10899/J XXVII. GP

Eingelangt am 29.04.2022
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Anfrage

der Abgeordneten Dr.in Petra Oberrauner, Genossinnen und Genossen

an die Bundesministerin für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort

betreffend Lobbying für ein Investorengericht in der EU

2018 entschied der EuGH in seinem Achmea-Urteil, dass Investor-Staat-Schiedsverfahren zwischen EU-Staaten unzulässig sind und auch Unternehmen vor reguläre Gerichte ziehen müssen.

2021 verdeutlichte der EuGH diese Position noch einmal, indem er in einem weiteren Urteil feststellte, dass private Schiedsgerichte auch im Rahmen des Energiecharta-Vertrags nicht mit EU-Recht vereinbar sind. 

Der Großteil der EU-Mitgliedstaaten hat als Reaktion auf das Achmea-Urteil bereits im Jahr 2020 in einem gemeinsamen Vertrag die Beendigung aller EU-intern geschlossenen bilateralen Investitionsschutzverträge vereinbart. Die türkis-grüne Regierung scheint sich jedoch nur schwer von der unrechtmäßigen Paralleljustiz für Konzerne trennen zu können.  Österreich trat dem Vertrag nicht bei und beendet zurzeit seine Investitionsschutzabkommen mit anderen EU-Staaten so zögerlich, dass die EU-Kommission am 2. Dezember 2021 ankündigte, ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Österreich einzuleiten.[1] 

Im Sommer 2021 berichteten sowohl Profil als auch Spiegel, dass europäische Konzerne als Reaktion auf das Achmea-Urteil und die Beendigung der innereuropäischen Investitionsschutzabkommen  begonnen haben, intensiv bei der EU-Kommission und in den EU-Mitgliedstaaten für ein neues EU-internes und rechtskonformes System der Paralleljustiz zu lobbyieren.[2]  

Unterstützung hierfür sollen die lobbyierenden Konzerne, laut Profil, auch von der österreichischen Wirtschaftsministerin Schramböck erhalten, die sich in Brüssel ebenfalls für ein spezielles EU-Investorengericht ausgesprochen haben soll und auf „ambitionierte Vorschläge“ hofft.[3]

In der Tat arbeitet die EU-Kommission zurzeit an einem Vorschlag zum besseren Schutz privater grenzüberschreitender Investitionen, der auch ein EU-Investorengericht beinhalten könnte.

Mit Investorengerichten würden internationale Investor*innen und Konzerne eine bevorzugte juristische Behandlung erhalten, zu Lasten und zum Nachteil von Staaten und deren Bürgerinnen und Bürgern. Demokratische Entscheidungen und Gesetze, die dem Gemeinwohl dienen (bspw. faire Steuergesetze, Umwelt- und Klimaschutz, Arbeitnehmer*innenrechte), können durch die Sonderklagerechte für Investor*innen leichter ausgehebelt oder allein durch die Androhung millionenschwerer Schadensersatzklagen verhindert werden (chilling effect).

Zum Energiecharta-Vertrag, dessen Investor-Staat-Schiedsverfahren laut EuGH ebenfalls nicht mit EU-Recht vereinbar sind, laufen derzeit Modernisierungsverhandlungen, die bis Mitte Juni abgeschlossen sein sollen. Dabei wird über einen „flexiblen“ Ansatz zum Auslaufenlassen des Investitionsschutzes in fossile Energieträger diskutiert mit langen Übergangsfristen teils bis 2040.  
Der Weltklimarat bezeichnet in seinem jüngsten Bericht vom 4. April 2022 den
multilateralen Energiecharta-Vertrag mit seinen Investor-Staat-Schiedsverfahren als Hürde am Weg zur Energiewende.[4]

 

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende

ANFRAGE

1.       Warum ist Österreich 2020 nicht dem Vertrag zur Beendigung aller EU-intern geschlossenen  bilateralen Investitionsschutzverträge beigetreten?

2.       Gab es in den vergangenen vier Jahren Gespräche zwischen Investor*innen/ Unternehmensvertreter*innen und ihrem Ministerium, in denen die Einrichtung eines EU-Investorengerichts als Alternative zu den in den zu beendenden bilateralen Investitionsschutzabkommen enthaltenen Investor-Staat-Schiedsverfahren thematisiert wurden? 

3.       Falls ja: Um welche Investor*innen/Unternehmensvertreter*innen handelt es sich?

4.       Setzen Sie sich als Wirtschaftsministerin für eine Alternative zu den für rechtswidrig erklärten bilateralen Investitionsschutzverträgen und den darin enthaltenen Investor-Staat-Schiedsverfahren innerhalb der EU ein?

5.       Falls ja, für welche Alternative und beinhaltet diese Alternative ein EU-Investorengericht?

6.       Haben Sie sich als Wirtschaftsministerin auf EU-Ebene für die Einrichtung eines EU-Investorengerichts ausgesprochen?

a)       Falls ja: wann und welchen EU-Einrichtungen gegenüber? 

b)      Falls nein: haben Sie sich für alternative Systeme zum Investorenschutz ausgesprochen  und falls ja, für welche?

7.       Die EU Kommission hatte angekündigt, bereits im 4. Quartal 2021 einen Vorschlag für den grenzüberschreitenden Schutz von Investitionen in der EU zu präsentieren. Was ist Ihrem Wissen nach der aktuelle Stand bei dieser Initiative der Europäischen Kommission?

8.       Wie bewerten Sie die Feststellung im aktuellen Bericht des Weltklimarates, dass der Energiecharta-Vertrag mit seinen Investor-Staat-Schiedsverfahren eine Hürde am Weg zur Energiewende ist?

9.       Welche Position vertreten Sie bei den Modernisierungsverhandlungen des Energiecharta-Vertrags mit Blick auf die kritisierten Investor-Staat-Schiedsverfahren und die angedachten - teilweise sehr langen (bis 2040) - Übergangsfristen beim Auslaufenlassen des Schutzes von Investitionen in fossile Energieträger?



[1] https://ec.europa.eu/atwork/applying-eu-law/infringements-proceedings/infringement_decisions/index.cfm?lang_code=DE&typeOfSearch=false&active_only=0&noncom=0&r_dossier=&decision_date_from=02%2F12%2F2021&decision_date_to=02%2F12%2F2021&EM=AT&title=&submit=Suche

 

[2] https://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/investitionsschutz-konzerne-kaempfen-fuer-neue-sonderrechte-in-europa-a-25ac18fb-daa6-49ab-9ec4-8294795e0bde, https://www.profil.at/wirtschaft/bekommt-die-eu-ein-eigenes-investorengericht/401426241

 

[3] https://www.profil.at/wirtschaft/bekommt-die-eu-ein-eigenes-investorengericht/401426241

[4] https://report.ipcc.ch/ar6wg3/pdf/IPCC_AR6_WGIII_FinalDraft_FullReport.pdf