11062/J XXVII. GP
Eingelangt am 19.05.2022
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Anfrage
der Abgeordneten Rosa Ecker, MBA
und weiterer Abgeordneter
an die Bundesministerin für Frauen, Familie, Integration und Medien
betreffend ungelöste Problemstellungen beim Kinderbetreuungsgeld
Das Kinderbetreuungsgeld ist eine Familienleistung, von der es die Pauschalvariante sowie die einkommensabhängige Variante gibt. Außerdem gibt es noch die Beihilfe zum Kinderbetreuungsgeld. Die Pauschalvariante verlangt keine Erwerbstätigkeit. Um einen Leistungsanspruch auf Kinderbetreuungsgeld in voller Höhe zu haben, sind fünf Mutter-Kind-Pass-Untersuchungen während und nach der Geburt notwendig.
Die einkommensabhängige Variante verlangt außerdem 182 Tage durchgängige kranken- und pensionspflichtige Erwerbstätigkeit bis zur Geburt des Kindes. Eine Unterbrechung wegen Krankheit ist bis zu 14 Tage zulässig. Darüber hinaus anfallende Krankheitstage sind nur dann zulässig, wenn das Dienstverhältnis mit dem Arbeitgeber aufrecht bleibt und eine Entgeltfortzahlung besteht. Geht eine Frau vor der Geburt des Kindes in Mutterschutz oder hat ein Beschäftigungsverbot, so gilt, dass die 182 Tage vor den genannten beiden Regelungen zu erfüllen sind.
Die OGH-Entscheidung 10ObS180/13p hat gezeigt, dass eine Person, die länger als 14 Tage krank ist und die außerdem keine Entgeltfortzahlung vereinbart hat (bzw. gesetzlich nicht besteht), keinen Anspruch auf das einkommensabhängige Kinderbetreuungsgeld hat, selbst auch dann, wenn Krankengeld bezogen wird. Das Kinderbetreuungsgeld wird an in Österreich wohnhafte Kinder bezahlt. Anspruch haben auch Asylberechtigte und subsidiär Schutzberechtigte – letztere müssen erwerbstätig sein und dürfen weder Grundversorgung noch Mindestsicherung erhalten.
Das Unionsrecht verpflichtet Österreich Kinderbetreuungsgeld auch an Kinder zu bezahlen, die nicht in Österreich wohnhaft sind. Dies wird in den EU-Verordnungen 883/2004 und 987/2009 geregelt. Maßgebend sind Artikel 67 und 68 der EU-VO 883/2004 sowie Artikel 60 der EU-VO 987/2009. Artikel 11 der EU-VO 883/2004 ist außerdem anzuwenden, wenn unklar ist, welchen Rechtsvorschriften eines Staats eine Person unterliegt. Dem kommt Bedeutung zu, da das Unionsrecht so auszulegen ist, dass eine Person, die eine Geldleistung bei Krankheit bezieht, als beschäftigt gilt.
So heißt es im Artikel 11 im Detail:
Allgemeine Regelung
(1) Personen, für die diese Verordnung gilt, unterliegen den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaats. Welche Rechtsvorschriften dies sind, bestimmt sich nach diesem Titel.
(2) Für die Zwecke dieses Titels wird bei Personen, die aufgrund oder infolge ihrer Beschäftigung oder selbstständigen Erwerbstätigkeit eine Geldleistung beziehen, davon ausgegangen, dass sie diese Beschäftigung oder Tätigkeit ausüben. Dies gilt nicht für Invaliditäts-, Alters- oder Hinterbliebenenrenten oder für Renten bei Arbeitsunfällen oder Berufskrankheiten oder für Geldleistungen bei Krankheit, die eine Behandlung von unbegrenzter Dauer abdecken.
Dies ist insofern relevant, da der Oberste Gerichtshof in der Rechtsache 10 ObS 117/14z eine Entscheidung zu treffen gehabt hat, die das Kinderbetreuungsgeld in seiner Pauschalvariante betroffen hat. Wie bereits erwähnt verlangt diese Leistung keine Erwerbstätigkeit. Allerdings gab es einen grenzüberschreitenden Sachverhalt, bei dem eine tschechische Krankenschwester in Österreich als Grenzgängerin aktiv war, während das Kind in Tschechien wohnte und der Vater arbeitslos war. Die Mutter wurde vor der Geburt krank. Die Ärzte erklärten sich für sie unzuständig, weshalb sie nicht in Mutterschutz ging, sondern in den Krankenstand. Eine Entgeltfortzahlung wurde mit dem Arbeitgeber nicht vereinbart. Sie bezog Krankengeld in voller Höhe.
Die Krankenkassa meinte, dass ihr kein Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld zustehe, sondern Tschechien zuständig sei. Dies insofern, weil die Mutter nicht durchgängig sechs Monate beschäftigt war. Wenngleich die sechs Monate Erwerbstätigkeit bei der einkommensabhängigen Variante verankert sind (§ 24 Kinderbetreuungsgeldgesetz), wurde argumentiert, dass es sich dabei um eine „Legaldefinition“ handle, die für das gesamte Gesetz gelte. Eine Argumentation, der grundsätzlich in keiner Weise gefolgt werden kann. Wenn überhaupt, müsste dies präziser formuliert werden. Dennoch entschied das Höchstgericht, dass dies zulässig sei. Demnach hätte die Mutter keinen Anspruch auf das Kinderbetreuungsgeld. Allerdings wies der OGH auf den bereits erwähnten Artikel 11 (2) der EU-VO 883/2004 hin, der klarstellt, dass auch Geldleistungen bei Krankheit als Beschäftigung zu werten sind. Zeiten, während derer zwar keine aktive Erwerbstätigkeit ausgeübt wird, aber eine unter Art 11 Abs 2 der EU-VO 883/2004 zu subsumierende Leistung bezogen wird, sind daher als Ausübung einer Beschäftigung zu werten.
Wenngleich die Entscheidung das pauschale Kinderbetreuungsgeld betroffen hat, muss davon ausgegangen werden, dass auch das einkommensabhängige Kinderbetreuungsgeld die Regelung zu berücksichtigen hat.
Und hier kommt es zu einer Problemstellung: Zwar sollen die Regeln des Kinderbetreuungsgeldgesetzes eine Scheinerwerbstätigkeit unterbinden, weshalb 182 Tage Erwerbstätigkeit vorgesehen sind und nur eine kurze Unterbrechung von 14 Tagen erlaubt ist und ein weiterer Krankenstand nur zulässig ist, wenn es eine Entgeltfortzahlung gibt. Allerdings können Personen, die einen grenzüberschreitenden Sachverhalt vorweisen können, das nationale Recht aushebeln, da sie selbst ohne Entgeltfortzahlung einen Anspruch haben können, wenn Krankengeld bezogen wird. Im Kinderbetreuungsgeldgesetz sind außerdem Mutter-Kind-Pass-Untersuchungen während der Schwangerschaft verpflichtend vorgesehen. Werden die Untersuchungen nicht nachgewiesen reduziert sich für jeden Elternteil der Betrag des Kinderbetreuungsgeldes um 1.300 Euro.
Es scheint fraglich, ob alle anderen Mitgliedsstaaten, die die EU-Koordinierungsregeln beachten müssen, gleichartige Kinderbetreuungsgeldleistungen haben, die Untersuchungen während und nach der Schwangerschaft vorsehen. Es ist aber durchaus möglich, dass es einen Elternteil geben kann, dessen Kind nicht in Österreich wohnt, aber der Elternteil während der Schwangerschaft eine Erwerbstätigkeit in Österreich aufnimmt. Arbeitet der andere Elternteil nicht, so wäre Österreich vorrangig für die Bezahlung des Kinderbetreuungsgeldes zuständig. Wenn aber die Erwerbstätigkeit wenige Wochen oder Monate vor der Geburt des Kindes aufgenommen wurde, dann dürften die notwendigen Fristen für die Mutter-Kind-Pass-Untersuchungen nicht eingehalten werden können. Arbeitet außerdem der Vater in Österreich, so stellt sich die Frage, wie die im Ausland wohnhafte Mutter, die nicht in Österreich krankenversichert ist, zum Mutter-Kind-Pass kommt. Außerdem besteht noch die Möglichkeit, dass ein Elternteil erst nach der Geburt des Kindes eine Erwerbstätigkeit in Österreich aufnimmt und daher die notwendigen Untersuchungen während der Schwangerschaft überhaupt nicht erfüllt werden konnten. Arbeitet nur dieser Elternteil, so wäre Österreich vorrangig für die Zahlungen von Familienleistungen zuständig.
Wenn aber nicht alle Mutter-Kind-Pass-Untersuchungen durchgeführt werden konnten, so muss davon ausgegangen werden, dass auch Eltern, bei denen das Kind nicht in Österreich wohnhaft ist, keinen Anspruch auf die volle Höhe des Kinderbetreuungsgelds haben, womit der nachrangig zuständige Staat bei einer höheren Familienleistung einen höheren Unterschiedsbetrag zu bezahlen hat. Es stellt sich jedoch die Frage, ob Österreich bei grenzüberschreitenden Sachverhalten dennoch die volle Höhe des Kinderbetreuungsgelds bezahlt, wenn die Fristen für Mutter-Kind-Pass-Untersuchungen unmöglich eingehalten werden konnten.
Umgekehrt allerdings kann es auch in Österreich wohnhafte Kinder geben, bei denen es einen Elternteil gibt, der in einem anderen Staat arbeitet. Arbeitet nur dieser Elternteil und hat der vorrangig zuständige Staat eine höhere Familienleistung als das österreichische Kinderbetreuungsgeld, dann bezahlt Österreich nichts. Eltern dürften diese Leistung auch nicht beantragt haben.
Es besteht allerdings die Gefahr, dass jener Elternteil, der in einem anderen Staat arbeitet, entweder arbeitslos wird oder eine Erwerbstätigkeit in Österreich aufnimmt. In letztem Fall wäre Österreich zuständig, um das Kinderbetreuungsgeld zu bezahlen. Geschah die Änderung der Zuständigkeiten nach einem Zeitpunkt, in dem in Österreich die notwendige Frist einer der Mutter-Kind-Pass-Untersuchungen abgelaufen ist, dann dürfte auch in diesem Fall das Kinderbetreuungsgeld nicht in voller Höhe ausbezahlt werden.
In diesem Zusammenhang richten die unterfertigten Abgeordneten an die Bundesministerin für Frauen, Familie, Integration und Medien nachstehende
Anfrage
1. Ist es zutreffend, dass eine Person, die gemäß den EU-VO 883/2004 und 987/2009 ein Kind hat, das nicht in Österreich wohnhaft ist, und die von Österreich Krankengeld ohne Entgeltfortzahlung für eine Dauer von mehr als 14 Tagen bezieht, im Sinne der Entscheidung 10 ObS 117/14z einen Anspruch sowohl auf das Kinderbetreuungsgeld in seiner Pauschalvariante als auch in der einkommensabhängigen Form beziehen kann, während Personen, die wie in 10ObS180/13p über 14 Tage krank sind und zwar Krankengeld beziehen aber keine Entgeltfortzahlung haben, der Anspruch auf das einkommensabhängige Kinderbetreuungsgeld versagt wird?
a. Wenn ja, welche konkreten Maßnahmen werden sie setzen, damit diese Form der Diskriminierung zukünftig abgestellt wird?
b. Wann kann mit der konkreten Umsetzung dieser Maßnahmen gerechnet werden?
2. Haben Eltern, bei denen das Kind nicht in Österreich wohnt, aber Österreich aufgrund der EU-VO 883/2004 vorrangig zuständig wird, auch dann Anspruch auf das Kinderbetreuungsgeld in voller Höhe, wenn die Mutter-Kind-Pass-Untersuchungen nicht eingehalten werden konnten, da die vorrangige Zuständigkeit Österreichs erst wenige Wochen oder Monate vor der Geburt oder nach der Geburt des Kindes erfolgte?
3. Muss eine Mutter, die mit dem Kind nicht in Österreich wohnt, aber der Vater in Österreich arbeitet, einen Mutter-Kind-Pass beantragen, um das Kinderbetreuungsgeld in voller Höhe zu erhalten und müssen die Untersuchungen dann in Österreich stattfinden?
4. Akzeptiert die ÖGK auch gleichartige Mutter-Kind-Pass-Untersuchungen, wenn diese nicht in Österreich erfolgt sind?
5. Können Eltern, bei denen das Kind nicht in Österreich wohnhaft ist auch andere Schwangerschaftsuntersuchungen ihrer Staaten vorlegen, wenn die Mutter keinen (österreichischen) Mutter-Kind-Pass (beantragt) hat?
6. Haben Eltern, bei denen das Kind in Österreich wohnt, aber ein anderer Staat grundsätzlich vorrangig zuständig war und dieser seine Leistung bezahlt hat, auch dann Anspruch auf das Kinderbetreuungsgeld in voller Höhe, wenn Österreich wenige Wochen oder Monate vor der Geburt oder nach der Geburt des Kindes vorrangig zuständig wird, aber nicht alle Mutter-Kind-Pass-Untersuchungen eingehalten werden konnten (vor allem, wenn der Vater erst nach der Geburt des Kindes in Österreich erwerbstätig wurde)?
7. Verlangt Österreich für ein in Österreich wohnhaftes Kind auch dann Mutter-Kind-Pass-Untersuchungen, wenn gemäß der EU-VO 883/2004 ein anderer Staat vorrangig für die Zahlungen von Familienleistungen zuständig ist, aber dieser Staat eine höhere Familienleistung hat und daher Kinderbetreuungsgeld nur dem Grunde nach, aber nicht der Höhe nach besteht?
8. Wie ist die vorherige Frage zu beantworten, wenn diese Eltern in Österreich das Kinderbetreuungsgeld beantragt haben?
9. Wie sind vorherigen beiden Fragen zu beantworten, wenn Österreich wenige Wochen oder Monate vor der Geburt des Kindes oder nach der Geburt des Kindes vorrangig zuständig wird (etwa, wenn der Vater zuerst in einem anderen Staat gearbeitet hat, aber dann in Österreich erwerbstätig wurde), aber nicht alle Mutter-Kind-Pass-Untersuchungen durchgeführt werden konnten, weil die Eltern nicht wussten, dass sich die Zuständigkeit der Staaten geändert hat?
10. Wie wirkt sich bei grenzüberschreitenden Sachverhalten eine rückwirkende Kürzung des Kinderbetreuungsgelds aus, wenn der nachrangig zuständige Staat eine Familienleistung hat, die höher ist als das österreichische Kinderbetreuungsgeld?