10978/J XXVII. GP

Eingelangt am 18.05.2022
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Anfrage

der Abgeordneten Dr. Stephanie Krisper, Mag. Yannick Shetty, Kolleginnen und Kollegen

an die Bundesministerin für Frauen‚ Familie‚ Integration und Medien

betreffend Inwiefern erfüllt der Staat seine Verpflichtungen gegenüber Flüchtlingen aus der Ukraine? 

Der bewaffnete Konflikt in der Ukraine hat dramatische Folgen für die Zivilbevölkerung. Seit der russischen Invasion am 24. Februar 2022 werden ukrainische Städte bombardiert und zivile Infrastruktur wird zerstört – es werden zahlreiche Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht gemeldet - hunderte Zivilist_innen sind bereits gestorben. Dadurch wurden viele Menschen dazu gezwungen, ihre Heimat zu verlassen, um sich in den Nachbarländern in Sicherheit zu bringen.

Nach Angaben des UNHCR sind mit Stand 26. April 2022 über 5 Millionen Menschen aus der Ukraine geflohen. Laut UNO gab es seit dem zweiten Weltkrieg keine Fluchtbewegung, die so schnell gewachsen ist. Und derzeit steht kein Ende des Konflikts in Sicht. Schätzungen zufolge könnte die Anzahl an Schutzsuchenden aus der Ukraine sogar auf 10 Millionen ansteigen. Die Versorgung und Unterbringung von hunderttausenden Menschen birgt erhebliche logistische, finanzielle und institutionelle Herausforderungen für die Aufnahmestaaten, insbesondere für die Nachbarstaaten der Ukraine, in denen sich aktuell die meisten Schutzsuchenden aufhalten – allein in Polen halten sich knapp 3 Millionen Menschen aus der Ukraine auf (Stand 26. April). Das Ausmaß der humanitären Krise wird nach wie vor unterschätzt. Es fehlt an einem gesamteuropäischen Vorgehen mit zahlreichen Flügen und einer entsprechenden logistischen Koordination, um die Nachbarstaaten der Ukraine zu unterstützen und, um die Schutzsuchenden innerhalb Europas zu verteilen. Auch in Österreich gilt es, für genügend Aufnahmekapazitäten zu sorgen, um im Umgang mit Schutzsuchenden organisiert, koordiniert und human vorzugehen: derzeit rechnet man mit 200.000 Schutzsuchenden aus der Ukraine. Es wird damit auch in unserem Lande dazu kommen, dass Bedarf an Versorgung die Möglichkeiten überschreitet - trotz der enormen Hilfsbereitschaft von Seiten der Zivilgesellschaft, die im Moment für den viel zu langsam und träge agierenden Staat einspringt, wo es nur geht.

Am 4. März haben die EU-Staaten den Durchführungsbeschluss 2022/382, basierend auf der Richtlinie 2001/55/EG, einstimmig angenommen. Dieser soll es ermöglichen, Schutzsuchenden aus der Ukraine schnell und unbürokratisch ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht zu gewähren. Der vorübergehende Schutz soll vorerst für ein Jahr gelten, kann jedoch um insgesamt zwei weitere Jahre verlängert werden.

Die Richtlinie 2001/55/EG sieht folgende Verpflichtungen des Staats gegenüber Personen, die einen temporären Schutzstatus erhalten, vor: 

Innerstaatlich wurde dieser Beschluss durch die Annahme der Vertriebenen-VO am 11. März 2022 im Hauptausschuss des Parlaments umgesetzt, auf Basis derer diese Rechte folgenden Personengruppen, die ab dem 24.2.2022 aus der Ukraine vertrieben wurden, zu gewähren sind: 

Umfasst sind auch ukrainische Staatsangehörige, die vor dem 24.2.2022 in Österreich rechtmäßig aufhältig waren. Seit Beginn des Konflikts sind rund 277.000 Schutzsuchende nach Österreich eingereist. Geschätzt wird, dass rund 80 Prozent in andere Länder weiterreisen - registriert sind mit Stand 2. Mai rund 64.000 Personen. 

Die fehlende Organisation in der Umsetzung der Vertriebenen-VO zeichnete sich von Anfang an ab. Obwohl deren Beschluss über viele Tage absehbar war, fing die Registrierung der in Österreich mittlerweile auffälligen Flüchtlinge sehr schleppend an - der Rückstau konnte daher nur langsam aufgearbeitet werden. Erst nach Kritik steigerte man die Ressourcen. Verzögerung bei der Registrierung bedeutete für die Betroffenen Ausschluss von insb. Zugang zur Krankenversicherung und Grundversorgung. 

Zur Koordination im Umgang mit Schutzsuchenden richtete Bundeskanzler Karl Nehammer die Stabsstelle "Ukraine - Flüchtlingskoordination" im Bundeskanzleramt ein und bestellte am 13. März Michael Takács als Flüchtlingskoordinator. Zu seinen Aufgaben zählen laut eigenen Ausführungen "die interministerielle Abstimmung von Maßnahmen zur Unterbringung und Integration von schutz- und hilfsbedürftigen Personen aus der Ukraine, die Koordination von Hilfslieferungen sowie die Zusammenarbeit mit den Bundesländern, Vertretern der Wirtschaft, NGOs und sonstigen betroffenen Einrichtungen".Grundpfeiler seiner Arbeit seien der "gemeinsame Austausch, die gegenseitige Weitergabe von Information und eine engmaschige Zusammenarbeit". 

Trotz der Einrichtung der Stabsstelle und der oben angeführten Verpflichtungen des Staats gegenüber Schutzsuchenden, denen ein temporäres Aufenthaltsrecht zusteht, zeichnete sich der Umgang mit letzteren durch zahlreiche Mängel aus : 

An der Koordination zwischen Bund und Ländern, insbesondere was die Umverteilung der Schutzsuchenden betrifft, mangelt es ebenfalls. Auch die Auseinandersetzung mit zahlreichen anderen Aspekten ist unzureichend, um den genannten Verpflichtungen künftig gerecht zu werden: 

Um Lehren aus der Vergangenheit hinsichtlich der Integration Geflüchteter zu ziehen, gilt es daher, bereits frühzeitig zu planen und die notwendigen integrativen Maßnahmen unmittelbar und in allen Lebensbereichen in die Wege zu leiten. Da ein wesentlicher Teil der Geflüchteten wahrscheinlich in den Aufnahmeländern bleiben wird und - sollte Putin seine Aggressionen fortsetzen - in späterer Folge auch mit Familiennachzug zu rechnen ist, darf Integration von Tag 1 an nicht verabsäumt werden. Das betrifft die Wohnsituation genauso wie den verlässlichen Zugang zum Bildungssystem, Arbeitsmarkt und medizinischer Versorgung. Es braucht hier ein gesamtstaatliches Vorgehen, das sich sowohl an den Bedürfnissen der Geflüchteten, als auch der Gesamtgesellschaft orientiert und europäische Solidarität in den Vordergrund stellt.

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende

Anfrage:

  1. Welche konkreten Maßnahmen wurden von welcher Stelle Ihres Ressorts jeweils wann gesetzt, um eine Integration von schutz- und hilfsbedürftigen Personen aus der Ukraine ab Tag 1 sicherzustellen?
  2. Werden vonseiten Ihres Ministeriums Bedarfsanalysen durchgeführt, die der adäquaten und vorausschauenden Planung der benötigten Kapazitäten und Ressourcen zur Integration Schutzsuchender dienen?
    1. Wenn ja, in welchen zeitlichen Abständen und mit welchem Ergebnis jeweils?
  1. Zu den Aufgaben der Stabsstelle „Ukraine - Flüchtlingskoordination" gehört u.a. die „interministerielle Abstimmung von Maßnahmen zur (…) Integration von schutz- und hilfsbedürftigen Personen aus der Ukraine“. Welche Zuständigkeiten liegen bei der Integration der Schutzsuchenden aus der Ukraine im Ressort des BKA (Stabsstelle "Ukraine - Flüchtlingskoordination") und welche im Ressort des BMFFIM bzw. wie sind die Zuständigkeiten aufgeteilt? Bitte um Erläuterung der Entscheidungsstruktur.
  2. Welche Gespräche zwischen Michael Takács bzw. der Stabsstelle „Ukraine - Flüchtlingskoordination" und welcher Stelle Ihres Ressorts gab es hinsichtlich der Integration Schutzsuchender, die nach der Vertriebenen-VO registriert wurden, jeweils wann und mit welchem Ergebnis?
  3. Flüchtlingskoordinator Michael Takács rechnet mit 200.000 Schutzsuchenden in Österreich - über dreimal so viele Menschen, wie bereits in Österreich registriert sind. Im Ö1 Morgenjournal des 28.4 versicherte Michael Takács, bis zu 200.000 Schutzsuchende "können im Ernstfall versorgt werden". Laut Michael Takács gäbe es in Österreich keine Engpässe. Welche Vorkehrungen wurden von welcher Stelle Ihres Ressorts getroffen, um insgesamt 200.000 Personen menschenrechtskonform in Österreich aufnehmen und integrieren zu können? 
    1. Welche Vorkehrungen wurden von Ihrem Ressort wann getroffen, um gegenwärtig und künftig 

                                          i.    genügend Kinderbetreuungsplätze sicherzustellen, um erwachsenen Schutzsuchenden die Integration in den Arbeitsmarkt zu ermöglichen? 

                                        ii.    ausreichende Kapazitäten für alle schulpflichtigen Kinder sowie genügend Lehrpersonals sicherzustellen?

                                       iii.    ausreichend familiengerechte Unterkünfte sicherzustellen?

                                       iv.    ausreichende medizinische und psychologische Betreuung sicherzustellen, insb. für Frauen die während des Kriegs oder auf der Flucht Opfer von sexueller Gewalt wurden?

  1. Gibt es Anlaufstellen, die Schutzsuchenden für alle rechtlichen und praktischen Fragen betreffend Integration zur Verfügung stehen und unterstützen können?
    1. Wenn ja, seit wann und wie viele? Bitte um Aufschlüsselung nach Bundesland und Zeitpunkt der Errichtung der Anlaufstellen. 
  1. Gibt es auf EU-Ebene einen Austausch zwischen den Mitgliedsstaaten hinsichtlich der Integration Schutzsuchender? 
  2. Am 28.4 sagte ÖVP-Klubobmann August Wöginger „Aus der Ukraine Geflüchtete sollen Asylberechtigten gleichgestellt werden“. Wann wurden welche Gespräche zur Gleichbehandlung von Schutzsuchenden, die nach der Vertriebenen-VO registriert wurden, mit Asylberechtigten geführt
    1. Hinsichtlich Sozialleistungen wie Familienbeihilfe?

                                          i.    Mit welchem Ergebnis?

                                        ii.    Welche Positionen wurden jeweils vertreten?

                                       iii.    ÖVP-Integrationssprecher Ernst Gödl hat am 2.5 diese Ankündigung zurückgenommen, es gäbe "verfassungsrechtliche Bedenken", weitere Verhandlungen sollen geführt werden. Auf welche "verfassungsrechtlichen Bedenken" stößt die Gleichstellung von Schutzsuchenden aus der Ukraine mit Asylberechtigten? 

1.    Auf welche Sozialleistungen haben Schutzsuchende Anspruch bzw. auf welche Sozialleistungen werden sie künftig Anspruch haben?

a.    Welche Verhandlungen sollen dazu wann geführt werden? 

b.    Wie soll die Finanzierung der Sozialleistungen für nach der Vertriebenen-VO registrierte Personen zwischen Bund und Ländern aufgeteilt werden? 

    1. Hinsichtlich des Zugangs zum Arbeitsmarkt?

                                          i.    Mit welchem Ergebnis?

                                        ii.    Welche Positionen wurden jeweils vertreten?

                                       iii.    Aus welchen Gründen wurde entschieden, dass Schutzsuchende iSd Vertriebenen-VO eine Beschäftigungsbewilligung benötigen, anstatt ihnen einen freien Zugang zum Arbeitsmarkt zu gewähren, wie Asylberechtigte?

  1. Werden Menschen, denen es aufgrund ihrer Situation unmöglich ist zu arbeiten (Alter, Krankheit, Behinderung usw.), auf lange Frist auf die Grundversorgung angewiesen sein? 
    1. Welcher Rahmen ist zur Integration dieser Personen angedacht?
  1. Als Familienangehörige nach der Vertriebenen-VO zählen Ehepartner_innen oder eingetragenen Partnerschaften. Welcher Rahmen ist für binationale Paare angedacht, welche nicht verheiratet sind bzw. keine eingetragene Partnerschaft haben?
  2. Österreich hat nach Angaben der EU-Kommission rund 74 Millionen Euro als Unterstützung für aus der Ukraine Geflüchtete erhalten. Welcher Anteil dieser Mittel wurde bzw. wird für integrative Maßnahmen, soweit diese in der Zuständigkeit des BMFFIM liegen, Schutzsuchender verwendet?
    1. Wofür wurden bzw. werden diese Mittel jeweils verwendet? 
  1. Wann wurden welche Gespräche hinsichtlich einer Residenzpflicht geführt? 
    1. Welche Positionen wurden jeweils vertreten?
  1. Welche konkreten Maßnahmen wurden von welcher Stelle Ihres Ressorts jeweils wann gesetzt, um bei der Integration Schutzsuchender eine Zusammenarbeit bzw. eine effektive Koordination mit den Bundesländern und den Gemeinden sicherzustellen?