10935/J XXVII. GP
Eingelangt am 05.05.2022
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Anfrage
der Abgeordneten Dr. Johannes Margreiter, Kolleginnen und Kollegen
an die Bundesministerin für Justiz
betreffend Verlässlichkeit des KSV1870
Insolvenzen haben gravierende volkswirtschaftliche Auswirkungen und bringen jährlich ein Forderungsvolumen (=Forderungsausfall) der geschädigten Gläubiger in der Höhe von hunderten Millionen und mehr (KSV1870: 2020 iHv EUR 144 Mio, 2019 iHv EUR 161 Mio) mit sich. Staatliche Hilfen, das Aussetzen der Insolvenzantragspflicht sowie Steuerstundungen haben Unternehmensinsolvenzen in den letzten zwei Jahren regulativ auf einem niedrigen Niveau gehalten: Im Vergleich zu den 2019 angemeldeten 5.059 Unternehmensinsolvenzen, wurden im Jahr 2020 3.155 Insolvenzen verzeichnet. Das Ende der staatlichen Covid-Hilfsleistungen, der Krieg in der Ukraine sowie die hohen Energie- und Rohstoffpreise steigern das Risiko von Zahlungsausfällen und Insolvenzen in Österreich massiv.
Bevorrechtete Gläubigerschutzverbände nehmen Gläubigerinteressen in diesen Insolvenzverfahren wahr. Nach § 266 Insolvenzordnung (IO) kann Vereinen durch den Bundesminister für Justiz mit Verordnung die Stellung eines bevorrechteten Gläubigerschutzverbandes zuerkannt werden. Gemäß § 266 Abs 2 IO muss ein bevorrechteter Gläubigerschutzverband verlässlich sein, nimmt er doch gleichsam als Treuhänder Gläubigerinteressen wahr. Er darf nicht auf Gewinn ausgerichtet sein. Damit haben Gläubigerschutzverbände eine hohe rechtsstaatliche und volkswirtschaftliche Verantwortung, hinsichtlich welcher die Aufsicht dem BMJ obliegt. Das Vorrecht ist gemäß § 266 Abs 5 IO mit Verordnung (contrarius actus) zu entziehen, wenn die Voraussetzungen der Verleihung wegfallen sind.
Der Kreditschutzverband von 1870 (KSV1870) ist der größte (von derzeit vier) bevorrechteten Gläubigerschutzverbänden und vertritt im Insolvenzfall die Interessen seiner – nach eigenen Angaben – mehr als 30.000 Mitglieder (hierzu ausführlicher unter: https://www.ksv.at/unternehmen/organisation). Der KSV1870 ist zu 100 Prozent an der KSV1870 Holding AG beteiligt, welche ihrerseits jeweils Alleingesellschafterin der beiden Tochtergesellschaften KSV1870 Information GmbH und KSV1870 Forderungsmanagement GmbH ist.
Die Zentrale Staatsanwaltschaft zur Verfolgung von Wirtschaftsstrafsachen und Korruption (WKStA) führt gegen die KSV1870 Forderungsmanagement GmbH, ihren ehemaligen Geschäftsführer Mag. Johannes Eibl (bis 09.03.2017), den ehemaligen Prokuristen und derzeitigen Geschäftsführer seit 06.03.2017 Walter Koch ua strafrechtliche Ermittlungen zu AZ 19 St 9/21k. Der KSV1870 als Dachorganisation der KSV1870 Forderungsmanagement GmbH steht im Mittelpunkt der Ermittlungen.
Ermittlungsthema des Strafverfahrens ist, dass die KSV 1870 Forderungsmanagement GmbH im Wissen, dass der ehemalige Wirtschaftsanwalt RA Dr. Mathes bereits spätestens ab Ende 2011 zahlungsunfähig war, diesem weitere Eintreibungsklienten zugeführt hat. Diese pflichtgemäße Kenntnis des KSV1870 über die Zahlungsunfähigkeit des Dr. Mathes wird durch ein Gutachten des Wirtschaftsprüfers und Steuerberaters Dr. Andreas Staribacher bestätigt.
RA Dr. Mathes hatte zuvor viele Jahre vor den Augen des KSV1870 Klientengelder pflichtwidrig hin- und hergeschoben um seinen exzessiv aufwändigen Lebensstandard (Villa in Perchtoldsdorf, Firmenbeteiligungen, Yacht und Wohnungen in Kroatien, Luxus-PKWs etc) zu finanzieren.
Er wollte seine Malversationen beenden und bot dem KSV1870 die Niederlegung der Rechtsanwaltschaft an. Der KSV1870 veranlasste ihn aber neue vom KSV1870 vermittelte Mandate zu übernehmen, wobei die eingehenden Forderungen gezielt – abgesichert durch Notariatsakte – vorwiegend der Allianz zugeführt wurden, weil die Allianz besonders hohe Forderungsrückstände hatte. Der KSV1870 wollte mithelfen, diese bei gleichzeitiger Benachteiligung der anderen Gläubiger abzubauen. Mathes geriet in eine noch ausweglosere Situation und beging schließlich am 13.10.2014 Selbstmord.
Es folgten zunächst zahlreiche Anfechtungsklagen des Masseverwalters im Insolvenzverfahren der Verlassenschaft nach Dr. Mathes, unter anderem auch gegen die Allianz Elementar Versicherungs-Aktiengesellschaft. Zum Teil mussten diese Beträge, mit denen die Allianz bevorzugt worden war, unter Mitwirkung des KSV1870 zurückbezahlt werden. Die Allianz schloss mit dem Masseverwalter unter Einbindung des KSV1870 einen Geheimvergleich vor dem Handelsgericht Wien ab. Dadurch gelang es bis zur Einleitung dieses Strafverfahrens den Inhalt dieser teilweisen Rückführung begünstigter Zuwendungen an die Allianz vor der Öffentlichkeit zu verbergen.
Das gesamte Ausmaß dieser malversiven Gläubigerbegünstigung könnte wohl nur festgestellt werden, wenn das Strafgericht den E-Mail-Verkehr zwischen KSV1870 und Allianz sowie innerhalb dieser Unternehmungen sicherstellt.
Im Lichte dieser von einer Tochtergesellschaft des KSV 1870 mutmaßlich zu verantwortenden Malversationen sollte die gesamte Thematik jedenfalls das BMJ als Aufsichtsbehörde für Gläubigerschutzverbände interessieren (§ 266 IO). Zu prüfen und zu beobachten ist, ob die Verlässlichkeit des KSV1870 als bevorrechteter Gläubigerschutzverband noch gegeben ist, dies insbesondere aufgrund des Verdachts, ob die Wahrnehmung der gesetzlich übertragenen Aufgaben durch den KSV1870 noch gewährleistet ist.
Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende