10901/J XXVII. GP

Eingelangt am 29.04.2022
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Anfrage

der Abgeordneten Dr. Stephanie Krisper, Kolleginnen und Kollegen

an den Bundesminister für Inneres

betreffend Was wird gegen Menschenhandel getan?

 

Art 3 lit. a des Palermo-Protokolls definiert Menschenhandel als „Anwerbung, Beförderung, Verbringung, Beherbergung oder Aufnahme von Personen durch die Androhung oder Anwendung von Gewalt oder anderen Formen der Nötigung, durch Entführung, Betrug, Täuschung, Missbrauch von Macht oder Ausnutzung besonderer Hilflosigkeit oder durch Gewährung oder Entgegennahme von Zahlungen oder Vorteilen zur Erlangung des Einverständnisses einer Person, die Gewalt über eine andere Person hat, zum Zweck der Ausbeutung“.

Menschenhandel stellt zugleich eine schwerwiegende Menschenrechtsverletzung und eine der größten Formen der organisierten Kriminalität dar: Der weltweite Markt für Waren und Dienstleistungen von Opfern des Menschenhandels beträgt schätzungsweise 150 Milliarden Dollar pro Jahr. Eine der häufigsten Formen des Menschenhandels ist sexuelle Ausbeutung, welche über die Hälfte aller weltweit identifizierten Opfer des Menschenhandels ausmacht. Insbesondere Frauen und Mädchen sind davon stark betroffen: sie repräsentieren 92 % der weltweit identifizierten Opfer der sexuellen Ausbeutung. Auch Minderheiten sowie Menschen auf der Flucht sind Risikogruppen und sollen überproportional von Menschenhandel betroffen sein. Die aktuellen Kriegssituation in der Ukraine rückt das Thema Menschenhandel verstärkt in den Blickpunkt. Nach Angaben des UNHCR sind mit Stand 13. April 2022 über 4,5 Millionen Menschen aus der Ukraine, vor allem Frauen und Kinder, geflohen. Seit dem zweiten Weltkrieg gab es keine derartige Fluchtbewegung. Auf der Flucht sind Schutzsuchende zahlreichen Gefahren wie Ausbeutung und Menschenhandel ausgesetzt, so Europol. Laut Medienberichten stieg seit dem Beginn des Angriffskriegs Russlands gegen die Ukraine in Österreich das Interesse an ukrainischen Frauen und Warnungen vor Menschenhändlern werden lauter. Gerade bei der privaten Unterbringung besteht das Risiko des Missbrauchs.  

Dass Österreich effektiver gegen Menschenhandel vorgehen sollte, ist nichts Neues. Bereits im August 2019 publizierte die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) nach einem Länderbesuch in Österreich einen Bericht mit einem umfangreichen Empfehlungskatalog. Desgleichen veröffentlichte im Juni 2020 die Expertengruppe des Europarates für die Bekämpfung des Menschenhandels (GRETA) einen Bericht, in dem insbesondere der in Österreich schwierige Zugang zur Geltendmachung von Entschädigungsansprüchen kritisiert wurde.

Im Juni 2021 veröffentlichte die OSZE einen weiteren Bericht zur Bekämpfung des Menschenhandels, laut welchem es notwendig ist – gerade in Bezug auf sexuelle Ausbeutung – der Nachfrage entgegenzuwirken. Nur so können die finanziellen Beweggründe des Menschenhandels eingedämmt werden. Gleichzeitig gilt es, proaktive Ansätze zur Bekämpfung des Menschenhandels zu entwickeln, etwa durch Präventionsmaßnahmen.

Die rechtliche Verpflichtung, in der Bekämpfung des Menschenhandels der Nachfrage entgegenzuwirken, besteht bereits. Als Vertragsstaat des Palermo-Protokolls ist Österreich gemäß Art 9 Abs 5 verpflichtet, „gesetzgeberische oder sonstige Maßnahmen [zu treffen oder zu verstärken], wie etwa erzieherische, soziale oder kulturelle Maßnahmen, so auch durch zwei- und mehrseitige Zusammenarbeit, um der Nachfrage entgegenzuwirken, die alle Formen der zum Menschenhandel führenden Ausbeutung von Personen, insbesondere von Frauen und Kindern, begünstigt.“ Auch das Übereinkommen des Europarats gegen den Menschenhandel (Art 6) und die Richtlinie der Europäischen Union gegen den Menschenhandel (Art 18) sind für Österreich rechtlich bindend und beinhalten ähnliche Verpflichtungen. In der Praxis wird diesen Verpflichtungen aber selten Rechnung getragen. Im Jahr 2018 gab es EU-weit lediglich 63 Verurteilungen von Personen, die wissentlich die Dienste von Opfern des Menschenhandels in Anspruch genommen haben, obwohl 2018 knapp 14.000 Menschen als Opfer von Menschenhandel identifiziert wurden.

Am 11. Januar 2022 fand eine Aussprache mit Valiant Richey, OSZE-Sonderbeauftragter für die Bekämpfung des Menschenhandels, statt. Daraus ergab sich ebenfalls, dass Österreich effektiver gegen Menschenhandel vorzugehen hat. Obwohl sich das Regierungsprogramm 2020-2024 „wirksame Maßnahmen zur Verhütung und Bekämpfung von Schlepperei und des Menschenhandels, insbesondere des Frauen- und Kinderhandels sowie von Ausbeutung“ zum Ziel setzt, ist Österreich säumig. Zahlreiche Empfehlungen und eine Darstellung der aktuellen Lage in Österreich verdeutlichen einen dringenden Handlungsbedarf. Etwa ist in Österreich die wissentliche Inanspruchnahme von sexuellen Dienstleistungen von Opfern des Menschenhandels nicht unter Strafe gestellt. Auch die in § 205a StGB normierte Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung nimmt auf Menschenhandel keinen Bezug, deckt den Ausbeutungsaspekt nicht ab und stimmt somit nicht mit dem Palermo-Protokoll überein. Desweiteren stellt § 28c Abs 2 Z 2 AuslBG die Beschäftigung eines Ausländers ohne Aufenthaltsrecht, unter Nutzung seiner unter Zwang erbrachten Arbeiten oder Leistungen – mit Wissen, dass er/sie Opfer von Menschenhandel ist - unter Strafe. Er erfasst allerdings nicht innerösterreichischen und europäischen Menschenhandel, obwohl in Österreich 48% der identifizierten Opfer von Menschenhandel EU-Bürger_innen sind. Darüber hinaus betrachtet diese Norm Menschenhandel eher als ein Verbrechen gegen den Staat als ein Verbrechen gegen die Betroffenen. Desgleichen versäumt es der Nationale Aktionsplan zur Bekämpfung des Menschenhandels 2021-2023 den Aspekt der Nachfrage zu thematisieren. Außerdem gäbe es in Österreich keine vom Staat ausgehenden Präventionsmaßnahmen gegen Menschenhandel. Zur Diskussion stand eine Reihe an Mängeln, die sich sowohl auf die Bekämpfung des Menschenhandels in Österreich als auch auf die Versorgung der Opfer negativ auswirken. Um die Vorgehensweise der Bundesregierung bei der Bekämpfung des Menschenhandels zu bewerten, erscheinen Informationen zum Stand der Umsetzung der verschiedenen Empfehlungen notwendig.

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende

Anfrage:

 

  1. Wann hat wer in Ihrem Ressort welche konkreten Maßnahmen zur Umsetzung der Empfehlungen der OSZE bezüglich der rechtlichen und politischen Rahmenbedingungen zur Bekämpfung des Menschenhandels gesetzt?
    1. Welche Maßnahmen wurden wann gesetzt, um die Irrelevanz der Zustimmung des Opfers zur beabsichtigten Ausbeutung in den relevanten Rechtsvorschriften zu verankern?
    2. Wann wurden welche Maßnahmen zur Verbesserung des Monitorings und der Evaluierung von Initiativen zur Bekämpfung des Menschenhandels gesetzt?
    3. Wann wurden welche Maßnahmen zur Verbesserung der Datenerfassung und -analyse im Bereich Menschenhandel gesetzt?

                                          i.    Welche Daten werden im Bereich Menschenhandel erhoben? Welche nicht?

                                        ii.    Falls Maßnahmen gesetzt worden sind: Wie werden die Daten verwendet, um effektiver gegen Menschenhandel vorzugehen?

    1. Falls noch keine Maßnahmen gesetzt worden sind: Wann werden Sie welche konkreten Maßnahmen setzen?

                                          i.    Sollten keine Maßnahmen geplant sein, warum nicht?

  1. Wann hat wer in Ihrem Ressort welche konkreten Maßnahmen zur Umsetzung der Empfehlungen der OSZE bezüglich der Verbesserung der Identifizierung sowie des Schutzes der Opfer von Menschenhandel gesetzt?
    1. Wurde ein Mechanismus zur Identifizierung und Vermittlung erwachsener Opfer des Menschenhandels an Hilfseinrichtungen entwickelt?

                                          i.    Wenn ja, wird dieser angewendet?

                                        ii.    Wenn ja, seit wann mit welchem Ergebnis?

    1. Welche Maßnahmen wurden wann gesetzt, um die Identifizierung und Unterstützung von Opfern des Menschenhandels zu optimieren, wenn sie

                                          i.    im Bereich der Prostitution tätig sind?

                                        ii.    sich im laufenden Asylverfahren befinden?

                                       iii.    sich in Anhalte- oder Schubhaftzentren befinden?

                                       iv.    zum Zweck von erzwungenen kriminellen Aktivitäten ausgebeutet werden?

                                        v.    minderjährig sind?

    1. Mit welchem Ergebnis seit wann jeweils?
    2. Wann wurden welche Maßnahmen zur Bekämpfung der Ausbeutung von Kindern gesetzt?

                                          i.    Mit welchem Ergebnis?

    1. Wann wurden welche Maßnahmen zur Verbesserung der Betreuung von Kindern in Aufnahme- und vorübergehenden Schutzzentren und generell zur Verbesserung des Kinderschutzsystems gesetzt?

                                          i.    Mit welchem Ergebnis?

    1. Wurde ein bundesweites Konzept zum Schutz und zur Unterstützung von Opfern des Kinderhandels, u.a. durch den Aufbau von sicheren Unterkünften, entwickelt?

                                          i.    Mit welchem Ergebnis?

    1. Welche Maßnahmen wurden wann zur effektiven Bekämpfung des „labour trafficking“ gesetzt, insbesondere in Branchen, wo ein höheres Risiko der Ausbeutung fremder Menschen besteht, wie Baugewerbe, Landwirtschaft und Gastgewerbe?

                                          i.    Mit welchem Ergebnis?

    1. Welche Maßnahmen wurden wann gesetzt, um die Erholungs- und Bedenkzeit, die (potenziell) Betroffenen von Menschenhandel zusteht, rechtlich zu verankern?
    2. Welche Maßnahmen wurden wann gesetzt, um die Erteilung von Aufenthaltstiteln für Betroffene von Menschenhandel zu vereinfachen?

                                          i.    Mit welchem Ergebnis?

    1. Welche Maßnahmen wurden wann gesetzt, um mit zivilgesellschaftlichen Organisationen in der Bekämpfung des Menschenhandels effektiv zusammenzuarbeiten?
    2. Falls noch keine Maßnahmen gesetzt worden sind: Wann werden Sie welche konkreten Maßnahmen setzen?

                                          i.    Sollten keine Maßnahmen geplant sein, warum nicht?

  1. Wann hat wer in Ihrem Ressort welche konkreten Maßnahmen zur Umsetzung der Empfehlungen der OSZE bezüglich der Prävention von Menschenhandel gesetzt?
    1. Wann wurden welche Präventionsmaßnahmen gesetzt, um gegen Menschenhandel vorzugehen?
    2. Wie hoch beliefen sich die Kosten für Präventionsmaßnahmen gegen Menschenhandel?
    3. Welche Präventionsmaßnahmen wurden wann gesetzt, um sicherzustellen, dass Opfer von Menschenhandel keinen Überstellungen gemäß Dublin III-VO unterliegen?

                                          i.    Mit welchem Ergebnis?

    1. Welche Maßnahmen wurden wann gesetzt, um den Zugang zum Arbeitsmarkt für Asylsuchende zu vereinfachen – und somit das Risiko der Ausbeutung von Asylsuchenden zu minimieren?
    2. Wann wurden welche Maßnahmen zur Sensibilisierung bzw. Schulung bzw. Fortbildung des Fachpersonals, das mit Opfern von Menschenhandel in Kontakt tritt (z.B. Betreuer_innen in Hilfseinrichtungen, Betreuer_innen in Einrichtungen für Asylwerber_innen, Polizei usw.) gesetzt?
    3. Falls noch keine Maßnahmen gesetzt worden sind: Wann werden Sie welche konkreten Maßnahmen setzen?

                                          i.    Sollten keine Maßnahmen geplant sein, warum nicht?

  1. Wann hat wer in Ihrem Ressort welche konkreten Maßnahmen zur Umsetzung der Empfehlungen von GRETA, die Mitwirkung von Österreich gegen Menschenhandel auf internationaler Ebene zu intensivieren, gesetzt?
  2. Wann hat wer in Ihrem Ressort welche konkreten Maßnahmen gesetzt, um der Nachfrage im Zusammenhang mit Menschenhandel entgegenzuwirken?
    1. Wann hat wer in Ihrem Ressort welche konkreten Maßnahmen gesetzt, um das Palermo-Protokoll vollständig zu implementieren?
    2. Wann hat wer in Ihrem Ressort welche konkreten Maßnahmen gesetzt, um das Ziel, der Nachfrage im Zusammenhang mit Menschenhandel entgegenzuwirken, in nationalen Aktionsplänen und Strategien gegen Menschenhandel zu integrieren?
  1. Gibt es ein Monitoring der Orte, an denen sexuelle Dienstleistungen angeboten werden, um dem Risiko der sexuellen Ausbeutung vorzubeugen?
    1. Mit welchem Ergebnis?
  1. Wann hat wer in Ihrem Ressort welche konkreten Maßnahmen gesetzt, um einen ganzheitlichen Ansatz zur Bekämpfung des Menschenhandels zu entwickeln?
  2. Wann hat wer in Ihrem Ressort welche konkreten Maßnahmen gesetzt, um auf EU-Ebene die Bekämpfung des Menschenhandels zu fördern?
    1. Wann hat wer in Ihrem Ressort welche konkreten Maßnahmen gesetzt, um auf EU-Ebene einen Daten- und Informationsaustausch im Bereich Menschenhandel zu verbessern?
    2. Wann hat wer in Ihrem Ressort welche konkreten Maßnahmen gesetzt, um auf EU-Ebene die Identifizierung von Opfer von Menschenhandel zu verbessern?
    3. Wann hat wer in Ihrem Ressort einen „Focal Point“ zur polizeilichen Kooperation in der Bekämpfung des Menschenhandels auf EU-Ebene bekanntgegeben?
  1. Wann hat wer in Ihrem Ressort welche konkreten Maßnahmen gesetzt, um auf EU-Ebene einen Daten- und Informationsaustausch im Bereich Kinderhandel zu fördern?
    1. Wann hat wer in Ihrem Ressort welche konkreten Maßnahmen gesetzt, um auf EU-Ebene einen Daten- und Informationsaustausch zum europaweiten Phänomen der verschwundenen minderjährigen Asylsuchenden zu fördern?
    2. Wann hat wer in Ihrem Ressort welche konkreten Maßnahmen gesetzt, um auf EU-Ebene die Identifizierung von Opfer von Kinderhandel zu fördern?
  1. Wann hat wer in Ihrem Ressort welche konkreten Maßnahmen gesetzt, um die Abschiebung von Menschen zu verhindern, die sich als potenzielle Opfer in einem Verfahren wegen Menschenhandels befinden?
    1. Mit welchem Ergebnis?
    2. Wie viele Opfer von Menschenhandel wurden seit 2016 bis zum Zeitpunkt der Anfragebeantwortung abgeschoben, nachdem sie als solche identifiziert worden sind?
  1. Den Straftatbestand Menschenhandel gem § 104a StGB gibt es seit 2016. Wie viele Strafanzeigen gab es auf dieser Grundlage seit Inkrafttreten des Straftatbestands bis zum Zeitpunkt der Anfragebeantwortung? Bitte um Aufschlüsslung nach Monat und Staatsangehörigkeit. 
  2. Den Straftatbestand Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung gem § 205a StGB gibt es seit 2016. Wie viele Strafanzeigen gab es auf dieser Grundlage seit Inkrafttreten des Straftatbestands bis zum Zeitpunkt der Anfragebeantwortung? Bitte um Aufschlüsslung nach Monat und Staatsangehörigkeit. 
  3. Wer in Ihrem Ressort hat in Hinsicht auf die derzeitige Fluchtbewegung aus der Ukraine spezifische Maßnahmen gesetzt, um Schutzsuchende aus der Ukraine vor Ausbeutung und Menschenhandel zu bewahren? 
    1. Wenn ja, wann und welche? 
    2. Mit welchem Ergebnis jeweils?
    3. Wie wird sichergestellt, dass Schutzsuchende, die in privaten Quartieren untergebracht sind, bestmöglich vor dem Risiko des Menschenhandels geschützt werden?

                                          i.    Welche Vergabekriterien werden seit wann angewendet?

1.    Mit welchem Ergebnis?

                                        ii.    Welche Kontrollmechanismen stehen seit wann zur Verfügung?

1.    Mit welchem Ergebnis?