten von ihnen leben dort bis heute in unmenschlichen und lebensbedrohlichen Umständen. Die Lager sind maßlos überfüllt und es gibt keinen ausreichenden Zugang zu Wasser, Nahrung, Strom und Sanitäranlagen. Frauen und Kinder sind stetig Gewalt und sexuellen Übergriffen ausgesetzt. In den Jahren 2019 und 2020 starben insgesamt fast 530 Kinder in den Lagern. Die Lager in al-Hol und al-Roj sind mittlerweile bekannt als das "Guantanamo Europas".1

 

Laut Innenministerium befanden sich 2019 etwa 100 österreichische Staatsangehörige in den Kriegsgebieten in Syrien. Das Außenministerium ging 2021 davon aus, dass sich etwa ein Dutzend Personen mit österreichischer Staatsbürgerschaft in den kurdischen Lagern in Syrien befinden, davon sind rund die Hälfte Kinder. Diese Personen schweben in Lebensgefahr, sind enormer physischer und psychischer Gewalt ausgesetzt und den Kindern bleibt die Chance auf Bildung und eine altersgemäße Entwicklung verwehrt.

 

2019 wurden zwei Kinder einer mutmaßlich toten österreichischen IS-Anhängerin nach Österreich gebracht. Seither wurden jedoch keine weiteren Personen aus den gefährlichen Lagern zurückgeholt. Als Gründe wurden immer wieder der mangelnden konsularischen Zugang, die öffentliche Sicherheit sowie lokalen Umstände angeführt. Andere Staaten, darunter Deutschland, Finnland und Dänemark, haben jedoch mittlerweile Staatsbürger_innen aus den kurdischen Lagern zurückgeholt.

 

Die Tatsache, dass andere Staaten dies bereits getan haben, zeigt, dass eine Rückführung von Staatsbürger_innen aus den kurdischen Lagern möglich ist, wenn der politische Wille vorhanden ist. Eine Rückholung dieser Personen sollte gerade mit der Sicherstellung öffentlicher Sicherheit aber auch der Einhaltung internationaler Normen begründet sein. Expert_innen sowie die kurdische Verwaltung warnen seit langem davor, dass Anhänger_innen des IS möglicherweise untertauchen und nach Europa zurückkehren könnten, und so zu einem neuen Sicherheitsproblem werden. Eine organisierte Rückführung und allfällige Strafverfolgung dieser Personen in Österreich müsste somit auch im Interesse der österreichischen Sicherheitsbehörden liegen. Zusätzlich zu den geltenden internationalen Übereinkommen zur Terrorismusbekämpfung verpflichten mehrere verbindliche Resolutionen des UN-Sicherheitsrates – insbesondere 2178 (2014) und 2396 (2017) – die Staaten, Terroristen vor Gericht zu stellen und eine angemessene Strafverfolgung und Rehabilitierung für zurückkehrende ausländische terroristische Kämpfer sicherzustellen. Im Zuge der Diskussion um Abschiebungen weist Österreich selbst immer wieder darauf hin, dass es zentral ist, straffällig gewordene ausländische Staatsbürger_innen, die keine Aufenthaltsberechtigung haben, in ihre Herkunftsländer abzuschieben.  Die katastrophale Versorgungslage in den Lagern macht die Rückholung außerdem zu einer humanitären Verpflichtung, die sich z.B. aus der UN-Kinderrechtskonvention ergibt. 

 

 

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1 https://www.justiceinitiative.org/uploads/d9762590-424c-4cb6-9112-5fedd0d959d1/european-states’-obligations-to-repatriate-the-children-detained-in-camps-in-northeast-syria-20210722.pdf

 

 

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende

Anfrage:

 

  1. Wie viele österreichische Staatsbürger_innen halten sich derzeit in den Lagern al-Hol und al-Roj? Bitte um Bekanntgabe der Anzahl ohne sonstige personenbezogene Daten.
  2. Wie viele Kinder mit österreichischer Staatsbürgerschaft befinden sich in den oben genannten Camps?
    1. Wie viele dieser Kinder sind schulpflichtig?
  1. Ist Ihnen bekannt, ob diese Kinder Zugang zu Schulbildung haben? 
    1. Wenn ja, in welcher Sprache und nach welchen Standards? 
    2. Wenn nein, was gedenkt die Bundesregierung zu tun, wenn die Kinder ohne Schulbildung zurück nach Österreich kommen?
  1. Wie ist der gesundheitliche und psychische Zustand der österreichischen Staatsbürger_innen in den drei Lagern?
  2. Stehen Sie in Kontakt mit den österreichischen Staatsbürger_innen in den kurdischen Lagern?
    1. Wenn ja, wie kommunizieren Sie mit den Personen?
    2. Wenn ja, wie oft sind Sie mit den Personen in Kontakt?
  1. In der Anfragebeantwortung 447/AB schreibt das Außenministerium, dass ein Rückkehrwunsch Voraussetzung für eine Rückholung ist. Wie viele der österreichischen Staatsbürger_innen haben einen Rückkehrwunsch nach Österreich geäußert?
    1. Gibt es eine Kontaktaufnahme mit den österreichischen Staatsbürger_innen, um den Rückkehrwunsch zu erheben?
  1. Weshalb hat eine Rückführung der Österreicher_innen nach Österreich bisher nicht stattgefunden?
    1. Welche Umstände haben eine Rückführung bisher verunmöglicht? Bitte nennen Sie alle rechtlichen, logistischen und sicherheitspolitischen Gründe.
    2. Wie erklären Sie, dass Rückholungen durch z.B. Deutschland und Finnland möglich waren, durch Österreich jedoch nicht.
  1. Besteht derzeit der politische Wille, die Frauen und ihre Kinder aus den Lagern in Syrien zurück nach Österreich zu holen?